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Veröffentlicht am 20.12.2021

Auch eine Weihnachtsgeschichte...

Das Geschenk
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Um es vorweg zu sagen – auf das im Klappentext angekündigte 'Feuerwerk voller Wortwitz' habe ich bis zum Ende dieser Weihnachtsgeschichte der von mir sehr geschätzten Autorin Alina Bronsky vergebens gewartet. ...

Um es vorweg zu sagen – auf das im Klappentext angekündigte 'Feuerwerk voller Wortwitz' habe ich bis zum Ende dieser Weihnachtsgeschichte der von mir sehr geschätzten Autorin Alina Bronsky vergebens gewartet. Auch das 'grenzenlose, bitterböse Lesevergnügen' blieb aus – stattdessen gaben sich zunehmend unhöfliche, garstige und die Würde verletzende Dialoge die Hand, die mir wehtaten und die Geschichte ein wenig verleideten.
Seine Freunde, so fühlte ich mich einmal mehr bestätigt, sollte man sich gut aussuchen – und wenn das, was einen einmal verband, nicht mehr vorhanden ist, sollte man so eine Freundschaft wie diejenige, die hier auf dem Seziertisch liegt, still und leise ausklingen lassen und nicht, aus welchen Gründen auch immer, wieder versuchen aufleben zu lassen. Das kann nur schief gehen, wie man am Beispiel des unerträglich hochnäsigen und vorurteilsbehafteten Ehepaares Kathrin und Peter, die einander rein gar nichts mehr zu sagen haben, und dem übriggebliebenen Part des anderen ehemaligen Freundepaares, Klaus – Ehefrau Almut war vier Jahre vor dem unseligen Weihnachtstreffen gestorben -, in erschreckender Deutlichkeit sehen kann. Und was für Freunde gilt, gilt auch für Paare: wenn die Liebe sich überlebt und Abneigung, Hohn und gar Hass gewichen ist, sollte man sich trennen! Wenn der zum Glück überschaubar kurzen Geschichte überhaupt eine Botschaft zugrunde liegt, dann genau diese.
Und dabei hat alles so menschenfreundlich, so ganz und gar zum uns alljährlich aufs Auge gedrückten Weihnachtsfest passend begonnen! Nach vielen Jahren des Schweigens meldete sich plötzlich der längst in den Tiefen der Vergessenheit schlummernde Klaus bei Kathrin und Peter und schlug vor, doch mal wieder ein paar Tage miteinander zu verbringen, in dem alten Wochenendhaus in einem gottvergessenen Landstrich Nordhessens, in dem man schon einmal angeblich unvergessliche Stunden miteinander verbracht hatte. Warum Klaus ausgerechnet diese beiden Unsympathen einlud, denen er schon in seligen, wahrscheinlich in der Erinnerung stark verklärten, gelegentlich gemeinsam verbrachten Tagen nichts zu sagen hatte, bleibt bis zum Schluss ein Rätsel, es sei denn die Erklärung lautet, dass der eigentlich nette, unkomplizierte und einfach gestrickte Klaus unter masochistischen Schüben leidet. Wie auch immer, die perfekte, aber leider hoffnungslos versnobte Kathrin nimmt die Einladung an, unter dem Vorwand, dem verwitweten Klaus in seiner Einsamkeit beizustehen. Jetzt, nach vier Jahren? Man mag ihr Samaritergehabe nicht recht glauben, bekommt aber bald den Eindruck, dass alles recht war, um bloß nicht in trauter Zweisamkeit mit dem fremdgehenden Zyniker Peter, einem selbstherrlichen Widerling erster Güte, unter dem Weihnachtsbaum sitzen zu müssen, nachdem man sich erstmals dafür entschieden hat, die längst erwachsenen Kinder auszuladen, recht unverständlich, denn die sind alles, was sie an Familie haben und wahrscheinlich die einzigen Menschen, die sie mögen, vielleicht, weil sie ihnen ihr Luxusleben finanzieren oder weil die Stimme des Blutes manchmal doch sehr laut dröhnt. Nach Spiekeroog, wie man irgendwann, viel später, erfährt, hatte man fahren wollen, aber dann kam ja Klaus' Anruf – und vielleicht kam er Kathrin gut zupass? Wer weiß das schon!
