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Veröffentlicht am 15.05.2022

Die Vögel der Hoffnung sind überall, hört sie singen. (Terri Guillemets)

Die Zügel hält mein Herz
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1894 Texas. Die Übergabe eines Pferdes wird für Mark Wallace und seinen Freund Jonah Brooks zu einem echten Abenteuer, denn die beiden Mannsbilder müssen einer jungen Frau bei der plötzlich einsetzenden ...

1894 Texas. Die Übergabe eines Pferdes wird für Mark Wallace und seinen Freund Jonah Brooks zu einem echten Abenteuer, denn die beiden Mannsbilder müssen einer jungen Frau bei der plötzlich einsetzenden Geburt helfen. Danach sehen sie sich gezwungen, das Baby irgendwo unterzubringen, weil die Mutter es nicht will und bringen es ins Waisenhaus „Harmony House“. Dies wird von Katherine Palmer und Eliza Southerland geleitet, die sich liebevoll um die ihnen anvertrauten verlassenen Kinder kümmern, sich aber auch für die Straßenkinder einsetzen. Die Begegnung mit Katherine ist für Mark eine große Überraschung, denn mit dieser Frau wollte er einst sein Leben verbringen, doch sie ließ ihn abblitzen. Die Wiederbegegnung wird überschattet von der Tatsache, dass in dem Ort Straßenkinder auf mysteriöse Weise spurlos verschwinden. Mark und Jonah machen sich daran, den Dingen auf den Grund zu gehen. Dabei sind nicht nur ihre Leben, sondern auch ihre Herzen in Gefahr…
Karen Witemeyer hat mit „Die Zügel hält mein Herz“ den zweiten Band ihrer historischen Hanger’s Horsemen-Serie vorgelegt, der dem Vorgänger in punkto Spannung, Wildwest-Atmosphäre sowie Romantik in nichts nachsteht. Der flüssige, farbenfrohe und humorvolle Erzählstil bindet den Leser schnell an sich und katapultiert ihn in den Wilden Westen Ende des 19. Jahrhunderts, wo er auf Mark und Jonah trifft, die beide den Hanger’s Horsemen angehören, einer Gruppe von Männern, die für Gerechtigkeit kämpfen. Über wechselnde Perspektiven steht der Leser abwechselnd an der Seite von Mark, Jonah, Katherine sowie Eliza und darf ihre Gedanken- und Gefühlswelt hautnah miterleben. Die Begegnung zwischen Katherine und Mark nach so langer Zeit lässt bei beiden alte Erinnerungen wach werden, wobei Mark immer noch hadert, warum Katherine seinen Heiratsantrag damals abgelehnt hat. Zwischen den beiden sind die Gefühle immer noch spürbar, und als Leser hofft man natürlich auf ein Happy End und die Offenbarung, warum es damals mit den beiden nicht geklappt hat. Aber auch zwischen der selbstbewussten Eliza und dem ruhigen Jonah scheint sich etwas zu entwickeln. Als Farbige sehen sich beide täglich mit Ablehnung und vielen Vorurteilen in ihrem Umfeld konfrontiert und müssen sich hier behaupten. Spritzige Dialoge sowie die spannende Aufklärung der verschwundenen Kinder halten den Leser in Atem und jagen ihn durch eine Achterbahn der Gefühle, während er an den Seiten klebt und ein wunderbares Kopfkino erlebt. Auch der christliche Aspekt wurde sehr schön in die Handlung integriert, in dem es um Gottvertrauen und Nächstenliebe geht.
Die Charaktere sind liebevoll mit Leben versehen und nehmen den Leser mit ihren menschlichen Eigenheiten schnell für sich ein, der sich auf ein spannendes Abenteuer mit ihnen freut. Katherine ist eine warmherzige und fürsorgliche Frau, die alles für ihre Schützlinge tut. Mark ist ein Mann, der nach außen eine raue Schale zeigt und zupacken kann. Innerlich allerdings hat er ein Herz aus Butter und nagt noch immer daran, dass er von der Liebe seines Lebens abgelehnt wurde. Eliza ist starke und mutige Frau, die manchmal etwas schroff wirkt, jedoch immer ein offenes Ohr und eine helfende Hand bietet. Jonah ist ein ruhiger Zeitgenosse, der schon einiges erlebt hat und sich niemandem schnell öffnet.
„Die Zügel hält mein Herz“ ist ein wunderschöner Mix aus abenteuerlichem Western und Romantik, der den Leser mit Gefühl und Spannung an die Seiten fesselt und ein tolles Kopfkino erleben lässt. Absolute Leseempfehlung für wunderbare Unterhaltung!

