Zwischen Istanbul und Oxford
Der Geruch des ParadiesesPeri ist eine Mutter und Ehefrau, die scheinbar ein normales, wenn auch gut situiertes Leben in Istanbul führt. Ziemlich langweilig findet ihrer Tochter. Als diese jedoch unverhofft erfährt, dass Peri ...
Peri ist eine Mutter und Ehefrau, die scheinbar ein normales, wenn auch gut situiertes Leben in Istanbul führt. Ziemlich langweilig findet ihrer Tochter. Als diese jedoch unverhofft erfährt, dass Peri früher einmal in Oxford studiert hat, sieht sie ihre Mutter mit anderen Augen und auch Peri erinnert sich an eine Zeit zurück, als alles noch möglich schien. Ein altes Foto, das Peri mit zwei Mitstudentinnen und einem Professor zeigt, bringt die Vergangenheit Stückchen für Stückchen ans Licht. Eine Vergangenheit, mit der Peri noch nicht abgeschlossen hat.
Bücher von Elif Shafak sind mir auf Instagram immer wieder begegnet und nun habe ich meinen ersten Roman dieser Autorin gelesen und ich habe ihn sehr gerne gelesen. Die Protagonistin Peri steht seit ihrer Kindheit zwischen zwei Lagern, dem ihrer tiefgläubigen Mutter und dem ihres gerne trinkenden Vaters, einem Verehrer Atatürks, "ein Gegensatz wie Schenke und Moschee" (S. 30). Peri sieht sich selbst als eine unentschlossene Person in Bezug auf Religion. Während ihres Studiums verfolgen sie diese beiden Lager weiter, in Form ihrer besten Freundinnen. Hilfe und tiefere Einsichten erhofft sie sich vom umstrittenen Professor Azur. "Umgeben von Tausenden Titeln, jeder für sich ein Zufluchtsort, war sie selig. Doch ein Gedanke kehrte in dieser unermesslichen Weite des Wissens sonderbarerweise immer wieder: der Gedanke an Gott." (S. 223) Der Roman ist angefüllt mit Gesprächen und Gedanken über die Unterschiede der Kulturen, ihren Wertvorstellungen und dem Umgang mit Glauben, Gott und Philosophie. Alles verwoben in die Lebensgeschichte einer Frau, die modern und fortschrittlich sein möchte und doch immer wieder von sich selbst zurückgerufen wird, die voller Zweifel und Unsicherheit steckt, die wortwörtlich vor sich davonläuft. Das schildert Shafak in einer angenehmen Sprache, sehr bildhaft z.B. wenn es um Sinneseindrücke wie das Essen geht und sehr klug wenn es um theoretische Fragen geht.
Obwohl das Buch wegen der vielen Passagen, in denen über Religion und Gott philosophiert wird, sicherlich nicht jedem oder jeder gefallen wird, hat es mich sehr angesprochen. Die Geschichte von Peri wird geschickt in zwei Strängen erzählt. Während eines einzigen Abends in der Gegenwart wird das Leben der Protagonistin immer wieder in Kapiteln dazwischengeschoben. Mir hat gefallen, dass alle Personen während des Abendessens (Ausnahme ist Peris Ehemann) nur mit ihren Berufsbezeichnungen versehen werden, z.B. Geschäftsmann oder PR-Frau. Das gleiche spielt sich bei einem Abendessen in Oxford ab, nur die Hauptcharaktere haben Namen, die anderen sind der Theologieprofessor oder der Professor für Quantenphysik. Daher hatten sie für mich immer eine Art Stellvertretercharakter. Ich fand diesen Kniff interessant.
Insgesamt hat mir das Buch gut gefallen, es hat eine Sogwirkung entfaltet. Ich wollte unbedingt wissen, wie es ausgeht, aber leider ist das Ende nicht ganz mein Fall. Eine Lektüre über zahlreiche kulturelle und religiöse Aspekt, die einen an vielen Stellen nachdenklich werden läßt. Vier Sterne.