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Veröffentlicht am 27.10.2023

Die Leute von Paardendijk und die NS-Besatzung

Die Leuchtturmwärterin
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Der Roman „Die Leuchtturmwärterin“ von Guido Dieckmann handelt von Eleonore Vogel, genannt Nelly, einer anerkannten Pressefotografin, die in Berlin im Herbst 1943 von der Gestapo erwischt wird. Sie hatte ...

Der Roman „Die Leuchtturmwärterin“ von Guido Dieckmann handelt von Eleonore Vogel, genannt Nelly, einer anerkannten Pressefotografin, die in Berlin im Herbst 1943 von der Gestapo erwischt wird. Sie hatte unerlaubte Aufnahmen gemacht. Durch Vermittlung ihres Schwagers und Generals Ansgar von Schlosser kann sie freikommen. Sie muss jedoch das Land verlassen und wird nach Holland geschickt. So kommt sie in den Küstenort Paardendijk, dem Geburtsort ihrer Mutter Bente. Sie verbringt dort als Leuchtfeuerwärterin in verantwortungsvoller Position und in Absprache mit der NS-Besatzung um Götz Haubinger eine aufregende Zeit. Der Gehilfe Henk und dessen Mutter Mintje unterstützen sie bei der Arbeit. Nelly interessiert es, ob es Verwandte von ihr in Paardendijk gibt. Dies ist die Kaufmannsfamilie Leander. Sie legt Wert auf sich und ist stolz auf die Abstammung. Ihre Mutter Bente hat Nelly vor der Abreise auf einem Zettel eine Notiz mitgegeben: „Vraag ze naar Febe“. Ihre Suche nach Febe zieht sich durch den ganzen Roman. Weitere Rätsel geben auf: das Verschwinden des alten Leuchtturmwärters Pit sowie des Leutnant Bellmann sowie ein Gemälde, über das Pastor Bakker etwas weiß. Schließlich belastet das Auftauchen des verletzten britischen Piloten Sam Cole den Ort, denn Nelly musste ihn im Leuchtturm verstecken. Den Widerstand der Niederländer gegen die Besatzer bekommt Nelly ebenso zu spüren wie den Druck der eigenen Vorgesetzten. Das Ende ist versöhnlich, weil Nelly noch immer die Leuchtfeuerwärterin von Paardendijk geblieben ist und sie sich mit den Verwandten gut verständigt. Der 1969 in Heidelberg geborene Bestsellerautor Guido Dieckmann schreibt Historische Romane. Bekannt wurde er mit „Luther“, dem Roman zu dem erfolgreichen Kinofilm.

Mir hat der Roman von Guido Dieckmann „Die Leuchtturmwärterin“ deshalb so gut gefallen, weil er gut gemacht ist. Die Atmosphäre ist sehr dicht und düster. Sie erinnert an eine Stormsche Novelle oder einen Krimi. Wahre Begebenheiten halten sich die Waage mit Erfindungen. Das Motiv des Leuchtturms spricht für sich als Wache für die Seefahrer und Hoffnung für Gestrandete, getreu dem voran gestellten Motto und niederländischen Sprichwort: „Ein Wrack an der Küste ist ein Leuchtfeuer im Meer.“ Stan Nadolnys „Die Entdeckung der Langsamkeit“ fällt mir ein, wenn die Abgeschiedenheit von Paardendijk mit „Abrahams Schoß“ (Seite 61) verglichen wird. Hier gibt es den Widerstand gegen die Besatzer, auch weil reflektiert und nachgedacht wird. Die Figur Corrie ten Boom wird genannt. Die Passion für das Recht und gegen die Vernichtung der Juden ist eine Komponente im diesem Widerstand. Der Fremde aus dem Meer, Nausikaa und Odysseus oder „Der englische Patient“ von Michael Ondaatje klingen in dem Fremden “Cole“ an, dem auch unter Einsatz des eigenen Lebens geholfen werden soll. Die Figuren überzeugen alle, auch deshalb weil die Namensfindung so „echt“ ist: von Schlosser, Bleicher, Pastor Bakker u.a. . Der im Buchformat gebrauchte, etwas größere Druck macht das Lesen leicht. Ich glaube der Autor hat viel Freude am Fabulieren seines Romans gehabt. Nicht alles ist Historie. Die Suche Nellys nach ihrer Schwester Febe gehört dazu. Der Menschenschlag an der Küste kann sehr engherzig sein, wenn es um die eigene Verwandtschaft geht. Nicht immer darf jemand die Angehörigen preisgeben und wer nicht dazu gehört, muss draußen bleiben. Dem Autor des Romans kann ich viel Erfolg mit diesem Buch wünschen und Leser, die es vielleicht auch bei einem Urlaub an der Küste in einer Buchhandlung finden. Die NS-Besatzung in den Niederlanden, Zwangsarbeiter oder das KZ Westerborg sind Denkanstöße, die die Lektüre von „Die Leuchtturmwärterin“ von Guido Dieckmann gibt.

