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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 03.09.2022

Ein berührendes und aufrüttelndes Stück Literatur

Leinwand ohne Gesicht
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Das Cover von „Leinwand ohne Gesicht“ lädt zum Träumen ein, aber der Schein trügt, denn dieser Roman geht an die Substanz! Autorin Doris Wiesenbach greift einige große gesellschaftliche Themen auf und ...

Das Cover von „Leinwand ohne Gesicht“ lädt zum Träumen ein, aber der Schein trügt, denn dieser Roman geht an die Substanz! Autorin Doris Wiesenbach greift einige große gesellschaftliche Themen auf und zwingt uns Leserinnen zu einer (teils unbequemen) Auseinandersetzung damit. Auf beeindruckende Weise gelingt ihr dies, ohne die vorherrschende leicht surreale Atmosphäre, die in poetischer Sprache gestaltet wird, zu durchbrechen.

Über die Handlung des Romans darf man gar nicht zu viel verraten, denn worum es wirklich geht, stellt sich erst nach und nach heraus. Lea, die junge Protagonistin, hat ihr Gedächtnis komplett verloren und ist seit zwei Jahren in einer Spezialklinik – bisher zeigen die sanften Methoden der Einrichtung jedoch keinen Erfolg. Am meisten enttäuscht davon ist Leas Ehemann Golo, der sie jeden Tage besucht und immer nachdrücklicher darauf besteht, sie mit nach Hause zu nehmen. Aber Leas Kopf ist wie leer gefegt, und sie spürt keine Verbindung zu diesem Mann. Zunehmend sorgt sie sich jedoch um das, was ihre Psyche vor ihr verstecken möchte. Was ist nur geschehen, was sie so aus der Bahn geworfen hat?

„Leinwand ohne Gesicht“ ist weder ein klassisches Psychodrama noch ein einfacher Spannungsroman. Spielerisch bewegt sich das Buch zwischen Genregrenzen hindurch und webt subtile phantastische Elemente ein, die die Situation bisweilen wie einen Traum erscheinen lassen. An anderen Stellen werden wir Leser
innen jedoch brutal und nüchtern mit der vollen Härte der Realität konfrontiert. Die literarische Gestaltung passt sich mit schlafwandlerischer Sicherheit der Entwicklung der Handlung an, was einen ganz besonderen Sog erzeugt.

Mit „Leinwand ohne Gesicht“ ist Doris Wiesenbach ein besonderes Kunststück gelungen: ein emotional bewegendes und sprachlich überzeugendes Stück Literatur, das zugleich die Spannungsentwicklung eines Kriminalromans und die Bildhaftigkeit eines Gedichts in sich trägt. Ein im positivsten Sinne ungewöhnliches Buch!

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Veröffentlicht am 30.08.2022

Sprachgewaltiges Porträt einer Frau und einer Gesellschaft

MTTR
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„MTTR“ von Julia Friese ist nur auf den ersten Blick ein Buch über Mutterschaft. Denn es geht nicht nur ums Muttersein und Mutterwerden, sondern um eine ganze Generation und ihren Umgang mit der Welt. ...

„MTTR“ von Julia Friese ist nur auf den ersten Blick ein Buch über Mutterschaft. Denn es geht nicht nur ums Muttersein und Mutterwerden, sondern um eine ganze Generation und ihren Umgang mit der Welt. In teils gewöhnungsbedürftiger, aber immer präziser Sprache seziert Julia Friese meisterhaft die Verhaltensweisen einer ganzen Gesellschaft.

Inhaltlich ist „MTTR“ schnell zusammengefasst: Teresa, eine junge Frau aus der Millenial-Generation, wird schwanger. Als Leserinnen begleiten wir sie auf ihrem Weg zur Mutterschaft: von den Besuchen beim Gynäkologen bis zu den Gesprächen mit ihrem Partner Erk, der Offenbarung gegenüber den Eltern und dem Gang zum Geburtsvorbereitungskurs und in die Klinik. Vordergründig eine so profane Abfolge von Ereignissen, steckt in jeder Szene so viel Sprengstoff, dass das Buch einen regelrecht aufgerüttelt zurücklässt. Dabei muss man sich an Julia Frieses reduzierten, nüchternen Sprachstil erst einmal etwas gewöhnen.

