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Veröffentlicht am 03.04.2021

Von Dora blieb zu wenig

Was von Dora blieb
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In „Was von Dora blieb“ erzählt Anja Hirsch von Isa, die im Jahr 2014 die Geschichte ihres Vaters und ihrer Großmutter erforscht – inspiriert ist dies von der eigenen Familiengeschichte der Autorin. Dies ...

In „Was von Dora blieb“ erzählt Anja Hirsch von Isa, die im Jahr 2014 die Geschichte ihres Vaters und ihrer Großmutter erforscht – inspiriert ist dies von der eigenen Familiengeschichte der Autorin. Dies geschieht durch die bei diesen Romanen fast obligatorischen zwei Zeitebenen – die Gegenwartsebene mit Isa und die historische Ebene aus Sicht von Isas Großmutter Dora und später Isas Vater Gottfried.

Die Schreibstil ist ein wahres Vergnügen. Die Autorin weiß mit Sprache umzugehen, bildet kleine Satzkunstwerke und erfreut mit herrlichen Formulierungen. Ich habe das genossen, mich an so vielen Stellen erfreut und diese Sprachsouveränität mehrfach bewundert.

Erzähltempo und -weise entsprachen dagegen leider weniger meinem Geschmack. Einerseits schafft die Autorin wundervoll farbige Szenen, in denen gerade die 1920er lebendig werden und die durch gut recherchierte Details glaubwürdig und echt wirken. Andererseits finden sich aber auch viele ausführlich geschilderte Nebensächlichkeiten, die zur Geschichte nichts beitragen und das Lesen zäh gestalten. Auch nimmt die Lebendigkeit der Szenen nach dem ersten Drittel zunehmend ab und weicht ausgiebigen Introspektionen.

Die Gegenwartsebene hat mich fast gar nicht überzeugt. Isa reist aufgrund einer Ehekrise an den Bodensee, widmet sich dort einer Kiste mit Unterlagen zu ihrer Großmutter und lernt außerdem Gustav kennen. Isa verliert sich häufig in Erinnerungen und ebenfalls Introspektionen, hauptsächlich aber wirken die handlungsarmen Gegenwartsszenen wie Resonanzkörper für Isas Familienrecherchen. Das, was wir in den historischen Kapiteln lesen, wird hier häufig unnötig wiederholt, dazu gibt es ausführliche Überlegungen, wie dies und jenes zu verstehen sein könnte, und Hintergrundinformationen. Diese sind leider nicht gelungen eingebracht. Es gibt ständiges Infodumping, vorwiegend durch Unterhaltungen Isas mit Gustav, der ein wandelndes Lexikon ist und zu allen Themen sofort die entsprechenden Fakten detailliert herunter rattern kann. Dies fiel besonders beim Thema BASF auf, als er vier Seiten lang die Firmengeschichte herunter betet, inklusive zahlreicher Jahreszahlen – letztlich ist nichts davon für das Buch wirklich relevant. Auch sonst werden oft artikelartige, nicht relevante Diskurse zu allerlei Themen unternommen.

Dagegen bleibt vieles Entscheidende vage und unbeantwortet. Wir lernen die titelgebende Dora im ersten Drittel des Buches sehr gut kennen, sie wird dem Leser vertraut. Dann erfolgt plötzlich ein Zeitsprung von zehn Jahren, es ist 1937 und wir lesen zwar noch aus Doras Perspektive, erfahren aber kaum noch etwas über sie. Es folgt ein Sprung ins Jahr 1943 und Dora fängt an, dezent mit dem Hintergrund zu verschmelzen und behält wesentliche Aspekte ihrer Persönlichkeitsentwicklung für sich. „Was von Dora blieb“ – letztlich leider viel zu wenig. Mit keinem einzigen Wort erfahren wir, wie sie über das Naziregime denkt, überhaupt wird diese Zeit erstaunlich knapp abgehandelt. Isas Naturspaziergänge, Schwimmbadbesuche und Reminiszenzen nehmen mehr Raum ein als die gesamte Nazizeit. Nachdem der Klappentext genau auf diese Themen (Doras Mann arbeitet bei den I.G.-Farben, Doras Sohn war einige Zeit auf einer Napola) neugierig macht, verfliegen sie fast in Nichts.

