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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 28.03.2021

Nicht mehr ganz aktuell aber mit viel Potenzial

Alles auf dem Rasen
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Meine Meinung:
Endlich einmal habe ich ein Buch von Juli Zeh gelesen und durch die vielen verschiedenen Essays zu diversen Themen, habe ich ganz unterschiedliche Seiten der Autorin, sowie ihre packende ...

Meine Meinung:
Endlich einmal habe ich ein Buch von Juli Zeh gelesen und durch die vielen verschiedenen Essays zu diversen Themen, habe ich ganz unterschiedliche Seiten der Autorin, sowie ihre packende Erzählsprache kennenlernen dürfen. Gar nicht gefallen haben mir ihre Abhandlungen über den Beruf der Juristin, die kamen nämlich trocken und besserwisserisch daher. Die einzige Ausnahme war ein grandioser Text über "Tabus" in unserer Gesellschaft. Auch sind einzelne feministische Themen ein wenig gar einseitig beleuchtet, aber die meisten Texte stammen aus den Jahren 2003-2005 und in der Zwischenzeit hat sich auch bei der Autorin viel getan. Ein Blick auf die im Buch besprochenen Themen aus der heutigen Zeit wäre also total spannend. Ich zumindest würde eine weitere Essaysammlung mit Texten von 2020- 2025, die dann im Jahr 2027 erscheint (zum Beispiel), total spannend finden.
Sehr berührt haben mich die Texte zum Thema "Reisen" und vor allem auch den liebevollen Blick, den die Autorin auf Bosnien wirft. Es scheint, als würden mir immer mehr Verbindungen zu Bosnien auffallen und das wundert auch nicht: Bosnien ist Dreh- und Angelpunkt so vieler Ereignisse in Europa und die Bedeutung dieses wunderschönen Landes ist lange unterschätzt worden. Dabei führen so viele Reisen politischer, historischer und gesellschaftlicher Art früher oder später durch dieses Land und es freut mich, dass zahlreiche Schriftsteller*innen dies erkennen.
Insgesamt hat mir "Alles auf dem Rasen" Lust darauf gemacht, mehr von Juli Zeh zu lesen. Ihre Art, zu schreiben hat mich überzeugt. Einige ihrer Texte und einzelne Gedankengänge darin haben mich zwar weder unterhalten, noch haben sie mir etwas vermittelt, aber ich habe beim Lesen stets gespürt, dass ich mir von dieser Autorin noch ganz viele Geschichten erzählen lassen möchte.

Fazit:
"Alles auf dem Rasen" hat Lust auf die Romane von Juli Zeh gemacht, ist aber nicht mehr wirklich aktuell, sondern zeigt einzelne doch sehr verstaubte und trockene Ansichten aus den vergangenen Jahrzehnten, in denen sich gesellschaftlich vieles getan hat. Dennoch sind das grossartige schriftstellerische Potenzial der Autorin, ihr feinsinniger Humor und ihre genaue und liebevolle Art, Menschen und deren Umgebung zu beobachten, klar erkennbar, was mich neugierig auf die Romane der Autorin gemacht hat.

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Veröffentlicht am 02.02.2021

Tolle Figuren, fehlende Spannung

Das Geheimnis der Lady Audley
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Inhalt:
Robert Audley ist ein absolut gemütlicher Mensch. Er lebt sein Leben von Tag zu Tag und verhindert dabei jegliche Tätigkeit, die ihn erschöpfen könnte. Auch grosse Aufregungen oder komplizierte ...

