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Veröffentlicht am 14.06.2022

Positiv denken allein hilft auch nicht!

Ich möchte lieber nicht
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In einer Welt, in der uns verkauft wird, dass positives Denken Berge versetzen kann, dass wir alles schaffen können, wenn wir es nur wirklich wollen, emfpand ich „Ich möchte lieber nicht“ keineswegs ...



In einer Welt, in der uns verkauft wird, dass positives Denken Berge versetzen kann, dass wir alles schaffen können, wenn wir es nur wirklich wollen, emfpand ich „Ich möchte lieber nicht“ keineswegs so negativ, wie der Titel es suggerieren könnte, sondern einfach nur herzerfrischend anders.
Als, so glaube ich zumindest, grundsätzlich positiv optimistisch eingestellter Mensch, stimme ich Julia Marie Schreiber aus tiefstem Herzen zu, dass eine positive Grundeinstellung das Leben nicht automatisch zum Besseren wendet und auch nicht in jeder Situation möglich oder gar hilfreich ist.
Einem schwer erkrankten Menschen beispielsweise zu wünschen, immer positiv zu bleiben, ändert nämlich ganz und gar nichts an dessen Situation und ist vielmehr ein Schlag ins Gesicht, weil dieser sich nun vorwerfen muss, möglicherweise nicht positiv genug durchs Leben gewandelt zu sein und somit seine Krankheit gar selbst verschuldet zu haben und sich jetzt auf jeden Fall mal ordentlich anstrengen muss beim Optimistischsein. Der (gut) gemeinte Ratschlag „Bleib positiv“ ist in diesem Fall eher ein Magenschwinger für Erkrankten, auch wenn er „positiv“ gemeint oder auch nur ein Ausdruck von Hilflosigkeit ist.

Wenn ich mir das vom Verlag veröffentlichte Foto der Autorin ansehe, so habe ich auch nicht den Eindruck, eine pessimistische Miesepetra zu sehen. Ihr äußerst amüsanter, ironisch-humorvoller Schreibstil - im Hörbuch von Ulrike Kapfer übrigens herrlich süffisant vorgetragen - legt das auch gar nicht nahe. Die Autorin zeigt einfach auf, dass an vielen Stellen das „richtige“ Mindset nicht immer positives ist, dass im Gegenteil ein negatives Mindset, ein sich über den Statusquo-Aufregen eher zu den gewünschten Veränderungen führen kann.
Denn manchmal ist eben nicht unser Mindset, sondern die Situation verkehrt.
Wer eine fundierte wissenschaftliche Abhandlung sucht, ist hier sicherlich falsch. Viele von Schreibers Thesen lassen sich wahrscheinlich ebenso leicht widerlegen wie die Autorin jene der Daueroptimisten widerlegt. Es ist vielmehr ein amüsanter Ratgeber, bei dem ich vielen der Thesen zustimmen konnte und den ich überhaupt nicht schlecht gelaunt aus den Händen gelegt habe.

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Veröffentlicht am 14.04.2022

In der grauen Zone

Graue Bienen
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Ich gebe zu, dass ich zu Städten wie Donetsk und Luhansk in der Vergangenheit keinerlei Vorstellung im Kopf hatte. Heute assoziiere ich mit diesen Namen leider triste, traurige Bilder vom Krieg. Dennoch ...