Die erste Überraschung kommt alsbald! Der traurige Witwer ist eines gewiss nicht: einsam! An seiner Seite lebt nämlich, und das auch schon seit vier Jahren, die etwas flippige, aber freundliche, sympathische und ganz und gar nicht eingebildete Sharon, die weiland Frau Almut zu Tode gepflegt hatte. In ihrer Bigotterie fassen die beiden verlogenen Schickimickis sofort eine tiefe Abneigung gegen die unkomplizierte und im Gegensatz zu ihnen völlig authentische junge Frau – vielleicht wegen ihres jugendlichen Alters, wiewohl sie bei weitem nicht so jung ist, wie sie aussieht, vielleicht weil ihre eigenen zweifelhaften und darüber hinaus unehrlichen Vorstellungen von Konventionen einen Witwer in ewiger Trauer sehen wollen, der verstorbenen Partnerin bis zum Tode treu. Vielleicht, und dieser Verdacht beschleicht einen zuerst, bis er sich beinahe zur Gewissheit manifestiert, gönnen sie 'Freund' Klaus sein neues Glück nicht, weil es ihnen ihr eigenes Unglücklichsein widerspiegelt.
Bald, ach leider nur allzubald, wird aus versteckten Gehässigkeiten ein offener Schlagabtausch mit unerwarteten Enthüllungen, provoziert einzig und allein von dem unseligen Gästepaar, die vor allem Peter, den scheinheiligen, an seiner Angetrauten Kathrin kein gutes Haar lassenden Erzähler der Geschichte, der sich erhaben dünkt über nicht nur seine Frau, sondern auch über seinen Freund, dem er niemals ein solcher war, und der zudem noch unverständlicherweise stolz ist auf seine – vom Arzt attestierte – Unfähigkeit, sich Gesichter zu merken und Erinnerungen zu bewahren, verbal grob, aber gründlich entlarven und als das armselige Bürschchen dastehen lassen, das er unleugbar nun einmal ist. Und jetzt überkommt ihn das große Flattern, wie es jeden wohl überkommt, der sich in einem kurzen Moment der Einsicht in aller Klarheit so sieht, wie ihn andere sehen: in aller Erbärmlichkeit, und nicht einmal mehr nur mittelmäßig! Wäre das nicht die Gelegenheit für ein Umdenken? Die zweite Chance zu ergreifen? Gar für einen Wendepunkt? Nun, das Ende soll natürlich nicht vorweggenommen werden – vielleicht überrascht es, vielleicht enttäuscht oder verwundert es? Vielleicht aber ist es vollkommen logisch? Das muss dann jeder für sich entscheiden, denn so viele Leser wie ein Buch hat, so viele verschiedene Meinungen gibt es dazu!
Und um meine Gedanken nun einem Abschluss entgegenzuführen – haben wir es hier denn überhaupt mit einer Weihnachtsgeschichte zu tun? Auch in diesem Punkt mögen die Ansichten divergieren. Ich meine ja! Ein traditionelles Weihnachsfest ist heutzutage beinahe schon die Ausnahme, obwohl Sharon ein solches möchte und mit viel Lametta aufwartet, was, das überrascht kaum jemanden, von den beiden, ach so gebildeten, geschmacks- und stilsicheren Eheleuten Kathrin und Peter mit mitleidigem Abscheu beäugt wird. Sie können einem beinahe leid tun, diese beiden, die rein gar nichts verstanden haben von dem, was das Leben ausmacht und denen der Sinn der Weihnacht, denen Freundlichkeit und echte Empathie fehlen oder womöglich, um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, irgendwann abhanden gekommen ist auf ihrem Weg in die zynische Kaltherzigkeit. Die, weihnachtlich beschenkt von ihren Gastgebern, die gerne und von Herzen geben, nicht verstehen, dass diese keine Gegenleistung erwarten, dass vielmehr sie selbst, Kathrin und Peter, das Geschenk sind, dessen sie sich aber nicht würdig erwiesen haben! Ja, man kann es nicht bestreiten, Alina Bronsky entlarvt hier vieles – und das gründlich und gnadenlos! Es ist jedoch die Art und Weise, in der sie es tut, die ich weniger ansprechend finde, die gewiss schonungslos ist, aber ohne Witz – und ein Funkeln kann daher zu keinem Zeitpunkt aufkommen, so sehr es auch zu Weihnachten passen würde, dem traditionellen, das ich, da bin ich mit Sharon einig, über alle Maßen wertschätze. Immer noch und trotz allem!