Der Roman lässt keine Wunde aus, um Salz hineinzustreuen: Die Dialoge sind so lebensnah, die Figuren mit ihren Verhaltensweisen so authentisch, dass sie ebenso gut aus den Seiten hervorspringen könnten. Und gerade das trifft besonders tief, denn es zeigt schamlos und ungeschminkt, wie Menschen miteinander umgehen. Teresas Eltern sind kontrollierend, distanziert und auf Erfolg gepolt, Erks Eltern überbehütend und übergriffig. Der Geburtsvorbereitungskurs kennt nur Überflieger und vermittelt ein Gefühl von Unzulänglichkeit und Hilflosigkeit, während die gleichaltrigen Freunde ihre Überforderung durch Witze und Distanzierung zu überspielen versuchen. Teresa schwimmt in diesen Reaktionen mit all ihren eigenen Sorgen und Ängsten, die sie zwar genau reflektiert und sich bewusst macht, jedoch nie überwinden kann. So schonungslos direkt ist das Buch erzählt, dass wir als Leser
innen förmlich in ihrem Kopf zu stecken scheinen und, genau wie Teresa, nicht aus ihrer Haut können.

„MTTR“ beschreibt ein Lebensgefühl, mit dem sich viele Menschen aus Teresas Generation sicher genau identifizieren können. Schonungslos seziert das Buch das Zusammenleben in einer Gesellschaft, die sich weiterentwickeln möchte, aber doch immer in alten Verhaltensmustern stecken bleibt. Unbedingte Leseempfehlung!

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Veröffentlicht am 09.08.2022

Ein psychologischer Thriller, der unter die Haut geht

Willkommen in Wisewood
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Mit „Willkommen in Wisewood“ entführt Stephanie Wrobel ihre Leserschaft auf eine einsame Insel in Nordamerika, wo sich mehrere auf schicksalhafte Weise verbundene Lebenswege kreuzen. Gekonnt verwebt die ...

Mit „Willkommen in Wisewood“ entführt Stephanie Wrobel ihre Leserschaft auf eine einsame Insel in Nordamerika, wo sich mehrere auf schicksalhafte Weise verbundene Lebenswege kreuzen. Gekonnt verwebt die Autorin Vergangenes mit Gegenwärtigem, lässt Geheimnisse unter der Oberfläche brodeln und schafft eine konstant bedrohliche Atmosphäre, die noch lange nachhallt.

Das Buch erzählt die Geschichte von drei Frauen, die ähnliche Kämpfe auszufechten haben: Sie hadern mit ihrer Kindheit und ihren Eltern, mit ihrer Identität und mit gesellschaftlichem Druck. Kit möchte einfach raus aus alldem und entschließt kurzerhand, sich für das Wisewood-Resort anzumelden, das verspricht, sie in einem sechsmonatigen Programm von ihren Ängsten zu befreien. Dagegen muss sie nur den Kontakt zur Außenwelt eintauschen. Als ihre Schwester Nat nach langer Funkstille eine bedrohliche Nachricht aus Wisewood bekommt, folgt sie ihrer Schwester und findet sich in einer merkwürdigen Parallelwelt mit sektenartigen Zügen wieder. Ab der ersten Sekunde fühlt sie sich in Wisewood unwohl, aber Kit scheint dort ihren neuen Lebensmittelpunkt gefunden zu haben. Und dann ist da noch die geheimnisvolle Dritte, deren traumatischer Lebensweg ab der Kindheit nach und nach aufgerollt wird. Wie fügt sie sich in Wisewood ein?

