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Veröffentlicht am 18.11.2021

Blut, Ehre, Erbe

Fräulein Gold: Die Stunde der Frauen
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„Das Leid der Frauen aber scheint unsichtbar.“ (S. 336)
1925 scheint Hulda Gold endlich an- und zur Ruhe gekommen zu sein. Sie ist die leitende Hebamme der Frauenklinik Berlin-Mitte und mit dem jungen ...

„Das Leid der Frauen aber scheint unsichtbar.“ (S. 336)
1925 scheint Hulda Gold endlich an- und zur Ruhe gekommen zu sein. Sie ist die leitende Hebamme der Frauenklinik Berlin-Mitte und mit dem jungen Arzt Johann Wenckow zusammen, der ihr die Sterne vom Himmel holen und die Welt zu Füßen legen würde – wenn sie nur wöllte.
Als sie auf einem Ball das heulendes Dienstmädchen Ellen trifft (schwanger, hoffnungs- und zukunftslos), bietet sie ihr ihre Hilfe an und wird in ein altes Familiengeheimnis aus „Blut, Ehre, Erbe“ gezogen, das ihnen sehr gefährlich werden kann …

Anne Stern verwebt gekonnt Huldas Arbeits- und Privatleben, schildert ihren aufreibenden Klinikalltag, den Spagat zwischen dem was sie darf und was nicht. Zwar hat sie relativ feste Arbeitszeiten und ein gutes Gehalt, aber ihr fehlt die Intimität und Privatsphäre der Hausgeburten. Die Klinik ist eine Lehranstalt für angehende Ärzte und Hulda darf die Schwangeren nur noch in Ausnahmefällen entbinden. Zudem ist sie eine Anhängerin von Käthe Kollwitz, kämpft für die Selbstbestimmung der Frauen über ihren Körper und ihr Leben – sie sollen selbst entscheiden, ob sie ein Kind bekommen wollen oder nicht. Darum wehrt sich Hulda vehement gegen den §118 und nennt den Frauen bei Bedarf eine sichere Adresse. Dabei sehnt sich immer öfter nach einem eigenen Kind.

Auch die Kluft zwischen ihrer und Johanns Welt erscheint ihr an manchen Tagen unüberwindlich. Mit ihm könnte sie endlich glücklich sein, aber die Unterschiede zwischen seiner Familie und ihr sind ihr zu groß, die Interessen, Ansichten und Vorstellungen zu verschieden. Zudem machen seine Eltern keinen Hehl daraus, dass Hulda nicht ihre Traum-Schwiegertochter ist. Und sie kann „ihren“ Kriminalkommissar Karl North nicht vergessen.

Anne Stern hat es wieder geschafft, mich ab der ersten Seite in Huldas Kosmos und die Berliner Atmosphäre der 20er Jahre zu ziehen. Seit 4 Bänden begleite ich Hulda nun schon, und noch immer entdecke ich neue Facetten an ihr, bleibt ihr Leben überraschend und spannend. Ellens Geheimnis bringt Hulda endlich ihrem Vater wieder näher, so erfährt man mehr über ihren familiären Hintergrund und langsam fügen sich die Puzzlestücke ihres Lebens zusammen.

Ich liebe und bewundere diese starke, empathische, selbständige und unabhängige Frau, die ihren Beruf mit Leidenschaft ausübt und nicht nur die Ehefrau eines gutsituierten Mannes sein will. Sie setzt sich immer wieder für andere und ihre Überzeugungen ein und verliert nie den Mut.

Und ohne zu viel verraten zu wollen, nach dem Ende jetzt bin ich natürlich extrem gespannt, wie es im nächsten Band weitergeht !

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Veröffentlicht am 09.11.2021

Packt die Nähmaschinen aus!

Neue Dinge aus alten Stoffen
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Wahrscheinlich jeder hat ein oder zwei uralte Lieblings-T-Shirts im Schrank, die er schon lange nicht mehr anziehen, aber auch noch nicht wegwerfen kann. Bei mir kommen zu den alten Shirts noch ein paar ...

Wahrscheinlich jeder hat ein oder zwei uralte Lieblings-T-Shirts im Schrank, die er schon lange nicht mehr anziehen, aber auch noch nicht wegwerfen kann. Bei mir kommen zu den alten Shirts noch ein paar zerrissene Jeans, aus denen ich seit Jahren eine Tasche, eine Patchworkdecke fürs Bett oder ein großes Kissen für meinen Hund nähen will – zumal meine Mama eine alte Nähmaschine im Keller stehen hat, die sie mir schon ewig „vererben“ will … Ran gewagt habe ich mich an die Projekte bisher leider nie, aber mit dem vorliegenden Buch gibt es keine Ausrede mehr. Leicht verständlich, mit vielen Tipps, Hinweisen und Anregungen wird erklärt, wie einfach es ist, aus alten Lieblingsstücken neue zu machen.

