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Veröffentlicht am 25.04.2021

Das verschwundene Mädchen

Der tote Rittmeister
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„Viktoria atmete tief ein. Endlich war sie da.“ (S. 21)
Juni 1913: Viktoria Berg verbringt die Sommerfrische wieder auf Norderney. Sie ist inzwischen Lehrerin und besucht hier ihre Schülerin Elli, die ...

„Viktoria atmete tief ein. Endlich war sie da.“ (S. 21)
Juni 1913: Viktoria Berg verbringt die Sommerfrische wieder auf Norderney. Sie ist inzwischen Lehrerin und besucht hier ihre Schülerin Elli, die wegen einer schweren TBC im Seehospiz liegt. Am Tag zuvor ist deren beste Freundin Rike verschwunden und Elli bittet sie, diese zu suchen. Als die Krankenschwestern behaupten, Rieke existiere nur in Ellis Fantasie, wird Viktoria hellhörig – sie glaubt ihrer Schülerin mehr und begibt sich auf die Suche nach der Verschwundenen.
Auch der Journalist Christian Hinrichs ist wieder auf der Insel. Er berichtet über die Feierlichkeiten zum 25jährigen kaiserlichen Thronjubiläum, als bei einem Offiziersrennen zu Pferd am Strand ein toter Rittmeister gefunden wird. Christian fällt sofort auf, was bei dem Toten alles nicht stimmt und teilt dies dem ermittelnden königlichen Badekommissar mit, der ihn daraufhin als Hilfsbeamten rekrutiert.

„Der tote Rittmeister“ ist der zweite Band mit den unkonventionellen Ermittlern Viktoria und Christian, die sich im Vorjahr hier auf Norderney kennengelernt und zusammen einen Mord aufgeklärt haben. Aus der sich dabei vorsichtig anbahnenden Beziehung ist leider nichts geworden, weil Viktoria als Lehrerin nicht verheiratet sein darf und ihr der Beruf und damit ihre Selbstverwirklichung wichtiger war als ein Ehemann. Christian konnte ihre Entscheidung nicht nachvollziehen und ist immer noch sauer. Doch da Rieke und der tote Rittmeister oft zusammen gesehen wurden und sie ist ausgerechnet in der Nacht verschwand, als er ermordet wurde, begegnen sich Viktoria und Christian im Rahmen ihrer Ermittlungen wieder und sind sich schnell einig: Das kann kein Zufall sein!

Wie bereits bei „Die Tote in der Sommerfrische“ verbindet die Autorin Elsa Dix einen extrem spannenden Kriminalfall mit dem tollen historischen Setting von Norderney und lässt so Geschichte wieder lebendig werden. Sie schildert das mondäne Leben auf der Insel, beschreibt sehr anschaulich die schicken teuren die Hotels und die gutsituierten Gäste. Man trifft sich zu Tee und Mokkatorte, Salonkonzerten oder Abendveranstaltungen und es werden zukünftige Ehen angebahnt. Auf der anderen Seite marschieren aber auch Kinder in Uniform und strenger Formation über die Promenade und die Borkum rühmt sich, die erste judenfreie Insel der Nordsee zu sein – der Nationalsozialismus ist bereits zu erahnen.
Die Ermittlungen gestalten sich schwieriger als gedacht und gehen in verschiedenen Richtungen, was das Miträtseln besonders interessant machte. Ich hatte diesmal zwar relativ früh einen Verdacht, aber der war natürlich nur ein Teil der Lösung und der Täter und sein Motiv haben mich am Ende dann doch sehr überrascht.

Ich mag an Viktoria und Christian besonders, wie modern und aufgeschlossen sie sind. So diskutiert Viktoria leidenschaftlich über das Thema Frauenwahlrecht und verprellt damit die Damen und Herren von Stand und Christian lässt sich weder von der Familie des Toten noch vom Inselpolizisten in seine Nachforschungen reinreden.
Auch zwischenmenschlich knistert es wieder, Viktoria hat einen gutsituierten Verehrer und Christian ist eifersüchtig – ich hoffe sehr, dass aus ihnen doch noch ein Paar wird.
Außerdem bekommt Christian ein Angebot des königlichen Badekommissar, über das er ernsthaft nachdenken muss, denn sein Job als Journalist füllt ihn schon lange nicht mehr aus …

5 Sterne und meine Leseempfehlung für diesen spannenden, charmanten und sehr kurzweiligen historischen Nordseekrimi mit viel mondänem Flair. Kaum ausgelesen, hoffe ich schon auf das nächste Abenteuer von Viktoria und Christian.