Es hat mir Spaß gemacht dieses Buch zu lesen und es im Rahmen der „Lesejury“ rezensieren zu dürfen!


Hildegard Jonas




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Veröffentlicht am 12.06.2022

" On this day, we`ll see each other again "

Jeder Tag ein neues Wunder
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In dem Roman "Jeder Tag ein neues Wunder" von Jona Sommer wird die Geschichte des Witwers Simon Barsch erzählt. Der Pensionär trauert um seine Frau. Anja hatte sich immer sehr für die Forschungen der Meeresbiologie ...

In dem Roman "Jeder Tag ein neues Wunder" von Jona Sommer wird die Geschichte des Witwers Simon Barsch erzählt. Der Pensionär trauert um seine Frau. Anja hatte sich immer sehr für die Forschungen der Meeresbiologie über die Kegelrobbe interessiert. " " Die Kegelrobbe, Halichoerus gryphus, ist besonders durch die Form des Kopfes mit seiner sehr langen Schnauze ausgezeichnet. Die Tiere erinnern dadurch etwas an einen langschnauzigen Jagdhund. "
( Brehms Tierleben ) Auf eine Karriere in derWissenschaft verzichtete Anja, als sie Simon heiratete. Bei einem seiner Besuche im Düsseldorfer Aquazoo, fasst Simon den Entschluss, mit den sterblichen Überresten seiner Frau eine Reise an das Meer zu unternehmen. Er folgt damit ihrem eigenen Wunsch, sich auf See bestatten zu lassen. Seine Tochter erfährt nichts davon. Nur der Bestatter hat etwas von der Sache gewusst. Auch die lebensnahe Milena erfährt davon. Die resolute, polnische Haushälterin erlaubt Herrn Barsch nicht, ohne ihre Begleitung zu fahren.
Nun beginnt eine turbulente Reise. Sie führt die beiden zunächst nach Helgoland und dann weiter nach England und Schottland bis zu den Orkney-Inseln. Unterwegs lernt Milena David kennen, einen irischen Kellner und Musiker. Er und seine Freunde helfen Simon spontan, als er im Bus nach Leeds überfallen und ausgeraubt wird.
Ihre Freundschaft und Hilfsbereitschaft lassen Simon nicht im Stich. Auf seiner Weiterreise mit Milena ziehen sagenumwobene Landschaften an ihnen vorüber. "Immer wieder tauchte hinter felsigen Abhänge das Meer auf. Dann rückte es ab, verschwand hinter Wiesen und Wäldern, hinter Industriegebieten und Ortschaften." "Und als würde sich das Wetter einen Spaß mit ihnen erlauben, riss im gleichen Moment der Himmel auf, die Sonne warf ein strahlendes Licht über die regennasse Stadt, die daraufhin aufleuchtete, als hätte sich ein Portal zum Feenland geöffnet."
Schließlich kommen sie an ihrem Ziel, dem Hotel an, einem Herrenhaus," das aussah wie einem Jane-Austen- Roman entsprungen." Mit dem Mietwagen geht es zu den Buchten, wo es die Kegelrobben gibt und sie einen gemeinsamen Bekannten von Anja und Simon treffen. Anthony erzählt ihnen von den "Selkies", den Fabelwesen "die, wenn sie an Land gehen, ihr Fell ablegen und zu wunderschönen Frauen werden."
Gelegentlich liest Simon auf der Reise in Anjas Tagebuch vom Sommer 1971/1972 nach, wie sie sich kennen und liebengelernt haben.
Der Autor Jona Sommer ist selber durch die rauhe Insellandschaft zwischen der Nordsee und dem Nordatlantik gefahren. Es ist ein elegischer Ton in seinen Schilderungen und der Leser könnte meinen, es handelt sich doch um eine leise Klage, eine Trauer um die Tote. Als Simon nachts allein mit dem Boot hinausfährt, um die Asche der Toten ins Meer zu streuen, endet dies sehr dramatisch.
"Da waren Männer, die haben die Robben gehört. Am Strand. Eine ganze Herde, die wild geheult hat. Antony war auch mit dabei. Sie sind an den Strand und haben sie gefunden." Seine Haushälterin berichtet Simon im Kankenhaus , wie er aus dem Wasser gerettet wurde. Milena kümmert sich auf der ganzen Reise sorgend um ihren Arbeitgeber. Aber die Familie in Polen läßt sie nicht in Ruhe. Sie findet in David einen neuen Freund. Nach der Rückkehr nach Deutschland werden sie gemeinsam nach Polen gehen. Und Herr Barsch? Er ist zufrieden "Jeder Tag ein neues Wunder" ist für ihn möglich. Er bekommt eine neue Haushaltshilfe und einen Tierpatenschaft für einen Kammbarsch im Aquazoo.
Das Buch stimmt versöhnlich mit dem Alter und den damit verbundenen Abschieden umzugehen. Es regt an über Bestattungsformen nachzudenken. Es bezieht Mythen, Sagen und Träume vom Wiedersehn mit den Vorangegangenen ein. Eine rundherum gelungene Geschichte ist dies, wie ich finde, die Mut macht. Und es macht Freude, sie zu lesen. Die Sprache ist klar und einfach, auch was die Beschreibungen der Landschaft betrifft. Es wird durchgehend spannend erzählt. Dem Roman wünsche ich viele Leser!

