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Veröffentlicht am 04.09.2021

Ein schön gestalteter Überblick

Ein gutes Dutzend heilende Pflanzen
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In diesem sehr ansprechend gestalteten Buch lernt man zwölf Heilpflanzen kennen. Der Abschnitt über jede Pflanze beginnt mit einer Einführung aus allgemeinen Informationen, Aussehen oder besonderen Merkmalen; ...

In diesem sehr ansprechend gestalteten Buch lernt man zwölf Heilpflanzen kennen. Der Abschnitt über jede Pflanze beginnt mit einer Einführung aus allgemeinen Informationen, Aussehen oder besonderen Merkmalen; dann folgt ein Abschnitt, wo die Pflanze zu finden ist, mit welchen Pflanzen sie verwechselt werden könnte und dann Hinweise, wie man sie verwenden kann. Jeweils sechs Seiten werden jeder Pflanze gewidmet, mit sehr vielen Bildern und recht knappem, oft stichpunktartigem Text. Eine allgemeine Einführung gibt noch allgemeine Informationen zum Umgang mit und Nutzen von Heilpflanzen. Die Autoren folgen der momentan um sich greifenden Mode, einfach zu duzen, was ich eher unangenehm finde.

Die Bebilderungen sind sehr genau, so wird der Aufbau der jeweiligen Pflanze detailliert aufgezeigt, auch die Pflanzen, mit denen sie verwechselt kann, werden bildreich dargestellt. Optisch ist das Buch eine Freude. Sehr schön finde ich es auch, daß immer wieder darauf hingewiesen wird, beim Sammeln behutsam vorzugehen, die Pflanze nicht zu beschädigen und nur so viel einzusammeln, wie gebraucht wird. Auch Hinweise zu Verarbeitung, Trocknen und Aufbewahren finden sich. Man bekommt hier also einen liebevoll gestalteten Überblick. Mir war dieser durchweg zu knapp gehalten, gerade auch im Hinblick auf den Preis des Buches und im Vergleich zu anderen Büchern dieser Art. Grade zu Heilwirkung und Verwendungsmöglichkeiten hätte ich mich über etwas ausführlichere Informationen gefreut. Überrascht war ich auch, daß die Goldrute zwar lobenswerterweise mit einem Hinweis für Allergiker versehen war, die Birke aber nicht.

Für einen ersten Einstieg bietet das Buch gute, ansprechend dargebotene Informationen.

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Veröffentlicht am 31.08.2021

Herrliche Sprache, aber zu viele Längen und Namedropping

Flucht nach Patagonien
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„Flucht nach Patagonien“ zeichnet sich durch eine wundervolle Sprache aus und widmet sich zudem einem – zumindest mir – unbekannten Sujet. Weder Eugenia noch Jean-Michel, die wir hier im Jahr 1937 nach ...