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Veröffentlicht am 22.04.2021

Auf den Spuren ihres Vaters

Die Tochter meines Vaters
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Sigmund Freud dürfte jedem Interessierten ein Begriff sein, aber wer kennt schon seine Tochter Anna? Ich bin ehrlich, ich hatte noch nie von ihr gehört, dabei war sie eine Vorreiterin auf dem Gebiet der ...

Sigmund Freud dürfte jedem Interessierten ein Begriff sein, aber wer kennt schon seine Tochter Anna? Ich bin ehrlich, ich hatte noch nie von ihr gehört, dabei war sie eine Vorreiterin auf dem Gebiet der Kinderanalyse.

Romy Seidel beschreibt in „Die Tochter meines Vaters“ wie eng das Leben von Vater und Tochter in den Jahren 1922 bis 1939 (bis zu seinem Tod) verknüpft war. Sie erzählt von der Liebe einer Tochter zu ihrem Vater, der fast bedingungslosen Selbstaufgabe und jahrelangen Pflege während seiner schlimmen Krebserkrankung, aber auch, wie Anna nach seiner Anerkennung für ihre Arbeit strebt, nach seinem Lob. Sie war seine Vertraute, Sekretärin und Vertretung, hat sich stets um ihn gesorgt und ihm umsorgt – und oft auch niemanden an ihn rangelassen, ihn von allen anderen abgeschirmt, hatte ich das Gefühl.
Als jüngstes von 6 Kindern hat sie ihm immer nachgeeifert und sich, obwohl sie Lehrerin war, von ihm zur Analytikerin ausbilden lassen. Trotzdem arbeitete sie erst „nur“ als Englisch-Übersetzerin in seinem Psychoanalytischen Verlag und behandelte die Patienten mit ihm zusammen. Erst mit 27 spezialisierte sie sich auf die Behandlung von Kindern, ein bis dahin unerforschtes Gebiet, gründete Kitas, Schulen und Kinderheime (für Kriegswaisen) „Ich möchte Kindern helfen, ihre Angst zu verlieren und sie stark fürs Leben machen.“ (S. 49)
Anna hat sich nie nach einem Mann und eigenen Kindern gesehnt, aber sie träumte von Zweisamkeit, jemanden der sie versteht und so nimmt wie sie ist. Die ungewöhnliche Beziehung, die sie dann eingeht, scheint in der Familie nie groß thematisiert oder diskutiert worden zu sein und auch die Autorin geht sehr sensibel und rücksichtvoll mit dem Thema um.
Dadurch, dass Anna immer bei ihren Eltern gewohnt hat, bekommt man auch einen sehr guten Einblick in das Familienleben der Freuds.

Romy Seidel ist es gelungen, ein sehr lebendiges, unglaublich fesselndes und informatives Portrait über diese starke Frau zu verfassen. Sie beschreibt Annas intuitive Arbeit mit den kleinen Patienten sehr anschaulich, wie lernfähig und flexibel sie war, dass sie immer wieder Neues ausprobiert und sich nicht geärgert hat, wenn mal was schief gegangen ist.
Ich bin durch die 400 Seiten förmlich geflogen und fand es etwas schade, dass Annas Leben nach dem Tod ihres Vaters nur noch kurz umrissen wurde, denn ihre Karriere war da noch längst nicht vorbei. Ich hätte nochmal 400 Seiten über sie lesen können …

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Veröffentlicht am 18.04.2021

Mitarbeiterin, Modell, Geliebte

Die Bildhauerin
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„Die Bildhauerei war ihr Ursprung und ihr Lebensquell. Wenn sie nicht modellierte, hörte sie auf zu existieren.“ (S. 12) Camille Claudel formt schon als Kind Figuren aus Lehm und zwingt das Dienstmädchen, ...