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Veröffentlicht am 20.08.2021

Ein spannender Geschichtsroman: Das Judentum und die Farbenblindheit

Ein neuer Morgen für Samuel
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"Ein neuer Morgen für Samuel" von Ruth Druart ist ein Roman, in dem es um ein Kind geht. Samuel ist das Kind jüdischer Eltern. Er wird in Paris im Mai 1944 geboren. Kurz darauf werden seine Eltern nach ...

"Ein neuer Morgen für Samuel" von Ruth Druart ist ein Roman, in dem es um ein Kind geht. Samuel ist das Kind jüdischer Eltern. Er wird in Paris im Mai 1944 geboren. Kurz darauf werden seine Eltern nach Auschwitz deportiert. Mit den Worten: " Bitte nehmen Sie mein Baby mit!" gibt Samuels Mutter Sarah ihn in die Obhut eines französischen Gleisarbeiters. Jean-Luc ist am Widerstand (Résistance) gegen die Deutschen (Boches) interessiert. Ihm gelingt es mit seiner Freundin Charlotte und mit dem Säugling über die Pyrenäen nach Amerika zu fliehen. In den USA/ Kalifornien, Santa Cruz kann die kleine Familie eine Existenz aufbauen. Doch neun Jahre später holt sie die Vergangenheit ein. Jean-Luc trifft der Vorwurf der Kindesentführung. Ein Drama bahnt sich an, dessen Ausgang mit Spannung erwartet wird. Viele Fragen werden aufgeworfen: Was ist wirklich passiert, als Sarah ihren Sohn abgibt? Gibt es die Suche nach Identität? Droht ein Integrationsverlust? Was ist Heimat? Wem gehört Samuel?

