Platzhalter für Profilbild

nonostar

Lesejury Star
offline

nonostar ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit nonostar über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 06.09.2021

Shuggie Bain

Shuggie Bain
0

Shuggie wächst im Glasgow der 80er Jahre auf. Sein Vater ist ein notorischer Frauenheld der die Familie recht bald wieder verlässt, die Mutter versinkt mehr und mehr im Alkoholdunst, die Arbeiterfamilie ...

Shuggie wächst im Glasgow der 80er Jahre auf. Sein Vater ist ein notorischer Frauenheld der die Familie recht bald wieder verlässt, die Mutter versinkt mehr und mehr im Alkoholdunst, die Arbeiterfamilie lebt in ärmlichen Verhältnisssen, von den Geschwistern bekommt er als einzigen Rat, so schnell wie möglich aus diesem zerrütteten Zuhause abzuhauen. Doch Shuggie kann seine geliebte Mutter Agnes nicht verlassen, er hängt an ihr, scheint sie doch die einzige zu sein, die sein Amderssein versteht. Denn er hat etwas zartes, feminines an sich, spielt lieber mit Puppen und Spielzeugpferden als sich im Hof mit den anderen Jungs abzuhängen.

Douglas Stuart hat mit seinem Debütroman 2020 den Booker Preize gewonnen. Das macht natürlich neugierig auf diese preisgekrönte Geschichte, die mit ihrem Thema noch dazu ganz meinem Beuteschema zu entsprechen scheint. Der Ausgangspunkt von Shuggies Geschichte könnte kaum deprimierender und trostloser sein. Er und seine Familie bieten dementsprechend auch viel Potential, um Mitgefühl bei den Lesenden zu wecken, doch leider muss ich sagen, hat das bei mir überhaupt nicht geklappt. Die Geschichte weist autobiographische Aspekte auf, denn Stuart hat die Figur der Agnes seiner eigenen Mutter nachempfunden. Dies lässt mich eine gewisse Tiefe und Emotionalität erwarten. Vielleicht liegt es an Shuggies Perspektive oder an der für mich distanzierten Erzählweise, doch die Charaktere bleiben mir allesamt zu fremd und austauschbar um wirklich mitfühlen zu können. Es entsteht keine Nähe zu ihnen fand ich.

V. a. das erste Drittel gestaltet sich nahezu langweilig und ich musste mich sehr zum Lesen aufraffen. Erst ab der Hälfte etwa, habe ich etwas von dem Zauber gespürt, der viele so begeistert hat. Auch die Sprache wird viel gelobt aufgrund ihrer Feinfühligkeit. Ich weiß nicht, ob es an der Übersetzung lag, aber ich empfand die Sprache und den Schreibstil für ein Debüt durchaus gut, aber nicht unbedingt preiswürdig. Vieles wurde mir persönlich zu langatmig erzählt, mit zu viel erzählerischen Details in Nebensächlichem. Um Shuggie und sein Leben verstehen zu können, muss ich nicht wissen, was die Nachbarin macht oder denkt. Viel mehr hätte mir eine differenziertere Betrachtung von Shuggie selbst gewünscht. Er bleibt, obwohl titelgebend, stets eher am Rande.

Das tragische Schicksal von Shuggie und die Brutalität der Lebenssituation nutzen sich irgendwann ab. Das liegt zum einen wahrscheinlich daran, dass man so etwas schon zu oft in der Realität gesehen oder gehört hat. Doch die Figuren drehen sich auch irgendwie im Kreis, das mag zwar realistisch sein, bietet beim Lesen aber zu viele Wiederholungen für meinen Geschmack. Insgesamt gab es kaum eine Charakterentwicklung.

Stuart gelingt eine authentische Milieustudie, er schildert anschaulich das Arbeiterleben und die Probleme der damaligen Zeit bzw. wie Alkohol und Armut eine Familie zerstören können. Dennoch fehlt mir die emotionale Bindung zur Handlung und den Figuren. Es ist eine Geschichte mit realem Hintergrund, die die Abwesenheit von allem in den Vordergrund stellt, hier gibt es kaum Geld, Liebe, Schulbildung, liebevolle Zuhause oder Freundschaften, es gibt nur Armut und Gewalt. Das sollte man sich vor dem Lesen bewusst machen und gegebenenfalls lieber die Finger davon lassen. Doch auch wenn mir das alles beim Lesen nichts ausmacht, wird mir "Shuggie Bain" wohl nicht lange im Gedächtnis bleiben. Vielleicht war es am Ende auch einfach nicht die richtige Geschichte für mich, aber dennoch muss ich sagen, hatte ich mir mehr erhofft.

