Profilbild von LaberLili

LaberLili

Lesejury Star
offline

LaberLili ist Mitglied der Lesejury

Melde dich in der Lesejury an, um dich mit LaberLili über deine Lieblingsbücher auszutauschen.

Anmelden

Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 10.01.2022

Unschöner Fall vor schöner Kulisse

Nachts schweigt das Meer
0

Das Erste, was ich getan habe, nachdem ich „Nachts schweigt das Meer“ ausgelesen hatte, den nächsten Band anzuschaffen – und damit ist im Grunde genommen doch schon alles gesagt.
Bevor ich den Roman gelesen ...

Das Erste, was ich getan habe, nachdem ich „Nachts schweigt das Meer“ ausgelesen hatte, den nächsten Band anzuschaffen – und damit ist im Grunde genommen doch schon alles gesagt.
Bevor ich den Roman gelesen habe, wusste ich über die Scilly-Inseln nicht viel mehr, als dass sie zu Großbritannien gehören; gut, dunkel meinte ich mich zu erinnern, dass Prinz William und Herzogin Catherine mitsamt ihrer Kinder während der Corona-Pandemie da ihren Sommerurlaub verbracht hatten, weil die Inseln relativ abgeschottet lägen und ein Aufenthalt dort keiner auffälligen Sicherheitsvorkehrungen bedurft habe. Im Buch findet man nun, ehe die Geschichte losgeht, auch eine Karte, die der Leserschaft die Lage der einzelnen Inseln nochmals verdeutlichen soll: nette Idee, die mir allerdings gar nicht weiterhalf, da dieser Plan im eBook hauptsächlich wie ein Kaffeefleck ausschaut und er sich mit dem Paperwhite auch nicht heranzoomen ließ. Zunächst hatte ich es dabei belassen, mir aber später doch online eine Karte der Inseln angeschaut, da im Roman doch häufiger von Inselchen zu Inselchen übergesetzt wurde, mal privat, mal mit der Fähre, dann gab es noch das Flugzeug zum Festland und es mir ohne jegliche Ortskenntnisse schwerfiel, das alles nun auch von den Entfernungen her einzustufen.
Generell verströmte „Nachts schweigt das Meer“ aber doch sehr viel Lokalkolorit; von der Lage der einzelnen Inseln zueinander abgesehen habe ich mir die Scilly-Inseln auch ziemlich gut vorstellen können, obschon es mich eingangs irritierte, als beschrieben wurde, dass eine Insel an der breitesten Stelle nur 1km mäße, ehe erklärt wurde, welches Anwesen in einer Talsenke und sowieso läge: vor Allem in jener Szene hat mir die angeschaute Karte dann doch sehr geholfen, die räumlichen/geografischen Verhältnisse besser nachvollziehen zu können. Nach dem Lesen könnte ich mir nun auch gut vorstellen, selbst einmal auf den Scilly-Inseln Urlaub zu machen; im Roman kommen sie für mich wie eine rauhere Küstenregion rüber, die sich hervorragend zum Entschleunigen und Durchatmen eignet – sofern grad vor Ort keine Mörderin gesucht wird, wovon im realen Leben doch eher auszugehen ist.
Auch „Nachts schweigt das Meer“ ist ein eher ruhiger Krimi, bei dem sehr viel befragt und rekonstruiert wird; großartige Action gibt es hier nicht. Da liegt der Fokus schon eher auf der Belastung, die Ben, der ohnehin daheim auf den Inseln eigentlich zu einem Entschluss kommen wollte, ob er die Polizeikarriere komplett an den Nagel hängt, dadurch erfährt, dass ihm völlig bewusst ist, dass er letztlich wen aus seinem eigenen Umfeld festnehmen werden muss, da eine auswärtiger Täterin nicht in Frage kommt. Hinzu kommt, dass einige Inselbewohnerinnen ihn eher desillusioniert zurücklassen, da er ihre jetzige Persönlichkeit kaum mit dem Mensch in Einklang bringt, der ihm früher wohlvertraut war.
Die Darstellung der Figuren habe ich in diesem Fall übrigens sehr genossen, da ich mir prinzipiell alle Figuren sehr gut vorstellen konnte – da überraschte mich die Auflösung letztlich doch ein wenig; die Hintergründe habe ich nachvollziehen können, aber so ganz konnte ich zunächst nicht glauben, dass betreffende Person derart zielgerichtet hat zustechen können sollen.