" Ein neuer Morgen für Samuel " ist der Debütroman der seit 1993 in Paris lebenden Autorin Ruth Druart. Die Psychologin hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich in Menschen zu versetzten, die Paris unter der deutschen Besatzung 1940-1944 erlebt haben. Mein Eindruck ist, dass ihr diese Aufgabe sehr gut gelungen ist. Sie schreibt einen spannenden Geschichtsroman und sie hat ein feines, psychologisches Gespür für ihre Figuren Jean-Luc, Charlotte, Sarah und Samuel (Sam) sowie David. Sie ist ihnen nahe. Sie schreibt einfühlsamen über ein Kind in einer Zeit, die für seine Eltern die Hölle war. Die Hölle von Auschwitz.
Über Auschwitz gibt es viele Romane, auch Zeugnisse von Überlebenden, häufig auch von jüdischen Intellektuellen. Hiervon unterscheidet sich das Buch von Ruth Druart. Es hat einen eigenen Akzent, und eine für mich neue, andere Art dem so schwierigen Thema zu begegnen. Das macht es so spannend, sie zu lesen. Sie schreibt mitreißend.

Die Protagonistin dieser Geschichte ist Charlotte, die als Ich-Erzählerin den Leser miterleben lässt, was ihr widerfährt. Sie mag der Autorin besonders am Herzen gelegen haben. Sie ist sympathisch, weil sie bedingungslos liebt und "impulsiv" ist. Sie fungiert als Ersatzmutter für Samuel. Für Jean-Luc ist sie seine große Liebe, Liebe auf den ersten Blick: " Sie sah noch sehr jung aus, und ihre helle Haut war so glatt und makellos, dass sie ihn an eine leere Leinwand denken ließ. " Ihre Beziehung ist Belastungen ausgesetzt, die Charlotte und er vorher kaum ahnen können. Ihnen wünscht man, dass es ein gutes Ende gibt.

Das Buch ist in vier Teile und einen Epilog eingeteilt. Es beginnt mit der Rahmenhandlung, am 24. Juni 1953 in Kalifornien und endet in Paris im Sommer 1968. Die Autorin schreibt sehr flüssig und sie nennt wichtige Fix-Punkte und Fakten der NS-Zeit in Paris , auch kulturelle Ereignisse und auch aus dem Jahr 1953. Dies tut sie, ohne den Leser zu überfordern.
Vieles gibt es, das mir beim Lesen auffiel. Die Bedeutung der Namen und die Lieblingsbücher der Protagonisten sind Beispiele, über die ich nachdenken könnte.
Ruth Druart hat gute Kenntnisse nicht nur über die NS-Zeit in Paris sondern auch von Amerika in den 1950-er Jahren, den Frauenbildern dort, den Klischees, der Anpassung und der Leichtigkeit. Hinter der Oberfläche steht aber eine harte Polizei und Justiz. Ruth Druart schildert das sehr authentisch.

Samuel als leidtragende Figur rückt in der zweiten Buchhälfte ( 53. Kapitel ) besonders in den Vordergrund. Er muss dem Leser ans Herz wachsen .Als es nochmals nur um ihn und sein Überleben geht, kommt es zu einer Zerreißprobe. Muss er zurück zu seinen leiblichen Eltern? Welche Mutter ist zuständig, welche ist schuldig? Schmerzhaftes muss das Kind durchmachen, da es die Zeit so will.

Recht und Egoismus, Zukunft und Vergangenheit, Glaube und Vernunft. Wer sorgt für einen Ausgleich?
Der Sinnlosigkeit der Höllenqualen muss etwas entgegengesetzt werden. Das Unmenschliche, das Menschen degradiert, muss verhindert werden. Wie soll er das aushalten? Wie erklärt sich seine Herkunft?

" Wie? Wie Farbenblindheit? Die wird ja auch vererbt, so wie die Augenfarbe, nicht? "fragt er.
Nur Charlotte kann genauso mitleiden. Die leiblichen Eltern können ihm die Liebe, die er braucht, nicht geben.
Höhepunkte sind zweifellos die Dialoge zwischen Sarah und Jean-Luc und David und Jean-Luc im 84. und 86. Kapitel.

