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Veröffentlicht am 28.07.2021

Bewegender Roman über die Schattenseiten des "American Dream"

Wie viel von diesen Hügeln ist Gold
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Die Geschwister Lucy und Sam, Kinder chinesischer Einwanderer, sind in den staubigen Hügeln Kaliforniens unterwegs – im Gepäck die verwesende Leiche ihres Vaters. Nach dem Verlust der Mutter ist nun auch ...

Die Geschwister Lucy und Sam, Kinder chinesischer Einwanderer, sind in den staubigen Hügeln Kaliforniens unterwegs – im Gepäck die verwesende Leiche ihres Vaters. Nach dem Verlust der Mutter ist nun auch er verstorben und die beiden kämpfen allein ums Überleben. Doch erst müssen sie die notwendigen zwei Silberdollar finden, um ihrem Ba ein würdiges Begräbnisritual zu ermöglichen. Diese Suche führt sie durch unwegsame Landschaften und in menschliche Abgründe – und vor allem zu den Geheimnissen ihrer Familie.

In ihrem Debütroman erzählt die Autorin C Pam Zhang die Handlung aus unterschiedlichen Perspektiven. Mal folgen wir Lucy, sehen mit ihre Augen und erleben durch sie, wie es ihr nach dem Tod ihres Vaters ergeht. Das Verhältnis zu Sam ist nicht immer einfach, denn die Geschwister haben nicht dieselben Erwartungen an das Leben und werden von unterschiedlichen Sehnsüchten angetrieben. Es finden aber auch Rückblenden in die Vergangenheit statt, als die Eltern der beiden sich kennenlernten und sogar der verstorbene Ba kommt zu Wort. Die Sprache ist dabei atmosphärisch und poetisch und fängt sowohl die Landschaft als auch die Emotionen der Charaktere ein. Interessant ist auch, dass die Kapitelüberschriften (bis auf eine Ausnahme) nur aus einem einzigen Wort bestehen, sich mehrfach wiederholen und so stets eine andere Bedeutung erhalten.

Eine konkrete zeitliche Einordnung vermeidet die Autorin bewusst, indem sie – in Tradition von Murakamis „1Q84“ die ersten beiden Ziffern der Jahreszahlen durch ein X ersetzt. Ihr Roman steht zwar klar in der Tradition des klassischen Western und spielt auf den kalifornischen Goldrausch an, bricht aber diese Anklänge auch wieder auf und formt daraus etwas Neues. „Wie viel von diesen Hügeln ist Gold“ ist eine Geschichte über die Vernichtung indigener Völker in den USA, die Kolonisierung und die Ausbeutung des Landes. Ebenso ist es aber auch eine ganz persönliche Historie über Identität, Rassismus und Armut und das Trauma einer Einwandererfamilie über verschiedene Generationen hinweg.

Fazit: Ein bewegender Roman über die Tatsache, dass der „American Dream“ nicht für jeden dieselben Chancen bereithält

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Veröffentlicht am 21.07.2021

Stimmungsvolles Kinderbuch mit wichtiger Botschaft

Greenglass House
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Es ist der erste Tag der Weihnachtsferien. Der zwölfjährige Milo hat gerade alle seine Hausaufgaben erledigt und freut sich auf einige ruhige Tage mit seinen Eltern, die in ihrem Zuhause – dem charmanten ...

Es ist der erste Tag der Weihnachtsferien. Der zwölfjährige Milo hat gerade alle seine Hausaufgaben erledigt und freut sich auf einige ruhige Tage mit seinen Eltern, die in ihrem Zuhause – dem charmanten Greenglass House – ein Gasthaus für Schmuggler betreiben. Doch dann treffen einer nach dem anderen sechs mysteriöse Gäste ein und sie alle scheinen ihre eigene Agenda zu verfolgen. Zu allem Überfluss sorgt ein Schneesturm dafür, dass niemand Greenglass House verlassen kann. Als dann auch noch zwei der Gäste bestohlen werden, macht Milo sich mit Meddy, der Tochter der Köchin, auf die Suche nach dem Täter.

