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Veröffentlicht am 20.07.2021

Das Böse in Jedem

Böse Seele: Thriller
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Ein Mann wird auf brutalste Weise ermordet und verblutet auf einem Feld vor Berlin. Das Ermittlerteam rund um Martyn Becker und Milla Rostow übernimmt den Fall mit den gewohnt unkonventionellen Methoden, ...

Ein Mann wird auf brutalste Weise ermordet und verblutet auf einem Feld vor Berlin. Das Ermittlerteam rund um Martyn Becker und Milla Rostow übernimmt den Fall mit den gewohnt unkonventionellen Methoden, die bereits des Öfteren ihren Vorgesetzen gegen sie aufgebracht hat. Doch Martyn hütet ein Geheimnis, von dem nur Milla weiß: Sein leiblicher Vater ist ein verurteilter Serienmörder, der ihm aus dem Gefängnis heraus bereits des Öfteren hilfreiche Tipps zur Lösung seiner Fälle gegeben hat. Auch diesmal scheint er eine dunkle Vorahnung zu haben - eine Vorahnung, die Martyn persönlich in den Fall involviert.
„Böse Seele“ von Ariana Lambert macht durch das auffällige Cover einer in rot gekleideten Frau auf einer Brücke Richtung Berlin auf sich aufmerksam. Die Farbgebung ist sehr geschickt gewählt, so dass das Cover bedrohlich und faszinierend zugleich wirkt. Die einzelnen Kapitel sind nicht zu lang und aus verschiedenen Perspektiven beschrieben, so dass es sich zugig lesen lässt. Der Erzählstil könnte für meinen Geschmack etwas flüssiger sein und auch sind mir teilweise Schreibfehler und fehlende Satzelemente aufgefallen, aber inhaltlich wurden Gefühle und Gedanken gut beschrieben, was für mich persönlich wichtiger ist.
Das Buch startet direkt im Geschehen mit einem blutigen Prolog, der sofort Fragen aufwirft – ein krasser Einstieg, der nichts für schwache Nerven ist. Die Story schreitet schnell voran und wird zunehmend verwirrender. Es werden immer mehr Fragen aufgeworfen, zu denen der Leser nur häppchenweise Informationen erhält. Die Vergangenheit beider Ermittler sowie ihr Privatleben nehmen einen großen Platz ein und weben sich immer stärker in das Netz der Handlung ein. Das Ende war dann etwas vorhersehbar, hatte aber dennoch überraschende Momente. Auf jeden Fall war es absolut schlüssig und hat einen schönen Bogen zum Prolog geschaffen, ohne dass dieser noch einmal gesondert hätte erklärt werden müssen. An manchen Stellen hätte ich mir etwas mehr Tiefgang und detailliertere Hintergrundinformationen gewünscht, auch sind einige Fragen offen geblieben. Für meinen Geschmack waren auch ein paar eingebaute Cliffhanger etwas übertrieben und wirkten konstruiert. Das Potenzial eines Serienkillers als Vater hätte ich mir noch verstärkter ausgebaut gewünscht.
„Böse Seele“ ist ein spannender Thriller voller Blut und recht vielen Leichen auf wenigen Seiten, das durch ein interessantes Ermittlerduo besticht. Das Buch hat mir schöne Lesestunden beschert, wird aber leider dennoch kein Buch sein, dass lange in Erinnerung bleibt.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 25.05.2021

Actionreiche Jagd einer (zu?) taffen Protagonistin

Tote ohne Namen
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In San Diego werden zwei Mädchen tot aufgefunden, beide weisen dieselbe Art von Wunden auf und beide scheinen mexikanischen Ursprungs zu sein, doch niemand kennt ihre Identität. Dem Police Department ...