Veröffentlicht am 08.11.2021

Einfach loslaufen - oder: Auch Wandern will geübt sein!

Runter geht's immer schneller
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Wandern hat seit einigen Jahren Hochkonjunktur! Vor allem unter jungen Leuten, wieder, denn nach der gut hundert Jahre zurückliegenden Wandervogelbewegung und dem, was im Dritten Reich daraus gemacht wurde, ...

Wandern hat seit einigen Jahren Hochkonjunktur! Vor allem unter jungen Leuten, wieder, denn nach der gut hundert Jahre zurückliegenden Wandervogelbewegung und dem, was im Dritten Reich daraus gemacht wurde, war es vorwiegend der älteren Generation vorbehalten; die Jungen in der Zeit, in der ich aufgewachsen bin, hatten vermeintlich Besseres zu tun, als in der Bergen herumzukraxeln oder weite Strecken auf flachem Land zurückzulegen und für die eifrigen, in diversen Wandervereinigungen organisierten Berg- und Naturbegeisterten nur ein müdes Lächeln übrig.
Doch Wandern ist nicht gleich Wandern, wie man von der Autorin des hier zu besprechenden, wunderhübsch aufgemachten schmalen Buches gleich zu Beginn erfährt: da gibt es das Weitwandern, das Hüttenwandern, das Bergwandern, das Trekking, das Hiking und das Pilgern – und wie diese sich jeweils voneinander unterscheiden, schiebt Melissa Guadagno gleich hinterher. Dank Google, den sie eifrigst und ausdauernd bemüht, ist sie bestens informiert! Wenn das mit dem Wandern doch auch so einfach wäre! Sie und ihr Lebenspartner, während ihrer gesamten Aufzeichnungen nur als 'der Mann' bezeichnet, haben nämlich die Idee (offensichtlich wie aus dem Nichts aufgetaucht), die Alpen zu Fuß, also wandernd, zu überqueren, voller Naivität freilich und gänzlich ungeübt in dem Trendsport. Typische Großstadtpflanzen oder, wie sie sich selbst nennen, 'Fischbrötchen' - sie leben in Hamburg -, die sich zwar mit dem Reisen auskennen, vom Wandern jedoch nicht die geringste Ahnung haben. Doch was soll's, geht man am besten einfach los, mit der passenden App wird’s schon möglich sein....
So denkt die Erzählerin noch am Anfang, allmählich aber dämmert ihr, dass ihr Unterfangen nicht so einfach ist, vor allem nachdem sie einen Urlaub auf Sardinien verbracht und die ersten zaghaften Wanderschritte gemacht hat. Denn da merkt sie, dass ihre angestrebte neue sportliche Betätigung anstrengend ist und Kondition erfordert; und die App – na ja.... Aber halt! Wollten die beiden nicht in die Alpen? Ach, doch, das wollten sie und wollen es immer noch, können sich allerdings nicht für eine der vielen Routen entscheiden und haben, in seliger Unkenntnis der Wetterverhältnisse, ihren Urlaub auf März/April gelegt, eine Zeit also, in der noch Schnee liegt und die Berghütten geschlossen sind. Pech gehabt! Aber wandern kann man doch schließlich überall, denkt Melissa, womit sie natürlich Recht hat. Nach dem Sardinienurlaub erkundet sie mit 'dem Mann' die nähere Umgebung Hamburgs, zu Fuß und auch mit dem Fahrrad – und so ganz allmählich wird ihr klar, dass für ihre geplante Tour sowohl körperliche Fitness als auch die geeignete Ausrüstung, sprich bergtaugliches Schuhwerk, gewiss nicht von Nachteil wäre. Als Generalprobe, oder so etwas in der Art, dient dann ein einwöchiger Wanderurlaub in Berchtesgaden, bei dem sie durchaus an ihre körperlichen Grenzen gerät, sich aber in ihrem Vorhaben, irgendwann doch noch die Alpen zu überqueren, bestätigt fühlt - vielleicht dann, meint sie, und es klingt fast wie eine Ausrede, wenn Corona das Leben nicht mehr gar zu sehr einschränkt.