Ich finde es super, dass zu Beginn einige Grundlagen erklärt werden und gezeigt wird, wie man Flick- und Stopfarbeiten oder kleinere Reparaturen ausführt oder Knöpfe annäht. Ich habe das alles zwar noch in der Schule gelernt, aber heutzutage gibt es ja keinen Handarbeitsunterricht mehr.

Dann geht’s auch schon los. Es wird gefärbt, gedruckt, gehäkelt, geschnippelt, geflochten, geknüpft und natürlich genäht, bis die Nadeln glühen. Und jetzt weiß ich auch, was ich in Zukunft aus nach dem Waschen übrig gebliebenen Socken zaubern kann …
Übrigens kann man mit Hilfe des Buches nicht nur Kissen oder Taschen, sondern auch tolle Haushaltshelfer wie Staubwedel oder Filtertüten anfertigen.

Ich habe zwar immer noch keine Patchworkdecke genäht, aber dafür unbenutzte Stoffbeutel mit tollen Sprüchen in wunderschöne Kissenhüllen verwandelt, die jetzt meine Couch zieren .

„Neue Dinge aus alten Stoffen“ ist ein tolles Buch für alle umweltbewussten und an Nachhaltigkeit interessierten Nähbegeisterte und die, die es noch werden wollen.

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Veröffentlicht am 05.11.2021

A Little Bit of Tea?

Modern Tea Time
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Wer mich kennt weiß, dass ich eine Affinität zu Koch- und Backbüchern habe und leidenschaftlich gern neue Rezepte ausprobiere. Auf der Frankfurter Buchmesse bin ich über „Modern Tea Time“ gestolpert und ...

Wer mich kennt weiß, dass ich eine Affinität zu Koch- und Backbüchern habe und leidenschaftlich gern neue Rezepte ausprobiere. Auf der Frankfurter Buchmesse bin ich über „Modern Tea Time“ gestolpert und war schockverliebt. Darin stellt Marco D’Andrea, der Patissier des Jahres 2020, verschiedene süße und herzhafte Köstlichkeiten für die perfekte Tea Time vor. Aber es ist nicht nur ein Backbuch, sondern durch seine hochwertige Aufmachung und die extrem appetitanregenden Fotos schon fast ein Coffee Table Book. Ich habe inzwischen schon einige Rezepte ausprobiert, nehme das Buch aber auch gern in die Hand, um einfach nur darin zu blättern.

Mir gefällt besonders, dass es sowohl komplizierte als auch ganz einfache Rezepte gibt und dadurch jeder etwas finden sollte, was er sich traut nachzumachen – ganz nach dem Motto: kleiner Aufwand große Wirkung. Denn auch die einfachen Rezepte haben einen Kniff, die sie dann zu etwas besonderem machen.

Ich fand es interessant, auch einen kleinen Einblick in die Geschichte der TeaTime (ich dachte nämlich, die gibt’s schon viel länger) und einen Überblick über die Teesorten und -zubereitung sowie wichtige Backutensilien zu bekommen.

Bei den Rezepten wird dann ganz klassisch mit dem besten Scones-Rezept, was wir je ausprobiert haben, und verschiedenen Konfitüren, Curds und Aufstriche gestartet. Danach kommen kleine Köstlichkeiten wie Kekse oder ein New York Cheescake in der Schale (einfach, aber extrem lecker) und Macarons, gefolgt von sagenhaften Kuchen (z.T. in kleinen Förmchen, damit sie mit einem Haps gegessen sind und man noch etwas anderes probieren kann), Tartelettes und Torten.
Doch auch die unkomplizierten herzhaften Snacks wie Salate und die verschiedenen Tatar-Varianten machen Appetit.
Aber die Krönung sind die Sandwiches mit selbst gebackenem Brot. Das Vollkornsandwich mit Lachs war leider schneller gegessen, als die Kamera einsatzbereit war und gerade habe ich ein perfektes helles Toastbrot im Ofen.
Den Abschluss bilden dann verschiedene Eisvarianten und natürlich Drinks, wobei ein guter Gin-Tonic nicht fehlen darf .