Veröffentlicht am 25.08.2021

Unerfüllte Liebe

Das Archiv der Gefühle
0

Der namenlose Protagonist hat sich vor über vierzig Jahren in ein Mädchen verliebt und seither nur sie geliebt. Zwar hatte er immer wieder Liebschaften und Affären aber Franziska nahm stets den ersten ...

Der namenlose Protagonist hat sich vor über vierzig Jahren in ein Mädchen verliebt und seither nur sie geliebt. Zwar hatte er immer wieder Liebschaften und Affären aber Franziska nahm stets den ersten Platz ein. Sie ist mittlerweile berühmt, ihren Künstlernamen Fabienne hat er ihr gegeben, doch noch immer genauso unerreichbar wie in ihrer Jugend. Er ist ein Archivar, ein Sammler von Informationen und als das Archiv entsorgt werden soll, nimmt er es kurzerhand mit nach Hause. Schon immer war er eher alleine, eigenbrötlerisch, doch jetzt zieht er sich nach und nach immer mehr aus der Welt zurück. Und plötzlich ist da wieder eine Verbindung zur Welt, Franziska tritt unerwartet wieder in sein Leben. Doch was soll er nun damit anfangen?

"Das Archiv der Gefühle" ist die Geschichte eines Mannes, der sich nicht viel aus Menschen macht, der schon immer am liebsten zu Hause war. "Aber zu Hause konnte überall sein, solange ich nur für mich war". Nur Franziska konnte diese Einstellung durchbrechen und so lebt der Erzähler sein ganzes Leben lang einen unerfüllten Traum, in dem er sich ausmalt, wie es wäre, mit ihr zusammen zu sein, er lebt für und in seinen Erinnerungen: "Inzwischen lebe ich lieber mit meinen Erinnerungen, als dass ich neue Erfahrungen mache, die schlussendlich doch zu nichts anderem führen als zu Schmerz."

Peter Stamm schildert das alles in einer sehr ruhigen aber poetischen Sprache. Manchmal nüchtern, manchmal sehr gefühlvoll, fast schon philosophisch, blickt der Erzähler zurück auf sein Leben, Handlung an sich gibt es hier kaum. Viel mehr erzählt er, wie es war, mit Franziska aufzuwachsen, er lässt mich teilhaben an seine Gedanken und Gefühlen, an Wünschen und Träumen, an guten und schlechten Erinnerungen. Denn immer wieder durchlebt er auch depressive Phasen. Man wird mitgenommen auf eine Reise ins Innerste dieses Mannes, oft wusste ich im ersten Moment nicht, was ist real und was nicht? Denn er redet ständig mit Franziska, er sieht sie, sie führen lange Gespräche in denen sie all das sagt, was sie im echten Leben nie sagte.

Am Anfang hat die Geschichte sehr gut funktioniert für mich, mein Interesse war geweckt, ich fraget mich, wer ist diese Franziska, die einen solch bleibenden Eindruck hinterlässt? Gleichzeitig fragt man sich auch, wie der Erzähler von außen betrachtet wirkt, seine obsessive Haltung gegenüber seiner Angebeteten, all die Informationen, die er jahrelang sammelt, das alles kann auch sehr angsteinflößend sein. Ab einem Punkt, den ich nicht genau benennen kann, verlor ich etwas das Interesse an der Geschichte und ihren Figuren. Es passiert viel im Erzähler selbst, doch irgendwie plätschert um ihn her alles so dahin. Man wird Zeuge einer Veränderung und gegen Ende spitzt sich alles zu, Traum und Wirklichkeit beginnen sich zu überlagern. Es stellt sich die Frage, ob das Bild, dass er von Franziska und von seiner Liebe zu ihr hat, der Realität standhalten kann. Doch leider war mir das zu dem Zeitpunkt schon egal.

Veröffentlicht am 15.08.2021

Vergangenes

Viktor
0

Auf zwei Zeitebenen erzählt Judith Fanto hier eine jüdische Familiengeschichte, die vermutlich viele autobigraphische Aspekte enthält. Es geht um Viktor, der im Wien der 1914er Jahre aufwächst und langsam ...