Dies mag sicher auch daran liegen, dass die Autorin bei ihrer eigenen Familienrecherche auf viele Fragen keine Antwort bekam – Isas Recherche, sehr sachbuchartig geschildert, zeigt uns, dass sie diesen Fragen nachgeht –, aber ich halte es bei einem Roman nicht für gelungen, so viel unbeantwortet oder vage zu lassen. Natürlich muß nicht jeder lose Faden verknüpft werden, aber bei einem Roman erwartet man einfach mehr Antworten, als es hier geschah. Ich habe beim Lesen mehrfach überlegt, ob ein persönlich gefärbtes Sachbuch, in der Richtung von z.B. „Haltet euer Herz bereit“, nicht stimmiger gewesen wäre. Auch die eher distanzierte Erzählweise paßte für mich nicht ganz – die meisten Charaktere und Geschehnisse berührten mich nicht, viele Motivationen waren nicht erkennbar oder nachvollziehbar und auch die Entwicklung von Freundschaften/Beziehungen geschah oft aus dem Nichts. Die Autorin hat einen journalistischen Hintergrund, vielleicht führte dies zu der oft wenig romanhaften Erzählweise.

So läßt mich das Buch zwiespältig zurück. Es fehlt vieles, was ich relevant fand, dafür gibt es vieles, was ich irrelevant fand. Viele Abschweifungen, wenige Antworten. Sehr lebendige Szenen zu Beginn, dann häufig Langatmiges, zu viel Sachbuch für einen Roman. Dafür aber eine herrliche Schilderung der 20er Jahre, fundierte Recherche – leider oft nicht gelungen eingebracht – und ein herrlicher Umgang mit Sprache, zudem eine an sich durchaus interessante Geschichte, die für meinen Geschmack nur eben sehr anders hätte erzählt werden müssen.

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Veröffentlicht am 23.03.2021

Zu viele Personen, zu viele Handlungsstränge, zu viel von allem

Die Farbe von Kristall
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Der Gedanke, einen tatsächlichen – ungelösten – Kriminalfall als Grundlage für einen historischen Krimi zu nehmen, ist ausgezeichnet. Sehr schön finde ich auch, dass tatsächliche Zeitungsartikel aus jener ...

Der Gedanke, einen tatsächlichen – ungelösten – Kriminalfall als Grundlage für einen historischen Krimi zu nehmen, ist ausgezeichnet. Sehr schön finde ich auch, dass tatsächliche Zeitungsartikel aus jener Zeit den Kapiteln vorgestellt werden. Hinten im Buch gibt es zudem einige Fotos und Informationen zu im Buch vorkommenden historischen Personen. Die Verbindung historischer Fakten und fiktiver Geschichte ist gelungen. Die historische Recherche ist ebenfalls sorgfältig und interessant, auch wenn vielleicht nicht jedes recherchierte Detail Eingang ins Buch hätte finden müssen. Und das ist letztlich auch der Grund, warum mir das Buch nicht so gefallen hat, wie die vielversprechende Idee es vermuten lassen würde.

Es wurde einfach viel zu viel hineingestopft. Das Buch hat über 800 Seiten und diese sind bis zum Bersten mit Handlungssträngen und Personen angefüllt. Neben dem interessanten Kriminalfall und der – wie alles andere gut recherchierten – Polizeiarbeit des anfänglichen 20. Jahrhunderts lesen wir noch über sämtliche privaten Probleme sämtlicher erwähnter Mitarbeiter der Frankfurter Polizei. Da ist bei einem die Frau an Alzheimer erkrankt, ein anderer trinkt, die weibliche Mitarbeiterin sieht sich ständig benachteiligt (obwohl man zu ihr nicht weniger unfreundlich ist als untereinander – es herrscht allgemein ein unangenehmer Ton) und hat noch eine Vorgeschichte, ein weiterer Mitarbeiter verliebt sich, und der mit dem Mordfall betraute Richard Biddling kommt mit so vielen familiären und beruflichen Verwicklungen – und ebenfalls einer traumatischen Vorgeschichte – daher, dass alleine das schon fast zu viel ist. Das ist bei Serien (dies ist Teil 2) in gewisser Weise natürlich zu erwarten, aber es sollte nicht übertrieben werden. Neben Richard selbst kommen auch seine Frau, seine Schwägerin, sein Schwager, sein Schwiegervater mit ihren Problemen vor. Diese Familie an sich hätte einen historischen Roman bereits gefüllt, hier werden sie auf den Kriminalfall und die zahlreichen Ermittlerschicksale und Schicksale weiterer Charaktere noch draufgepackt.