„Greenglass House“ erinnerte mich von Cover und Beschreibung sofort an eine meiner liebsten Kinderbuchreihen, nämlich „Winterhaus“. Tatsächlich sind beide im Verlag Freies Geistesleben erschienen und haben zumindest die Grundstruktur gemeinsam: Zwei Kinder versuchen die Geheimnisses eines alten Hauses zu lüften. Allerdings fügt die Autorin Kate Milford in diesem Buch noch einige interessante Aspekte hinzu. Zum einen das Thema Schmuggel und die damit verbundenen alten Geschichten und auf der anderen Seite das wichtige Thema Adoption.

Milo stammt nämlich ursprünglich aus China und wurde als Baby von den Pines adoptiert. In seiner Umgebung sieht niemand so aus wie er und so stellt er sich oft vor, wer seine wirklichen Eltern sind und was sie wohl tun. Gleichzeitig hat er dabei auch Schuldgefühle, denn verrät er damit nicht die Pines, die sich liebevoll um ihn kümmern? Meiner Meinung nach ist das Thema wirklich sensibel eingebettet, ohne zu viel oder zu wenig Raum einzunehmen.

Mit ihrem detaillierten, bildhaften Schreibstil erweckt die Autorin das alte Haus und seine Bewohner zum Leben. Die Handlung ist spannend und hält für die Leser die eine oder andere überraschende Wendung parat. Vor allem die Lebensgeschichten der sechs Gäste und ihre unterschiedlichen Charaktere führen dabei immer wieder zu amüsanten, aber auch traurigen Situationen. Ein perfektes Buch, um sich damit – in eine warme Decke eingekuschelt und mit einer Tasse Kakao – in einen gemütlichen Lesesessel zurückzuziehen.

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Veröffentlicht am 14.07.2021

Toller, sommerlicher Roman

Funkensommer
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“Funkensommer” besticht als erstes durch seine wunderschöne Gestaltung. Das Coverfoto ist sehr stimmungsvoll und ist perfekt auf Titel, Inhalt und Zielgruppe des Buches abgestimmt. Besonders ins Auge fällt ...

“Funkensommer” besticht als erstes durch seine wunderschöne Gestaltung. Das Coverfoto ist sehr stimmungsvoll und ist perfekt auf Titel, Inhalt und Zielgruppe des Buches abgestimmt. Besonders ins Auge fällt der knallig gelbe Buchschnitt, der die farbenfroh-sommerliche Aufmachung noch unterstreicht. Nimmt man den Schutzumschlag ab, so kommt der petrolblaue Leineneinband zum Vorschein, dessen Verzierung im Inneren des Buches an jedem Kapitelanfang wieder aufgenommen wird. Hier hat man sich im Verlag wirklich Gedanken über die Präsentation des Buches gemacht, was mir sehr gut gefällt. Oft sind Titel und Innenleben so lieb- und einfallslos gestaltet; da ist es umso schöner, wenn ein Roman sich so von der Masse abhebt.

Der Roman wird aus Hannahs Perspektive in der Ich-Form und im Präsens erzählt. Das und eine sehr leichte, aber dennoch poetische, an die Zielgruppe angepasste Sprache geben dem Leser das Gefühl, sich mitten in der Geschichte zu befinden. Wie Hannah selbst eröffnet sich auch mir erst nach und nach das gesamte Ausmaß und die unglaubliche Tiefe der Handlung. Was wie ein locker-leichter Liebesroman für Teenies beginnt, wandelt sich im Verlauf der Handlung zu einer Geschichte über die verschiedensten Themen. So wird zum Beispiel das Leben auf einem Bauernhof geschildert, wie es wirklich ist. Hier wird keine ländliche Idylle gemalt, sondern davon erzählt, wie die Bauern im täglichen Konkurrenzkampf miteinander ihre Ernte einbringen müssen, wie abhängig sie vom Wetter und der Mithilfe ihrer Kinder sind. Und mir als Stadtkind wurde auch sehr schnell bewusst, wie Hannah sich fühlen muss. Für eine 16-Jährige muss sie schon viel Verantwortung übernehmen, denn ihr älterer Bruder Raphael kann seit einem Unfall vor einigen Monaten nicht mehr auf dem elterlichen Hof mithelfen.