Das mit 190 Seiten recht kurze, entsprechend schnell zu lesende Buch mit seinen freundlichen Zeichnungen sollte, so die Autorin in ihrem Nachwort, ursprünglich eher ein Blog werden – und stellenweise liest es sich genau so: leicht, ein wenig flapsig, eine Aneinanderreihung von Momentaufnahmen, auch sehr offen und die eigenen Unzulänglichkeiten nicht verbergend und sich, was ich als sehr angenehm erfinde, oft genug darüber lustig machend. Es ist so, als hätte Melissa Guadagno ihre Gedanken und Erfahrungen mit ihren Freunden geteilt. Was sie wohl von Anfang an sowieso getan hat, gleich nachdem sie den Einfall mit der Fußwanderung über die Alpen hatte, immer irgendwie beifallheischend, so als wollte sie sagen 'Seht mich an, ich habe etwas ganz Außergewöhnliches vor....', und es setzt sich fort, wie man vermuten darf, denn wozu sonst machen sie und 'der Mann' geschätzte Tausende von Photos und Selfies während all ihrer Unternehmungen, von denen sie uns in ihren Geschichten, allesamt mit fröhlichen Überschriften versehen, berichtet? Die ganze (Freundes-)Welt soll teilhaben an den ach so tollen Abenteuern. Bewunderung und Anerkennung ist unbedingt wichtig, sonst ist das Ganze ja nur halb so viel wert.... Zeitgeist? Ich fürchte wohl!
Immer wieder fiel mir auf, dass die Schreiberin und vermutlich auch 'der Mann' eine eigentlich erbauliche Freizeitbeschäftigung wie das Wandern als hochernstes Projekt anzusehen schienen. 'Hochmotiviert' gingen die beiden so manche ihrer Tagestouren an, bierernst geradezu und so, als müssten sie sich etwas beweisen, sich dabei immer an die Vorgaben der Reiseführer, mit denen Melissa bestens vertraut war, haltend, die unglücklicherweise nicht immer auf dem neuesten Stand waren, oder sich streng an den gelben Schildern in den Berchtesgadener Bergen festhaltend, denen man so recht aber auch nicht vertrauen konnte. Kurz und gut – während des Großteils der Aufzeichnungen fehlte mir eine gewisse Leichtigkeit, die schiere Lust am Wandern ohne sich etwas beweisen zu müssen. Nicht nur einen Tick zu verbissen gingen die beiden 'Nordlichter' zu Werke – eine verkrampfte Ernsthaftigkeit, die auch der mit leichter, salopper Hand geschriebene Text nicht zu verbergen vermag.
Doch sind sie nach ihrem Urlaub in Berchtesgaden zum Glück auf dem besten Weg gelassener zu werden, wozu die sie überwältigende Natur, noch schöner als alle Postkartenmotive, das ihre beiträgt. Zurück in Hamburg haben sie das Gefühl, irgendwie im falschen Film gelandet zu sein, diese beiden zu Anfang so ausgeprägten Großstadtpflanzen, der Wettbewerb mit sich selbst spielt plötzlich keine Rolle mehr.... Die sehr lebendigen Beschreibungen, die die Autorin zu diesem Urlaub niederschreibt, fand ich, nebenbei gesagt, sehr gelungen. Sie machen in der Tat Lust, es den beiden Hamburgern gleichzutun! Und wer weiß , vielleicht gelingt es ihnen irgendwann in der Zukunft doch noch, die Idee, mit der alles begann, in die Tat umzusetzen, auf jeden Fall aber das Wandern mit eben jener Leichtigkeit zu betreiben, die einem Hobby zusteht. Und dann ist es tatsächlich völlig egal, wo und wohin man auf Schusters Rappen unterwegs ist....