Inhalt:
Robert Audley ist ein absolut gemütlicher Mensch. Er lebt sein Leben von Tag zu Tag und verhindert dabei jegliche Tätigkeit, die ihn erschöpfen könnte. Auch grosse Aufregungen oder komplizierte Gefühlsregungen kann er nicht nachvollziehen. Trotzdem ist dieser scheinbar so faule Mensch Anwalt und dies hat er einigen einflussreichen Freunden zu verdanken, mit denen er an unzähligen Anwaltsessen teilgenommen hat und durch die er in der erhabenen Kreis der Anwälte aufgenommen wurde.
Als aber sein Freund George Talboys auf dem Anwesen von Roberts Onkel spurlos verschwindet, wird selbst Robert Audley stutzig. Er verstrickt sich mehr und mehr in Nachforschungen und nimmt dabei unter anderem die sonderbaren Geschichten von der Frau seines Onkels, Lady Audley, ins Visier. Doch die bildschöne und intelligente Dame gibt sich bedeckt und so muss Robert sehr weit in der Vergangenheit seiner "Tante" stöbern und dabei auch noch ganz vielen anderen Spuren nachgehen, um sich selber ein Bild zu verschaffen. Der Schwiegervater seines Freundes Talboys ist ihm dabei keine grosse Hilfe. Und als sich auch noch Roberts Cousine Lady Alicia Audley so seltsam zu benehmen beginnt, versteht Robert die Welt definitiv nicht mehr.

Meine Meinung:
Im Genre "Viktorianischer Krimi" kenne ich mich überhaupt nicht aus, habe mich aber aufgrund meiner Leidenschaft für Kriminalromane für dieses Buch bei Blogg dein Buch beworben und habe es dann ja auch tatsächlich gewonnen. Ich kann aber nun vom Aufbau her nicht mit anderen Romanen dieser Art vergleichen.
Ganz klar gestört hat mich die Tatsache, dass ich nach fünfzig Seiten schon genau wusste, wie das Buch ausgehen würde und welche Figur aus welchem Grund wie gehandelt hat und ich habe mich in keiner meiner Vermutungen getäuscht. Deshalb waren für mich die ganze Aufklärungsarbeit und die endlosen Gedankengänge von Robert Audley schon fast ein wenig mühsam, weil ich in diesem Roman einfach während keiner einzigen Sekunde Spannung gefühlt habe.
Ich muss aber sagen, dass der Schreibstil von der Übersetzerin an sich sehr passend zum Thema und zur Zeit gewählt ist und dass Anja Marschall mit der Überarbeitung des Buches eine grosse Arbeit geleistet hat. Die romantische Sprache (im Sinne der Epoche der Romantik) und die sehr feinsinnig verarbeitete Gesellschaftskritik dieses Romans, sowie die brisanten Themen der Geschichte (Bigamie, Mord, Betrug) zeugen von der Autorin als durchaus in ihrer Zeit verwurzelten aber bereits sehr aufgeschlossenen und emanzipierten Frau, die sich nicht scheute, damalige Tabus anzusprechen. Auch das Verhältnis von den Herrschaften zu ihren Dienstboten und die Kluft zwischen Mann und Frau werden durch kleinste Aspielungen in Frage gestellt und überwunden und wer gerne genau und zwischen den Zeilen liest, wird in diesem Zeitdokument sicher enige zum Nachdenken anregende und absolut durchdachte Passagen finden.
Die Figuren passen sehr gut in die Handlung hinein und ich finde sowohl den Anwalt Robert Audley in seiner gemütlichen aber scharfsinnigen Art, wie auch die von einer seltsamen Aura umgebenen Lady Audley und die ganzen anderen mehr oder weniger durchtriebenen und egoistischen oder einfach nur verliebten Figuren sehr stimmig beschrieben.

Fazit:
Dieser Roman ist an sich durchaus lesenswert, enthält mir persönlich aber zu wenig prickelnde Spannung und verrät sein Ende leiter schon in den ersten fünfzig Seiten.

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Veröffentlicht am 20.11.2020

Trotz Längen spannend und grandios recherchiert

Das Alphabethaus
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Inhalt:
Bryan und James, zwei britische Piloten, stürzen über Deutschland ab und überleben wie durch ein Wunder. Bei ihrer Flucht vor den deutschen Truppen schaffen sie es, auf einen Sanitätszug aufzuspringen. ...