„Die Bildhauerei war ihr Ursprung und ihr Lebensquell. Wenn sie nicht modellierte, hörte sie auf zu existieren.“ (S. 12) Camille Claudel formt schon als Kind Figuren aus Lehm und zwingt das Dienstmädchen, diese im Ofen zu brennen. Für sie ist klar, dass sie Bildhauerin werden will – nur Bildhauerin. „Ich werde niemals heiraten ... Ich lasse nicht zu, dass mir einer meine Freiheit raubt und mir verbietet, mich meiner Kunst zu widmen.“ (S. 20) In den Augen ihrer Mutter ist diese Äußerung ein Skandal, für sie kann eine Frau nur als Ehefrau und Mutter ihrer Bestimmung gerecht werden. Ihr Vater hingegen erkennt ihre außergewöhnliche Begabung schon früh und fördert sie entsprechend. Er ist sehr gebildet und hat eine umfassende Bibliothek, die Camille und ihr jüngerer Bruder Paul systematisch durcharbeiten.
1881 zieht die Familie nach Paris, wo Camille an der Académie Colarossi Unterricht bei dem Bildhauer Alfred Boucher erhält, obwohl er ihr nach eigener Aussage nicht mehr viel beibringen. Zusätzlich betreibt sie mit drei Engländerinnen, u.a. Jessie Lipscomp, noch ein eigenes Atelier, wo sie erst von Boucher und später von August Rodin unterrichtet werden. Der 24 Jahre ältere Rodin fasziniert Camille vom ersten Augenblick. Seine Kunst ist anders, naturalistisch, roh, expressiv, anregend – genau wie er. Obwohl sie immer wieder gewarnt wird, wird sie erst zu seiner Mitarbeiterin, dann zu seinem Modell und schließlich zu seiner Geliebten. „Weil ich ihn über alles liebe … Weil wir in unserer Arbeit perfekt harmonieren. … Weil er mir das Gefühl gibt, lebendig zu sein.“ (S. 228)

Pia Rosenberger hat mit „Die Bildhauerin“ ein ganz außergewöhnliches Portrait dieser Ausnahmekünstlerin geschaffen. Sie bringt dem Leser Camilles Ringen um Weiterentwicklung, Akzeptanz, Anerkennung („Kunst ist Kunst, egal, ob ein Mann oder eine Frau sie schafft.“ (S. 62)) und um Rodins bedingungslose Liebe nahe. Sie zeigt ihre Zielstrebigkeit und Ehrgeiz, wie sie fast schon verbissen um alles kämpft, was ihr wichtig ist und sich dabei auch über die Ansichten und Grenzen der damaligen Zeit hinwegsetzte.
Camille war sehr leidenschaftlich, intelligent und kreativ, scheint aber Umgang mit anderen Menschen sehr unnachgiebig gewesen zu sein. „Dir ist kein Preis zu hoch für dein Kunst, oder? Du bist sogar bereit, deine Freunde dafür zu opfern. Pass auf, dass du nicht irgendwann allein dastehst.“ (S. 22) Vielleicht lag das daran, dass sie nie eine richtige Kindheit hatte, von ihrer herrschsüchtigen und stets unzufriedenen Mutter nicht geliebt wurde und immer ihren Vater beeindrucken wollte, um seiner Förderung und seinen Ansprüchen gerecht zu werden.
Ihre Beziehung zu Rodin ist sehr symbiotisch und explosiv, beide sind nicht besonders kompromissbereit, wenn es um ihre Arbeit und ihre Vorstellung vom Zusammensein geht. „Rodin war ein Menschenfresser, der seine Modelle im Namen der Kunst abnagte und ihre Knochen nach getaner Arbeit ausspuckte und hinter sich warf.“ (S. 297) Doch so sehr sie sich auch privat fetzen, in der Kunst ergänzen sie sich perfekt. Sie reiben sich aneinander und entwickeln sich dabei weiter, interpretieren die gleichen Themen, tragen oft eine Art Wettkampf um die beste Umsetzung aus. Das gipfelt in ihrer Arbeit an der Sakuntala-Plastik, in der alle, die sie kennen, den Spiegel ihrer Beziehung zu Rodin sehen – die verlassene Frau, die immer wieder vergibt.

Auch ihr Bruder Paul und ihre innige Beziehung zueinander hat Eingang in das Buch gefunden. Auch er sieht sich in erster Linie als Künstler und grenzt sich von der Familie ab, aber im Gegensatz zu ihr sucht er einen Brotberuf, der ihm genügend Freiheiten lässt.