„Flucht nach Patagonien“ zeichnet sich durch eine wundervolle Sprache aus und widmet sich zudem einem – zumindest mir – unbekannten Sujet. Weder Eugenia noch Jean-Michel, die wir hier im Jahr 1937 nach Patagonien begleiten, waren mir bisher bekannt, auch Patagonien selbst ist eine fremde Welt für mich.
Im ersten Drittel des Buches lernen wir Jean-Michel dadurch kennen, dass er die Schiffsreise von Europa nach Südamerika nutzt, seine Lebensgeschichte aufzuschreiben. Die empfindsame, kunstvolle Sprache hat mich, wie der verletzliche Jean-Michel selbst, gleich in ihren Bann gezogen, obwohl Jean-Michels Lebensgeschichte distanziert, fast berichtartig erzählt wird. Es gibt herrliche Formulierungen und die herrschaftliche Welt der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg steigt farbenprächtig vor uns auf, ebenso wie die Ausschweifungen und kulturellen Umwälzungen der 20er Jahre. Die immer wieder durchblitzenden dunklen Anklänge haben mir besonders gut gefallen. „Ich bin alleine in einem dunklen Tunnel“ ist eine der Äußerungen, welche einer der Charaktere kurz vor seinem Suizid macht. Vieles in dieser Hinsicht bleibt Andeutung, die distanzierte Erzählweise führt zudem dazu, dass mir die meisten Charaktere eher fremd blieben.
Das erste Drittel des Buches widmet sich auf diese Art Jean-Michels Leben vor 1937 und obwohl die Erzählung eher ruhig dahinfließt, habe ich die Lektüre genossen, insbesondere wegen der herrlichen Sprache. Es gab einige Längen, gerade die ausführlichen Details zur Jean-Michels Profession, der Innenarchitektur, wurden ermüdend. Auch fand ich es anstrengend, dass die Autorin den Drang hat, möglichst viele bekannte Namen in das Buch zu quetschen. Man merkt, daß diese oft um ihrer selbst Willen erwähnt werden und zur Geschichte nichts beitragen. Insgesamt bin ich aber gerne in Jean-Michels Leben und jene Zeit eingetaucht.
Der mittlere Teil des Buches widmet sich dem Aufenthalt in Buenos Aires und Patagonien. Hier nahm mein Lesevergnügen über weite Teile hin ziemlich ab, denn nun häufen sich die beiden Punkte, die vorab nur ein wenig störten: die Längen und die Fülle berühmter Namen. Wir begleiten Jean-Michel und Eugenie von einem glänzenden Abendessen zum nächsten, werden mit sich stark ähnelnden Details prächtiger Häuser und illustrer Personen geradezu überschüttet. Das wurde leider schnell langweilig. Die Autorin verliert sich allgemein sehr in Details, was in diesem Teil zu vielen Längen führt. Auch tauchen hier plötzlich so viele neue Namen auf, daß man sie kaum noch zuordnen kann. Hier zeigen sich auch die Nachteile der distanzierten Erzählweise – die Charaktere bleiben einem fremd. Ich mußte ein wenig schmunzeln, als später im Buch erwähnt wird, daß Jean-Michel von Dalis „Namedropping ohne Ende“ genervt ist, denn bei der Lektüre des Buches ging es mir häufig genauso. Ich hätte das Buch wesentlich mehr genossen, wenn es sich auf die Geschichte Jean-Michels und Eugenias sowie eines ausgewählten Umfelds konzentriert hätte, ohne bei jeder sich bietenden Möglichkeit lauter Namen in die Geschichte zu werfen, welche diese eher verwässern als bereichern.
Der Aufhänger der Geschichte, das Grandhotel, war für mich eigentlich der am wenigsten interessante Aspekt, was aber auch daran liegen kann, daß er in zu viel Drumherum unterging. Interessant waren die zeitgeschichtlichen Aspekte, auch wenn ich an manchen Stellen etwas irritiert war – so scheint der Name „Eva Braun“ den Charakteren 1937 schon ein Begriff zu sein, was ich mir eher weniger vorstellen kann. Dahingegen wird Hollywood als kleines Dorf bezeichnet, das sicher noch bekannt werden wird, dabei war Hollywood Ende der 30er bereits weltweit ein Begriff. Allgemein aber scheint der historische Hintergrund ausgezeichnet recherchiert, auch eine ausführliche Literaturliste am Ende des Buches weist darauf hin. Jean-Michels Fluchthilfe für Juden ist z.B. ein interessanter Aspekt, der mehr Raum verdient hätte als das ganze Namedropping.
Das letzte Drittel des Buches beleuchtet Jean-Michels Geschichte nach 1937, leider etwas knapp (bzw. für mich ungünstig gewichtet – hier werden wieder zu viele andere Leute hineingepackt) und berichtartig. Hier kann aber auch wieder die schöne Sprache erfreuen, ebenso wie die tiefe Melancholie und Endzeitstimmung, welche die Nazis und der Zweite Weltkrieg mit sich bringen. Das Ende berührt. Ein Epilog berichtet über weitere Schicksale der Charaktere – von denen mir einige völlig fremd geblieben sind.
„Flucht nach Patagonien“ war in jedem Fall ein Leseerlebnis. In herrlichem Stil habe ich hier viel erfahren, konnte in eine andere Welt eintauchen. Hätte die Autorin sich an das Prinzip „weniger ist mehr“ gehalten, dem Jean-Michel seine Innenarchitektur widmete, wäre es ein überragendes Buch geworden.