Falls ihr gemütliche Teestunden, Jane-Austen-Romane oder Serien wie Bridgerton mögt oder schon auf der Suche nach Weihnachtsgeschenken seid, möchte ich Euch „Modern Tea Time“ ans Herz legen. Bereits beim Durchblättern des Buches entspannt man merklich und wenn man sich dann noch an die Rezepte wagt, steht einem gemütlichen Afternoon Tea nichts mehr im Weg.

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Veröffentlicht am 04.11.2021

Der lange Weg zum Ruhm

Fast Girls
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Amsterdam 1928: Betty Robinson ist erst 16, als sie bei den olympischen Spielen einen neuen Weltrekord im 100-m-Lauf aufstellt. Vergessen sind die Vorurteile, mit denen sie und ihre Eltern vorher konfrontiert ...

Amsterdam 1928: Betty Robinson ist erst 16, als sie bei den olympischen Spielen einen neuen Weltrekord im 100-m-Lauf aufstellt. Vergessen sind die Vorurteile, mit denen sie und ihre Eltern vorher konfrontiert wurden: „Machen Sie sich keine Sorgen, dass Ihre Tochter zu maskulin wird?“ (S. 8) Ihr Weg scheint vorbestimmt. Sie trainiert hart für die nächsten Olympischen Spiele, als das Gerücht umgeht, dass Frauen nicht mehr zugelassen werden sollen – wegen ihrer schwachen Konstitution! Doch dann hat sie einen schweren Unfall und alles scheint vorbei zu sein – lt. Aussage der Ärzte wird sie nie wieder gehen können …

Helen war schon immer anders. Sie ist größer als die Jungs in ihrem Alter, athletischer als die Mädchen, mit raumgreifenden Schritten und einer durch eine Halsverletzung rauen Stimme. Ihr fehlt jegliches Interesse an hübschen Kleidern und Frisuren. Sie wird ausgegrenzt und als Monster beschimpft. Aber sie läuft gern: „… sie musste rennen, musste den Luftzug um sich spüren … Sie brauchte die Bewegung, um sich von der Eintönigkeit und Langeweile zu befreien.“ (S. 24) Als sie von Bettys Erfolg liest, träumt sie von einer Teilnahme bei Olympia, hofft, dass ihr Vater sie dann endlich wahrnimmt und stolz auf sie ist.

Louises Lauftalent wird beim Basketball entdeckt. Sie ist eine der wenigen Afroamerikanerinnen in ihrer Stadt, geht alle Wege zu Fuß, rennt oft, denn „Sobald sie lief, verstummten ihre Gedanken, dann spürte sie nur noch das Feuer der Anstrengung. Es tat weh, doch genau das faszinierte sie am Laufen: diese feine Linie zwischen Schmerz, Loslassen und Nachgeben …“ (S. 27) Ihr Onkel war im Krieg in Europa und erzählt, dass es dort keine Rassentrennung gibt, er nicht ausgegrenzt wurde. Das wünscht sie sich für sich selbst. Vielleicht kann sie es durch den Sport schaffen?!

Elise Hooper erzählt in „Fast Girls“ am Beispiel dreier realer Amerikanerinnen von deren beeindruckendem Kampf, als Sportlerinnen wahr- und ernstgenommen zu werden. Sie beschreibt, wie sie sich gegen Vorurteile behaupten, von ihren Hoffnungen und Wünschen, Ängsten und Träumen, ihren intimsten Geheimnissen. Die Autorin schreibt sehr bildlich und fesselnd vom Konkurrenzkampf der Frauen untereinander, aber auch von ihrem Zusammenhalt, wenn es darum geht, zu Wettkämpfen zugelassen zu werden. Denn entgegen dem Klappentext geht es nicht nur um die Olympiade in Berlin, sondern vor allem um den langen und beschwerlichen Weg bis dahin.
Ich war erschüttert, wie sie teilweise behandelt worden. Die Frauen mussten oft bis kurz vor dem Start bangen, ob sie wirklich aufgestellt werden oder wieder nur Reserve sind. Sie durften kein Geld mit ihrem Sport verdienen, waren also auf Spenden, Stipendien oder einen Brotjob angewiesen. Und egal, wie sehr ihnen das alles zugesetzt hat, nach außen waren sie immer stark und haben sich nichts anmerken lassen. „Eines Tages werden sie uns Frauen nicht mehr aufhalten können.“ (S. 449)
Die afroamerikanischen Sportlerinnen hatten es besonders schwer, wurden bei Wettkämpfen oft einfach übergangen, obwohl sie besser als ihre weißen Konkurrentinnen waren und sich bereits qualifiziert hatten.