In San Diego werden zwei Mädchen tot aufgefunden, beide weisen dieselbe Art von Wunden auf und beide scheinen mexikanischen Ursprungs zu sein, doch niemand kennt ihre Identität. Dem Police Department liegt keine Vermisstenanzeige vor und die Toten trugen keine Dokumente bei sich – dafür hatte eines der Mädchen einen Zettel in ihrer Faust, auf dem ein Name steht: Alice Vega. Die taffe Privatermittlerin gilt als Spezialistin für Vermisstenfälle und wird deshalb gemeinsam mit ihrem Partner Max Caplan von der Polizei als externe Ermittler hinzugerufen. Doch auch das DEA, die Drogenbehörde, hat Interesse an dem Fall und möchte Vega von dem Fall abziehen. Doch Vega und Max ermitteln auf eigene Faust weiter und finden sich plötzlich in einem gefährlichen Netz aus Zwangsprostitution, Menschenhandel und verfeindeten mexikanischen Kartellen wieder…
„Tote ohne Namen“ von Louisa Luna ist der zweite Band ihrer Reihe rund um die schlagkräftige Protagonistin Alice Vega. Beim Lesen wird immer wieder deutlich, dass es bereits eine Hintergrundgeschichte gibt und einige wenige Stellen sind ohne deren Kenntnis nicht zu verstehen. Für den aktuellen Fall sind diese jedoch auch nicht relevant und als Quereinsteiger versteht man die Zusammenhänge trotzdem. Etwas merkwürdig finde ich allerdings, dass der erste Band bisher gar nicht auf Deutsch erschienen ist, sondern nur im englischen Original zu beziehen ist – das nimmt dem Leser die Chance, die Protagonisten von Beginn an kennenzulernen. Schade.
Gut gefallen hat mir das Cover, welches vor allem durch seine tolle Farbkombination besticht. Die abnehmende Schriftgröße von Autorenname bis Titel suggeriert eine optische Weite, als würde man die abgebildete Straße entlang laufen. Das Foto selbst wirkt typisch westamerikanisch, etwas trostlos und im Nirgendwo. Trotz seiner Schlichtheit wirkt das Cover sehr atmosphärisch und auch etwas bedrohlich auf mich – super für einen Thriller! Zudem fühlt sich das Buch haptisch interessant an, da die Prägung der Schrift etwas von Schmirgelpapier hat.
Die im Cover angedeutete Atmosphäre zieht sich auch durch das gesamte Buch durch, es ist durchweg spannend und düster und zeigt unverstellt die Schattenseiten des Lebens. Passend dazu ist Louisa Lunas treibender Schreibstil, der sich flüssig und aufregend lesen lässt. Grausame Szenen werden nicht in aller Ausführlichkeit behandelt, was ich als angenehm empfinde – und an diesen mangelt es dem Buch nicht.
Es geht direkt mitten im Geschehen los, wir lernen ein Mädchen und ihren traurigen Alltag als Zwangsprostituierte kennen. Die Trostlosigkeit und Verzweiflung macht mich direkt betroffen und lässt mich mit dem Mädchen mitfühlen. Im weiteren Verlauf wird der Fokus eher auf Vega und Cap gelenkt, wir lernen beide als Personen sowie im gemeinsamen beruflichen Umfeld kennen. Sie werden in den Fall einbezogen und beginnen zu ermitteln. Dieser Mittelteil hat sich leider in Teilen etwas gezogen, aber nach und nach erhalten die beiden – wenn auch des Öfteren auf fragwürdige und unkonventionelle Art und Weise – neue Kenntnisse und immer mehr Puzzlestücke fügen sich zusammen. Als Leser kann man gut mitraten, in welche Richtung sich der Fall entwickeln wird und wird trotzdem von unvorhersehbaren Ereignissen überrascht. An manchen Stellen haben mir Hintergrundinformationen gefehlt, um die Zusammenhänge vollständig durchdringen zu können, wie beispielsweise im Fall der mexikanischen Kartelle. Dafür hat mich Alice Vega durch ihren platten Aktionismus einige Male gestört, ich hätte mir mehr Erklärungen und raffiniert-durchdachte Vorgehensweisen anstatt brutaler Gewaltszenen gewünscht. Die Auflösung des Falles war dennoch stimmig, aber etwas schnell „abgehakt“.
Mit Alice Vega und Max Caplan haben wir es mit zwei Protagonisten zu tun, bei denen die typischen Geschlechterrollen ausgetauscht wurden: Wo Max häufig angreifbar und emotional wirkt ist Alice durch und durch die taffe Powerfrau. Ich war hin und hergerissen, was ich von ihr halten soll: Einerseits mag ich ihre ausgeprägte Beobachtungs- und clevere Kombinationsgabe. Ab und an lässt sie eine menschliche Seite durchblicken, aber meist reagiert sie überstürzt und sehr aggressiv. Auch mochte ich es nicht, dass sie nicht nur sich, sondern auch Max einige Male unnötig in Lebensgefahr bringt. So richtig schlau bin ich leider aus ihr nicht geworden, ich fand sie an vielen Stellen überzeichnet und deshalb unglaubwürdig und unsympathisch. Auch die Beziehung untereinander bleibt unklar, da wir nichts über die Hintergründe und Vergangenheit ihrer Zusammenarbeit erfahren.
Insgesamt haben mir die Story und der spannungsgeladene Schreibstil gut gefallen, Alice Vega als Protagonistin war mir aber zu aggressiv und gewalttätig.