Veröffentlicht am 29.10.2021

Falsche Fährten

Ankertod
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Der Journalist Joost Bookmeyer war ein aufgeschlossener Mann! Er schrieb an einem Buch über Verschwörungsmythen, in dem er vor allem den Gründen nachging, aus denen Menschen an immer absurdere Theorien ...

Der Journalist Joost Bookmeyer war ein aufgeschlossener Mann! Er schrieb an einem Buch über Verschwörungsmythen, in dem er vor allem den Gründen nachging, aus denen Menschen an immer absurdere Theorien glauben wollen, die die Realität in Frage stellen, und sich ihre eigene zimmern. Für ihn waren diese Vorstellungen eine verzweifelte Flucht aus einer immer komplexer werdenden Welt, die sie zunehmend weniger verstehen und die ihnen Angst macht. Er nahm sie ernst, all diejenigen, die an Ufos glauben, an Außerirdische wie die Aldebaraner, die angeblich der Erde bereits einen Besuch abgestattet haben und von deren Wiederkunft als Retter sie überzeugt sind, an reptoloide Echsenwesen, die die Menschheit unterwandern, die der Hohlwelttheorie zugeneigt sind, mit Aluhüten umherlaufen und dergleichen mehr. Er verstand ihre Ängste vor 5-G-Masten, vor Chemtrails, davor, zu Impfungen aller Art gezwungen zu werden, ohne sie zu den seinen zu machen. Niemanden griff er an, niemanden verhöhnte er, machte sich schon gar nicht über sie lustig.
Warum also wurde er ermordet und auf einem Feld an der Nordsee, wohin er zu Recherchezwecken gereist war, nackt aufgefunden, mit einem seltsamen Zeichen auf der Brust, das alsbald als das Symbol für das Sternzeichen des Stiers identifiziert wurde? Und warum, mit Verlaub gefragt, wird der komplett durchgeknallte Gastwirt Hajo Rutkat, ein überzeugter Jünger all des Unsinns, den die Verschwörungstheoretiker so von sich geben und gerade der Mann, wegen dem der Journalist aus seinem Domizil Osnabrück hoch ans Meer gekommen ist, der ihm Wichtiges zu erzählen oder zu zeigen hatte, wenig später ebenfalls ermordet und seine Leiche auf die gleiche Weise zur Schau gestellt, wie die Bookmeyers?
Die beiden ermittelnden Kommissare, Tilmann Baer und Kira Jensen, stehen jedenfalls vor einem Rätsel! Und da Ermittlungen eben nicht, wie in den einschlägigen Krimis in Buch- und Filmform suggeriert wird, durch eine Aneinanderreihung von Geistesblitzen bestehen, genausowenig aus Enthusiasmus und übermotivierter Planlosigkeit, sondern vielmehr aus mühevoller Kleinarbeit, bei der man besser einen kühlen Kopf bewahrt, aus viel Geduld, ganz wie beim Schachspiel, so erläutert der Hauptkommissar sein Vorgehen seiner jungen Kollegin, dauert es eine ganze Weile, genauer gesagt bis kurz vor dem Ende des Küstenkrimis mit dem für mich völlig unersichtlichen Titel, bis sich die Nebel lichten, bis das kunstvolle Gebilde aus falschen Fährten und Spuren, die ins Leere laufen, entwirrt ist und die beiden Morde, bei denen es im Übrigen nicht bleiben wird, von den beiden Kommissaren aufgeklärt und der Mörder schließlich dingfest gemacht werden kann.