Das alles schildert Pia Rosenberger sehr lebendig und mitreißend, man kann sich in die Emotionen der verschiedenen Charaktere gut einfühlen. Sehr unterhaltsam fand ich auch die „Gastauftritte“ von Claude Debussy, der Camille ebenfalls umgarnt ...

Leider war auch dieses Buch der Reihe „Außergewöhnliche Frauen zwischen Aufbruch und Liebe“ viel zu schnell ausgelesen und jetzt fiebere ich dem nächsten Roman der Autorin entgegen, in dem es um Niki de Saint Phalle gehen wird.

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Veröffentlicht am 15.04.2021

Proseccolaune

Pension Herzschmerz
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Als drei Freundinnen in einer Proseccolaune die Gartenlaube auf Nordeney, in der sie untergekommen sind, auf den Namen „Pension Herzschmerz“ taufen, wissen die noch nicht, dass ihr langgehegter Traum von ...

Als drei Freundinnen in einer Proseccolaune die Gartenlaube auf Nordeney, in der sie untergekommen sind, auf den Namen „Pension Herzschmerz“ taufen, wissen die noch nicht, dass ihr langgehegter Traum von einer eigenen Pension Wirklichkeit werden könnte ...

Lou, Anna und Kim sind Mitte 20. Als Kim anruft, dass sie sich den Fuß gebrochen hat, ist ganz klar, dass Lou und Anna sie besuchen fahren. Schließlich lebt Kim da, wo andere Urlaub machen – auf Norderney. Doch Kim hat nicht nur einen gebrochenen Fuß, sondern ist auch noch unglücklich verliebt. Anna hat sich gerade erst von ihrem untreuen Freund getrennt und je länger Lou mit ihnen zusammen ist, desto klarer wird ihr, dass auch sie schon lange nicht mehr glücklich ist in ihrer Beziehung. Als sie hören, dass die Pension, in der Kim ihren Fußpflegesalon betreibt, bald einen neuen Pächter sucht, werden sie hellhörig – davon haben sie schließlich früher schon geträumt. Ein Konzept hätten sie auch schon. Inspiriert von ihrer eigenen Situation. Sie würden in ihrer Pension Frauen und Männern helfen, den Liebeskummer zu überwinden. „Was hat das Meer nur an sich, dass es einem sofort besser geht, sobald man es sieht?“ (S. 54)

Die drei Freundinnen sind sehr verschieden und ergänzen sich dadurch perfekt. Anna ist eine starke Persönlichkeit, impulsiv und lässt sich nicht so leicht unterkriegen. Sie hat ständig neue Träume und sucht noch ihren Platz im Leben und im Beruf. Lou ist eher still, angepasst und hatte gedacht, dass sie mit ihrem Nils die perfekte Beziehung führt. Kim ist eine Macherin und vor ihrer Familie regelrecht nach Norderney geflüchtet. Sie hat sich auf der Insel gut eingelebt und wird von allen gemocht. Sie sind eigentlich im besten Alter und noch unabhängig, um zusammen neu durchzustarten, aber trauen sie sich auch und vor allem, bekommen sie den Zuschlag für die Pension?
Auf der Suche nach Unterstützern für ihre Idee lernen sie Norderney und seine Bewohner näher kennen, neben dem Inselchor (alles Männer!) und deren Frauen vor allem den erstaunlich jungen Bürgermeister und die älteste Insulanerin.

Das Buch macht Lust auf Norderney, Erdnussbutter-Cookies und Milchreis als Seelenschmeichler. Die Insel, ihre Besonderheiten und Strände werden sehr anschaulich beschrieben.

„Pension Herzschmerz“ von Christine-Marie Below ist ein charmanter, warmherziger, überraschender, tiefgründiger und humorvoller Wohlfühlroman mit Tiefgang über beste Freundinnen, die zusammen dem Liebeskummer trotzen und sich vielleicht sogar neu verlieben – und das nicht nur in die Nordseeinsel …

Mein Lieblingszitat aus dem Buch ist übrigens: „… wenn du schon in den Seilen hängst, dann schaukele wenigstens ordentlich.“ (S. 98)

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Veröffentlicht am 13.04.2021

Die Verwandlung

Romy und der Weg nach Paris
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„Ich bin doch nur eine junge Frau, die ihr eigenes Leben führen will.“ (S. 209)
Romy Schneider war mir zwar vor allem durch die Sissi-Filme ein Begriff, aber von ihrem Privatleben wusste ich nichts. Michelle ...