So springt man alle paar Seiten wieder in eine neue Geschichte, zu neuen Charakteren und der Mordfall gerät ziemlich in den Hintergrund. Ich fand dieses ständige Umherspringen zwischen allerlei Handlungssträngen und Personen zu viel, es war nicht möglich, sich einer Geschichte wirklich zu widmen. Dazu kommen dann doch allerhand historische Betrachtungen über Frankfurt, die an sich durchaus interessant wären, aber diesen schon überfüllten Topf dann zum Überkochen bringen. Auch die Erzählweise war oft nicht mein Fall. Viele der Dialoge sind völlig unrealistisch – gerade wenn es um Richards Frau geht, dachte ich dauernd: „Kein Mensch würde solche Unterhaltungen führen.“ Auch die reichlich übertriebenen Verweise auf Literatur und Mystik wirken hier etwas aufgepfropft, weil sie von so vielen Charakteren benutzt werden. Dazu kommen teils langatmige Passagen, gerade wenn uns (etwas plump) gezeigt werden soll, wie reich Richards angeheiratete Familie ist und wie nichtssagend seine Frau mit ihren Töchtern plaudert. Das arm-und-reich-Thema kommt wie auch andere Einzelthemen ohnehin ein wenig mit dem Holzhammer daher. Es ist schlichtweg von allem zu viel. Der Kriminalfall verliert sich dann leider in diesem Überfluss auch sehr und das Lesen machte irgendwann einfach keinen Spaß mehr.

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Veröffentlicht am 22.02.2021

Hier wurde zu viel gewollt und dadurch zu wenig erreicht

Die vier Gezeiten
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Das Buch hat mich durch das hinreißende Titelbild und einen originellen Anfang sofort angezogen. Es beginnt mit einem Tagebucheintrag, in der eine geplante Selbsttötung durch Ertrinken mit fast wissenschaftlicher ...

Das Buch hat mich durch das hinreißende Titelbild und einen originellen Anfang sofort angezogen. Es beginnt mit einem Tagebucheintrag, in der eine geplante Selbsttötung durch Ertrinken mit fast wissenschaftlicher Distanz betrachtet wird. Im nächsten Kapitel finden wir uns mitten in einer offensichtlich nicht harmonischen Familie, in die eine junge Frau namens Helen platzt, die offensichtlich mit ihnen verwandt ist – nur wie? Dies ist der Auslöser für die Geschichte der Juister Familie Kießling, die bis ins Jahr 1934 zurückgeht. Diese Geschichte wird, wie in momentan fast jedem Roman dieser Art, durch zahlreiche Rückblenden erzählt. Ich fand das erste Drittel des Buches teilweise etwas verwirrend, denn es taucht eine Vielzahl an Charakteren auf, die oft nicht wirklich vorgestellt werden. Die Rückblenden werden aus der Sicht Johannes und ihrer Tochter Adda erzählt, so dass es teilweise mit Epochen, Perspektiven und Charakteren etwas zu viel wurde. Nach und nach wurde ich aber mit den Charakteren vertraut – allerdings sind es einfach zu viele von ihnen und manche kommen so am Rande vor, dass ich auch am Ende des Buches bei manchen Namen erst mal überlegen mußte, wer denn das nun wieder ist.