Inhalt:
Bryan und James, zwei britische Piloten, stürzen über Deutschland ab und überleben wie durch ein Wunder. Bei ihrer Flucht vor den deutschen Truppen schaffen sie es, auf einen Sanitätszug aufzuspringen. Dort verstecken sie sich in einem Wagen mit lauter ranghohen deutschen Offizieren, welche als geisteskrank eingestuft worden sind. Sie nehmen die Identität zweier dieser Männer an und geben sich fortan ihrem unbestimmten Schicksal hin. In Freiburg im Breisgau landen sie in einem Krankenhaus, das mit den damaligen fragwürden Methoden versucht, psychische Erkrankungen zu behandeln und in dem ausserdem Medikamente getestet werden. Schnell stellt sich heraus, dass Bryan und James nicht die einzigen Simulanten sind und dass dieser Umstand sie in Lebensgefahr bringt.
Dreissig Jahre später schaut ein in England lebender Mann auf sein Leben zurück und erinnert sich mit grossem seelischem Schmerz und nagenden Gewissensbissen an seinen Freund, den er in einer ausweglosen Situation zurückgelassen hat. Ein letztes Mal begibt er sich auf Spurensuche um mit seiner Vergangenheit aufzuräumen und seine Schuld ein für alle mal zu tilgen. Er reist dazu nach Deutschland und begegnet den Geistern seiner Vergangenheit wieder, welche sich als reale Bedrohung für Leib und Leben entpuppen.

Ein erster Eindruck:
Ich habe dieses Buch mit gemischten Gefühlen zur Hand genommen, schliesslich habe ich bisher nicht sehr viele gute Rezensionen dazu gelesen. Die eher negativen Meinungen stammen vor allem von Menschen, welche dir Krimis des Autors sehr gerne gelesen haben und die teilweise auch ganz andere Erwartungen an den Roman hatten. Ich selber habe noch kein anderes Buch von Jussi Adler Olsen gelesen und weiss jetzt schon, dass ich das bald tun möchte, schliesslich besitzt mein Vater einen grossen Teil seiner Kriminalromane und der Schreibstil hat Lust auf mehr in mir geweckt. So kann ich aber in Bezug auf dieses Buch sagen, dass ich keinerlei Erwartungen an den Stil und die Handlung hatte und insgesamt positiv überrascht worden bin.
Das Buch ist in zwei Teile unterteilt, von dem sich vor allem die Szenen im Krankenhaus und davon vor allem die endlosen und sich wiederholenden Schilderungen des Tagesablaufs der Patienten sehr stark in die Länge ziehen. Da hätte man das Buch definitiv ein wenig raffen können, gleichzeitig denke ich mir aber, dass der Autor bewusst mit diesen Längen spielt, weil der Alltag den Patienten ja wohl auch unendlich lange vorgekommen sein muss und dies lässt uns die Schrecken und Quälereien, welche die Männer über sich ergehen lassen mussten, noch besser nachempfehlen.

Der zweite Teil:
Im zweiten Teil, in dem ein Mann auf sein Leben zurückblickt und sich auf eine gefährliche Spurensuche macht, die er nicht selten nur knapp überlebt, kommt dann noch einmal eine ganz andere Qualität des Autors zum Vorschein und man kann das kriminalistische Potenzial, das in Jussi Adler Olsen steckt, definitiv schon sehr gut erkennen.
Ein weiterer eher grosser Kritikpunkt, der mir in einigen Rezensionen begegnet ist und den ich gar nicht nachvollziehen kann, ist die Handlung, welche auf einige Leser:innen sehr unwahrscheinlich gewirkt hat. Da muss ich vehement widersprechen: ich habe schon zahlreiche Tatsachenromane aus der Zeit des zweiten Weltkriegs gelesen und es gibt wirklich die unwahrscheinlichsten Zufälle und Fügungen, die eben genau ausmachen, ob und unter welchen Umständen jemand überlebt oder nicht. Von dem her würde ich das Buch in diesem Bereich nicht zu stark kritisieren.
Eher kamen auch im zweiten Teil einige Längen auf und ich kann mir gut vorstellen, dass die Geschichte - deren Plot grandios ist und die auf äusserst fundierten Recherchen beruht und auch noch über ein Nachwort verfügt, das auf zahlreiche im Buch thematisierten Geisteskrankheiten und deren Klassifizierung eingeht, sowie enorm viele Quellen nennt - auch auf knapp drei- bis vierhundert Seiten genau so gut, respektive ziemlich sicher sehr viel besser hätte erzählt werden können.