Wie gesagt: Auf mich wartet nun bereits Band 2 und ich würde „Nachts schweigt das Meer“ nun nicht unbedingt dem Cozy-Crime-Genre zuordnen, obschon es doch deutlich behaglicher zugeht als in den eher Richtung Psychothriller gehenden Kriminalromanen, was einem vor der Lektüre doch bewusst sein sollte. Bildlich gesprochen würde ich diesen Roman als „Kuschelkrimi mit Gewitter“ bezeichnen; ich mochte ihn jedenfalls!

Veröffentlicht am 03.01.2022

"Die Ankunft des FBI verspätet sich um etliche Seiten..."

Thirteen
0

„Thirteen“ war tatsächlich mein erster Roman rund um Eddie Flynn: Dabei war ich eingangs echt überzeugt, mindestens einen Vorgänger gelesen zu haben, da mir vor Allem die Personenkombi Eddie/Harper so ...

„Thirteen“ war tatsächlich mein erster Roman rund um Eddie Flynn: Dabei war ich eingangs echt überzeugt, mindestens einen Vorgänger gelesen zu haben, da mir vor Allem die Personenkombi Eddie/Harper so bekannt vorkam und mir auch Eddies privater Background diffus vertraut erschien. Irgendwann ist mir allerdings klargeworden, dass ich Eddie Flynn ganz einfach mit der Figur des Ted Conkaffey von Candice Fox verwechselt hatte; jetzt möchte ich doch behaupten, dass wer die Reihe um jenen Ermittler mochte, bestimmt auch was mit der Eddie-Flynn-Reihe anfangen kann (und umgekehrt).

Bereits die Kurzbeschreibung verrät dabei ja bereits das grundsätzliche Geheimnis des Romans: der Mörder sitzt in der Jury; worin besteht nun also eigentlich das Spannungsmoment dieser Geschichte? Zum Einen natürlich darin, dass man als Leser*in von Anfang an weiß, dass der Angeklagte in diesem Fall unschuldig ist, aber eben nicht, ob seine Unschuld letztlich bewiesen wird bzw. ob es dem wahren Täter gelingt, die anderen Jury-Mitglieder zu einer Verurteilung zu bewegen und zum Anderen weiß man aber auch nicht, welcher der Juroren genau der wahre Täter ist. Gleich eingangs erfährt man, dass und wie er in die Rolle eines der Juroren geschlüpft ist, aber es bleibt wirklich sehr lange unklar, welcher Juror hier ersetzt wurde. Das Einzige, was aufgrund der Erzählungen und letztlich auch der Fallrekonstruktionen definitiv ausgeschlossen scheint, ist, dass es sich beim Täter um eine Frau handelt.
Dabei gibt es in „Thirteen“ durchaus eine wechselnde Perspektive; mal wird aus der personalen Sicht Eddies erzählt und mal wird auktorial der Mörder „begleitet“, von dem man zwar sehr viel erfährt, bei dem es Cavanagh als Autor aber zugleich gelungen ist, ihn stets so detaillos zu umschreiben, dass man – aus Eddies Sicht betrachtet – tatsächlich auch spekulieren muss, wer von den Juroren ein falsches Spiel treibt. Immer wieder gibt es kleinere Hinweise, die einen zu erkennen meinen lassen, als welcher Juror sich der echte Täter ausgibt, und die dann wieder derart über den Haufen geworfen werden, dass ich letztlich bereit war, die Buchbeschreibung anzuzweifeln: Säße der Täter wirklich in der Jury oder wäre er stattdessen einfach nur im engsten Umfeld der Jury zu finden? Zudem wird, aus sämtlichen Perspektiven, bald ersichtlich, dass der Täter über Insiderwissen verfügt und einen Kontakt in die Ermittlerreihen pflegen muss. Die Identität des „Maulwurfs“ hat mich letztlich übrigens weniger überrascht, mir allenfalls einen leichten „Aha“-Moment beschert, denn relativ weit vorne in der Geschichte gab es eine, in meinen Augen ganz seltsame, Szene, die für mich keinen rechten Sinn ergab und die hier dann aber später auch im Sinne der Beweisführung genannt wird, in der jener Vorfall plötzlich sehr viel Sinn ergab. Wer ganz aufmerksam liest, dürfte zumindest den Maulwurf von daher bereits vor dem letzten Drittel der Geschichte ausgemacht haben.