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Veröffentlicht am 29.06.2021

Gelungenes Berlin-Kriminal-Kaleidoskop

Berlin 1922 - Crime Mysteries
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„Berlin 1922“ beruht auf einer originellen Idee, die gerade gestalterisch gut umgesetzt wurde. Das Buch enthält elf fiktive Kriminalfälle, die uns von der Kriminalassistentin Rosalie Menzel berichtet werden, ...

„Berlin 1922“ beruht auf einer originellen Idee, die gerade gestalterisch gut umgesetzt wurde. Das Buch enthält elf fiktive Kriminalfälle, die uns von der Kriminalassistentin Rosalie Menzel berichtet werden, die auf jenes erste Jahr ihrer Tätigkeit und ihre Zusammenarbeit mit Kommissar Hartmann zurückblickt und damit eine kleine Rahmenhandlung liefert.

Schon das Titelbild fällt ins Auge und auch das Innere des Buches ist ausnehmend liebevoll gestaltet. Allerlei Zeicheneffekte, Fotos und kleine Zeichnungen schmücken die Seiten. Ich war von der Gestaltung sehr angetan und habe ein Buch dieser Art bisher auch noch nicht gesehen. Die Fotos scheinen vorwiegend Filmen jener Zeit entnommen und genutzt, um das Erzählte bildlich zu unterstreichen. Das ist originell und gut gelungen.

Die Geschichten lesen sich unterhaltsam, vom Stil her angenehm. Am besten wird Michaela Küpper, wenn sie sich den Berliner Originalen widmet, mit dem Dialekt und der berüchtigten „Berliner Schnauze“ spielt. Das wirkt nicht nur authentisch, sondern ist auch ungemein unterhaltsam. Wenn es in die „feineren“ Gefilde geht, war es mir oft etwas zu gekünstelt geschrieben und gelegentlich waren Dialogteile zu konstruiert, aber insgesamt las ich die Geschichten gerne. Bemerkenswert finde ich, wie viel historische Details dort eingearbeitet wurden, das zeugt von umfangreichem Wissen oder Recherche oder beidem. So bilden auch die Fälle ein Kaleidoskop des Berlins der 1920er – wir begegnen Kriegsveteranen, Drogendealern, naiven Dienstmädchen und ihren Verführern, zimmervermietenden Kriegerwitwen, Prostituierten und Bardamen, kleinen Gaunern und noch vielen anderen. Diese Vielfalt war eine Freude. Ein wenig enttäuschend fand ich lediglich, daß sich vieles nach dem ewig gleichen Schema abspielte, insbesondere die Thematik „Kriminalassistentin muß sich in Männerwelt behaupten, ist aber gewitzt und überrascht die tumben Männer immer wieder“ wurde zunehmend anstrengend und vorhersehbar.

Das Korrektorat kann mit der Sorgfältigkeit der visuellen Gestaltung und historischen Recherche leider nicht annähernd mithalten. Es gab viele Schreibfehler, insbesondere mit der Großschreibung des „Sie“ in der Anrede scheint man manchmal überfordert gewesen sein, aber auch sonst gibt es mehrere Fehler. Besonders unerfreulich fand ich, daß hier die Schlacht von Verdun 1906 anstatt 1916 stattfand. Einen solchen Tippfehler zu übersehen, ist gerade bei Jahreszahlen ein grober Schnitzer. Auch Fehler wie „hatte er (…) fiel Schriftverkehr zu leisten“ sind schon etwas peinlich.

Was die Ermittlungskomponente anging, war ich enttäuscht. Sie besteht lediglich darin, dass jede Geschichte von insgesamt drei Fragen unterbrochen wird, meistens in der Art von „Warum kann das, was xy gesagt hat, nicht stimmen?“ oder „Warum ist xy verdächtig?“. Die Antworten dazu finden sich meistens im Text, manchmal ist Hintergrundwissen erforderlich (größtenteils forensisch, in einem Fall mußte man etwas über Berliner Ringvereine wissen) und manchmal muß man Gedankengänge erraten. Manche Fragen sind sehr einfach, einige nicht ganz nachvollziehbar, einige knackig. Letztlich war es aber völlig egal, ob man die Fragen beantworten kann oder nicht. Sie unterbrechen als Denkanstöße die Geschichte, mehr nicht. Unter „lösen Sie (…) spannende Kriminalfälle“ hatte ich mir mehr vorgestellt, z.B. verschiedene Optionen, die den Fortgang beeinflussen oder auch die Möglichkeit, Beweise zu sichten oder zu finden. Ich kenne dies von anderen Büchern interaktiver und abwechslungsreicher. Auch war das Vorgehen recht schematisch und alle Fälle wurden fast auf dieselbe Weise gelöst – jemand macht eine Aussage, die Ermittler erkennen sofort, warum diese nicht stimmen kann; sie konfrontieren den Aussagenden damit, er gibt es zu und der Fall ist gelöst. So könnte man die meisten Fälle zusammenfassen. Dies ist natürlich auch dem Format geschuldet, ausgefeilte und ausführliche Vorgänge kann man nicht erwarten, aber da wären mir vielleicht fünf abwechslungsreichere, komplexere Fälle lieber gewesen.