Stephanie Wrobel beherrscht das Spiel mit den Erwartungen perfekt. Erst nach und nach fügt sich aus allen drei Perspektiven ein Bild von Wisewood zusammen, das der Wahrheit vielleicht am nächsten kommt. Ihre Charaktere sind komplexe Frauenfiguren, voll Sehnsüchten und Widersprüchlichkeiten, deren Urteil wir als Leserinnen nie so recht trauen können. Jede von ihnen hat eine eigene Sicht auf die Dinge: Ist Wisewood nun die Rettung oder eine manipulative Sekte? Und was bedeutet es, ohne Angst zu leben? Wie viel von seinem alten Leben muss man dafür ablegen? Und ist es das wert?

„Willkommen in Wisewood“ ist weder ein reiner Schauerroman noch ein einfacher Thriller, sondern ein vielschichtiges Buch, das auch vor den ganz großen Fragen nicht zurückschreckt. Am Ende bleibt eine düstere Ahnung zurück. Ein Buch für anspruchsvolle Leser
innen, die nicht einfach nur den schnellen Thrill suchen, sondern bereit sind, sich auf die Psyche der Figuren wirklich und wahrhaftig einzulassen und den Horror darin zu finden.

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Veröffentlicht am 12.06.2022

Mystisch, humorvoll, fabelhaft – ein Buch wie ein Fiebertraum

Der Fluch des Hechts
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„Der Fluch des Hechts“ von Juhani Karila ist eines dieser Bücher, die man nur einmal im Leben findet. Ein echter Schatz, der im Regal für Lieblingsbücher landen und immer wieder aufs Neue hervorgeholt ...

„Der Fluch des Hechts“ von Juhani Karila ist eines dieser Bücher, die man nur einmal im Leben findet. Ein echter Schatz, der im Regal für Lieblingsbücher landen und immer wieder aufs Neue hervorgeholt werden kann, denn dieser phantastische Roman wird wohl nie etwas von seinem Zauber einbüßen.

Schon die Frage, wovon der Debütroman des Finnen Juhani Karila handelt, lässt sich gar nicht so leicht beantworten: von der Einöde Lapplands und ihren kuriosen Charakteren und Wesenheiten, würden vielleicht die einen sagen. Von einer getriebenen Frau, die auf der Suche nach dem Sinn ist, würden vielleicht die anderen behaupten. Fakt ist einzig, dass dieses Stück Literatur aus dem Bereich magischer Realismus etwas ganz Einzigartiges ist. Ein Roman, der auf nonchalante und stets augenzwinkernde Art und Weise Mystisches mit Realem verbindet, Tragisches mit Humorvollem, Wahrheit mit Fiktion.

Magie gehört in dem kleinen Dorf in Ostlappland, in dem die Geschichte an wenigen Sommertagen spielt, so selbstverständlich zum Leben wie die Naturwesen, die sich mit schöner Regelmäßigkeit aus den Wäldern und Sümpfen in die Wohnstätten der Menschen wagen. Niemand ist mehr so recht verwundert von dem Näck, der zum Kartenspiel mit hohem Einsatz einlädt, oder dem Pejooni, der Schabernack treiben möchte. Aber für Elina Ylijaako sind es nicht nur diese Fabelgestalten, die ihr die Rückkehr in ihr Heimatdorf und die Erfüllung ihrer Aufgabe erschweren. Es ist ihre Vergangenheit und die Menschen darin. Verbissen macht Elina sich daran, einen Hecht aus einem Teich zu angeln – eine Aufgabe, die alles für sie bedeutet. Daran hindern sie nicht nur einige mannigfaltige Wesen, sondern auch ihre Weigerung, sich ihrer Vergangenheit und ihren eigenen Taten zu stellen.

Der Zauber von „Der Fluch des Hechts“ besteht darin, dass alles ganz selbstverständlich geschieht. Das Wundersame kommt in alltäglicher Gestalt daher und vermag niemanden so recht zu verwundern. Auf unaufgeregte Weise erzählt Juhani Karila ein absolut phantastisches Hirngespinst und vermag seine Leserschaft so direkt und unmittelbar in ein mystisches Lappland zu versetzen. Ein Wahnsinnsbuch!

