Ein spannender Geschichtsroman: Das Judentum und die Farbenblindheit
Ein neuer Morgen für Samuel"Ein neuer Morgen für Samuel" von Ruth Druart ist ein Roman, in dem es um ein Kind geht. Samuel ist das Kind jüdischer Eltern. Er wird in Paris im Mai 1944 geboren. Kurz darauf werden seine Eltern nach ...
"Ein neuer Morgen für Samuel" von Ruth Druart ist ein Roman, in dem es um ein Kind geht. Samuel ist das Kind jüdischer Eltern. Er wird in Paris im Mai 1944 geboren. Kurz darauf werden seine Eltern nach Auschwitz deportiert. Mit den Worten: " Bitte nehmen Sie mein Baby mit!" gibt Samuels Mutter Sarah ihn in die Obhut eines französischen Gleisarbeiters. Jean-Luc ist am Widerstand (Résistance) gegen die Deutschen (Boches) interessiert. Ihm gelingt es mit seiner Freundin Charlotte und mit dem Säugling über die Pyrenäen nach Amerika zu fliehen. In den USA/ Kalifornien, Santa Cruz kann die kleine Familie eine Existenz aufbauen. Doch neun Jahre später holt sie die Vergangenheit ein. Jean-Luc trifft der Vorwurf der Kindesentführung. Ein Drama bahnt sich an, dessen Ausgang mit Spannung erwartet wird. Viele Fragen werden aufgeworfen: Was ist wirklich passiert, als Sarah ihren Sohn abgibt? Gibt es die Suche nach Identität? Droht ein Integrationsverlust? Was ist Heimat? Wem gehört Samuel?
" Ein neuer Morgen für Samuel " ist der Debütroman der seit 1993 in Paris lebenden Autorin Ruth Druart. Die Psychologin hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich in Menschen zu versetzten, die Paris unter der deutschen Besatzung 1940-1944 erlebt haben. Mein Eindruck ist, dass ihr diese Aufgabe sehr gut gelungen ist. Sie schreibt einen spannenden Geschichtsroman und sie hat ein feines, psychologisches Gespür für ihre Figuren Jean-Luc, Charlotte, Sarah und Samuel (Sam) sowie David. Sie ist ihnen nahe. Sie schreibt einfühlsamen über ein Kind in einer Zeit, die für seine Eltern die Hölle war. Die Hölle von Auschwitz.
Über Auschwitz gibt es viele Romane, auch Zeugnisse von Überlebenden, häufig auch von jüdischen Intellektuellen. Hiervon unterscheidet sich das Buch von Ruth Druart. Es hat einen eigenen Akzent, und eine für mich neue, andere Art dem so schwierigen Thema zu begegnen. Das macht es so spannend, sie zu lesen. Sie schreibt mitreißend.
Die Protagonistin dieser Geschichte ist Charlotte, die als Ich-Erzählerin den Leser miterleben lässt, was ihr widerfährt. Sie mag der Autorin besonders am Herzen gelegen haben. Sie ist sympathisch, weil sie bedingungslos liebt und "impulsiv" ist. Sie fungiert als Ersatzmutter für Samuel. Für Jean-Luc ist sie seine große Liebe, Liebe auf den ersten Blick: " Sie sah noch sehr jung aus, und ihre helle Haut war so glatt und makellos, dass sie ihn an eine leere Leinwand denken ließ. " Ihre Beziehung ist Belastungen ausgesetzt, die Charlotte und er vorher kaum ahnen können. Ihnen wünscht man, dass es ein gutes Ende gibt.
Das Buch ist in vier Teile und einen Epilog eingeteilt. Es beginnt mit der Rahmenhandlung, am 24. Juni 1953 in Kalifornien und endet in Paris im Sommer 1968. Die Autorin schreibt sehr flüssig und sie nennt wichtige Fix-Punkte und Fakten der NS-Zeit in Paris , auch kulturelle Ereignisse und auch aus dem Jahr 1953. Dies tut sie, ohne den Leser zu überfordern.
Vieles gibt es, das mir beim Lesen auffiel. Die Bedeutung der Namen und die Lieblingsbücher der Protagonisten sind Beispiele, über die ich nachdenken könnte.
Ruth Druart hat gute Kenntnisse nicht nur über die NS-Zeit in Paris sondern auch von Amerika in den 1950-er Jahren, den Frauenbildern dort, den Klischees, der Anpassung und der Leichtigkeit. Hinter der Oberfläche steht aber eine harte Polizei und Justiz. Ruth Druart schildert das sehr authentisch.
Samuel als leidtragende Figur rückt in der zweiten Buchhälfte ( 53. Kapitel ) besonders in den Vordergrund. Er muss dem Leser ans Herz wachsen .Als es nochmals nur um ihn und sein Überleben geht, kommt es zu einer Zerreißprobe. Muss er zurück zu seinen leiblichen Eltern? Welche Mutter ist zuständig, welche ist schuldig? Schmerzhaftes muss das Kind durchmachen, da es die Zeit so will.
Recht und Egoismus, Zukunft und Vergangenheit, Glaube und Vernunft. Wer sorgt für einen Ausgleich?
Der Sinnlosigkeit der Höllenqualen muss etwas entgegengesetzt werden. Das Unmenschliche, das Menschen degradiert, muss verhindert werden. Wie soll er das aushalten? Wie erklärt sich seine Herkunft?
" Wie? Wie Farbenblindheit? Die wird ja auch vererbt, so wie die Augenfarbe, nicht? "fragt er.
Nur Charlotte kann genauso mitleiden. Die leiblichen Eltern können ihm die Liebe, die er braucht, nicht geben.
Höhepunkte sind zweifellos die Dialoge zwischen Sarah und Jean-Luc und David und Jean-Luc im 84. und 86. Kapitel.
Dieser Autorin Ruth Druart gelingt etwas ganz Wichtiges. In ihrem historischen Roman geht es auch um den Glauben eines Paares an ein Kind, das sie nicht sehen und das ihnen wie durch ein Wunder überleben hilft. Bei aller Grausamkeit ist dies wie ich finde, auch ein sehr poetischer Roman, in dem eine religiöse Deutung mitschwingt. Die Geschichte von Samuel ist eine Geschichte über die Hoffnung, die aller Greul an den Juden und allen Widerwärtigkeiten zum Trotz den Menschen weiterhilft zu leben. Ich würde es gut heißen, wenn dieses Buch viele Leser findet. Es ist mit Herz geschrieben und mit Phantasie. Es lädt ein, sich mit dem Vergangenem zu befassen um für die Zukunft zu lernen.