Auf zwei Zeitebenen erzählt Judith Fanto hier eine jüdische Familiengeschichte, die vermutlich viele autobigraphische Aspekte enthält. Es geht um Viktor, der im Wien der 1914er Jahre aufwächst und langsam das Erstarken des Nationalsozialismus miterlebt. Gleichzeitig ist er das schwarze Schaf der Familie, denn er will sich nicht an Regeln anpassen, die ihm sinnlos erscheinen. Die Familie kann schlussendlich vor den Nazis fliehen, doch die Vergangenheit schwebt wie ein dunkles Stück Stoff über ihnen. Damit ist der Leser im "Jetzt" bei Geertje angelangt. Sie möchte zu ihrem Judentum stehen, und hat doch überhaupt keine Ahnung, was es heißt und hieß jüdisch zu sein. Nur langsam entdeckt sie die Geheimnisse ihrer Familie und versteht dabei vielleicht auch sich selbst besser.

Judith Fanto hat einen recht leichten und flüssigen Schreibstil, der auch das schwere Thema gut erfasst. Doch leider hatte ich (vieleicht dadurch?) auch immer das Gefühl, dass mir die Figuren zu unnahbar bleiben. Geertje, die mit ihrem Umbenennen in Judith die Familie vor den Kopf stößt bleibt mir zu flach in ihrer Suche nach der eigenen Identität sowie der der Familie. Ich konnte ihr Handeln nur bedingt nachvollziehen und ich hätte mir hier eine etwas tiefergehende Ausarbeitung gewünscht. Die Auseinandersetzung mit der eigenen Familie und dem Judentum bleibt etwas auf der Strecke, da dieser Erzählstrang Viktors unterbrochen wird. So erscheint manchmal das Erzählte etwas unzusammenhängend.
Viktors Erzählperspektive gefiel mir da etwas besser, er wirkt realer auf mich. Die Reaktionen der Juden auf die Nazis, ihr Glauben an Vernunft fand ich sehr gut dargestellt. Niemand wollte glauben, was passiert und nicht jeder hatte am Ende soviel Glück wie Familie Rosenbaum.

Fanto schreibt in "Viktor" über eine jüdische Familie, die nice jüdisch sein wollte und mit dem Nationalsozialismus Hitlers konfrontiert in ihrer Abneigung bestärkt wird. Es geht um die Frage von Schuld und um die Aufarbeitung der Vergangenheit. "Viktor" ist gut und leicht geschrieben, ich hätte mir jedoch an manchen Stellen etwas mehr gewünscht.

Veröffentlicht am 21.07.2021

Weiße Nacht

Weiße Nacht
0

"Weiße Nacht" erzählt die Geschichte dreier Menschen, die unbewusst miteinander verbunden sind und sich in den Straßen von Seoul begegneten. Es ist eine Geschichte voller Geister und surrealer Erlebnissen, ...

"Weiße Nacht" erzählt die Geschichte dreier Menschen, die unbewusst miteinander verbunden sind und sich in den Straßen von Seoul begegneten. Es ist eine Geschichte voller Geister und surrealer Erlebnissen, Szenen zwischen Wachen und Träumen, zwischen Licht und Dunkelheit gefangen. Die Handlung ist recht einfach zusammengefasst: Ayami, früher Schauspielerin, anschließend Assistentin in einem Hörtheater, hat wegen der Schließung des Theaters ihren Job verloren. Planlos, wie es mit ihrer Zukunft weiter gehen soll, trifft sie sich mit ihrem früheren Chef und erklärt sich bereit für ihre Freundin Yoni einen deutschen Schriftsteller vom Flughafen abzuholen. Als Leser begleitet man sie auf diesen zwei Tagen, in denen sie mehr oder weniger ziellos durch Seoul streift und ihre letzten Stunden im Hörtheater verbringt.

Kunst, sowohl literarischer als auch anderer Natur, spielen eine große Rolle in Suahs Buch. Anhand von literaischen Texten oder fotografischen und künstlerischen Ausstellungen, entdeckt Ayami Seoul und sich selbst zusammen mit dem Leser. Auch ihr Text selbst ist voller künstlerischer Aspekte und Anspielungen, die Figuren erleben auf sehr sensorische Weise die schwüle Sommerhitze in Seoul, alles flimmert, nicht nur die Luft auch die Realität.

