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Veröffentlicht am 08.09.2021

Ein Wunder!

Das geheime Leben des Albert Entwistle
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Albert Entwistle arbeitet als Postbote in Toddington und lebt sehr zurückgezogen. Seine nächste Vertraute ist seine Katze Gracie, seine Arbeitskollegen meidet er und fühlt sich alleine am wohlsten. Als ...

Albert Entwistle arbeitet als Postbote in Toddington und lebt sehr zurückgezogen. Seine nächste Vertraute ist seine Katze Gracie, seine Arbeitskollegen meidet er und fühlt sich alleine am wohlsten. Als bekannt wird, dass der 64-jährige Albert in drei Monaten seinen Ruhestand antreten muss, bricht für ihn die Welt zusammen. Das Einzige, das ihm im Leben soziale Interaktion beschert, wird ihm weggenommen. Da lernt Albert die junge und alleinerziehende Mutter Nicole kennen und durch sie fasst er den Mut, sich den Menschen zu öffnen und sich auf die Suche seiner einzigen grossen Liebe zu machen. 50 Jahre lang hat Albert George nicht mehr gesehen, die Erinnerungen an ihn und ihre Liebe sind für Albert traumatisch.



Mit der Charakterisierung der Figur Albert bin ich nicht richtig warm geworden. Albert ist zu Beginn gehemmt, schüchtern und scheut jeden Kontakt zu seinen Arbeitskollegen. Das Ganze grenzt schon fast an eine Sozialphobie. Nach 100 Seiten ist Albert plötzlich nicht wiederzuerkennen.

Ein Wunder!

Er plaudert mit seinen Kunden, findet in der jungen, alleinerziehenden Mutter Nicole eine gute Freundin und führt tiefschürfende Gespräche mit seinen Kollegen bei der Arbeit. An einem Fest tanzt er sogar öffentlich. Das ging mir einfach zu glatt und reibungslos. Zu Beginn hatte mich Albert überzeugt. Er lebt zurückgezogen mit seiner Katze, die Arbeit bedeutet ihm alles, darin lebt er völlig auf. Sehr schnell spürt man, dass er in der Vergangenheit einen großen Verlust erlitten hat. Dieser Verlust ist nicht nur seine einstige große Liebe, sondern war auch der Moment, in dem er sich für die weiteren 50 Lebensjahre völlig verschlossen hat.

Albert hat immer geschwiegen, nicht gewagt sich gegen die damals gängigen Normen zu wehren und zu seiner Liebe zu stehen. Sehr traurig, unfassbar traurig hat mich das gemacht. Vor allem, da bewiesen ist, dass vor 40, 50 oder mehr Jahren es viele Männer wie Albert gab, die an ihren gleichgeschlechtlichen Gefühlen zerbrochen sind. Die ihre große Liebe verleugnen mussten, wegen ihres Rufes, dem Ansehen der Familie und wegen kleinkariertem Denken.



Was tragisch beginnt und 50 Jahre lang ein tiefes Loch in Alberts Herzen reißt, endet mit Hoffnung für die Zukunft, in der Menschen so sein dürfen, wie sie sind. In der er sich nicht mehr verstellen muss und an die Liebe glauben darf.



Matt Cain hat es hervorragend verstanden die vor 50 Jahren herrschenden Moralvorstellungen in die Geschichte einzuweben. Kaum zu glauben, wie Männer sich verstecken mussten, ausgegrenzt, ja sogar eingesperrt wurden, weil sie es gewagt haben gleichgeschlechtliche Gefühle zu fühlen oder zu leben.

In den Rückblicken in Alberts Kinder und Jugendzeit erfährt man 1-1, wie ein Junge sich fühlt, wenn er nicht der damaligen Norm entsprach. Weit weniger zentral wurde auch ab und zu Rassismus, dies in der Figur von Nicole und ihrem Freund Jamie, eingeflochten. Damit trifft der Autor auch den Nerv der heutigen Zeit, sind doch die Themen Homophobie und Rassismus leider immer noch aktuell.

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Veröffentlicht am 06.09.2021

Sehr gut...bis auf den Schluss!

Barbara stirbt nicht
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Barbara und Walter Schmidt sind ein Ehepaar der alten Schule. Barbara kocht, wäscht, putzt, kauft ein und hat den Haushalt im Griff. Der pensionierte Walter wird verwöhnt, bedient und muss im Haushalt ...