Meine Empfehlung:
Einigen Längen und äusserst anstrengend aber auch brutal zu lesenden Szenen zum Trotz hat mir dieses Buch ziemlich gut gefallen. Es lässt das grosse schriftstellerische Potenzial (und dabei vor allem auch das kriminalistische Potenzial, das Olsen letztendlich berühmt gemacht hat) vermuten und erzählt eine Geschichte, die grandios recherchiert ist, einen wichtigen und oft vergessenes Kapitel des 20. Jahrhunderts beleuchtet und die Geschichte einer starken Freundschaft, von Schuld, Vergebung, Eigeninitiative, Flucht und Rettung erzählt.

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Veröffentlicht am 29.06.2020

Wenn die Protagonisten in den Hintergrund rücken und die Dorfidylle für grossen Lesegenuss sorgt...

Die Liebe kommt auf Zehenspitzen
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Inhalt:

Lucy, eine sich in der Grossstadt einsam fühlende Liebesromanautorin und Ben, ein Arzt, der sich in seinem Job in der Klinik überfordert gefühlt hat, lernen sich auf einer Autofahrt kennen und ...

Inhalt:

Lucy, eine sich in der Grossstadt einsam fühlende Liebesromanautorin und Ben, ein Arzt, der sich in seinem Job in der Klinik überfordert gefühlt hat, lernen sich auf einer Autofahrt kennen und werden gemeinsam auf dem Hof der älteren Dame Dorle eingeschneit. Als diese kurz darauf stirbt, vermacht sie ihren Hof den damals überraschend aufgetauchten Übernachtungsgästen unter der Bedingung, dass Lucy und Ben diesen gemeinsam bewohnen und nach Möglichkeit bewirtschaften sollen.

Weil beide so oder so keinen Halt mehr in ihrem alten Leben haben, stürzen sie sich in dieses neue Abenteuer und werden von der an einem Strick ziehenden Dorfgemeinschaft mit offenen Armen und Herzen empfangen.


Meine Meinung:

Kristina Günak ist es gelungen, mich von Anfang an für sich und ihre Figuren einzunehmen, was mich sehr gefreut hat. Ich habe es geliebt, wie Lucy und Ben sich auf dem Hof einleben (und sich dabei nicht selten auch ein wenig umständlich anstellen) und wie die Bewohner des kleinen Dorfes sich den beiden Stadtbewohnern annehmen. Besonders gut gefallen hat mir als überzeugte Katzenliebhaberin übrigens der träge, liebenswerte Hofhund Helmut, den Lucy und Ben von Dorle übernommen haben und dessen bedächtige Art im ganzen Buch für sehr viele herzerwärmende Momente gesorgt hat.

In zahlreichen amüsanten Szenen hat Kristina Günak gezeigt, wie humorvoll und feinfühlig sie schreiben kann. Da wären zum Beispiel Dorffeste, der kauzige Nachbar Fredo mit seinem grossen Herz, der Kochkurs, bei dem Lucy so gar nichts lernt, aber um so mehr Spass hat oder auch die kleinen und grösseren Arbeiten rund um den Hof. Die sich zwischen Lucy und Ben anbahnende Romanze rückte dabei mehr und mehr in den Hintergrund und hätte in meinen Augen dann auch eigentlich gar nicht mehr sein müssen. Zu unklar ist Bens Vergangenheit und auch nach mehr als 300 Seiten kann ich mir nicht vorstellen, wie die "Protagonisten" aussehen und eigentlich waren alle anderen im Buch vorkommenden Figuren wesentlich interessanter, präsenter und mit mehr Entwicklungspotenzial ausgestattet. Ich würde es mir deshalb wünschen, noch einmal in dieses kleine Dorf zu reisen und mehr über Millie, Fredo, Esat und wie sie alle heissen zu erfahren.