  • Einzelne Kategorien
  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 16.05.2021

Vom traurigen Leben und Sterben dementer Menschen auf der Straße

Tödliches Vergessen
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Ein Spaziergänger in der Berliner Hasenheide macht eine grausige Entdeckung: Unter einem blauen Regenschirm verborgen liegt eine tote Obdachlose, in ihrer Hand steht ein Psalm geschrieben. Hauptkommissar ...

Ein Spaziergänger in der Berliner Hasenheide macht eine grausige Entdeckung: Unter einem blauen Regenschirm verborgen liegt eine tote Obdachlose, in ihrer Hand steht ein Psalm geschrieben. Hauptkommissar Breschnow, frisch aus dem Alkoholentzug entlassen und noch auf dem Weg mit der neuen Situation klarzukommen, nimmt sich des Falles an. Doch bevor die Ermittlungen in Gang kommen wird ein weiterer toter Obdachloser gefunden, ebenfalls mit einem blauen Regenschirm. In welchem Zusammenhang stehen die beiden Toten? Und handelt es sich um einen Serienmörder? Breschnow taucht tief ein in die Welt der Berliner Obdachlosen und muss mit Erschrecken feststellen, dass eine sowieso schon grausame Krankheit wie Demenz auch vor den Ärmsten der Gesellschaft nicht Halt macht – mit dramatischen Folgen.
Bereits das Cover des Buches sticht direkt ins Auge: Der passend zum Titel blau-türkisene Schirm fällt auf dem schwarz-weiß gehaltenen Hintergrund sehr auf und stellt einen Eyecatcher dar. Insgesamt ist das Cover eher minimalistisch, aber durch die Hervorhebung des Schirmes wird sofort klar, dass er eine wichtige Bedeutung im Buch haben wird. Dass er defekt ist lässt ebenfalls darauf schließen, dass etwas Schlimmes geschehen ist – ein passendes Cover also für ein spannungsgeladenes Buch.
„Tödliches Vergessen“ ist der 4. Fall für Hauptkommissar Stefan Breschnow, wurde aber nicht als Teil einer Reihe angekündigt. Ich war somit zunächst einmal etwas verwirrt und hatte das Gefühl, wichtige Hintergrundinformationen zu Breschnows Vergangenheit überlesen zu haben. An manchen Stellen hätte ich mir etwas mehr Aufklärung gewünscht, aber insgesamt war der Fall dann doch abgeschlossen und auch ohne Kenntnis der ersten drei Teile gut verständlich.
Der Einstieg ins Buch beginnt spannend aus Sicht des ersten Mordopfers. Sofort wird der blaue Regenschirm als Symbol für das Unglück eingeführt. Gleich danach geht es gemächlicher weiter, der Leser lernt Hauptkommissar Breschnow in seinem aktuellen Zustand nach dem Alkoholentzug kennen. Sein erster Arbeitstag steht bevor und er weiß noch nicht wirklich mit der neuen Situation umzugehen. Dieser persönliche Kampf ums Trockenbleiben wird an vielen Stellen des Buches auf authentische Art und Weise eingebaut und zeigt die innere Zerrissenheit, denen sich ehemalige Süchtige stellen müssen. Auch weitere Beteiligte werden in den ersten Kapiteln langsam eingeführt und das Setting in der Berliner Obdachlosenszene beschrieben. Die Geschichte nimmt mit dem zweiten Todesfall an Dynamik zu und zieht mich immer tiefer in ihren Bann, das Motiv hinter den Morden und der tatsächliche Täter bleiben bis zum Schluss rätselhaft und überraschen mich in ihrer Auflösung. Des Weiteren rückt immer deutlicher das Krankheitsbild der Demenz in den Mittelpunkt des Geschehens und berührt mich emotional sehr. Es werden zahlreiche tragische Einzelschicksale beschrieben, die es tatsächlich so geben könnte und mich nachdenken lassen. Das Buch ist so authentisch beschrieben, dass man sich vorstellen kann, dass jeder in unserer Gesellschaft in eine derartige traurige Situation kommen kann – es zeigt somit die bittere Realität auf ungeschönte Art und Weise.
Auch wenn ich die im Buch geschilderten Themen als sehr wichtig empfunden habe kam bei mir nicht die große Spannung eines Thrillers oder Krimis auf, es wirkte eher wie ein gut recherchierter Tatsachen- oder Hintergrundbericht über die Berliner Obdachlosenszene. Diese empfand ich als sehr informativ und bedanke mich für diese schockierenden, aber wichtigen Einblicke. Inhaltlich gab es für meinen Geschmack etwas zu viele Zufälle, besonders hinsichtlich der früheren Verbindungen der Beteiligten und deren Zusammentreffen in ein und derselben Einrichtung. Auch ist für mich am Ende ein Tod unerklärt geblieben.
Insgesamt hat mir das Buch aber dennoch sehr gut gefallen, die Einblicke sowohl in die Welt der Obdachlosigkeit, als auch die der Demenz waren authentisch und nachvollziehbar geschildert. Und die Kombination aus beidem hat mich ehrlich betroffen gemacht und zum Nachdenken angeregt. Diese Menschen tun mir unendlich leid. Insofern ist es umso wichtiger, dass auch ihnen mal ein Buch gewidmet wird - ein ungewöhnliches, wie wichtiges Thema, das in "Tödliches Vergessen" eindrücklich geschildert wird.