Barbara und Walter Schmidt sind ein Ehepaar der alten Schule. Barbara kocht, wäscht, putzt, kauft ein und hat den Haushalt im Griff. Der pensionierte Walter wird verwöhnt, bedient und muss im Haushalt keinen Finger krumm machen. Eines Morgens wird ihre Welt mit dem bisher klaren Rollenmuster durcheinandergewirbelt. Denn Barbara liegt im Bett und steht nicht mehr auf. Walter muss nun notgedrungen in die Küche, denn verhungern will er ja nicht. Und da ist ja auch noch Barbara, um die er sich kümmern muss.





Die Geschichte um Barbara und Walter beginnt skurril: Als Walter morgens aufwacht, riecht er nicht wie sonst den Kaffeeduft durch das Haus ziehen. Unweigerlich kommt der Gedanke hoch, ob Barbara im Schlaf verstorben ist? Er ist so daran gewöhnt, dass Barbara schon mit dem Kaffee wartet, wenn er aufsteht, dass er denkt, sie sei tot. Gestorben, ohne ihm Kaffee zu machen! Diese Arroganz hat mich schockiert.



Sehr oft habe ich nicht gewusst, ob ich über Walter lachen oder ihn bemitleiden soll? Walter ist so was von unselbstständig im Haushalt, dass es an Slapstick vom Feinsten grenzt. Zudem ist er knochentrocken, völlig humorlos und zu den beiden erwachsenen Kindern findet er sehr schwer Zugang. Als ich Walter auf den ersten Seiten kennengelernt habe, habe ich gedacht „mein Gott, was für ein Macho“. Denn Walter bestimmt und dirigiert. Mit der Zeit habe ich jedoch gemerkt, dass seine Frau Barbara ihn erstens zu nehmen weiß und zweitens ihr Ding gemacht hat, ob es Walter passte oder nicht.



Immer wieder führt Walter mit seiner Familie oder mit der Bäckereiverkäuferin Dialoge, die sind zum Brüllen komisch. Walter ist ein Klotz von Mann. Empathie, Freundlichkeit oder Anteilnahme sind Fremdwörter für ihn. Was vor allem Barbaras zahlreiche Bekannte, aber auch die Kinder Sebastian und Karin zu spüren bekommen. Die Autorin zeigt da einen feinen Sinn für Humor und oft habe ich laut gelacht. Der Schreibstil passt sehr gut zu der trockenen Art von Walter. In knappen, sachlichen Sätzen wird das Leben von Walter und Barbara beleuchtet. Walter ist überzeugt, dass Barbara gesund wird, wenn sie nur endlich Nahrung zu sich nimmt. Walter lernt sogar durch einen TV - Koch kochen und muss sich, denn Walter ist nun mal Walter, zuerst mal im Internet zurechtfinden.



Je länger man liest, je mehr wandelt sich die Geschichte. Irgendwann ist bei mir der Punkt gekommen, an dem ich nichts mehr an Walters Benehmen lustig fand. Da war nur noch Mitleid. Vor allem seine Weigerung, sich einzugestehen, dass Barbara ernsthaft erkrankt ist, hat mich sehr berührt. Sehr tiefgründig und mit einer unheimlich treffsicheren Charakterisierung der Figuren hat Alina Bronsky es geschafft, dass ich mitgefühlt und gelitten habe mit diesem verstockten Mann, der Stück für Stück von seiner Frau Abschied nehmen muss. Leider macht die Geschichte gegen Schluss einen Dreher ins Absurde. Plötzlich wird man als Leser mit einer Figur konfrontiert, die zur Familie gehört, jedoch nie vorher erwähnt, ja nicht mal angedeutet wurde. Das geschieht so übergangslos, dass ich mehrmals die letzten Seiten lesen musste.

Schade, von mir hätte das Buch die volle Punktezahl gekriegt, wenn die letzten 30 Seiten nicht gewesen wären.

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Veröffentlicht am 31.08.2021

Einfach gehaltener Schreibstil!

Waldeskälte
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Ein 14-jähriges Mädchen wird in Eigerstal im Gotthardgebiet vermisst. Nora ist nachts aus dem Haus ihres Vaters verschwunden, seither fehlt von ihr jede Spur. Ihr Onkel ruft Valeria Ravelli von Interpol ...