Schreibstil:

Auch wenn das Landleben natürlich ein wenig gar idyllisch daherkommt, hat sich vor allem da gezeigt, wie besonders gut Kristina Günak (be-)schreiben kann. Ich habe die Blüten der Obstbäume, Millies Kuchen und den Jägermeister riechen und fast schon schmecken können und hätte mich am liebsten zu Esat auf die blau gestrichene Bank am Wegrand gesetzt, mit ihm geplaudert, die Post sortiert und auf den nächsten Gemütsausbruch von Fredo gewartet. Auch ist es Günak gelungen, Bens psychische Erkrankung feinfühlig in die Handlung einzuflechten, ohne sie ins Lächerliche zu ziehen oder - umgekehrt - pathetisch zu werden.

Weniger gut hat mir gefallen, wie Lucys Schreiballtag beschrieben ist. Ihre anfängliche Romanidee verkommt zu einer Farce und muss komplett umgekrempelt werden und auch sie als Figur wirkt für ihr Alter viel zu unbeständig, unreif und auch ein wenig gar unsicher, kann aber dafür mit ihrer feinfühligen Art auftrumpfen.


Fazit:

Obwohl die eigentlichen Protagonisten eine stets kleiner werdende Rolle einnehmen und letztendlich gänzlich in den Hintergrund rücken, Lucys Romanidee sehr an den Haaren herbeigezogen wirkt und wir über Bens Vergangenheit immer noch ganz wenig erfahren, hat Kristina Günak eine herzerwärmende Sommerlektüre geschrieben, welche das idylissche Landleben und den Zusammenhalt einer Dorfgemeinschaft feinfühlig beschreibt. Das Buch kann man lesen, muss es aber nicht, deshalb gibt es keine Empfehlung von mir, sondern einen Wunsch:

Ich wünsche mir eine Fortsetzung, die sich vor allem mit den anderen Bewohnern des kleinen Dorfes befasst und würde sehr gerne in die kleine Dorfgemeinschaft zurückkehren. Evtl. sind sogar genug Ideen für eine Frühling-Sommer-Herbst-Winter-Romanreihe da?

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Veröffentlicht am 11.06.2020

Erschütternd, nachdenklich stimmend, aber moralisch nicht immer ganz über alle Zweifel erhaben

Zahra
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Inhalt:
Zahra ist ein gesundes Kind, aber das Glück ihrer Eltern währt nur kurz. Nach einem Narkosefehler verändert sich das Leben der kleinen Familie von einer Sekunde auf die andere. Die Ärzte geben ...

Inhalt:
Zahra ist ein gesundes Kind, aber das Glück ihrer Eltern währt nur kurz. Nach einem Narkosefehler verändert sich das Leben der kleinen Familie von einer Sekunde auf die andere. Die Ärzte geben Zahra auf. Wenn sie überhaupt überleben werde, werde sie wohl für immer stark behindert bleiben. Aber die Ärzte haben nicht mit Zahras Überlebenswillen und mit der Konsequenz der Mutter gerechnet. Adelheid Schär beginnt, wie eine Löwin um ihre Tochter, um jeden Schritt hin zu einem einfacheren Leben zu kämpfen. Tag und Nacht betreut, fördert und therapiert sie Zahra und wenn sie nicht gerade Ausflüge mit ihr unternimmt, ins Therapieschwimmen geht oder neue Pflegerinnen einstellt, befasst sie sich mit Fachliteratur, Eltern und Ärzten mit ähnlichen Erfahrungen und entwirft neue Therapiepläne. Entgegen jeder Prognose lernt Zahra, gestützt zu kommunizieren und so haben wir nicht nur Erlebnisberichte der Mutter, sondern auch Erfahrungen und Gedanken von Zahra selber überliefert. Aus diesen Berichten wird ersichtlich, wie lernfähig das menschliche Gehirn mit dem richtigen und andauernden Training sein kann. Bisherige Erkenntnisse und Überzeugungen werden widerlegt oder in Zweifel gezogen und dies lässt in vielen Fällen die herkömmlichen Behandlungsmethoden, sowie das Abschieben in Heime in einem ganz anderen Licht erscheinen.
Mutig und ehrlich schildert Adelheid Schär den Alltag mit ihrer Tochter, die persönlichen Zwiste, das Schwimmen gegen den Strom, den Kampf um jeden Rappen und um einen Ausbildungsplatz und nicht zuletzt auch die Verzweiflung, die eigenen Grenzen und die Ablehnung der Umwelt.