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  • Cover
  • Erzählstil
  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.02.2021

Im Rhythmus der Gezeiten

Die vier Gezeiten
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Adda Kießlings Familie gehört zur kleinen Nordseeinsel Juist wie die Gezeiten – bereits ihre Mutter Johanne ist auf der Insel aufgewachsen und das Familienhotel „De Tiden“ ist das größte und schönste der ...

Adda Kießlings Familie gehört zur kleinen Nordseeinsel Juist wie die Gezeiten – bereits ihre Mutter Johanne ist auf der Insel aufgewachsen und das Familienhotel „De Tiden“ ist das größte und schönste der Insel. Addas Mann Eduard soll nun das Bundesverdienstkreuz aufgrund seiner Bemühungen für den Schutz des Nationalparks Wattenmeer verliehen bekommen und das setzt den Patriarch mächtig unter Druck. Mitten in die Generalprobe dieses wichtigen Ereignisses platzt eine junge Frau, die Adda wie aus dem Gesicht geschnitten ist: Helen kommt aus Neuseeland und behauptet, mit den Kießlings verwandt zu sein. Als Beweis legt sie ein Foto vor, dass Adda zeigt und behauptet, dies wäre das einzige, was ihre Adoptiveltern von ihrer leiblichen Familie wüssten. Die Familie ist schockiert, weder Adda noch eine ihrer Töchter kann sich Helens Existenz erklären. Doch Adda möchte Helen helfen und beginnt mit ihr gemeinsam in der Vergangenheit zu forschen. Dass dabei längst vergessene Familiengeheimnisse ans Licht kommen, die alles bisher geglaubte verändern, kann Adda zu diesem Zeitpunkt noch nicht ahnen.