Die Geschichte weiß, Spannung zu erzeugen. Aufhänger ist die Frage, wie Helen mit der Familie verwandt ist. Allerdings tritt dies ziemlich in den Hintergrund, Helen kommt über weite Strecken des Buches kaum vor, führt dann ähnliche Unterhaltungen mit diversen Familienmitgliedern. Am Ende wird das Geheimnis um ihre Herkunft ziemlich abrupt und unbefriedigend aufgelöst. Die Umstände ihres Erscheinens und ihrer Suche sind leider sehr konstruiert. Dies ist auch bei anderen Handlungssträngen öfter der Fall, Logik und Plausibilität mußten zu oft in den Hintergrund treten. Viele Entscheidungen und Entwicklungen der Charaktere sind ebenfalls nicht nachvollziehbar – gerade bei Johanne wurde der Zeitabschnitt, in dem sich wohl wichtige charakterliche Entwicklungen abspielten, gar nicht behandelt. Auch fand ich nicht plausibel, dass Helens Erscheinen plötzlich das jahrzehntelange Schweigen in der Familie beendet. Ein Großteil des Buches hat mit Helens Herkunft letztlich auch gar nichts zu tun, wir gehen hier zurück in Johannes Jugend in den 1930ern, später Addas Jugend in den 1950ern. Dieser Teil hat mir am besten gefallen. Zwar sind die Geschehnisse ziemlich konventionell – dies alles hat man schon in zahlreichen Büchern über diese Epochen so gelesen – und dadurch vorhersehbar, aber sie sind gut erzählt und dazu noch wundervoll in die Juister Atmosphäre eingebettet. Dieser Juister Hintergrund war für mich der stärkste Teil des Buches. Die Autorin schafft es, die Insel vor meinen Augen erscheinen zu lassen. Hier wird mit soviel Liebe, Können und Wissen geschildert, dass das Lesen ein Genuß ist. Auf gelungene Weise wird die Geschichte Juists in die Geschichte verwebt, ich habe viel gelernt, auch finden sich hier Charaktere, die liebevoll und sorgfältig konzipiert wurden (anders als z.B. die Töchter Addas, die größtenteils völlig blass bleiben). Auch die Atmosphäre der 1930er und 1950er ist ausgezeichnet geschildert und eingefangen. Wenn sich das Buch auf diese Dinge konzentriert hätte, wäre es für mich ein 5-Sterne-Buch geworden.

Leider aber will die Autorin für meinen Geschmack zu viel. Neben der Vielzahl an Charakteren kommen dann auch zahlreiche Familiengeheimnisse ans Licht. Gerade im letzten Drittel folgt ein neues Thema dem anderen und es wurde zunehmend unglaubwürdig, was alles vorgefallen und verschwiegen wurde und nun auf einmal aufgedeckt wird. Dann werden auch manche Klischees überbenutzt, gerade beim Thema unerwünschter Schwangerschaften kam ich mir als Leser am Ende geradezu verulkt vor. Auch die Zeitgeschichte bis in die 1980er findet Eingang in die Geschichte, dies aber im Schnelldurchlauf, ohne die erzählerische Dichte der vorherigen im Buch behandelten Epochen. Weniger ist mehr, das habe ich beim Lesen oft gedacht.

So war „Die vier Gezeiten“ für mich ein Buch, das einerseits durch wundervolle Atmosphäre, eine gelungene Verwebung von Zeit- und Familiengeschichte und herrlich erzählte Szenen eine wahre Freude war, aber durch zu viele Charaktere, zu viele Handlungsstränge, zu viele Klischees und zu viele dadurch rasch abgehandelte Aspekte enttäuschte.

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Veröffentlicht am 03.12.2020

Interessantes Thema, dessen Präsentation mich nicht überzeugte

Das Handelshaus
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Bei „Das Handelshaus“ hat mich das ausgesprochen gelungene Titelbild (welch erfreuliche Abwechslung vom öden Einheitsbrei der ewig gleichen 08/15 „Frau vor Gebäude“-Titelbilder!) sofort angesprochen. Auch ...

Bei „Das Handelshaus“ hat mich das ausgesprochen gelungene Titelbild (welch erfreuliche Abwechslung vom öden Einheitsbrei der ewig gleichen 08/15 „Frau vor Gebäude“-Titelbilder!) sofort angesprochen. Auch der Klappentext klang vielversprechend – ein bedeutendes Handelshaus wird vom Untergang bedroht, dazu familieninterne Konflikte und das Ganze vor dem Hintergrund des 16. Jahrhunderts. Leider konnte das Buch meine Erwartungen nicht erfüllen.