„Ankertod“ ist kein umfangreicher Krimi, doch ist er bis zum Rand vollgepackt mit Geschehnissen, mit Themen, mit Handlungssträngen, die man nicht so leicht durchschaut, deren Verbindungen erst ganz allmählich ersichtlich werden. Ein rechtes Puzzle, eines von der kniffligen Sorte, und die Geduld, die Baer von Jensen fordert, muss auch der Leser aufbringen, um durchzublicken. Kein Krimi zum Mitraten, denn der Autor hat nicht, nach Art des klassischen „Whodunnit“ a la Agatha Christie, versteckte Hinweise in die Handlung eingebaut, die dem cleveren Krimileser, selbst oft ein halber Detektiv, den Weg weisen. Lange blieb mir überdies unverständlich, was der zweite Handlungsstrang, in dem eine gewisse, reichlich verhuschte Eilika die Hauptrolle spielt, mit der Mordgeschichte um den Journalisten zu tun hat, was die Niedergeschlagenheit einer jungen Frau, die mit ihrem Café, dem Traum von der Selbständigkeit, gescheitert ist und das Ende der Welt gekommen sieht, zum Fortgang der Haupthandlung beiträgt. Nunja, beide Stränge werden schließlich zusammengeführt, denn beide sind sehr wohl miteinander verflochten, und zwar von Beginn an! Dennoch betrachte ich die Eilika-Geschichte als Schwachpunkt des für meinen Geschmack etwas zu vielschichtigen Romans, bei dem ich eine klare Linie vermisse. War die Haupthandlung alles in allem stimmig, so gilt das nicht für den Teil, in dem Eilika Trübsal bläst und deren Weinerlichkeit und Selbstmitleid nicht recht nachvollziehbar sind und die wirklich lernen muss, dass Niederlagen zum Leben gehören. Und, nebenbei gesagt, welchen Leuten man trauen kann und von welchen man sich besser fernhält....
Ersteres hingegen hat die Kommissarin Kira Jensen, sicher nicht viel älter als Eilika und mit viel mehr Berechtigung depressiv zu sein, verstanden. Sie wurde, wie man am Rande erfährt, als Kind vom eigenen Vater missbraucht, hat natürlich ein Trauma zu verarbeiten, sucht sich aber Hilfe und ist stets bemüht, ihr Leben im Griff zu behalten. Kira verdient jeden Respekt, auch wenn man ihre Tendenz zu Alleingängen, die zu Konflikten mit dem Vorgesetzten Baer führen, mit Skepsis betrachten kann.
Und damit komme ich zu dem stärksten Teil des verzwickten und verschlungenen Krimis mit der arg konstruierten Auflösung, nämlich zu dem Team Baer/Jensen! Team? Davon kann bis weit nach der Mitte der Handlung nicht die Rede sein! Sowohl der skeptische und schweigsame Baer als auch die sich um jeden Preis beweisen wollende Jensen sind Einzelgänger, zwar mehr oder minder zähneknirschend zur Zusammenarbeit bereit, aber eben nicht aus Überzeugung, zumal beider Herangehensweisen an die jeweiligen Fälle grundverschieden sind. Die Art und Weise, wie sie sich dennoch, nach einem gewaltigen Faux pas von Jensen, der es schwerfällt, sich an vereinbarte Regeln zu halten, allmählich zusammenzuraufen und schließlich gemeinsam an einem Strang ziehen, empfinde ich als glaubwürdig und überzeugend geschildert. Es sieht am Ende ganz danach aus, als könnten die beiden Polizisten zu einem richtig guten Team zusammenwachsen, bei dem jeder die Entscheidung des anderen mitträgt, selbst wenn sie eine Fehlentscheidung war, wie der zuerst uneinsichtigen Jensen von einem Kollegen erklärt wird, und was sie sich offensichtlich zu Herzen genommen hat. So gesehen bleibt zu hoffen, dass einer erfolgreichen Zusammenarbeit Kiras und Tilmans in weiteren Bänden nichts mehr im Wege stehen mag....