Ein 14-jähriges Mädchen wird in Eigerstal im Gotthardgebiet vermisst. Nora ist nachts aus dem Haus ihres Vaters verschwunden, seither fehlt von ihr jede Spur. Ihr Onkel ruft Valeria Ravelli von Interpol an und bittet um Hilfe. Valeria fühlt sich in die Zeit vor 20 Jahren zurückversetzt, denn damals wurde sie und ihre beiden Freundinnen Sophie und Stephanie am selben Ort entführt. Sie konnte entkommen, ihre Freundinnen mussten sterben. Ist derselbe Täter wie vor 20 Jahren am Werk und kann Nora rechtzeitig gefunden werden?



Den Schreibstil stufe ich einerseits als klar und einfach gehalten ein, anderseits wurde mir zu viel Gewicht auf Beschreibungen der Landschaft und der Orte gelegt. Sehr oft hatte ich das Gefühl, dass die Handlung auf der Stelle tritt, weil wieder mal der Wald, die Kälte oder zur Abwechslung die Gefühle der Ermittlerin thematisiert werden. Es gibt praktisch keine Perspektivwechsel und so ist auch der Aufbau einfach gehalten. Ein paar Abstecher in die Vergangenheit, die sehr oft in den Passagen in der Gegenwart eingeflochten sind, fallen da kaum ins Gewicht.



Die Geschichte handelt in der Schweiz und es wurden geografische Details, sowie typische Landesausdrücke authentisch verwendet. So sucht zum Beispiel die schweizerische Rega nach dem verschwundenen Mädchen und nicht die Flugwacht. Es schimmert oft das Exzentrische, das „unter sich bleiben“ von Bewohnern abgelegener Dörfer in der Schweiz durch. Fremde werden mit Argusaugen beobachtet und Einheimische geben zu spüren, dass sie es gewohnt sind, sich alleine durchzuschlagen. So wie es Valeria Ravelli, die als Weggezogene gilt, das auch in der Geschichte zu spüren bekommt.



Die Verknüpfung zwischen dem Cold Case und dem aktuellen Fall wird durch die Figur Valeria Ravelli gemacht, In beiden Fällen spielt sie eine zentrale Rolle und dies äusserst glaubwürdig. Tief traumatisiert durch den Verlust der beiden Freundinnen vor 21 Jahren arbeitet sie zielstrebig darauf hin, die 14-jährige Nora zu finden. Die Auflösung beider Fälle, das heisst der Tod von Sophie und Stephanie, sowie der Verbleib von Nora ist schlüssig und sehr gut gemacht. Die Handlung wird gegen Schluss doch noch richtig rasant. Etwas, was ich vor allem im Mittelteil vermisst habe.

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Veröffentlicht am 26.08.2021

Blutig und brutal!

Der Heimweg
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Jules Tannberg arbeitet aushilfsweise für einen Freund beim Begleittelefon der Notrufzentrale. Menschen, die nachts auf dem Heimweg sind und Angst haben, können sich via Begleittelefon nach Hause führen ...

Jules Tannberg arbeitet aushilfsweise für einen Freund beim Begleittelefon der Notrufzentrale. Menschen, die nachts auf dem Heimweg sind und Angst haben, können sich via Begleittelefon nach Hause führen lassen. Klara Vernet ist nicht auf dem Heimweg, hat aber trotzdem grosse Angst vor ihrem Ehemann Martin. Zudem wird sie von einem Serientäter verfolgt.




Das eher zufällig entstandene Telefongespräch zwischen Jules und Klara verbindet zwei Schicksale. Klara, die von ihrem Mann Martin misshandelt, gedemütigt und gequält wird und Jules, der nach einer familiären Tragödie versucht, wieder am Leben teilzunehmen. Beide Geschichten sind voller Brutalität und Entsetzen und geprägt von Trauer, Hass und ekelhaften Szenen. Ab und zu musste ich schlucken, wie abscheulich und leider zu bildlich Sebastian Fitzek gewisse Szenen beschreibt. Sie triefen vor Blut, Ausscheidungen und obszönen Handlungen. Ich hatte oft das Gefühl, dass Fitzek die Geschichte rund um diese Abscheulichkeiten gebastelt hat. Denn oft waren Handlungen für mich nicht richtig nachvollziehbar. Zum Beispiel tritt eine Figur freiwillig zur Behandlung in eine psychiatrische Klinik ein. Mit dem Wissen, dass sie dort an Experimenten teilnehmen wird.