Veröffentlicht am 15.05.2022

Guter Kaffee ist wie gute Musik - beides berührt die Seele. (Roger Cicero)

Töchter der Speicherstadt – Der Duft von Kaffeeblüten
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1889. Der Hamburger Kaffeehändler Johann Behmer lernt auf seiner Brasilienreise Maria da Silva kennen, die Tochter eines Kaffeeplantagenbesitzers. Marias Vater ist schwer krank, und als Frau darf sie die ...

1889. Der Hamburger Kaffeehändler Johann Behmer lernt auf seiner Brasilienreise Maria da Silva kennen, die Tochter eines Kaffeeplantagenbesitzers. Marias Vater ist schwer krank, und als Frau darf sie die Plantage nicht selbst weiterführen. Deshalb nimmt sie den Heiratsantrag von Johann an und kehrt mit ihm in seine Heimat Hamburg zurück. Dort wird sie vor allem von Johanns Zwillingsbruder Alfons und dessen Frau Gertrud misstrauisch beäugt und wie eine Aussätzige behandelt. Obwohl von Geburt an mit Kaffee im Blut aufgewachsen, wird ihr auch die Mitarbeit im Kaffeegeschäft Brehmer & Söhne verweigert, was Maria vor allem ihrer missgünstigen Schwägerin Gertrud zu verdanken hat. Aber Maria lässt sich so schnell nicht unterkriegen, hält in der Speicherstadt Augen und Ohren offen und findet, wenn auch widerwillig, in ihrem Ehemann einen Verbündeten. Im Geheimen kauft sie die Plantage ihres Vaters und beginnt einen eigenen Kaffeehandel. Dann bricht der Erste Weltkrieg aus und der Handel mit Kaffee ist kaum noch möglich. Gleichzeitig muss Marie feststellen, dass ihr Ehemann durch familiäre Intrigen aus dem Geschäft gedrängt werden soll…
Anja Marschall hat mit „Der Duft von Kaffeeblüten“ den ersten Band ihrer historischen „Speicherstadttöchter“-Trilogie vorgelegt, der den Leser zu einer Reise von Brasilien nach Hamburg einlädt, um mehr über das „schwarze Gold“ zu erfahren und eine starke Frau kennenzulernen, die sich als Außenseiterin gegen persönliche Vorbehalte, Missgunst und gesellschaftliche Konventionen zur Wehr setzen muss. Der flüssige und farbenfrohe Erzählstil sowie die gute mit der Geschichte verwebte historische Kontext wirft beim Leser schnell den inneren Projektor an, um die Handlung wie einen Kinofilm im Kopf abzuspulen, während man die Lektüre regelrecht einsaugt. Die Zeitspanne zieht sich von 1889 bis 1918. Brasilianerin Maria da Silva bekommt durch ihre Heirat mit Johann in Hamburg eine neue Heimat. Doch als exotisch-anmutende Frau wird sie von ihrer Umwelt erst einmal wie ein Fremdkörper wahrgenommen. Auch der Neid und die Missgunst innerhalb Johanns Familie macht ihr zu schaffen, so dass sie mit dem Leben in Deutschland fremdelt, wenn es nicht den Kaffee gäbe. Dieser ist ihre Leidenschaft, davon versteht sie viel, auch wenn andere ihr das nicht zutrauen. Das Rollenbild der Frau war damals einzig darauf beschränkt, Ehefrau und Mutter zu sein und nicht als Geschäftsfrau tätig zu werden. Maria hat das Glück, in Johann einen sehr geduldigen Ehemann zu haben, der sie vieles gewähren lässt, auch wenn andere versuchen, einen Keil zwischen sie zu treiben. Mit farbenfrohen Beschreibungen weiß die Autorin dem Leser nicht nur die brasilianische Kaffeeplantage vor Augen zu führen, sondern auch die Stadt Hamburg, in deren Speicherstadt die Kaffeebörse damals ihren Sitz innehatte.
Die Charaktere sind lebhaft ausgestaltet und überzeugen mit glaubwürdigen Eigenheiten, so dass der Leser sich schnell in ihrer Mitte wiederfindet und ihnen bei ihrem Treiben über die Schulter schaut. Maria ist eine offene, fröhliche und starke Frau, die viel Mut beweist, kämpft und sich den Widerständen entgegenstellt. Johann und Alfons sind zwar Zwillinge, doch die Brüder sind wie Feuer und Wasser, während Johann gutmütig ist, zeichnet sich Alfons durch Falschheit aus. Gertrud, seine Frau, ist aus noch schlimmerem Holz gestrickt. Sie ist egoistisch, neidisch, missgünstig, intrigant und versprüht dabei eine Arroganz, die regelrecht abstößt und zeigt, dass edle Abstammung kein Garant für anständiges Verhalten ist.
„Der Duft von Kaffeeblüten“ ist ein sehr kurzweiliger und interessanter Ausflug ins 18./19. Jahrhundert, wo nicht nur der Besuch im alten Hamburg Spaß macht, sondern der Leser auch auf eine durchsetzungsstarke, außergewöhnliche Frau trifft, Familiengeheimnisse und Liebe inklusive. Absolute Leseempfehlung und gespannte Erwartung auf die Fortsetzung!