Veröffentlicht am 04.08.2021

Mühsame Ermittlungen mit einigen Längen

Die Kommissarin und der lange Tod
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Die Kölner Kriminalhauptkommissarin Antje Servatius ermittelt in ihrem ersten Fall – so verkündet es der Klappentext des Krimis, der seinerseits das Erstlingswerk des Autorenduos ist. Eine neue Reihe also, ...

Die Kölner Kriminalhauptkommissarin Antje Servatius ermittelt in ihrem ersten Fall – so verkündet es der Klappentext des Krimis, der seinerseits das Erstlingswerk des Autorenduos ist. Eine neue Reihe also, so mögen sich die serienliebenden Krimileser freuen! Und in der Tat lässt sich besagter erster Fall der nicht leicht zu durchschauenden Ermittlerin interessant an und macht zunächst neugierig: sie und ihr Team werden zum Schauplatz eines Mordes gerufen – und der Tote ist nicht irgendjemand, sondern der allseits bekannte, wenn auch nicht gerade beliebte Talkmaster Torben Grönewald, ein typischer Vertreter seines Berufsstandes, wie es dem aufmerksamen Talkshowzuschauer scheinen mag. Überheblich ist er, zynisch, von seiner eigenen Wichtigkeit überzeugt und natürlich hat er, obwohl verheiratet, zahlreiche Affären. Jemand, der befriedigende Quoten einfährt, obschon das, was er da tut und wie er es tut, nicht unbedingt seriös, auf jeden Fall aber moralisch fragwürdig ist. Schade ist es nicht um so eine Art Mensch, doch hat niemand das Recht, ihn deshalb umzubringen. Mord ist Mord und der Täter muss der Gerechtigkeit zugeführt werden! Das aber gestaltet sich schwierig; zwar schießt sich Antje Servatius Team, vor allem aber sie selbst, bald auf die Witwe des Opfers als Täterin ein, aber der Verdacht gegen sie kann nicht lange aufrecht erhalten werden. Über viele Seiten sieht es so aus, als würde er einer der Cold Cases werden, bis es den Ermittlern gelingt, Verbindungen herzustellen zu einem weiteren Mordopfer, dem ehemals vielversprechenden Literaturwissenschaftler Markus Fenstermann, der seine akademische Karriere längst für ein Leben als Alkoholiker eingetauscht hat, und dem vermissten Architekten Jack Trosien. Die Suche nach letzterem führt zu einem Nebenschauplatz, auf dem einmal mehr das Problem der illegalen Zuwanderer und der Schwarzarbeit thematisiert wird – des Langen und Breiten übrigens und über längere Strecken von dem eigentlichen Fall wegführend. Nach mühevollem Kombininieren, viel realistischer Kleinarbeit und dem Verfolgen vager Spuren gelingt es Servatius und vor allem auch ihren Mitarbeitern, dem Täter und seinem weit in der Vergangenheit liegenden Mordmotiv auf die Spur zu kommen, genauso, wie es in einem Krimi zu sein hat.
Überraschende Lösung? Nein, wie ich meine, denn nach etwa der Hälfte der Lektüre hatte ich eine Ahnung, worauf die Geschichte hinauslaufen würde. Das ist freilich kein Kriterium für die Gesamtbewertung eines Kriminalromans – wenn ich ansonsten durchgängig gefesselt bin von einer spannenden Handlung und einprägsamen, gut charakterisierten Haupt- und Nebenpersonen, ob sympathisch oder weniger einnehmend. Im Laufe der Lektüre ließ mein Interesse leider immer mehr nach. Roman und Handlung schienen auf der Stelle zu verharren, wollten sich einfach nicht fortbewegen. Ermittelt wird in zu viele falsche Richtungen und von dem Hauptfall, den beiden Morden, wird immer wieder abgeschweift – und dann zu lange verweilt - , entweder ins Privatleben der Kommissarin oder, wie schon erwähnt, zu dem Nebenschauplatz, wohin die Nachforschungen über den Verbleib des vermissten Architekten geführt hatten und die den Roman eher unruhig machen, als ihm ein Spannungselement beizufügen.
Darüber hinaus blieben bis zum Ende die meisten der handelnden Personen farblos, beinahe unscharf und gerade von derjenigen, die hier im Mittelpunkt stehen sollte, der Kriminalhauptkommissarin nämlich, konnte ich mir zu keiner Zeit ein klares Bild machen, obwohl der Leser durchaus einiges, wenngleich nicht näher Erläutertes, über sie erfährt: nach einer wilden Jugend (wieso die so wild war und was genau darunter zu verstehen ist, wurde mir nicht klar) hat sie sich nach der Geburt ihrer Tochter Kira, die durch Infantile Zerebralparese körperbehindert ist, aber gewandelt und ihre Karriere bei der Polizei vorangetrieben. Sie ist alleinerziehend, hat außer ihrer Freundin Dunja keine nennenswerten Sozialkontakte und versucht, sowohl ihrem Job als auch ihrer Tochter, die in der Pubertät steckt und aufgrund ihrer Behinderung ihre Probleme mit Schule und einigen Mitschülern hat, gerecht zu werden, wobei man den Eindruck bekommt, dass sie ihre Arbeit besser macht als sie ihre Mutterrolle ausfüllt. In dieser findet sie oft nicht das rechte Maß zwischen Überbehütungs- und Kontrolltendenzen einerseits und beruflichen Prioritäten andererseits. Das wiederum ist realistisch, ist es doch das Los so vieler Alleinerziehender. Realistisch ist es auch, dass zwar der Täter am Ende überführt wird, dass aber die Probleme der Tochter und die zwischen Mutter und Tochter am Schluss des Romans noch genauso bestehen, wie an dessen Anfang.
Alles nachvollziehbar also. Dennoch will es mir nicht gelingen, die spröde Kommissarin wirklich kennenzulernen. Sie kommt mir als Leser nicht nahe, bleibt gesichts- und konturenlos, obwohl man so häufig und so lange bei ihr verweilen kann. Die Autoren lassen nicht hinter Antje Servatius Gesicht blicken, erzeugen dadurch aber auch keine Neugier auf sie, den Wunsch, mehr von ihr zu erfahren. Die Hauptfigur in einer Krimireihe? Nun, die wäre eher ihr Kollege Rudi Seidel, denn der ist ein Charakter aus Fleisch und Blut, ist so gezeichnet, dass es nicht schwerfällt, ihn vor sich zu sehen, ihn zu verstehen, gar zu mögen und dadurch an seiner Person Anteil zu nehmen. Wenn der Kriminalhauptkommissarin ein besonderer Riecher, gar Intelligenz zugesprochen wird, eine ausgeprägte Fähigkeit in ihrem Job, so trifft das in mindestens dem gleichen Maße auf Seidel zu – warum also macht man nicht ihn zur Hauptfigur? Aber nun, es bleibt abzuwarten, wie die Autoren gedenken, mit Antje Servatius weiter zu verfahren, wie sie sie zu entwickeln planen und dem Leser näher bringen wollen!