„Ich bin doch nur eine junge Frau, die ihr eigenes Leben führen will.“ (S. 209)
Romy Schneider war mir zwar vor allem durch die Sissi-Filme ein Begriff, aber von ihrem Privatleben wusste ich nichts. Michelle Marly lässt mit „Romy und der Weg nach Paris“ die junge Romy wieder lebendig werden. Ein Mädchen, das vor der Kamera erwachsen geworden ist und dabei ihre Jugend versäumt hat, das wohlbehütet aufgewachsen ist und sich nur schwer aus dem Kokon befreien kann, den ihre Eltern um sie gewoben haben. Mammi und Daddy (ihr Stiefvater) wollen immer nur das Beste für sie – eine (Heimat-)Filmkarriere, Ruhm und das große Geld. Darum drängen sie auch so auf den 4. Sissi-Film, doch Romy möchte endlich selber über ihre Engagements entscheiden, eine ernsthafte und vor allem ernst genommene Schauspielerin werden und vom Film zum Theater wechseln. Schließlich entstammt sie einer Schauspielerdynastie und ihre Großmutter steht noch mit 84 auf den Brettern des Wiener Burgtheaters.
Wie sehr ihre Eltern sie einschränken und beeinflussen merkt sie erst, als sie Alain Delon kennen- und lieben lernt. Der unangepasste Rowdy passt nicht zu ihr, er ist nicht treu und nur auf ihr Geld aus, will von ihrem Ruhm profitieren, meinen sie. Und Alain scheint diese Vorurteile zu bestätigen: „Ich bin wohl kein Mann nur für eine Frau, aber ich bin der beste Freund, wenn ein Mensch, den ich liebe, in Not gerät.“ (S. 347)

Michelle Marly hat es wieder geschafft, mich mitzureißen und mir eine berühmte Frau näher zu bringen, sie „menschlich“ werden zu lassen.
Zu Beginn schwebt man noch durch das Buch, wie Romy durch ihr Leben, den Filmdreh mit Alain, durch Paris und Wien, mondäne Hotels, tolle Filmsets, teure Garderobe und Abendveranstaltungen. Dabei ist sie immer von Menschen umgeben, die sie hoffieren und ihr jeden Wunsch von den Augen ablesen – sie ist der Liebling der deutschsprachigen Presse. Nur Alain ist so gar nicht beeindruckt von ihr, weiß nichts von ihrer berühmten Familie …
Und bald schon gesellt sich Gänsehaut dazu. Romy tat mir leid. Sie ist bereits 20, aber Mammi ist immer dabei und teilt sich sogar eine Suite mit ihr. Sie bestimmt Romys Kleidung, Frisur und Ernährung. Ihr Stiefvater verhandelt ihre Filmverträge, verwaltet ihre Einnahmen und teilt ihr nur ein Taschengeld zu – kein Wunder, dass sie auch später nie mit Geld umgehen konnte.
Und dann wird Alain immer berühmter und Romy ist nicht mehr gefragt. Sie nimmt eine Rolle in einem französischen Theaterstück an, ohne die Sprache perfekt zu beherrschen oder je auf einer großen Bühne gestanden zu haben. Die Proben fordern alles von ihr. Nur mit strenger Disziplin bis hin zur völligen Selbstaufgabe kann sie den Forderungen des Regisseurs und auch ihren eigenen gerecht werden – darin ähnelt sie dann doch wieder Kaiserin Elisabeth.

Michelle Marly gewährt tiefe Einblicke in Romys Gefühlsleben, ihre Ängste und Selbstzweifel. Sie zeigt eine Frau, die selbständig und erwachsen werden will und dafür hart an sich arbeitet, eine beeindruckende Persönlichkeit. Sie gestaltet ihre Protagonisten extrem lebendig, auch Alain als Romys Gegenspieler, ein junger Wilder der alles viel leichter nimmt, hat mir sehr gut gefallen.
Besonders gefreut habe ich mich über das Widerlesen mit Coco Chanel, die Romy noch einmal formt und eine echte Französin aus ihr macht.

Romys Verwandlung von Sissi zur Charakterschauspielerin, eine beeindruckende Romanbiografie und die Geschichte einer großen Liebe – fesselnd und farbenprächtig erzählt.

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