Ich gebe zu, dass ich zu Städten wie Donetsk und Luhansk in der Vergangenheit keinerlei Vorstellung im Kopf hatte. Heute assoziiere ich mit diesen Namen leider triste, traurige Bilder vom Krieg. Dennoch würde ich jetzt nicht behaupten, dass ich großes Wissen zu dieser Gegend habe, auch wenn dieses Informationsdefizit gerade leicht zu beseitigen ist. Doch wie ich finde, kann auch Literatur in diesem Zusammenhang einen großen Beitrag leisten.
Eine große Entdeckung war für mich der Roman „Graue Bienen“ von Andrej Kurkow, der bereits 2019 erschienen ist, mir gerade aber wie das Buch der Stunde erscheint. Kurkow führt uns nicht ganz in den Donbass, sondern in die graue Zone, dem Gebiet zwischen dem Territorium der prorussischen Separatisten und der ukrainischen Armee. Das Dorf Malaja Starogradowka, in dem der Protagonist Sergej Sergejitsch lebt, ist inzwischen verlassen. Außer ihm lebt nur noch sein „Feindfreund“ Paschka dort. Alle anderen Bewohner haben ihren Heimatort längst verlassen. Zu groß war die Angst, zwischen den Fronten das Leben zu verlieren.
„Bei den übrigen Malostarogradowkern war gleich zu Beginn der Kriegshandlungen der Wunsch aufgekommen wegzuziehen. Und das hatten sie getan. Weil sie mehr Angst um ihr Leben bekommen hatten als um ihre Besitztümer und von zwei Ängsten die stärkere wählten.“
Und so verharren nun Sergej und Pawlak in friedlicher Koexistenz, denn sie haben doch nur noch sich außer vereinzelte Besucher, die Sergei aus dem ukrainischen Lager bekommt, Paschka aus dem der Separatisten.
Dennoch versuchen die beiden sich so gut es geht aus dem politischen Geschehen herauszuhalten. Bei Sergej sind es insbesondere seine Bienen, die ihm Möglichkeit zur inneren Emigration bieten.
Und diese sind für ihn auch der Anlass, sich auf einen Roadtrip Richtung Ukraine und Krim zu begeben, denn die Bienen sollen frei und unbeschwert vom Donnern irgendwelcher Kanonen ausschwirren und Honig sammeln können. Auf der Reise wird Sergej vielerlei Menschen begegnen, Ukrainern, Russen, Krim-Tartaren, von denen manche freundlich sind, andere weniger.
Eine leise, ernste Geschichte, die Andrej Kurkow aber mit so viel Leichtigkeit erzählt und in der er die Figuren, insbesondere Sergej Sergejewitsch mit so viel Herzenswärme zeichnet. Eine kleine Geschichte, die dennoch sehr zum Verständnis der Situation beitragen kann. Eine wunderbare Geschichte, die ich jedem sehr ans Herz legen möchte.

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Veröffentlicht am 12.04.2022

Literarisch und geografisch durch die Schweiz

Durch die Schweiz
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Wie Daniel de Roulet wandere ich gerne, wenn auch vermutlich nicht so ausgiebig wie der Autor des Romans „Durch die Schweiz“. Wobei das schmale Büchlein – es hat gerade einmal 200 Seiten - auch eher ...


Wie Daniel de Roulet wandere ich gerne, wenn auch vermutlich nicht so ausgiebig wie der Autor des Romans „Durch die Schweiz“. Wobei das schmale Büchlein – es hat gerade einmal 200 Seiten - auch eher ein persönlicher Reisebericht ist und kein Roman. Der Autor hat dafür die Schweiz durchwandert von Genf nach Rorschach und von Porrentruy nach Chiasso. Als Wegbegleiter auf seinen Wanderungen hatte er immer ein Buch dabei, das einen Bezug zu der jeweiligen durchwanderten Gegend hatte. Eine tolle Idee, wie ich finde, denn so habe ich nicht nur Lust bekommen, die beschriebene Gegend auch einmal zu erwandern, sondern auch bei zukünftigen Wanderungen in anderen Gebieten auch nach passender Literatur zu suchen.
Ein sehr persönliches, ruhiges Buch, das einen auf eine geografische und literarische Reise mitnimmt.

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Veröffentlicht am 19.03.2022

Interessanter Einblick in eine andere Welt

Ultraorthodox
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Orthodoxe Juden, Amish People, Mennoniten und andere Glaubensgemeinschaften, die ihre Leben stark nach den Regeln der heiligen Schrift ihres jeweiligen Glaubens üben auf uns Außenstehende eine gewisse ...

Orthodoxe Juden, Amish People, Mennoniten und andere Glaubensgemeinschaften, die ihre Leben stark nach den Regeln der heiligen Schrift ihres jeweiligen Glaubens üben auf uns Außenstehende eine gewisse Faszination aus oder wecken zumindest unsere Neugier, nicht zuletzt weil ihre Kleidung irgendwie aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Für uns ist es schwer, diesen Lebensstil nachzuvollziehen. Wie kann es sein, dass Menschen 2022 bereit sind, auf vieles zu verzichten, was für uns selbstverständlich ist? Wie ist es möglich, dass sie an Dinge glauben, die durch die moderne Wissenschaft längst widerlegt sind?
Nach Deborah Feldmann erzählt uns nun Akiva Weingarten in seinem Buch „Ultraorthodox – Mein Weg“ wie er in den USA bei den strenggläubigen „Satmar“ aufwuchs, wie seine Zweifel an dem ihm in die Wiege gelegten Weg immer größer wurde und wie er schließlich seine Religionsgemeinschaft verließ. Sollte man das Buch überhaupt noch lesen, wenn man das Buch von Deborah Feldmann oder den darauf basierenden Film kennt? Unbedingt. Beide Lebensläufe sind trotz einiger Parallelen individuell, jedoch definitiv gleichermaßen interessant. Beide zeigen, dass es nicht immer leicht ist, alles, an das man bisher geglaubt hat, hinter sich zu lassen. Da Frauen und Männer jedoch innerhalb der Satmarer Chassiden ein relativ getrenntes Leben führen, fand ich es interessant durch Akiva Weingarten nun auch die männliche Perspektive kennenzulernen. Heute hat sich Akiva Weingarten vom chassidischen Glauben verabschiedet und ist in vielem auch ein Kritiker von dessen Lehren. Vom jüdischen Glauben hat er sich jedoch keineswegs abgewendet, vielmehr bemüht er sich als Rabbiner um einen aufgeschlossenen Glauben. Das Buch ist auch keine einseitige Abrechnung mit dem Chassidismus und gerade deshalb für uns Leser*innen eine bereichernde und aufschlussreiche Lektüre.