Die Bilder der Olympiade 1936 kenne ich von der Leni-Riefenstahl-Ausstellung in Potsdam, trotzdem hat Elise Hooper mir bis dato noch unbekannte spannende Fakten über Hitlers und Görings Umgang mit den Sportlern einfließen lassen. Besonders interessant fand ich die Schilderungen, wie Deutschlands politische Veränderungen in Amerika wahrgenommen wurden und die Olympioniken stellungnehmen und die Teilnahme verweigern sollten. Vielen ist da erst bewusst geworden, was die Nationalsozialisten bezwecken … „Seit wann hat Laufen was mit Politik zu tun?“ (S. 343) „Die Olympischen Spiele haben nur mit Politik zu tun.“ (S. 344)

Mich hat Elise Hoopers Buch nachhaltig beeindruckt. 5 Sterne und meine Leseempfehlung.

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Veröffentlicht am 02.11.2021

Zwei Models, ein Riese und ein Untoter

Schwund
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Mit „Willkommen in euren künftigen Alpträumen.“ (S. 13) begrüßt die Gerichtmedizinerin die Berliner Kommissare Fabian Messner und Sisu Demirkan in einer alten Fabrikhalle. Vor ihr liegt eine männliche ...

Mit „Willkommen in euren künftigen Alpträumen.“ (S. 13) begrüßt die Gerichtmedizinerin die Berliner Kommissare Fabian Messner und Sisu Demirkan in einer alten Fabrikhalle. Vor ihr liegt eine männliche Leiche, eindeutig nach dem Tod skalpiert, mit einem Kinderreim tätowiert und in Plastikfolie eingeschweißt. Natürlich kommen sofort Fragen auf. Wer macht sowas? Will sich hier das Opfer eines Pädophilen rächen? Doch noch während sie erste Vermutungen anstellen, tauchen die nächsten Leichen auf, alle auf die gleiche Art hergerichtet. Einem älteren Beamten fallen sofort die Parallelen zum Cold Case „Indianer“ ein. Vor 40 Jahren hat ein Täter seine Opfer auf genau die gleiche Weise präpariert. Er wurde zwar nie gefasst, aber da man damals von einem älteren Mann ausging, müsste er längst tot sein. Als dann auch noch bei einem der Toten Drogen auftauchen und zwei Banden einen brutalen Krieg anzetteln, werden schnelle Ergebnisse gefordert.

Tatjana Kruse hat sich wieder einmal selbst übertroffen. „Schwund“ zeichnet sich durch ein extrem schnelles Erzähltempo (die Leichen kommen gefühlt im Sekundentakt rein, man kommt kaum zum Luftholen, geschweige denn Nachdenken) und einen echt derben Humor aus.
Die Handlung ist im wahrsten Sinne des Wortes komplett abgefahren! Das Ermittlerteam rast quer durch Deutschland von einem Leichenfundort zum nächsten, ohne dass man das Gefühl hat, dass sie dem Täter oder seinen Motiven dabei auch endlich mal näherkommen. Wie sagt einer der Beteiligten so schön: „… wenn die Fabrik in Berlin nicht dabei wäre, könnte man glatt meinen, die Mörder machen eine Rundtour zu den schönsten Ausflugszielen Deutschlands.“ (S. 110/111)

Auch die Protagonisten sind total überzeichnet, abgedreht und voller Klischees. Ihre Vorgesetzen bezeichnen sie nicht umsonst als „zwei Models, ein Riese und ein Untoter“. Die Berliner Kommissare Fabian und Sisu sind einfach zu schön und durchtrainiert, um wahr zu sein. Sie sind sehr taff (vor allem Sisu schreckt auch vor Gewalteinsatz nicht zurück) und promiskuitiv. Nur ist Fabian leider nicht die hellste Kerze am Baum und wird bei Toten immer etwas grün im Gesicht …
Der Riese, Kommissar Schröder aus Hamburg, ist ein richtiger Schrank, der angeblich aus Blutzuckergründen dauernd (fr)isst und dabei alles vollkrümelt (auch Tatorte!). Und der blutleere Drogenexperte Fassbinder sieht aus, als sei er gerade einer Gruft entstiegen.
Dazu kommt noch Dezernatsleiter Kinski, der sich mit dem Fall profilieren will und sich deswegen bei der Aufklärung auf Schritt und Tritt vorn einem professionellen Fotografen oder Kamerateam begleiten lässt, um Material für seine Imagekampagne zu sammeln.

Eine kleine Warnung: „Schwund“ ist nichts für schwache Mägen! Auch wenn am Ende alles ganz anders ist als gedacht, fliegen einem hier die Leichen(teile) um die Ohren und man könnte in einem Lachflash hängen bleiben

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