Aus verschiedenen Perspektiven blickt Bae Suah auf die Straßen und ihre Protagonisten. Als Leser fühlt man sich manchmal als Statist, der am Rande steht um im nächsten Moment selbst ins Rampenlicht zu treten. Wichtigstes künstlerisches Element ist wohl die Wiederholung. Wieder und wieder wiederholen sich Sätze, Ausdrücke, Schilderungen. Es ist als würden alle Figuren zu einem Gedanken verschmelzen, sie alle nehmen die gleichen Dinge wahr, knüpfen ein Band zu bestimmten Dingen. Dadurch erscheinen sie gleichzeitig losgelöst von allem. Alles wird eins und individuelle Eindrücke treten in den Hintergrund.

Normalerweise mag ich solche mystischen, ins unklare, surrealistisch neigende Texte sehr, da sie anders sind als das Übliche und längst Bekannte. Doch "Weiße Nacht" konnte nicht ganz zu mir durchdringen. Oft musste ich v.a. am Anfang Sätze doppelt und dreifach lesen um sie zu erfassen. Man darf sich hier keine Sekunde der Unaufmerksamkeit leisten, da man sonst den Zusammenhang der Sätze verliert. Im 2. Teil wurde es merklich besser, ich habe angefangen mich in den symbolischen Bildern und der drückenden Hitze zurecht zu finden. Und auch der letzte Teil hat mein Interesse geweckt. Doch leider entfernt sich die Geschichte zum Ende hin wieder stark, ich habe nicht mehr begriffen, worum es geht, alles endet irgendwie abrupt und ohne Auflösung, ohne richtiges Ende.

Ich habe es insgesamt doch ganz gerne gelesen, hatte mir aber einfach etwas mehr erhofft.

Veröffentlicht am 15.07.2021

Sterben

Betreff: Falls ich sterbe
0

Von einem Tag auf den anderen ist Carolina plötzlich alleine mit dem nur wenige Monate alten Ivan. Gestern waren sie noch zu dritt, doch jetzt ist Aksel tot. Carolina ist überfordert mit der Situation ...

Von einem Tag auf den anderen ist Carolina plötzlich alleine mit dem nur wenige Monate alten Ivan. Gestern waren sie noch zu dritt, doch jetzt ist Aksel tot. Carolina ist überfordert mit der Situation und mit dem Tod ihres Freundes.

Ich weiß nicht so recht, wie ich dieses Buch bewerten soll. Mit "Betreff: Falls ich sterbe" verarbeitet die Autorin ihre eigene Geschichte. Zu Beginn hat sie mich unglaublich berührt und stellenweise sogar zu Tränen gerührt. Die Gefühle, die sie beim Lesen vermittelt, die Verzweiflung, die Trauer, das alles konnte ich so gut nachvollziehen. Die Überforderung direkt nach dem Tod eines geliebten Menschen, die Dinge, die geregelt werden müssen und für die man eigentlich gar keine Kraft hat, haben meine eigene Trauer wieder aufleben lassen.

Leider konnte ich diese Beziehung zu Autorin und Buch nicht lange aufrecht erhalten. Nun ist es natürlich schwer, eine autobiografische Geschichte zu beurteilen, es fühlt sich falsch an, das Leben eines echten Menschen zu bewerten. Und doch bin ich im zweiten Erzählstrang nicht so richtig zu ihr durchgedrungen. Sie schildert ihr Leben mit Aksel vor dessen Tod, vom ersten Kennenlernen bis zum letzten Gespräch. Und man möchte ihr am liebsten sagen, mach doch einen Schritt langsamer, achte mehr auf deinen Partner, er ist nicht so schnell und forsch wie du. Nachdem die beiden Erzählstränge irgendwann zusammen laufen, verschiebt sich der Fokus der Geschichte auf sie und ihr Leben als alleinerziehende Mutter. Auch hier möchte ich sie manchmal schütteln und ihr sagen, welch ein Luxus das ist, dass ihre Freunde und Familie sich um sie kümmern. Sie sind rund um die Uhr für sie da, doch sie sieht das alles nicht. Ich verstehe, dass es ihr Weg ist, sich mit der Trauer auseinanderzusetzen, doch ich konnte mich leider nicht richtig hineinfühlen in diesen Teil des Buches.

Carolina Setterwall kann gut erzählen, sie lässt die Leser an ihrem Leben und ihren Gedanken teilhaben. Auch ist es gut, dass sie sich ihrer Trauer stellt, dass sie den Menschen zeigt, jeder hat seinen eigenen Weg mit Trauer umzugehen, jeder braucht sein eigenes Tempo um zurück in den Alltag zu finden. Doch für meinen Geschmack verschiebt sich der Fokus zu schnell auf die Probleme einer alleinerziehenden Mutter, womit ich persönlich nicht so viel anfangen konnte.