Insgesamt bot das Buch aber durch die originelle Gestaltung und die gut lesbaren, eine so schöne Vielfalt an Personen und Schicksalen abbildenden, Geschichten gute Unterhaltung und kann durch eine originelle Idee erfreuen.

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Veröffentlicht am 31.05.2021

Eine stilistisch bemerkenswerte Reise in die 1920er

Tage mit Gatsby
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Schon das Titelbild dieses Buches ist eine absolute Freude. Herrliche Farben, ein zum Thema und zur Zeit passendes Motiv, ein Blickfänger. Der gesamte Buchumschlag ist liebevoll gestaltet, hier stimmt ...

Schon das Titelbild dieses Buches ist eine absolute Freude. Herrliche Farben, ein zum Thema und zur Zeit passendes Motiv, ein Blickfänger. Der gesamte Buchumschlag ist liebevoll gestaltet, hier stimmt alles. Auch inhaltlich kann der Roman, der aus der Sicht Zelda Fitzgeralds vom Sommer 1924 berichtet, in dem Scott Fitzgerald „Der Große Gatsby“ schrieb, erfreuen.

Dies geschieht insbesondere durch den außergewöhnlichen Schreibstil (der lediglich bei den Dialogen abfällt). Ich war sofort hingerissen von diesem Sprachkönnen, gerade bei einem Romandebüt ist dies bemerkenswert. Die Autorin malt mit ihren Wörtern opulente Bilder, findet Formulierungen, die ich gleich mehrfach gelesen habe. Die Metapherverliebtheit wirkt gelegentlich ein wenig überbordend, paßt aber zu dieser Geschichte, in der das Überbordende das Leitmotiv ist. Die Sprache ist kunstvoll, etwas blumig, man merkt, wie an diesen Formulierungen liebevoll gefeilt wurde.

Zelda Fitzgerald als Ich-Erzählerin zu nehmen, erfordert Mut, Recherche und Einfühlungsvermögen, wurde aber gelungen umgesetzt. Zeldas Erzählstimme klingt glaubhaft und zeigt, wie intensiv die Autorin sich mit ihrer Persönlichkeit beschäftigt hat. Auch die Welt der 1920er lebt auf. Die fiebrigen Partys in New York und Paris sieht man ebenso vor sich wie die schleppende Schläfrigkeit der Sommertage an der französischen Riviera. Auch hier merkt man die sorgfältige Recherche. Allerdings wiederholen sich viele Szenen. Partys werden immer wieder minutiös geschildert und da es in der Natur der Sache liegt, daß sie sich nur marginal unterscheiden, wurde es irgendwann zäh, immer wieder zu ähnliche Schilderungen zu lesen, in denen sich gut gekleidete Menschen bei Champagner affektiert unterhalten, Zelda durch zu viel Alkohol ausflippt und die Party im Streit endet. Auch die Auseinandersetzungen von Scott und Zelda sowie die Flirtereien Zeldas ähnelten sich zu sehr, teilweise bis hin zu den Formulierungen. Der Mittelteil des Buches zieht sich somit und hat etwas von einer Endlosschleife.