Meine Meinung:
Dieses Buch hat mich erschüttert. Natürlich mit seinem Inhalt, aber auch mit der liebevollen und ehrlichen Sprache, in der es geschrieben ist und mit Zahras Worten und Gedanken, die berühren und Einblicke in ein Leben geben, das wir uns überhaupt nicht vorstellen können.
Sachlich und medizinisch, aber auch sehr emotional kommt der Schreibstil daher. Es handelt sich aber weder um einen kalten, noch um einen um Mitleid flehenden Bericht. Vielmehr ist es eine ehrliche Dokumentation über Höhen und Tiefen eines sehr kurzen Lebens und zugleich eine medizinische Studie um aufzuzeigen, wie lernfähig das Gehirn sein kann.
Sehr beeindruckend ist die Tatsache, dass Zahre selber auch zu Wort kommt. Sobald sie gestützt kommunizieren kann - sie schreibt, indem eine Therapeutin ihren Arm hält und auf feinste Impulse achtend führt - ist es ihr möglich, ihre Situation zu beeinflussen. Lange Zeit war gar keine Kommunikation möglich später konnte Zahra mit "Ja" und "Nein" antworten und schon bald kam die gestützte Kommunikation dazu. Eine Kommunikation, die es ihr ermöglichte, eigene Gedanken und Gefühle auszudrücken, Wünsche zu äussern und konkrete Forderungen zu stellen.
Diese neue Ausdrucksmöglichkeit zeigt dem Leser aber auch auf, in welcher Lage Zahra sich befindet. Sie ist hochintelligent und realisiert alles, was geschieht und natürlich auch ihre eigene Situation. Diese beschreibt sie auch manchmal als ein Gefängnis. Damit hat sie wohl Recht. Sie ist gefangen in ihrem fast starren Körper und kann sich nur schriftlich und deshalb eher langsam äussern. Der Wunsch nach Freunschaft wird immer grösser in ihr und ihre Einsamkeit und Verzweiflung ging mir wirklich an die Nieren.
Adelheid Schär will mit diesem Buch aufzeigen, dass ein Leben, wie Zahra es führte, durchaus lebenswert sein kann. Dem stimme ich natürlich zu. Wenn man diesen ganzen Aufwand auf sich nehmen kann, ist dieses Leben lebenswert. Zahra hatte sehr viele schöne Momente in ihrem Leben. Vor allem aber gegen Ende ihres Lebens wird klar, wie sehr sie leidet und wie gross ihre Verzweiflung ist. Sie wäre wohl nie an ihrer Grippe gestorben, wenn sie mit 16 Jahren den gleichen Lebenswillen gehabt hätte, wie direkt nach dem Ärztefehler. Deshalb bin ich nach wie vor skeptisch. Ich bewundere Zahra und ihre Mutter um ihren Mut und ihre Kraft. Trotzdem frage ich mich, ob Zahra diese schreckliche Einsamkeit und diese zermürbende Hoffnungslosigkeit vielleicht hätte erspart werden können. Und gleichzeitig verurteile ich mich dafür, dass ich dies überhaupt zu denken wage. Was auf jeden Fall klar ist: so viel Mut müsste besser unterstützt und akzeptiert werden. Wer sich dafür entscheidet, einen Weg zu gehen, wie Adelheid Schär ihn mit Zahra gegangen ist, dem sollten nie und nimmer zusätzlich Steine in den Weg gelegt werden.

Fazit:
Erschüttert und aufgewühlt hinterlässt dieser ehrliche und wahre Bericht den Leser. Er regt zum Nachenken an und tröstet zugleich mit der mutigen Haltung einer Mutter, die das Leben und sich selbst herausfordert und mit der Stärke einer Tochter, die das Unmögliche zwingt, möglich zu werden.