Das Cover zu „Die vier Gezeiten“ finde ich wunderschön! In seiner scheinbaren Schlichtheit wirkt es aufgrund der Farben und des rätselhaften Motives der jungen Frau vollbekleidet im Wasser sofort rätselhaft und interessant - ein Buchcover, das direkt neugierig macht! Auch der Titel lädt zum Spekulieren ein, er verweist bereits auf Ebbe und Flut im Wattenmeer und führt den Leser somit direkt ins Setting ein. Warum von vier Gezeiten gesprochen wird erscheint zunächst mysteriös, klärt sich aber im Laufe des Romans auf stimmige Art und Weise auf.

Das Buch startet bereits rätselhaft mit einem Tagebucheintrag, der direkt auf das Motiv des Covers verweist und bereits Trauriges erahnen lässt. Anschließend macht die Handlung macht einen Sprung in die Gegenwart und wir lernen Protagonistin Adda und ihre Familie kennen. Aufgrund des erzählenden Schreibstils der Autorin können die Personen gut voneinander unterschieden werden, auch wenn der Großteil gleichzeitig eingeführt wird. Insgesamt ist das Buch sehr vielfältig geschrieben, sei es durch häufige Wechsel zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Rückblenden und den Tagebucheinträgen. Nach dem originellen Eintrag zu Beginn des Buches war ich überrascht, diese Erzählform ca. zur Hälfte plötzlich wieder zu finden, wobei es sich dann aber nur noch um Erzählungen aus Wandas Vergangenheit handelt, welche teilweise lediglich aus trivialen Alltagsbeschreibungen einer Jugendlichen bestanden. Auch wechselt die Zeitform von Präteritum in Präsenz, wenn es um Addas Vergangenheit geht, was ich leider nicht richtig verstanden und eher als irritierend empfunden habe. Sowieso springt die Handlung ständig zwischen verschiedenen Zeiten und Personen hin und her, was vom Leser eine erhöhte Aufmerksamkeit fordert. Der häufige Wechsel macht es ihm teilweise schwer, das Geschehen einzuordnen und zu verstehen. Anstrengend waren die vielen Wiederholungen und Introspektionen der Figuren sowie viele Allgemeinplätze. Das hat dazu geführt, dass mir das Erzähltempo zu langsam wurde, sich das Buch an manchen Stellen gezogen hat und somit etwas langatmig wurde. Lediglich im letzten Viertel überschlagen sich die Ereignisse regelrecht und gefühlt werden alle Geheimnisse auf einmal aufgeklärt, was dann auf den wenigen Seiten wieder überfrachtet gewirkt hat. Eine ausgewogenere Verteilung der Geschehnisse wäre hier angenehmer gewesen.

Schön hingegen war der plattdeutsche Dialekt, der in manche Dialoge eingebunden wurde und sehr passend zum norddeutschen Flair passte. Sowieso haben mir das Lokalkolorit und die anschaulichen Beschreibungen der Insel Juist sowie der Wattenmeerregion wahnsinnig gut gefallen. Anne Prettin hat sowohl geschichtliche Informationen der Insel und des Naturparks geschickt eingebaut, als auch das nordische Flair rund um Land und Leute so gut eingefangen, dass der Leser regelrecht den Schlick zwischen den Füßen und den Wind im Haar spüren konnte. Insgesamt ist die Insel Juist ein tolles Setting und versetzt mich direkt in Urlaubsstimmung.