Trost findet Hannah, neben der Freundschaft zu Jelly, vor allem in der aufkeimenden Liebe zu Finn. Als Sohn eines Vaters, der erwartet, dass der Sprössling einmal den elterlichen Betrieb übernimmt, kann er nachempfinden, wie sie sich fühlt. In zahlreichen Treffen an dem kleinen Waldsee nähern die beiden sich an, doch irgendwie scheint es eine Menge unerwarteter Hindernisse zu geben, die den beiden das Leben schwer machen. Da wäre zunächst Lena mit ihren blonden Engelslocken, die sich ebenfalls in Finn verliebt hat und zu allem Überfluss arbeitet Raphael, der seit seinem Unfall zu Jähzorn neigt, auch noch im Betrieb von Finns Vater und zieht die Beziehung der beiden gar nicht gern. So wird die Zuneigung der beiden immer wieder aufs Neue auf die Probe gestellt – eine Belastung, an der die Liebe zu zerbrechen droht.

Die Zeichnung der Charaktere ist Michaela Holzinger gut gelungen. Hannah war mir sofort sympathisch, ihre Trotzreaktionen gegenüber ihren Eltern und ihre Unsicherheit im Umgang mit ihrer ersten großen Liebe Finn waren für mich sehr glaubhaft dargestellt. Auch Raphael ist eine Figur, die ich gut nachvollziehen kann. Seit seinem Unfall ist er für die eigenen Eltern jemand, der Sorge und Mitleid zugleich auslöst. Er fühlt sich pausenlos kritisch beäugt; der Traum vom eigenen Bauernhof ist für ihn wie eine Seifenblase zerplatzt. Hilflos muss er zusehen, wie seine kleine Schwester Hannah nun seinem Platz einnehmen muss, obwohl sie die Arbeit auf dem Hof hasst und lieber Tierärztin als Bäuerin werden möchte.

Und dann ist da noch die Jelly, die eigentlich Jellena heißt und aus Bosnien stammt. Sie und ihre Mutter sind es, die mit ihrer Geschichte eine ungeahnte Tiefe in die Handlung bringen. Bereits im Prolog wird angedeutet, dass die beiden ein Geheimnis umgibt, das eng mit der Legende von der Moorhexe verknüpft ist. Für den Leser – wie für Hannah auch – ergibt diese eine Szene zwischen den beiden Mädchen erst am Ende des Romans einen Sinn. Es ist eine traurige Szene, mit einem ernsten Thema, die verdeutlicht, wie wichtig Familie und Freundschaft sind. Ins Detail geht die Autorin hier nicht, vermutlich auch mit dem Blick auf ihre Zielgruppe, aber dennoch bleibt man als Leser nachdenklich und heiter zugleich zurück, denn trotz aller Probleme ist “Funkensommer” eben auch die Geschichte einer zarten ersten Liebe. Ich werde die Autorin und die Neuerscheinungen des Verlags jetzt auf jeden Fall im Auge behalten.

Fazit: Ein sommerlich-leichter Jugendroman mit einem ernsten Unterton, der ein wenig an die Romane von Isabel Abedi erinnert

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Veröffentlicht am 08.07.2021

Ein ganz besonderes Buch

Der Nachtwächter
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Am 1. August 1953 verabschiedete der Kongress der USA ein Gesetz, mit welchem sämtliche Verträge mit indigenen Völkern, die mit der Formulierung „solange das Gras wächst und die Flüsse fließen“ geschlossen ...

Am 1. August 1953 verabschiedete der Kongress der USA ein Gesetz, mit welchem sämtliche Verträge mit indigenen Völkern, die mit der Formulierung „solange das Gras wächst und die Flüsse fließen“ geschlossen wurden, für nichtig erklärt wurden. Viele Stämme standen somit vor der „Terminierung“, darunter auch die Turtle Mountain Band of Chippewa. Basierend auf der realen Figur ihres Großvaters erzählt Louise Erdrich ihre Geschichte.

Wir begleiten hauptsächlich Thomas, Nachtwächter in einer Lagersteinfabrik und Patrice, genannt Pixie, seine Nichte, die in derselben Fabrik tagsüber arbeitet – beide werden ihre ganz eigene Rolle im Kampf für die Rechte ihres Stammes und damit auch ihrer Familien und Freunde spielen. Aber auch die alltäglichen Probleme der Chippewa sind Thema: Alkoholismus, Rassismuserfahrungen, Armut und Ausbeutung. So ist beispielsweise Patrices Schwester Vera verschwunden und scheint in die Fänge Krimineller geraten zu sein.