Dieser Autorin Ruth Druart gelingt etwas ganz Wichtiges. In ihrem historischen Roman geht es auch um den Glauben eines Paares an ein Kind, das sie nicht sehen und das ihnen wie durch ein Wunder überleben hilft. Bei aller Grausamkeit ist dies wie ich finde, auch ein sehr poetischer Roman, in dem eine religiöse Deutung mitschwingt. Die Geschichte von Samuel ist eine Geschichte über die Hoffnung, die aller Greul an den Juden und allen Widerwärtigkeiten zum Trotz den Menschen weiterhilft zu leben. Ich würde es gut heißen, wenn dieses Buch viele Leser findet. Es ist mit Herz geschrieben und mit Phantasie. Es lädt ein, sich mit dem Vergangenem zu befassen um für die Zukunft zu lernen.






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Veröffentlicht am 18.06.2023

" Nachts haben wir alle dieselbe Farbe ..."

Die Reisenden der Nacht
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Der Roman „Die Reisenden der Nacht“ von Amando Lucas Correa handelt von zwei Frauen, die jeweils unter dem Druck verschiedener Diktaturen das Wohl ihrer Kinder retten wollen und sie in die Obhut fremder ...

Der Roman „Die Reisenden der Nacht“ von Amando Lucas Correa handelt von zwei Frauen, die jeweils unter dem Druck verschiedener Diktaturen das Wohl ihrer Kinder retten wollen und sie in die Obhut fremder Leute geben. Sie handeln instinktiv und blind und glauben für sich dabei auch etwas Gutes zu tun. Dieser historische Familienroman ist sehr bewegend, dicht erzählt und auch traurig.

Die Erzählung ist in drei Teile eingeteilt. Im 1. Teil geht es um die Dichterin Ally Keller und deren unehelichen Tochter Lilith, die während der NS-Zeit als Mischling „Rheinlandbastard“ genannt wird und den Rassengesetzen zum Opfer fällt. Das Kind ist von einem schwarzen Musiker, der während der französischen Besatzungszeit ins Rheinland kam. Franz Bouhler, ein Freund der Mutter, findet ein jüdisches Ehepaar, das Lilith 1939 auf der Fahrt des Transatlantik-Passagierschiffs „St. Louis“ von Hamburg nach Kuba mitnimmt. Ally stirbt im Januar 1940 im KZ Sachsenhausen, wie schon zuvor der befreundete Nachbar und Professor Bruno Bormann.

Im 2. Teil wird erzählt, wie Lilith in der fremden Kultur auf Kuba heranwächst. Ihre „Eltern“ sorgen mit der Hausangestellten Helena für sie. Der Autor nimmt seine Leser mit durch die Straßen Havannas, so dass ein Fremder neugierig werden könnte. In seinen „Anmerkungen des Autors“ bekennt Correa, dass sein Großvater ein leidenschaftlicher Batista-Anhänger gewesen war. Unter den wenigen Freunden, die Lilith in ihrer Jugendzeit findet, gibt es welche, die Kontakte zum Staatspräsidenten haben. Martin Bernal wird sein Pilot und Lilith und er heiraten. Als Fidel Castros Rebellen Staatspräsident Batista 1959 aus dem Land vertreiben, wird Martin verhaftet. Ihm wird der Prozess gemacht und er wird zum Tode verurteilt. Die gemeinsame Tochter Nadine wird Lilith vor den Rebellen retten können. Sie selber bleibt zurück in Havanna. Nadine flieht als kleines Kind mit Hilfe einer Ordensschwester und der Operation Peter Pan in die USA. Dort wächst sie bei Adoptiveltern auf. Doch das Schicksal hat eine böse Überraschung bereit.