Als weitere Schwachstelle empfand ich die etwas krampfhafte Einbindung von Hintergrundinformationen und Personen. Oft ist sie zwar gelungen, mehrmals aber merkt man, daß die Informationen um ihrer selbst Willen eingefügt werden, was immer etwas ungeschickt wirkt. Dies merkt man auch bei mehreren Personen aus dem Umfeld der Fitzgeralds. Während uns einige immer wieder begegnen, vertraut werden und gelungen zur Geschichte beitragen, bleiben andere bloße Namen, die hier und da eingeworfen werden und für die meisten Leser kaum Bedeutung haben dürften. Einige Personen werden recht ausführlich beschrieben, kommen in einer Szene vor, ohne Wirkung auf die Geschichte zu haben, und verschwinden wieder. Das ist leider nicht gelungen und passiert hier zu oft.

Erfreulich sind Zeldas Erinnerungen, die uns relevante und interessante Informationen über die Vorgeschichte dieses Paars geben. So bleibt der Erzählrahmen zwar im Sommer 1924, wird aber inhaltlich über diese Zeit heraus erweitert ohne den Lesefluß zu stören. Es ist erfreulich, wie gut diese Rückblenden eingebunden wurden. Faszinierend waren auch die Einblicke in Scott Fitzgeralds Arbeitsweise, die Hintergründe des Gatsby und einiger anderer Werke. Ein Epilog gibt uns Informationen über die späteren Jahre und endet berührend. Ohne die Längen und Wiederholungen wäre das Buch perfekt gewesen, aber auch so war es insbesondere wegen des herrlichen Schreibstils eine Lesefreude und ist für jeden, der an den Fitzgeralds interessiert ist, oder einfach in das Lebensgefühl der wilden 1920er eintauchen möchte, empfehlenswert.

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Veröffentlicht am 31.05.2021

Eher eine - ausgesprochen informative - Reise durch Asien

In 80 Zügen um die Welt
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Schon das fröhliche Titelbild weckt Urlaubsgefühle, der Titel „In 80 Zügen um die Welt“ umgehende Jules-Verne-Assoziationen. Sieben Monate lang reiste Monisha Rajesh in Zügen umher und berichtet davon ...

Schon das fröhliche Titelbild weckt Urlaubsgefühle, der Titel „In 80 Zügen um die Welt“ umgehende Jules-Verne-Assoziationen. Sieben Monate lang reiste Monisha Rajesh in Zügen umher und berichtet davon in einer unterhaltsamen Mischung aus Anekdoten, Hintergrundinformationen und Erlebtem.

„Um die Welt“ ist hier etwas vollmundig – die südliche Hemisphäre wird komplett ausgelassen (wobei man der Fairness halber sagen muß, daß es bei Verne nicht anders war). Das mag sicher auch an der Zug-Infrastruktur liegen. So führt die Reise sie von London durch Europa, Asien und Nordamerika, dann geht es wieder durch Asien und Europa zurück. Über zwei Drittel des Buches widmen sich den asiatischen Ländern. Aus Europa erfahren wir letztlich nur etwas über Lourdes, eine überteuerte Reinigung in Italien und verwirrende venezianische Kanäle. Die immerhin achtundzwanzig europäischen Stationen (darunter Madrid, Rom, Warschau, Riga) sind keine Erwähnung wert. Das fand ich irritierend und bedauerlich und hier werden durch Titel, Klappentext und Städteliste eindeutig falsche Erwartungen geweckt.