Inhaltlich war die Geschichte rund um die Frauen der Familie Kießling zunächst interessant und die vielen Familiengeheimnisse haben mich zum Rätseln eingeladen. Die Beziehungen der Personen zueinander sind verworren, egal ob in der Vergangenheit oder Gegenwart. Nach und nach kommen immer mehr dunkle Geheimnisse ans Licht, die häufig auch einfach hausgemacht sind und durch weniger Lügen und mehr Kommunikation vermeidbar gewesen wären. Menschlich ist vieles nicht nachvollziehbar. Schnell wird die Geschichte aufgrund der Vielzahl an Schicksalen überladen – schade, weniger Handlungsstränge wären hier angenehmer gewesen. Ich fühlte mich vor Familiengeheimnissen regelrecht überschüttet und fand es schade, dass Helen als Auslöser irgendwann fast in Vergessenheit geriet. Auch sind einige Entwicklungen etwas zu vorhersehbar und entsprechen sehr den gängigen Klischees. Es gibt viel Drama um die immer gleichen Themen, jede Generation wird mit derselben (unwahrscheinlichen) Situation konfrontiert. Gerade das Thema der ungewollten Schwangerschaft kommt mir sehr konstruiert vor. Insgesamt kommt es mir so vor, als ob das Buch einfach viel zu viel will: Familiengeheimnisse und tragische Figuren in jeder Generation, Lügen und Verheimlichungen, unglückliche Liebe und dann noch zahlreiche übergeordnete Themen wie Umweltschutz, Lokalpolitik, Judenverfolgung und Alltag zur NS-Zeit… das war mir alles etwas zu viel.

Auch konnten mich die Protagonisten des Buches nicht wirklich überzeugen. Ich konnte ihre Denk-und Handlungsweisen nicht nachvollziehen und wirklich sympathisch war mir auch niemand. Adda ist an sich der Ruhepol, der die Familie zusammenhalten möchte. Dabei bleibt sie aber sehr passiv was ihre persönlichen Wünsche angeht und handelt häufig sehr widersprüchlich. Sie teilt ihr Schicksal mit ihrer Mutter Johanne, die in ihren Rückerinnerungen eine nette junge Frau ist, aber unbegründet in ihrer weiteren Entwicklung zu einer harten, kalten, egoistischen Person wird. Vermutlich meint sie es nur gut, aber ihre Motive sind nicht nachvollziehbar. Ihrem Sohn und der Enkelin gegenüber ist sie sehr liebevoll, Adda behandelt sie streng und unnahbar. Das lässt die Figur für mich sehr unstimmig und wenig authentisch wirken. Auch die drei Töchter sind sehr klischeehaft gezeichnet und bleiben insgesamt sehr blass am Rande der Geschichte. Patriarch Eduard ist ebenfalls wie Familie Heinsen ein lebendes Klischee. Lediglich für die eher kurz erwähnten Nebenfiguren wie Okke, Onno und Helen konnte ich Sympathie entwickeln.

Insgesamt habe ich das Buch gerne gelesen und es trotz oben genannter Kritikpunkte als unterhaltsam empfunden. Allerdings gab es schon sehr viele Zufälle und widersprüchliche Charaktere, die es unglaubwürdig gemacht haben.

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Veröffentlicht am 10.02.2021

Commissario Grauner legt sich mit der Mafia an

Das dunkle Dorf
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Mitten in der Ski-Saison wird Commissario Grauner zu einem rätselhaften Mordfall gerufen: Ein im Grödnertal bekannter Dorfpolizist wird ermordet in einem Hotelzimmer aufgefunden. Während sein neapolitanischer ...

Mitten in der Ski-Saison wird Commissario Grauner zu einem rätselhaften Mordfall gerufen: Ein im Grödnertal bekannter Dorfpolizist wird ermordet in einem Hotelzimmer aufgefunden. Während sein neapolitanischer Kollege Saltapepe inkognito als Gast im Hotel eincheckt und sogar Skifahren lernen möchte, stolpert er regelrecht über seine Vergangenheit – besser gesagt über die Tochter seines Erzfeindes, einem Mafiaboss, den er vor einigen Jahren ins Gefängnis gebracht hat. Die Ermittler glauben nicht an einen Zufall, auch wenn die Anwesenheit der Mafia nicht ins beschauliche Südtirol passt. Doch bevor sich Grauner die Zusammenhänge erschließen nimmt der Fall eine neue Brisanz an, denn plötzlich sind Grauners Frau und seine Tochter verschwunden…

„Das dunkle Dorf“ vom Südtiroler Autor Lenz Koppelstätter ist der sechste Fall der Krimi-Reihe rund um Commissario Grauner. Auch ohne Kenntnis der Vorgängerbände werden die Zusammenhänge schnell verständlich, der Band lässt sich ohne Probleme auch als „Zwischeneinsteiger“ lesen. Ich hatte zu Beginn kurz Schwierigkeiten mit den vielen unbekannten Personen, da diese aber sehr individuell geschildert und Zusammenhänge erläutert werden hat sich das schnell gelegt. Irritierend fand ich lediglich, dass diese größtenteils nur mit Nachnamen beschrieben werden, was sie für mich unpersönlicher hat wirken lassen.