Der 3. Teil des Romans berichtet davon, dass ihre Mutter angeklagt wird, weil sie in Deutschland in der NS-Zeit ein Kriegsverbrechen begangen hat. Das Gericht in Düsseldorf verurteilt sie und sie muss in ein Gefängnis. Ihr Vater ist ein Amerikanischer Kriegsveteran und Elektriker. Für den Prozess zieht er mit ihr nach Deutschland. Nadine absolviert in Düsseldorf die Schule und beginnt, als die Mutter verurteilt wird, mit ihrem Studium. Nadine nimmt von nun an ihr Leben selber in die Hand. Sie studiert in Berlin Biologie, Spanisch und Englisch. Dort freundet sie sich auch mit ihrem späteren Mann Anton Paulus an und mit Mares, einer kubanischen Assistentin im Spanischunterricht. Ihre Tochter Luna wird zehn Jahre vor der Jahrtausendwende geboren. Sie hat das Talent ihrer Großmutter Ally geerbt und wird eine Dichterin. Sie spürt die Verbindungen ihrer Verwandten auf und so kommt es zum Wiedersehen mit Franz Bouhler, Liliths Stiefschwester Elizabeth und endlich auch mit Nadines Mutter Lilith. Sie stirbt 2015 in Havanna in einem Pflegeheim.

Der Kubanische Autor Armando Lucas Correa ist ein mehrfach ausgezeichneter Journalist. Er weiß sehr viel und schreibt sehr spannend. In seinem Dank äußert er sich über eine Vielzahl an Personen, die ihm Auskunft gaben. Im Anhang befindet sich auch eine Bibliografie. Wer interessiert ist an Kuba, dem Batista-Regime oder auch an den Kriegsverbrechen der Nazis, erhält vor dieser historischen Kulisse einen gelungenen Frauenroman.

" Miranda hatte damals steif und fest behauptet, dass jeder Deutsche, der kein Jude war, ein Nazi sei und dass nur Nazis den Krieg überlebt haben könnten." (S. 262)
Der Satz klingt für mich sehr nach Amerikanischer Perspektive.

"Wenn du mich eines Tages hier besuchst, machen wir einen Ausflug zum Isla-Negra-Haus von Pablo Neruda, schrieb sie." (S.323)
Dieser Hinweis ist sinnvoll aus Sicht eines guten Erzählers, der auch vom Faschismus in anderen Ländern etwas weiß und von dem großen Dichter aus Chile.

Aber ich fragte mich beim Lesen oft: Wer war Ally Keller? Gab es in der NS-Zeit eine Dichterin, die so hieß? Es gab Dichter, die es schwer hatten anerkannt zu werde. Nicht nur Frauen waren das. Ihnen blieb außer dem Exil die „Innere Emigration“. Wer könnte sich hinter dem Namen Ally Keller verbergen? Wäre es vielleicht möglich, dass die taubblinde Amerikanische Dichterin Helen Keller für den Namen Patin gewesen ist? Von ihr stammen folgende Zitate:

"Was wir einst genossen und zutiefst geliebt haben, können wir niemals verlieren. Denn alles, was wir zutiefst lieben, wird ein Teil von uns."

"Alles Sehen kommt von der Seele her."

Die Frauen hier in diesem Roman, die ihre Kinder retten möchten, handeln in einem blinden Glauben, der von ihrer Seele kommt.
Die Figuren werden kontrastreich und weniger psychologisierend, wie zum Beispiel in dem Roman „Ein Kind namens Samuel“ von Ruth Druart, beschrieben. Dort geht es um das Schicksal eines jüdischen Kindes. Die Figuren sind authentisch. In „Die Reisenden der Nacht“ könnten die Figuren so oder so ähnlich vielleicht gelebt haben. Sie sind manchmal ein bisschen vage und versponnen skizziert – wie Lilith es selber am Ende ist. Die Zusammenhänge der Handlung sind aber klar und der Plot gut. So bietet dieser anspielungsreiche Roman „Die Reisenden der Nacht“ von Armando Lucas Correa auch viele Themen, die interessant sein könnten für einen Literaturgesprächskreis. Ich wünsche ihm viel Leser.

Diese Rezension verfasste ich im Rahmen einer Lesejury-Leserunde und ich war froh, dass ich dabei sein durfte. Es hat mir Spaß gemacht.