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Veröffentlicht am 16.03.2022

Von den Grenzen der Diplomatie

Die Diplomatin
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Zum ersten Mal aufgefallen war mir Lucy Fricke in der Anthologie „Klasse und Kampf“ von Baron/Barnakow, einer Textsammlung, in der Schriftsteller, die aus dem Arbeitermilieu stammen, über ihren sozialen ...



Zum ersten Mal aufgefallen war mir Lucy Fricke in der Anthologie „Klasse und Kampf“ von Baron/Barnakow, einer Textsammlung, in der Schriftsteller, die aus dem Arbeitermilieu stammen, über ihren sozialen Aufstieg bzw. das Leben zwischen zwei Welten schreiben.

Frickes Protagonistin Fred in „Die Diplomatin” hat den Spagat zwischen zwei Welten offensichtlich gut gemeistert, auch wenn immer wieder in deren Gedanken aufblitzt, dass ihre Mutter, die in Hamburg in einfachen Verhältnissen lebt, ihren jetzigen Lebensstil inklusive Haushälterin und privatem Fahrer nur schwer fassen könnte.

Fred ist in ihrem neuen Leben als Diplomatin längst angekommen. Mehr und mehr wird ihr jedoch klar, wie begrenzt ihre diplomatischen Mittel eigentlich sind.

Im ersten Teil des Buchs hat sie gerade eine Stelle in Montevideo angetreten und verzweifelt fast schon an der gepflegten Langeweile, da zu ihren Hauptaufgaben in diesem konfliktarmen Job hauptsächlich das perfekte Catering des Staatsbanketts zum Tag der Deutschen Einheit zählt. Jedenfalls bis eine deutsche Touristin entführt wird und sie dem Fall nicht die notwendige Dringlichkeit zukommen lässt.

Hier endet dieser Teil des Buchs relativ abrupt und wir erfahren im nächsten Teil des Buches, dass Fred nach einiger Zeit im Innendienst ihre nächste Stelle in Istanbul angetreten hat. Langweilig ist es ihr hier sicherlich nicht. Viele der Fälle erinnern uns bei der Lektüre allzu gut an vieles, was wir in deutschen Zeitungen in den letzten Jahren gelesen haben. Für Fred sind diese Fälle zunehmend frustrierend, denn mit ihren diplomatischen Bemühungen stößt sie mehr und mehr an ihre Grenzen, und sie hat das Gefühl, dass ihre Hauptaufgabe darin besteht, bei Gerichtsverhandlungen Präsenz zu zeigen und dennoch keinen Einfluss auf den Verlauf der Dinge zu haben.

Ich fand die Lektüre interessant, mag Lucy Frickes Schreibstil sehr, auch wenn mir in diesem Roman vieles etwas zu angedeutet blieb und ich das Gefühl hatte, dass der in Montevideo spielende Teil insgesamt zu wenig Relevanz für das ganze Werk hatte.

Einen Roman in der Welt der Diplomat*innen anzusiedeln empfand ich als spannend, hatte mich während der Lektüre aber auch ein wenig gefragt, wie die Autorin zu diesem Stoff gefunden hatte.
Ein wenig Aufschluss gab mir ein Interview mit Lucy Fricke, in dem sie von ihrem Stipendienaufenthalt in der Türkei und von vielen Gesprächen, die sie dort mit Diplomaten hatte, erzählt, um Stoff für die Geschichte einer Diplomatin, die den Glauben an die Diplomatie verloren hat, zu sammeln.

Insgesamt ein empfehlenswertes Buch, bei dem man das Gefühl hat, ein bisschen mehr Einblick in die Welt und die Grenzen der Diplomatie zu bekommen. Schön auch, dass wir das aus weiblicher Sicht bekommen. Auch wenn ich mich frage, ob es von Bedeutung ist, dass unsere Protagonistin Friederike von allen Fred genannt wird?

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