Was mich allerdings doch störte: Beim Mord, der hier verhandelt wurde, gab es ein ganz besonderes Merkmal, das sofort hätte auffallen müssen, aber das FBI wurde dann eher zufällig via Eddies persönlicher Kontakte hierauf aufmerksam, obschon das FBI bzgl. einer Mordserie quer durch diverse Bundesstaaten ermittelte, die sich durch exakt dieses Merkmal auszeichnete. Ich habe es absolut nicht verstanden, wieso das FBI sich nicht sofort eingeschaltet hatte und jetzt erst noch die Datenbank nach weiteren Taten mit diesem sehr spezifischen Merkmal durchsuchen musste: Wieso hatte das FBI in der Hinsicht nicht einen ständigen Alert geschaltet?
So spannend ich „Thirteen“ auch fand: Mir war da bald überhaupt nicht klar, wieso dieser Prozess grundsätzlich hatte beginnen können, und generell wirkte das FBI hier auf mich wie ein Haufen Ermittler, dem beim gemütlichen Kaffeetrinken ganz plötzlich und siedend heiß eingefallen war, dass er ja noch in einer mutmaßlichen Mordserie zu ermitteln hatte – oder als wäre Cavanagh irgendwann doch noch in den Sinn gekommen, dass derartige, bundesstaatsübergreifende, Fälle einfach nicht ohne FBI-Beteiligung auskommen können.

Das war dann bei aller Begeisterung doch ein kleiner Wermutstropfen, auch wenn ich diesen Thriller generell gerne weiterempfehle und mir den Autor sowie seine „Eddie Flynn“-Figur sicherlich merken werde!

Veröffentlicht am 11.12.2021

Walter kommt klar

Barbara stirbt nicht
0

Dass Barbara nicht stirbt, steht für Walter zweifelsfrei fest: Da erkundigt er sich auch gar nicht weiter nach einer genaueren Diagnose, nachdem ihre Kinder darauf bestanden haben, sie zu einer fachärztlichen ...

Dass Barbara nicht stirbt, steht für Walter zweifelsfrei fest: Da erkundigt er sich auch gar nicht weiter nach einer genaueren Diagnose, nachdem ihre Kinder darauf bestanden haben, sie zu einer fachärztlichen Untersuchung zu bringen. Barbara bleibt nun halt einfach liegen, isst kaum mehr, nimmt ihre Umwelt immer weniger wahr… aber während immer mehr Bekannte der einst sehr umtriebigen und engagierten Barbara vorbeikommen, um diese „noch einmal zu sehen“, bleibt Walter weiterhin überzeugt, dass Barbara eben nicht stirbt und dass er auch es auch alleine schaffen kann, sowohl Barbara zu versorgen wie auch sich um Haushalt, Garten und Hund zu kümmern.
In „Barbara stirbt nicht“ bleibt man perspektivisch dicht an Walter, wobei der Erzähler faktenbasiert bleibt und neutral beobachtet; Einblicke in Walters Gefühlsleben erhält man kaum. Er ist eher von der Fraktion „oller Grantelkopf“; seine Kinder können ihm generell nichts richtig machen und ohnehin drängen sie sich Barbara und ihm für sein Empfinden nun zu sehr auf: Während er noch behauptet, alles im Griff zu haben und keine Probleme sieht, reagiert vor Allem seine Tochter entsetzt auf „Ordnung und Sauberkeit“ im Haushalt und dass sich die Wäsche längst türmt, ist Walter noch gar nicht aufgefallen, denn schließlich lägen noch genug Klamotten im Schrank.
Häufig erkennt man nur durch diese Scharmützel, wie überfordert Walter mit der Situation tatsächlich ist – das Einzige, bei dem er wirklich heraussticht, ist beim Kochen und Backen. Ausgerechnet er, der zunächst nicht einmal Kaffee kochen kann und sich in der nächstgelegenen Bäckerei von einer Mitarbeiterin erklären lässt, wie man das eigentlich macht – und besagte Mitarbeiterin kurzerhand als eine Art persönlichen Erklärbär anerkennt, an die er sich in Sachen Haushaltsfragen fortan regelmäßig wendet. Mittels Barbaras Facebook-Konto, in dem sie auf ihrem PC immer noch eingeloggt ist und das er kurzerhand okkupiert, dringt er in die Community rund um einen Fernsehkoch ein, dessen Rezepte für ihn völlig klar und verständlich sind, weswegen er sie gerne nachbereitet und wird da als „Herr Barbara“ , von dem sich niemand sicher zu sein scheint, ob er nicht bloß ein Troll ist, zu einer kleinen Kultfigur ohne dass es Walter bewusst wird. Denn auch das Internet ist für ihn Neuland; Walter ist eine Figur, die auf sehr (wirklich seeeeehr!) brummige Weise ihren ganz ureigenen Charme besitzt; er nimmt kein Blatt vor den Mund und prinzipiell stellt sich hier beim Lesen ständig die Frage, wen er wohl als Nächstes brüskieren wird.
Es gibt bislang wenig derart unsympathische Protagonisten, von denen ich so gerne wie von Walter gelesen habe. Dieser eher kurze Roman ist so wunderbar tragikomisch, da sich der Ernst der Situation auch erst im Verlauf Stück für Stück enthüllt, während Walter zum Beispiel immer wieder verblüfft feststellt, wie alt auch die Kinder seiner gleichaltrigen Freunde bereits sind und dass sogar jene teils schon stark ergraut sind, und wie doch mehr und mehr helfende Hände ins Haus gelangen.