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Veröffentlicht am 15.10.2021

Das Leben ist ein Gänsespiel

Atelier Rosen
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In dem Roman "Atelier Rosen " von Marie Lamballe geht es um die spannende Verwicklung der mutigen, jungen Putzmacherin Elise in Adelskreise des Kurfürstentum Hessen-Kassel um 1830.
Marie Lamballe hat ...

In dem Roman "Atelier Rosen " von Marie Lamballe geht es um die spannende Verwicklung der mutigen, jungen Putzmacherin Elise in Adelskreise des Kurfürstentum Hessen-Kassel um 1830.
Marie Lamballe hat schon mehrere, erfolgreiche Romane veröffentlicht. "Atelier Rosen" ist das erste Buch, das ich von ihr gelesen habe.
Der Roman beginnt mit der Julirevolution in Kassel, 1830. Im Atelier Rosen wird fleißig gearbeitet. Die Inhaberin ist Charlotte Rosen mit ihrer Tochter Elise und Mutter Anna. Es gibt zwei Angestellte Babette und Therese, sowie deren Sohn Moritz. Er ist Elises Ziehbruder. Zu den Kunden des Ateliers gehören auch Adelige. Die Damen tauschen gerne Neuigkeiten aus, auch über den Kurfürsten Wilhelm II und seine Freundin Gräfin Reichenbach. Als es zum Aufstand der Bürgerschaft kommt, wird der Bäcker verprügelt und Moritz verschwindet vorübergehend, er wird inhaftiert. Da Elise Mut hat auf einen Leutnant des Kurfürsten zu zugehen, kann er ihr helfen, den Ziehbruder aus der Haft zu entlassen. Elise freundet sich mit Sybilla von Schönhoff an, einer Kundin im Atelier und der Verlobten des Leutnants. Mit ihr teilt sie sich die Leidenschaft für Bücher. Der Rußlandfeldzug Napoleons wird ebenso erinnert wie die Franzosenzeit unter König Jéróme.
Der Bitte der Bürgerschaft, eine Versammlung der Landstände einzuberufen und eine Verfassung auszuarbeiten, wird inzwischen entsprochen.
Infolge einer Vertrauenskrise muss Elise aber Kassel verlassen. Für sie beginnen ein spannender Weg und schließlich eine Suche nach ihrem leiblichen Vater, den sie in einem vornehmen Viertel in Frankfurt findet.
Intuitiv liegt Elise einfach richtig. Das ist so aufregend an ihrer Geschichte. Das Buch ist so atemberaubend, charmant und witzig geschrieben, dass es schwer fällt, es aus der Hand zu legen. Zwei Beispiele:

"Na also", sagte die Mutter zufrieden, als sie von dem neuen Auftrag berichtete. "Nun kommen die Dinge in Fluss." (S.252)
"Da brat mir einer einen Storch", sagte Moritz und stellte die Lampe auf dem Tisch ab. (S.301)

Die Figuren sind glaubhaft dargestellt.
Wer sich für die Deutsche Geschichte interessiert, findet einige Hinweise, denen nachzugehen sich lohnt.
Wer war Kurfürst Wilhelm II? Gab es die Gräfin Reichenbach wirklich? Ja! Wer verbirgt sich hinter dem kranken Vater Sybillas, dem Oberst von Schönhoff? War er ein reformfreudiger Adeliger, der Elise helfen will?
Die Verständigung zwischen dem Adel und den Bürgern ist in der Zeit sehr interessant zu beobachten. Dafür steht der Briefwechsel zwischen Sybilla und Elise.
Bücher wie "Rinaldo Rinaldini", "Lichtenstein" und "Die Odyssee" werden gemeinsam besprochen. Und was ist mit dem "Gänsespiel" am Abend, im Atelier Rosen? "Das Leben ist ein Gänsespiel" heißt ein Gedicht von Johann Wolfgang von Goethe.

"Atelier Rosen" ist eine sehr ansprechende Lektüre für alle die gerne Historische Romane lesen und sich dabei gut und niveauvoll unterhalten lassen wollen.

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