Klara wird nicht nur von ihrem Mann schwer misshandelt. Er bringt sie auch immer wieder in gefährliche, bedrückende und abscheuliche Situationen. Klara wirkte jedoch auf mich zu grossen Teilen nicht wie eine Frau, die sich nicht zu wehren weiss. Wenn sie zum Beispiel mit Jules telefoniert, mausert sie sich plötzlich zu einer selbstbewussten und bestimmten Frau. Das und die Quälereien durch ihren Mann, in denen sie sich nicht wehrt, hat für mich nicht so ganz zusammengepasst.

Klara will zudem ihre 6-jährige Tochter Amelie ohne weiteres Martin überlassen, da sie entgegen all ihrer Erfahrung denkt, dass sich ihr Mann ein anderes Opfer suchen wird, wenn sie nicht mehr zur Verfügung steht. Sie hat dies selbst bei ihrem Vater so erlebt. Dieser Punkt empfand ich als unausgegoren.


Richtig gut gefallen hat mir der Schluss und damit die Auflösung, wer der Serientäter ist und was er von Klara will. Denn damit werden einzelne Passagen, die mir zuvor wirr vorkamen, im Nachhinein plausibel. Fitzek wäre nicht Fitzek, wenn die ganze Geschichte nicht konstruiert wäre. Ich denke, damit muss man bei den Thrillern von Fitzek einfach rechnen.

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Veröffentlicht am 24.08.2021

Benötigt Zeit, um an Fahrt aufzunehmen

Meine liebe Familie
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Robert und Ava Walker leben mit ihrer 12-jährigen Tochter June in privilegierten Verhältnissen. Robert verdient gut, die Familie wohnt in einem schönen Haus und die ältere Tochter Hannah studiert in New ...

Robert und Ava Walker leben mit ihrer 12-jährigen Tochter June in privilegierten Verhältnissen. Robert verdient gut, die Familie wohnt in einem schönen Haus und die ältere Tochter Hannah studiert in New York. Gene, Roberts Sohn aus erster Ehe, wohnt nebenan, in einer angrenzenden Wohnung. Der Schock ist gross, als die Familie eines Abends von zwei Männern überfallen wird. Dabei werden Ava und June verletzt. Die 12-Jährige so schwer, dass sie ins Koma fällt. Die Ermittlungen bestätigen, was Ava schon geahnt hat. Der Überfall wurde gezielt auf die Familie verübt. Ava gibt keine Ruhe, sie will wissen, wer die Täter sind und warum sie überfallen wurden.





Lesend begleitet man Ava in der Zeit vor, während und nach dem Überfall auf die Familie. Kurze Abstecher in die Vergangenheit rücken hauptsächlich Ava in den Vordergrund.



Der nächtliche Überfall ist meiner Meinung nach etwas zu ausschweifend erzählt und ich hatte öfters zu Beginn des Buches das Gefühl, die Handlung tritt auf der Stelle. Man erfährt jedoch eindrücklich, wie die Hölle über die Familie hereinbricht und ihr Leben von nun an nie mehr so sein wird wie bisher. Fremde Männer, die eine Familie in ihren vier Wänden überfallen, quälen und auch vor Kindern nicht Halt machen. Kann man sich etwas Schlimmeres vorstellen? Die Passagen nach dem Einbruch zeigen sehr deutlich, wie angeschlagen Ava psychisch, physisch und finanziell ist. Bei mir hat das eine Menge Gänsehaut ausgelöst, denn ihr wird wortwörtlich der Boden unter den Füssen weggezogen.



So empfand ich Ava auch als sehr überzeugend und sie hatte mein Mitleid. Denn unweigerlich habe ich öfter gedacht „wie würde ich reagieren, wenn…..“.



Ich kenne schon „Meine beste Freundin“ von Sarah Alderson, das mir ein klein wenig besser gefallen hat. Denn „Meine liebe Familie“ benötigt lange, bis die Geschichte an Fahrt aufnimmt und ich Spannung gespürt habe. Die Identität der Täter haben mich gespalten zurückgelassen. Einerseits empfand ich als überraschend, wer denn die Täter sind. Andererseits war mir das Motiv für die Tat zu weit hergeholt.

Die Zusammenfassung der Autorin im letzten Kapitel „10 Wochen später“ ist zwar gut, ich hätte jedoch vorgezogen, dass dieser Rückblick mit Handlung unterlegt gewesen wäre, statt eine „trockene“ Aufzählung der Gründe, des Motivs und der Täter.

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