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Veröffentlicht am 23.04.2022

Atemlos spannend und brillant konstruiert

Schwarzlicht
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„Schwarzlicht“ ist der Auftakt einer vielversprechenden neuen Reihe und ein Kooperationsprojekt der ganz besonderen Art: Wenn eine Krimiautorin und ein Mentalist ihre Kräfte bündeln, kann offenbar ein ...

„Schwarzlicht“ ist der Auftakt einer vielversprechenden neuen Reihe und ein Kooperationsprojekt der ganz besonderen Art: Wenn eine Krimiautorin und ein Mentalist ihre Kräfte bündeln, kann offenbar ein echtes Meisterwerk von einem Kriminalroman dabei herauskommen. Camilla Läckberg und Henrik Fexeus stellen in „Schwarzlicht“ ein verschroben-sympathisches Ermittler-Duo vor, das sich einem Fall widmet, der zu fesseln vermag wie kein zweiter, und sich dabei den eigenen Abgründen stellen muss.

Mina Dabiri ist eine begnadete Polizistin, eckt aber mit ihrer verschlossenen Art, hinter der eine ausgeprägte Keimphobie steckt, häufig an. Sie findet sich deshalb in einer Spezialeinheit der Stockholmer Kriminalpolizei wieder, deren erster Fall gleich äußerst brisant ist: ein Mordopfer, das in einer Zaubertrickbox ums Leben gekommen ist. Als sich keine Ermittlungserfolge einstellen wollen, greift Mina zu drastischen Mitteln und holt den schwedenweit berühmten Mentalisten Vincent Walder ins Boot, der ihr dabei helfen soll, die Psyche des Mörders zu verstehen. Auch er verbirgt menschliche Schwächen hinter der Fassade eines selbstbewussten Entertainers, und so fühlen sich die beiden auf Anhieb miteinander verbunden – was anfangs nicht für Minas Team gilt, sodass zwischenmenschliche Unstimmigkeiten die Ermittlungen weiter erschweren.

„Schwarzlicht“ ist ein ungewöhnlich langer Krimi, wird aber keine Sekunde langweilig. Die über 600 Seiten nutzt das Autor*innen-Duo hervorragend aus, um nicht nur den Fall detailliert und in stimmigem Tempo zu entwickeln, sondern auch seinen Figuren deutlich mehr Leben einzuhauchen, als das bei anderen Vertretern des Genres meist der Fall ist. Nicht nur Mina und Vincent sind dreidimensionale, ausgereifte Charaktere, sondern auch viele der Nebenfiguren, was dem Roman eine ungewohnt lebensnahe, emotionale und mitreißende Dynamik verleiht. Zu diesen durchdachten Charakteren kommt ein brillant konstruierter Kriminalfall, der genau das richtige Maß an Spannung, Geheimnis und wie zufällig hingeworfenen Hinweisen enthält. Als Leserin kann ich stetig mitermitteln, Theorien aufstellen und wieder verwerfen und werde am Ende mit einem echten Aha-Erlebnis belohnt, das sich in genau dem richtigen Maße ankündigt. Die spezielle Konstellation eines Mentalisten als Ermittler gibt dem Buch zusätzlich einen besonderen Touch, denn Vincent kann teils verblüffende Hinweise geben, die dennoch immer fest in der Realität verankert sind. Allein das sorgt für viele kleine Überraschungsmomente auf der Strecke.

Camilla Läckberg und Henrik Fexeus haben hier einen Krimi der Extraklasse vorgelegt, der große Lust auf die kommenden Bände der Reihe macht. Eine frische Idee, gepaart mit einer herausragenden Fallkonstruktion und überzeugenden Charakteren machen diesen Roman zu einem echten Lesegenuss.

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