Andre Sprachen, andere Schreibstile
Dämmerstunde„Im Lauf der Zeit sorgt menschliche Schwäche dafür, dass man nur einen Bruchteil von seinen ursprünglichen Idealen aufrecht erhält – den Rest passt man eben an, sofern man ihn nicht vollkommen über Bord ...
„Im Lauf der Zeit sorgt menschliche Schwäche dafür, dass man nur einen Bruchteil von seinen ursprünglichen Idealen aufrecht erhält – den Rest passt man eben an, sofern man ihn nicht vollkommen über Bord wirft. Aber selbst das wenige, dass man eigentlich aufrechterhalten wollte, landet letztendlich oft in einer Rumpelkammer der bloßen Erinnerung – das übliche Schicksal von Altenkrempe, für den man schon die längste Zeit keine Verwendung mehr hatte.“ (S. 14)
Dieses Buch ergründet anhand einer fiktionalen Biografie wie der Zufall des Geburtsortes die eigene Zukunft bestimmt. Bak Minu hat es geschafft aus einem Vorort von Seoul sich durch harte Arbeit und Glück hochzuarbeiten und ist angesehener Architekt mit eigener Baufirma. Der Roman erzählt, nicht geradlinig, wie dieser Werdegang verlaufen ist. Reflektierend aus der Sicht von Bak Minu. Hinzu kommt eine zweite Erzählebene, die uns mitnimmt in das traurige Leben der Uhi in der Gegenwart, eine junge Frau, die Regisseurin werden will und nachts zum Überleben in einem 24h-Shop arbeiten muss. Sie haust in einem Souterrain-Zimmer. "Aber keine Bange. Letzten Endes geht's auch mir ums Überleben." (S.87)
Natürlich haben die beiden Erzählstränge miteinander zu tun und natürlich ist es keine leichte Lektüre die hier vorliegt. Aber bereichernd. Der Text ist stoisch und sehr monoton erzählt und doch hat er eine gewisse Kraft und dringt mit seiner Botschaft immer wieder durch. Der Erzählstil ist nüchtern, aber doch mit Anklang zur Poesie. Auch hat mich positiv gestimmt, dass so viele koreanische Elemente enthalten sind, wenn da von Sojus, Gwangju und vielen anderen Begriffen die Rede ist. In der Tat hätte der deutschen Ausgabe ein Glossar gutgetan.
Bezeichnet ist die bauliche Veränderung die um und in Seoul vor sich ging in den letzten Jahrzehnten. Hier wird eindringlich beschrieben wie der Slum verlassen wurde, wie die Städte immer weiter ausfransen, wie der Platz und Raum für die stetig wachsende Bevölkerung nicht nachkam. Auch die wenig menschenfreundliche Art mit Mitarbeitern umzugehen ist ein Kernelement dieses Romans. Leben wurde und wird wenig Wertschätzung entgegengebracht.
Hwang Sok-Yong hat 2015 diesen Roman im Original vorgelegt, nun ist er von Andreas Schirmer ins Deutsche übertragen worden. Dämmerstunde ist ein eigenständiges Werk vom Autor, auch wenn der Klappentext hier irreführend sein kann. Und, wenn das Buch nun gelesen werden sollte, ganz dringend das Nachwort lesen, wenn nicht sogar vorab! Das setzten die Geschichte auch noch einmal in ein anderes Licht.
Fazit: Wer gerne mal sehr koreanisch lesen möchte, ist hier bestens bedient.