Es beginnt mit einem spannenden und eindringlichen Rückblick in die Kindheit der Loytz-Brüder. Hier schon haben mir die historischen Details gefallen und auch der Einblick in die Familiendynamik war gelungen. Nach dem Rückblick geht die Geschichte dann erst mal recht geruhsam los, hier begegnen uns die Loytz-Brüder als erwachsene Männer. So richtig lernen wir sie leider im Laufe des Buches nicht kennen, die Charakterentwicklung ging mir allgemein nicht tief genug. Während uns der mittlere Bruder Stephan allmählich vertrauter wird, bleibt der jüngste Bruder eine Randerscheinung, kommt über weite Strecken gar nicht vor, so daß es etwas seltsam anmutet, als er im letzten Teil des Buches plötzlich eine größere Rolle einnimmt. Der älteste Bruder bietet in seiner verstörenden Art viel Potential, welches aber nicht ausgeschöpft wird, so daß spätere Entwicklungen befremdlich wirken. Die Großmutter wird zwar ständig erwähnt, bleibt aber nahezu eigenschaftslos. Vielleicht ist diese nicht so sorgfältige Charakterzeichnung mit ein Grund, daß Handlungen und Entscheidungen der Charaktere häufig nicht ganz nachvollziehbar sind, auch wenn sie uns gerne weitschweifig erklärt werden.

Das erste Drittel des Buches ist fast episodisch, gerade am Anfang wechseln Schauplätze und Perspektiven so oft, daß ich keinen richtigen Bezug zu der Geschichte aufbauen konnte. Der Mittelteil ist dann fokussierter und widmet sich auch dem Kernthema mehr. Hier habe ich gebannt und mit Freude gelesen. Dann dreht der Autor plötzlich auf und das so plötzlich und extrem, daß es mir zu viel war. Die Geschichte wurde mit einem Mal viel zu übertrieben und ab da verlor ich die Leselust, so daß mir der Ausgang schließlich egal war. Insofern konnte die Geschichte mich ebenfalls nicht überzeugen. Am besten war sie, wenn sie sich auf die alltäglichen Gegebenheiten des Handelslebens und die Familiendynamik konzentrierte.

Der Schreibstil ist leicht zu lesen. Ein wenig amüsiert hat mich die Tendenz, viele neue Abschnitte erst mal mit einem Wetterbericht zu beginnen. Absolut lobenswert ist die historische Recherche – hier habe ich eine ganze Menge gelernt und meistens war das Wissen gut eingearbeitet. Leider erstreckte sich das nicht auf die Dialoge. Nun müssen diese nicht künstlich auf altertümlich getrimmt sein, das wirkt oft eher lächerlich. Aber ein wenig Gefühl für die Zeit sollten sie schon vermitteln und moderne Ausdrücke wie „das kann er vergessen“ o.ä. sind in einem im 16. Jahrhundert spielenden Buch fehl am Platz. Die Dialoge haben mich meistens ziemlich aus der Epoche rausgerissen, was gerade angesichts der sorgfältigen historischen Hintergrundinformationen schade ist. Ebenfalls gestört haben mich die häufigen Wiederholungen und Erklärungen des Offensichtlichen.

So widmet sich „Das Handelshaus“ einem interessanten Thema, welches uns sorgfältig recherchiert geschildert wird und zu dem der Autor sich viel hat einfallen lassen – vielleicht etwas zu viel. Leider wurde es für meinen Geschmack aber nicht überzeugend präsentiert.

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Veröffentlicht am 07.10.2020

Fehlende Charaktertiefe, von der Erzählweise nicht außergewöhnlich

Black Rabbit Hall - Eine Familie. Ein Geheimnis. Ein Sommer, der alles verändert.
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Mit Black Rabbit Hall geht Eve Chase größtenteils keine sonderlich neuen Wege. Ein altes Haus, ein dunkles Geheimnis, das Frauen zweier Zeitepochen verbindet. Wie die Thematik ist auch die Erzählweise ...

Mit Black Rabbit Hall geht Eve Chase größtenteils keine sonderlich neuen Wege. Ein altes Haus, ein dunkles Geheimnis, das Frauen zweier Zeitepochen verbindet. Wie die Thematik ist auch die Erzählweise nicht innovativ: erzählt wird auf zwei Zeitebenen, wir begleiten Amber in den Jahren 1968/69 und Lorna etwa 30 Jahre später.