Ich fand es wunderbar, wie wenig schwermütig dieser Roman trotz des bedrückenden Hintergrundes doch blieb und wie immer wieder auch ein „Walter kommt klar“ durchblitzte. „Barbara stirbt nicht“ zeigt auf eindrückliche Weise, wie sehr sich der Alltag verändern kann, wenn der Partner oder in diesem Fall eben die Partnerin, nach Jahren plötzlich nicht mehr präsent ist und man sich plötzlich auch mit Aufgaben und Tätigkeitsfeldern konfrontiert sieht, an die man selbst zuvor womöglich seit Jahrzehnten keinen einzigen Gedanken verschwendet hat, weil da im gemeinsamen Haushalt die Aufteilung so klar und strikt war. Da spiegelt der Inhalt sehr schön wider, wie bewundernswert es eigentlich ist, wenn alte Menschen, die plötzlich keinen mehr neben sich haben, sich doch noch wieder in einen eigenen, geregelten Alltag hineinfinden können und sich selbst ebenfalls nicht einfach aufgeben.

Dieses Buch hat mir wirklich sehr gut gefallen, mich nachdenklich gemacht, mich tief berührt… leider endet es sehr abrupt und an der Stelle habe ich mich wirklich beim Lesen gestört gefühlt; ich hätte da doch sehr gerne noch zwei, drei Kapitelchen mehr gehabt.

Veröffentlicht am 08.11.2021

Wenn das Gestern und das Vorgestern sich ins Heute weben

Die Enkelin
0

„Die Enkelin“ beginnt langsam. Seeeeehr langsam. Langsamer als ich es nach dem Lesen der ersten zehn Seiten erwartet hatte. Gleich eingangs entdeckt man an der Seite des 70jährigen Kaspars die Leiche seiner ...