Allerdings ist das, was berichtet wird, vielfältig und interessant. Die Autorin erzählt farbig von den diversen Zügen, in denen sie im Laufe ihrer Reise so ziemlich alle Komfortstufen erfährt. Unterhaltungen mit anderen Reisenden oder Leuten vor Ort bieten ausgezeichnete Einblicke in die Reise- und Lebensumstände unterschiedlicher Länder und sorgen dafür, dass wir nicht nur Land, sondern auch Leute erfahren. Diese persönliche Komponente ist erfreulich, eine weitere leider die große Schwäche des Buches: die Autorin selbst. Während sie einerseits den Kontakt zu den Menschen mit ehrlichem Interesse sucht, ist es andererseits unangenehm, ihre ständige Arroganz lesen zu müssen. Sie bedient sich vieler Vorurteile (Kleinstädte in den USA? Dort besteht laut ihr die Gefahr, von Hinterwäldlern auf offener Straße erschossen zu werden.) und wer sich nicht genau so verhält, wie sie es möchte, wird gnadenlos herabgesetzt. Einem dänischen Ehepaar, das keine Lust auf eine Unterhaltung hat und sich den wiederholten (!), hartnäckigen Versuchen der Autorin, die dies missachtet, schließlich durch demonstratives Lesen entzieht, wird viel Raum gewidmet, die Autorin beklagt sich anhaltend über eine solche „Unfreundlichkeit“ und freut sich, daß dieses Paar vor einem besonders schönen Streckenabschnitt aussteigt und diesen somit nicht mehr genießen kann. Ich habe immer wieder den Kopf geschüttelt, wenn sie giftig über Leute schreibt, die nichts getan haben, außer ihren Erwartungen nicht zu entsprechen. Es wurde zunehmend unangenehm zu lesen. Auch ihre ständige Herablassung vergiftete das Leseerlebnis. Hinzu kommt, daß diese sich mit einer ziemlichen Doppelmoral verbindet. Immer wieder läßt sie uns an ihren Meinungen teilhaben. So verteufelt sie gerne die zunehmende Abhängigkeit von Smartphones und Tablets, erwähnt andererseits mit solcher Hingabe iPads, Macbooks und andere Produkte dieses Herstellers, dass ich irgendwann ganz ernsthaft nach einem „Sponsored by“-Vermerk suchte. Sie erklärt uns gerne ihre Gewissenskonflikte in manchen Situationen, handelt aber in keiner dieser Situation danach. Auch das ging – ebenso wie die Überemotionalität – immer mehr auf die Nerven.

Abgesehen davon schreibt sie in einem zugänglichen, gut lesbaren Stil, oft mit herrlich trockenem Humor (an zwei Stellen finden sich leider zwei sehr alberne Szenen) und manch geradezu poetischen Formulierungen. Herrlich ist auch, wie viel man hier erfährt. Historische Hintergrundinformationen werden durch Interviews mit Zeitzeugen gelungen bereichert und sind berührend, manchmal beklemmend. Politische Hintergründe werden gut dargestellt und in den meisten Fällen benennt die Autorin glasklar die wirklichen Intentionen, die z.B. von China hinsichtlich Tibet gerne verfälscht dargestellt werden. Lediglich bei Nordkorea scheint sie sich entgegen ihrer mehrfach bekundeten Absicht etwas von der Propaganda einlullen zu lassen. Trotzdem ist ihr Bericht über den dortigen Besuch eine der interessantesten Passagen des Buches. Auch aus anderen Regionen, über die man sonst wenig erfährt – z.B. Kasachstan, dem uigurischen Gebiet, Tibet – gibt es hier farbige, informative Berichte. Zu bekannteren Ländern findet die Autorin Themen, die eher unbekannt sind und kann so viele neue Facetten beitragen. Bedauerlich ist es, daß sie die grausame Behandlung von Tieren in vielen dieser Länder völlig außer Acht läßt. Kleine Bemerkungen zeigen, daß sie in Situationen ist, in denen sie diese sieht, aber sie übergeht sie völlig. Als ihr von einem Gericht erzählt wird, bei dem lebendige, junge Mäuse gegessen werden, entfährt ihr, die so gerne ihre hehren moralischen Prinzipien darlegt, kein kritisches Wort – im Gegenteil: sie bekommt Hunger. Daß sie am Ende der Fahrt dann auch noch Foie Gras ißt, natürlich ohne ein Wort über die unfassbare Tierquälerei, die dahinter steht, paßt leider auf traurige Weise dazu und hat mich wirklich wütend gemacht.

Bedauerlich ist, daß der Leser völlig im Dunkeln gelassen wird, an welchem Tag der Reise wir uns gerade befinden, welcher Monat – oder auch nur welche Jahreszeit – gerade herrscht. Es gibt Übersichtskarten der Reise und eine Liste der 80 Züge und ihrer Ziele, das hat mir gefallen, aber abgesehen davon wissen wir nie, wie viel Zeit schon vergangen ist, auch die einzelnen Etappen werden den Kapiteln leider nicht vorangestellt, wie ich es von anderen Reiseberichten kenne. Sehr schön dafür zwei Abschnitte mit Farbfotos in ausgezeichneter Qualität.

Ich habe trotz der oben aufgeführten Schwächen genossen, wie viel ich in diesem Buch erfahren habe und wie informativ und vielfältig dies geschah. Größtenteils ist es eine wirklich gelungene Mischung.

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