Veröffentlicht am 14.05.2022

Das Leben ist eine Reise, kein Ziel. (Ralph Waldo Emerson)

Wohin der Wind uns trägt
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1847 South Carolina. Nachdem sowohl Vater als auch Onkel im Krieg gestorben sind und sie auch noch ihr Heim verloren haben, sieht die Zukunft für die Steinmann-Geschwister nicht gerade rosig aus. Der Älteste ...

1847 South Carolina. Nachdem sowohl Vater als auch Onkel im Krieg gestorben sind und sie auch noch ihr Heim verloren haben, sieht die Zukunft für die Steinmann-Geschwister nicht gerade rosig aus. Der Älteste Stewart möchte mit einem Treck nach Oregon ziehen, und die 18-jährige Joanna nutzt ihre Überredungskünste, damit sie gemeinsam mit ihren Schwestern Carole, Branca und Beckie ihn begleiten können, während Denise sich für eine Zweckehe mit einem älteren Mann entscheidet und zurückbleibt. Die lange Reise per Planwagen stellt alle vor große Herausforderungen, die auch einige Gefahren bergen. Während der Reise hält Joanna Kontakt zur alten Heimat und ihrer besten Freundin Linda, die sie schmerzlich vermisst. Eines Tages erhält Joanna von Linda beunruhigende Nachrichten, die die Steilmanns in eine gefährliche Lage bringen könnten…
Elisabeth Büchle hat mit „Wohin der Wind uns trägt“ einen wunderschönen tiefgründigen historischen Roman vorgelegt, der den Leser mit liebenswerten Charakteren auf eine abenteuerliche und spannende Reise schickt. Der flüssige, bildgewaltige und gefühlvolle Erzählstil lädt den Leser zu einem Ausflug ins 19. Jahrhundert ein, wo er sich den Geschwistern Steilmann auf einen langen Treck gen Westen anschließt und mit ihnen gemeinsam einiges erlebt. Die Autorin hat ein wunderbares Talent, Situationen, Örtlichkeiten und Charaktere so lebensecht zu beschreiben und amerikanische Geschichte gut recherchiert miteinfließen zu lassen, dass beim Leser schon mit den ersten Zeilen das Kopfkino anspringt und die Seiten förmlich an den Händen kleben, bis das Ende erreicht ist. Während die Bilder vor dem inneren Auge vorbeiziehen, durchlebt er mit den Protagonisten so manch brenzlige Situation, sieht die enge Bindung zwischen den Geschwistern und ist mit ihnen gemeinsam auf Entdeckungsreise, die sich mit immer wieder neuen überraschenden Wendungen sehr abwechslungsreich und spannend gestaltet. So muss es sich für die Siedler angefühlt haben, die sich damals auf den ungewissen und beschwerlichen Weg gemacht haben, eine neue Heimat zu finden. Der christliche Aspekt wurde sehr empathisch in die Handlung mit eingebunden, es geht um Hoffnung, Nächstenliebe und das Vertrauen in Gottes Führung.