Dieser Roman ist wirklich besonders. Die Sprache ist poetisch, voller detaillierter Beschreibungen, aber auch Humor. An der Erzählweise ist zudem besonders, dass nicht nur Menschen zu Wort kommen, sondern auch Tiere und sogar der Geist eines Verstorbenen. Das passt besonders gut in den Kontext dessen, was die Chippewa glauben, ihrer Traditionen und Rituale. Zudem lebt die Geschichte natürlich von ihren Charakteren. Protagonist Thomas ist ein stolzer Mann, der trotz ständiger Erschöpfung immer für seinen Stamm da ist und den Kampf gegen die Terminierung anführt. Patrice hingegen plagt die Sorge um ihre Schwester, mit ihren kleinen Gehalt in der Fabrik ernährt sie die gesamte Familie. Und sie gibt dem Romantitel einen doppelten Sinn, hält sie doch oft genug nachts Wache, um Mutter und Bruder vor dem gewalttätigen Vater zu beschützen.

„Der Nachtwächter“ ist ein Roman, der einen lange nicht loslässt. Aus unserer naiven Perspektive scheint es unbegreiflich, wie indigene Völker, die die USA lange vor den Weißen besiedelt haben, immer weiter von ihrem Land und aus dem Gedächtnis gedrängt werden sollen. Umso wichtiger ist diese Lektüre, die darüber hinaus auch ein absoluter Genuss ist.

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Veröffentlicht am 27.06.2021

Wichtiger Roman

Nie, nie, nie
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Linn Strømsborgs namenlose Erzählerin ist 35 Jahre alt und weiß schon seit Jahren eines ganz sicher: sie will keine Kinder. „Nie, nie nie“ - so auch der Titel des Romans. Dennoch scheint dieses Thema immer ...

Linn Strømsborgs namenlose Erzählerin ist 35 Jahre alt und weiß schon seit Jahren eines ganz sicher: sie will keine Kinder. „Nie, nie nie“ - so auch der Titel des Romans. Dennoch scheint dieses Thema immer präsent zu sein. Die Familie fragt ständig, wann endlich Kinder kommen, die Mutter strickt seit Jahren vorsichtshalber Babykleidung. Mit ihrem Partner Philip ist die Protagonistin seit über acht Jahren zusammen. Er wollte zwar immer Kinder, sagt aber, das Leben mit ihr sei ihm wichtiger. Das ganze Gefüge droht zusammenzubrechen, als die beste Freundin der Erzählerin, Anniken, plötzlich schwanger wird.

Der Roman wird in Kapiteln wechselnder Länge erzählt. Manche umfassen viele Seiten, manche nur einen einzigen Satz. Im Fokus steht hauptsächlich die kinderlose Protagonistin, in der Gegenwart, aber auch der Vergangenheit. Wir erfahren, wie sie aufgewachsen ist und wie sich in den Generationen ihrer Eltern und Großeltern die Frage gar nicht stellte, ob man wirklich Kinder wollte. Es war eben so. Die Konsequenzen sind bei den Großeltern der Erzählerin deutlich zu sehen: Sobald die Kinder erwachsen waren, wanderten sie nach Spanien aus und zeigten kein Interesse mehr, auch nicht an ihren Enkelkindern. „Sie sind sich selbst genug“, sagt die Tochter traurig über die entfremdeten Eltern.

Annikens Schwangerschaft lässt die Protagonistin im Schock zurück. Nun hat sie auch die letzte Person verlassen, die stets beteuert hat, keine Kinder haben zu wollen. Sie ist nun die „Last Woman Standing“. Das verkompliziert nicht nur die Freundschaft zu Anniken, sondern wirft auch alte Fragen in der Beziehung zu Philip auf. Denn der ist sich nun nicht mehr sicher, ob er wirklich kinderlos leben kann. Für die Protagonistin, die ihn liebt und einfach nur mit ihm allein glücklich sein will, nach all den Jahren ein harter Schlag.

„Nie, nie, nie“ ist ein wichtiger Roman, der jedoch nicht nur Kinderlosigkeit, sondern auch Themen wie Mutterschaft, Fehlgeburten oder Abtreibung anspricht, aber auch die unterschiedlichen Erwartungen an Mütter und Väter. Wer sich für ein Leben ohne Kinder entschieden hat, wird sich in vielen Szenen und Diskussionen wiedererkennen.

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