„Die Enkelin“ beginnt langsam. Seeeeehr langsam. Langsamer als ich es nach dem Lesen der ersten zehn Seiten erwartet hatte. Gleich eingangs entdeckt man an der Seite des 70jährigen Kaspars die Leiche seiner Frau, die, man weiß es nicht genau, entweder den Freitod gewählt oder betrunken verunfallt ist, um daraufhin mit ihm herauszufinden, dass Birgit ihm doch weniger vertraut als angenommen war und Geheimnisse mit sich getragen hatte, die er nur zum Teil, und selbst das teils nur fragmentarisch, enthüllen kann. Briefe, Tagebucheinträge, Aufzeichnungen…, häufig unvollständig, lassen ihn eine ganz andere Frau erkennen als Diejenige, die einst zu ihm in den Westen geflohen ist, für ihn, seinetwegen.
Relativ weitschweifig wird hier rückblickend erzählt, wie genau Kaspar und Birgit sich dereinst kennengelernt hatten, wie ihre Flucht aus der DDR heraus verlief…, und das alles bleibt doch relativ unpersönlich. Birgit ist tot, Kaspar strahlte nun auch keine auffällige Trauer aus, die augenscheinlich doch so große Liebe wirkte eher gemütlich als von überbordenden Gefühlen geprägt; ich konnte die Beiden kaum als Paar, schon gar nicht als glückliche Eheleute, wahrnehmen, sondern sie erweckten auf mich in ihrer Darstellung eher den Eindruck einer Zweckgemeinschaft, in der sich in erster Linie Kaspar um die verloren wirkende Birgit sorgte.
Diese hatte mit der Flucht tatsächlich ihr bisheriges Leben verworfen, war in eine quasi völlig neue Umwelt, eine andere Kultur, hineingeworfen worden, aber diese Zerrissenheit hätte sie selbst wohl deutlicher machen können als Kaspar, der immer neue Facetten seiner Frau aufdeckte und oftmals auch nur mutmaßen konnte. Mir blieb das alles zu distanziert, zu unpersönlich – bis Kaspar sich dann zu den Orten aus Birgits DDR-Vergangenheit aufmacht, Plätze besucht, Menschen aufsucht und sich plötzlich mit einer Familie in einer völkischen Siedlung konfrontiert sieht, die völlig andere Werte vertritt als er.
Aber bis es zu diesem Aufeinandertreffen kommt und die titelgebende „Enkelin“ zum ersten Mal auf der Bildfläche erscheint, sind doch schon so einige Buchseiten vergangen/gelesen.

Aber hier gelingt Schlink das Kunststück, auch die Figur der Birgit plötzlich nahbarer zu machen; in ihrer früheren Umgebung spiegeln sich ihre DDR-Erfahrungen wider und auch die ihrer Kaspar bis kurz zuvor unbekannten Tochter. Erst hier wurden für mich die Unterschiede DDR/BRD richtig deutlich und Erfahrungswerte persönlicher vermittelt, wobei ich behaupten möchte, dass das nun wiederum daran liegt, dass die Menschen hier noch quicklebendig sind, während die tote Birgit zuvor eher wie eine Schattenfigur gewirkt hat.
Kaspar, der ältliche Mann, der seinen Buchladen sicherlich in den nächsten Jahren aufgeben wird, und Sigrun, die 14Jährige, die in den nächsten Jahren erst volljährig werden wird, sind an sich schon komplett gegensätzliche Menschen, die noch dazu besonders auffallen, da das Mädchen völkisch-nationalistische Ideologien vertritt, während der lang Erwachsene eine eher aufgeschlossene und interessierte Persönlichkeit hat; nicht, dass er allzu progressiv wirkt, aber er ist doch sehr reflektiert.
Ich fand es sehr spannend, wie er versucht hat, sich auf Sigrun und ihr Weltbild einzulassen, in dem sie beispielsweise Irma Grese zu einer Ikone stilisiert und Anne Franks Tagebuch als infame Fälschung ansieht, und ihr zugleich eine völlig andere Weltanschauung zu vermitteln, ohne allzu belehrend wirken zu wollen. Der beiläufige Einblick in die völkische Gemeinschaft war für mich sehr erschreckend; zugleich wurde aber auch verständlich dargestellt, wieso sich Sigruns Mutter ihr im Laufe ihres Lebens angeschlossen hat, was den Schreck doch auch noch vergrößerte, denn ihr Anschluss und ihr Verharren war eben nachvollziehbar und machte sehr deutlich, worin der Reiz dieser völkischen Gemeinden auch heute noch leicht liegen kann.
Das Ende des Buchs hat mich zugleich enttäuscht und mir gefallen; einerseits hoffte ich die ganze Zeit, Sigrun möge sich lösen und vor Allem von einer anderen Realität als der ihr eingetrichterten überzeugen lassen können , auch von dem, was sie bei ihren Besuchen in Berlin positiv und eben grundsätzlich anders erlebte. Andererseits dachte ich aber ständig, dass nicht plötzlich alles gut sein könnte und Sigrun den ganzen Nationalsozialismus sicher nicht mit einem Male verworfen haben würde. So wie er gestaltet wurde, ließ der Schluss mich voller Hoffnung traurig, zwar voll sehr viel trauriger Hoffnung, aber eben auch mit diesem klitzekleinen durch den trüben Himmel hervorblitzenden Sonnenstrahl.