Das Cover gefällt mir sehr gut, es ist sehr atmosphärisch gestaltet und versetzt den Leser direkt in die richtige Stimmung für einen Südtirol-Krimi. Es zeigt zwar eine winterliche Idylle, durch die dunklen, eindrucksvollen Berge, die aufziehenden Wolken und vor allem die einsamen Fußspuren am unteren Ende wirkt es dennoch bedrohlich und macht neugierig, wer hier alleine in der verschneiten Landschaft unterwegs ist. Gut gefallen haben mir auch die geographischen Karten im Buch, auch wenn ich während des Lesens teilweise etwas enttäuscht war, dass diese leider nur wenig genutzt werden können, da einige erwähnte Orte nicht darauf abgebildet sind.

Zunächst habe ich den Schreibstil als etwas holprig empfunden und ich habe etwas gebraucht, bis ich Zugang zur Geschichte finden konnte. Die Perspektiven zwischen unterschiedlichen Personen wechseln häufig und es dauerte immer etwas, bis ich verstanden habe aus wessen Sicht und zu welcher Zeit gerade erzählt wurde. Das hat zunächst etwas Konzentration erfordert, als ich mich aber daran gewohnt hatte war das Buch flüssiger und stellenweise aufgrund von Situationskomik sehr humorvoll zu lesen. Gut gefallen hat mir auch, dass die Kapitel eine angenehme Länge haben.

Der Einstieg in das Buch hat mir unheimlich gut gefallen: Es startet recht allgemeingültig mit Bemerkungen über die Nachbar- und Gemeinschaft in einem kleinen Dorf mit all seinen Vor- und Nachteilen. Dann werden langsam verschiedene Handlungsstränge aufgebaut, die auf den ersten Blick kaum etwas miteinander gemein haben, so dass man als Leser zum miträtseln aufgefordert ist. Insgesamt ist der eigentliche Fall um den toten Dorfpolizisten aufgrund der vielen anderen Handlungsstränge leider etwas in den Hintergrund gerückt, so dass ich ihn zwischendurch fast vergessen hätte. Diese waren zwar interessant, entwickeln sich aber eher gemächlich – was gut zur Person Grauner und dem verschneiten Südtiroler Flair passt, ich mir aber trotzdem etwas mehr Spannung gewünscht hätte. Am Ende war es mir dann fast etwas zu viel an Ungeheuerlichkeiten und Verbrechen im kleinen beschaulichen Wolkenstein. Das Ende war zwar aufregender, aber ein großer Showdown blieb aus. Trotzdem haben sich alle Handlungsstränge logisch und sinnvoll verknüpft und auch die eine oder andere Überraschung war dabei. Richtig geärgert habe ich mich über den fiesen Cliffhanger im Epilog, da er die für mich eigentlich runde Geschichte etwas ruiniert hat. So scheint es als hätte noch schnell ein neuer Handlungsstrang eröffnet werden müssen, damit auch bloß jeder den Folgeband kauft. Schade, das hätte es nicht gebraucht.

Auch wenn es etwas länger gebraucht hat, bis mich „Das dunkle Dorf“ gepackt hat und ich mir mehr Spannung erhofft habe, hatte ich doch eine gute Lesezeit. Die südtiroler Ermittler sind allesamt Originale und mir trotz – oder wegen? – ihrer Eigenheiten ans Herz gewachsen. Auch die bildhaften Beschreibungen des Grödnertals haben mir wahnsinnig gut gefallen und richtig Lust auf einen Urlaub in den verschneiten Bergen gemacht.

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