Veröffentlicht am 18.07.2021

Rettung des Tumbawunda-Tals

Das Bee-Team
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In Feld und Wald zieht der Frühling ein – auch im fiktiven Tumbawunda-Tal, einst, so hat man während des Lesens der Geschichte den Eindruck, ein Naturparadies, in dem es blühte und duftete, zwitscherte ...

In Feld und Wald zieht der Frühling ein – auch im fiktiven Tumbawunda-Tal, einst, so hat man während des Lesens der Geschichte den Eindruck, ein Naturparadies, in dem es blühte und duftete, zwitscherte und summte. Ein früher Frühling allerdings, mit viel zu hohen Temperaturen für diese Zeit des Jahres und viel zu trocken – ein Phänomen, das nicht neu ist, das man auch in den Jahren zuvor bereits hatte beobachten und sich deshalb Sorgen machen können. Hätte! Klar, eine Gruppe unentwegter, nimmermüder Mahner hat längst gewarnt, dass die Menschen so, wie sie es schon seit Jahrzehnten tun, einfach nicht weitermachen können, ohne dass sie die Natur mit allem, was darin wächst, was da kreucht und fleucht mit ihrer rücksichtslosen Ausbeutung der Erde und dem sorglosen Umgang mit ihren Ressourcen zerstören – und damit langsam aber sicher ihren eigenen Lebensraum! Und alles des schnöden Mammons wegen. So dumm sind die Menschen! Und was sie mit ihrem Drang nach einem vermeintlichen Fortschritt durch etwa die Rodung der Wälder, die Bebauung auch der letzten Grünflächen, der „optimalen“ Nutzung der Felder und dem Produzieren immer mehr Mülls und dessen mangelhafter Entsorgung anrichten, kann nicht ohne Folgen bleiben!
Und hier lässt der Autor Alexander Ruth seine Geschichte beginnen: als nämlich die Wildbienen an der großen Linde im Tumbawunda-Tal vom Winterschlaf aufwachen, sehen sie sich einer Katastrophe gegenüber! Der größte Teil ihres Volkes ist verhungert und verdurstet – und wie ihnen geht es den übrigen Tieren, Insekten wie Säugetieren und allen anderen Mitgliedern der großen Tierfamilie, die so perfekt das Ökosystem im Gleichgewicht halten. Würde man sie denn lassen! Nun ist guter Rat teuer und es kann eigentlich nur noch ein Wunder helfen. Dieses Wunder geschieht tatsächlich und verantwortlich dafür sind die beiden naturlieben Försterkinder Oskar und Romy, die eines viel zu warmen Frühlingsmorgens schmerzlich das Fehlen der Insekten bemerken. Und was tun Kinder in einer solchen, sie zutiefst beunruhigenden Situation? Sie beten!
Oskar, ein wackerer Ninja-Krieger, und seine Schwester Romy, ganz in der Eisprinzessinnen- und Einhornwelt lebend, rufen das Bee-Team an – wer immer das auch ist, denn sie haben es, so bekommen die kleinen und großen Leser den Eindruck, einfach erfunden! Oder etwa doch nicht? Jedenfalls geschieht, kaum haben sie ihre Beschwörung ausgesprochen, Seltsames: ein bunter Lichtstrahl kommt aus den Tiefen des Alls auf die geschundene Erde, seine Magie entfaltet sich und es beginnt ein gar wundersames Abenteuer, in dem Oskar und Romy gemeinsam mit ihren Freunden von dem echten (?) Bee-Team, vier tapferen und erfindungsreichen Schmetterlingen, dazu erkoren werden, das sterbende Tumbawunda-Tal zu retten und durch spektakuläre Aktionen und nicht nur einem Hauch von Magie auch die unbelehrbarsten Umweltfeinde und -zerstörer zum Umdenken zu bewegen.
Es geht turbulent zu in diesem Roman, bei dem ich mich nicht entscheiden kann, ob ich ihn tatsächlich ins Fantasy Genre einordnen soll. Viel eher tendiere ich dazu, in ihm ein Märchen zu sehen, eines mit erschreckend realem Hintergrund. Der Autor erschafft keine neuen Welten, er belässt seine Geschichte stattdessen in der wirklichen Welt, in der, die wir kennen und um dessen Rettung es ihm geht. Dafür personifiziert er die zweite Protagonistengruppe der Geschichte, die Tiere, gibt ihnen Sprache und Ratio, lässt sie den Aufstand proben, sich endlich, so mag sich mancher Leser denken, wehren gegen das, was ihnen der Mensch seit Anbeginn der Menschheit antut. Eine Art Parabel also? Eine Geschichte, die zum Nachdenken anregt und Lehren erteilt? Gewiss – und dies trotz all des Trubels, den der Autor heraufbeschwört, der teilweise aberwitzigen und slapstickhaften Handlung, die sich immer wieder überschlägt und bei der man aufpassen muss, dass man nicht den Faden verliert, denn Alexander Ruth lässt es an allen Ecken und Enden brodeln und krachen und hier und dort regelrechte Vulkane ausbrechen.
An dieser Stelle muss ich kritisch anmerken, dass mir die rasende Abfolge der viel zu zahlreichen Ereignisse doch ein wenig den Atem genommen hat. Es geschieht einfach zu viel und das verbaut die Sicht auf das, worum es eigentlich geht, auf die Botschaft, die, davon gehe ich aus, der Autor dem Leser vermitteln möchte. Die Geschichte ist zu unruhig – so unruhig wie der Stil, in dem sie verfasst ist, die eigenwillige Diktion und Syntax, derer er sich bedient. Nicht leicht lesbar für die Zielgruppe – zumal wenn das Schriftbild, bei dem Absätze fast gänzlich fehlen, unglücklicherweise so einförmig ist, dass ein kontinuierlich-flüssiges Lesen kaum möglich ist. Das wiederum auf besagte Zielgruppe bezogen, die 8 bis 10jährigen, denen vielleicht gelegentliche Illustrationen gut gefallen hätten – und ein Buch wie dieses, mit einem so bezaubernden, die Sinne anregenden Cover, bietet sich nicht nur dazu an, genauso bezaubernd illustriert zu werden, sondern man erwartet es auch!
Summa Summarum: „Das Bee-Team“ ist fraglos ein wichtiges Buch, beschäftigt es sich doch mit einem nicht erst durch „Friday for future“ in den Vordergrund gerückten, dringlichen Thema, das transportiert wird von sehr liebenswerten, ansprechenden und überzeugenden Protagonisten, den Kindern und den Tieren nämlich. Doch wird eine Mahnung nicht eindringlicher, wenn man sie immer und immer wieder den Menschen mit erhobenem Zeigefinger einbläut. Im Gegenteil! Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass weniger in dieser Geschichte mehr und ganz sicher nachhaltiger gewesen wäre.