Ambers Geschichte nimmt weitaus mehr Raum ein, was gut ist, weil sie wesentlich besser ist als Lornas. Die Teenagerin Amber berichtet als Ich-Erzählerin und wir erfahren von den Ereignissen, die sich in jenen Jahren auf dem Landsitz der Familie abspielen. Das wird sehr farbig, aber auch sehr ausführlich erzählt. Die Autorin verliert sich häufig in alltäglichen Details, baut die Atmosphäre etwas zu detailfreudig auf. Das wurde oft langweilig und seltsamerweise bleiben trotz dieser Detailfreude die Charaktere und ihre Motivationen etwas auf der Strecke. Ambers Bruder Toby ist von Anfang an ein durchaus verstörter junger Mann und das nimmt rapide extreme Ausmaße an. Das wird durch eine Familientragödie ansatzweise, aber nicht ausreichend erklärt. Auch sonst kratzen wir abgesehen von Amber immer nur an der Oberfläche der Charaktere. Ambers Vater ist völlig vage und auch der Charakter der Stiefmutter hätte sich viel besser darstellen lassen können. Wesentliche Dinge werden nur angeschnitten, während Alltagsplaudereien und Nichtigkeiten sehr ausgewalzt werden. Die Gewichtung hat mir also nicht wirklich zugesagt.

Auch bei Lorna bleiben die Charaktere größtenteils blass und waren teilweise unnötig (zB Lornas kleiner Neffe, der am Ende ständig mit putzigen kleinen Bemerkungen erwähnt wird und überhaupt nichts zur Geschichte beiträgt). Lornas Motivationen bleiben noch mehr im Dunkeln. Sie möchte in dem alten Landhaus unbedingt heiraten – warum es so ein dringliches Anliegen ist, wird nicht wirklich glaubhaft. Auch später gibt es viel „sie wußte nicht warum, aber sie wußte einfach, daß …“ und „Es war, als ob sie den Weg einfach finden sollte“, was alles arg konstruiert wirkt. Auch der Grund, warum sie einige Tage in dem Haus verbringt, ist nicht überzeugend. Lorna erwähnt nachher, es wäre, als ob das Haus selbst ihr das Geheimnis eröffnen wollte – da es sich hier um keinen übersinnlichen Roman handelt, wirkt das eher wie eine Ausrede, Lornas Motivationen nicht hinreichend erklären zu können.

Der Schreibstil liest sich leicht, ist an manchen Stellen wirklich gut. Gerade wenn es um Beschreibung von Trauer und Verlust geht, findet die Autorin berührende und wahre Worte. Auch die Beschreibung des Hauses und der Umgebung ist farbig und gelungen. Wenn es um das Atmosphärische geht, wird es für meinen Geschmack öfter zu detailverliebt, aber das ist Geschmackssache. Gerade bei Lornas Abschnitten wird der Stil dann aber auch häufig weniger gut, ist an manchen Stellen regelrecht unbeholfen. Mir hätte das Buch ohne Lornas Abschnitte ohnehin wesentlich besser gefallen. Insofern war es ein gemischtes Vergnügen – überwiegend war der Stil aber durchaus in Ordnung.

Was Amber und Lorna verbindet, ist etwa ab der Hälfte des Buches klar, allerdings gibt es durchaus noch einige Überraschungen und gelungene Wendungen. Nachdem der Großteil der Geschichte geruhsam vor sich hinplätschert, überschlagen sich am Ende die Ereignisse. Das war mir gleich in mehrerer Hinsicht zu übertrieben und verschenkte zudem die Möglichkeit, einige relevante Punkte genauer zu betrachten. Dann folgt noch ein arg zuckerwattiges Ende.

So kann das Buch durchaus unterhalten, auch sind einige Aspekte des Familiengeheimnisses originell und ungewöhnlich. Hätte die Autorin auf die konstruierte zweite Zeitebene mit Lorna verzichtet und sich dafür mehr der Charakterzeichnung gewidmet, hätte es m.E. zu einem kraftvolleren und mehr im Gedächtnis bleibenden Buch geführt. So ist es eines von vielen „Frau entdeckt Geheimnis in altem Haus“-Büchern, die man zwischendurch gut weglesen kann.

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