Letztlich hat mir „Die Enkelin“ sehr gut gefallen; bis darauf, dass die Erzählung sehr gemächlich anlief, habe ich nichts zu bemängeln und prinzipiell zählt dies definitiv auch zu den Büchern, die mich in den letzten Jahren am Meisten zum Nachdenken angeregt haben.

Veröffentlicht am 04.10.2021

Highlight - und sehr viel Humor!

The Stranger Times
0

Ich fluche hier immer noch vor mich hin, denn das wahnwitzigste, das ich in den letzten Tagen, Monaten, Jahren… getan habe, war dieses Buch zu lesen: Es ist der Auftakt einer Trilogie, von der bisher, ...

Ich fluche hier immer noch vor mich hin, denn das wahnwitzigste, das ich in den letzten Tagen, Monaten, Jahren… getan habe, war dieses Buch zu lesen: Es ist der Auftakt einer Trilogie, von der bisher, selbst im englischen Original, nur dieser Band erschienen ist. Gemeinhin lese ich Buchserien erst dann „am Stück“, wenn sie komplett erschienen sind; in diesem Fall hatte mich eine Leseprobe diesen ersten Band aber unbedingt lesen lassen wollen, erinnerte mich der Stil doch ein wenig an Roald Dahl und der Inhalt an einen Tim-Burton-Film – und was soll ich sagen? Nach dem Lesen will ich diese Geschichte immer noch und ganz definitiv von Burton verfilmt sehen.
In diesem Band passiert zunächst eigentlich noch gar nicht so viel, außer dass man die Redaktion der „Stranger Times“ kennenlernt, in der sich die Protagonistin Hannah völlig ahnungslos plötzlich angestellt wiederfindet, und eine vage Ahnung einer, um über den Romananfang hinaus nicht zu viel zu spoilern, Wesensart aus einer Zwischenwelt erhält, die jüngst ihr Unwesen vor Ort zu treiben begonnen hat, dem prompt ein williger Nicht-Redakteur der Zeitung zum Opfer fällt, an dessen angeblichen Suizid seine Nicht-KollegInnen nicht glauben wollen. Das klingt nun ein wenig diffus; tatsächlich sind die sonstigen Geschehnisse, bis im letzten Romandrittel jemand Wissendes Tacheles redet, noch etwas diffus, aber für mich konzentriert sich dieser Band nun tatsächlich sehr auf das Vorstellen der Figuren; als die genaueren Umstände letztlich erläutert werden, passiert das auch plötzlich hoppladihopp, während sich die Geschichte zuvor noch eher gemütlich lesen ließ. Mein einziger Kritikpunkt besteht da auch in diesen sehr schnell erfolgenden Erklärungen, die den Band etwas wirken lassen als sei dem Autor schließlich siedend heiß eingefallen, dass bis zum Cliffhanger nun aber doch noch „wirklich etwas passieren“ müsse. Da war also mit einem Mal sehr viel Action und zack, war der Band zu Ende.

Generell bin ich keine besondere Freundin von Fantasy, aber „The Stranger Times“ hat mir nun ähnlich viel Spaß bereitet wie die „besonderen Kinder“ von Ransom Riggs, auch wenn „The Stranger Times“ sich definitiv an ein erwachseneres Publikum richtet als jene Jugendbuch-Reihe und im Gegensatz dazu seeeeeehr viel britischen, oftmals, schwarzen Humor und im Allgemeinen sehr schlagfertige Figuren beinhaltet, deren Unterhaltungen ich immer sehr genossen habe.
Im Allgemeinen hat es mir, abgesehen von der unvermittelten Hektik zum Schluss hin, wirklich sehr gut gefallen und ich kann das Erscheinen der Folgebände kaum erwarten; erwähnen möchte ich zudem, dass das gebundene Buch mit einem schwarzen Buchschnitt daherkommt, was es noch spezieller wirken lässt, und in diesem Fall sollte man auch ganz unbedingt noch die sehr amüsant gestaltete Danksagung am Schluss lesen und das Buch nicht gleich nach der „Hauptgeschichte“ zuklappen.