Die Charaktere sind lebensecht und facettenreich in Szene gesetzt. Mit glaubwürdigen menschlichen Eigenschaften nehmen sie den Leser in ihre Mitte, der sich sofort als Teil ihrer Gemeinschaft fühlt und mit ihnen fiebert, hofft und bangt. Joanna ist eine offene junge Frau mit einer gesunden Neugier. Sie besitzt eine schlagfertige, aber auch spitze Zunge und wirkt nicht nur selbstbewusst, sondern auch selbstlos. Schwester Beckie ist warmherzig, hilfsbereit und fest in ihrem Glauben verankert. Alec ist ein sanftmütiger Mann, der aber nicht auf den Mund gefallen ist. Linda ist für Joanna als Freundin ein Fels in der Brandung. Stewart trägt als ältester Steinmann die ganze Verantwortung auf seinen Schultern. Und Laurie wächst Joanna schnell ans Herz und wird eine gute Freundin in allen Notlagen.
„Wohin der Wind uns trägt“ ist von der ersten bis zur letzten Seite ein wunderbares Kopfkino. Mit seinem spannenden und abwechslungsreichen Mix aus Western, Familienbande, Romantik, Freundschaft und tiefgründiger Botschaft weiß er durchweg den Leser wunderbar zu unterhalten. Absolute Leseempfehlung für ein echtes Lesehighlight! Chapeau!

Veröffentlicht am 14.05.2022

Was du nicht weitergibst, ist verloren. (Rabindranath)

Gran Paradiso
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1982 Italien. Die Turiner Radiojournalistin Gianna Perrin hat beruflich gerade ziemlich zu kämpfen und auch ihre Ehe ist zerbrochen. Deshalb folgt sie der Einladung der 82-jährigen Mafalda Amoretti, einer ...

1982 Italien. Die Turiner Radiojournalistin Gianna Perrin hat beruflich gerade ziemlich zu kämpfen und auch ihre Ehe ist zerbrochen. Deshalb folgt sie der Einladung der 82-jährigen Mafalda Amoretti, einer Cousine ihrer verstorbenen Mutter Maria Lanteri, sie in Sant’Amato an der Riviera zu besuchen, wo Gianna schon als Kind die Ferien verbracht hat. Gianna soll dort einen von ihrer Mutter hinterlassenen Koffer sichten, die im 2. Weltkrieg in der Resistenza als Partisanin gekämpft hat und deren Kriegstagebuch noch heute in italienischen Schulen als Lektüre auf dem Lehrplan steht. Maria wurde nicht nur als Nationalheldin verehrt, sie hat sich auch eine Karriere als erste Bürgermeisterin von Turin aufgebaut, doch das Verhältnis zu ihrer Tochter war immer schwierig. Als Gianna den Koffer in Augenschein nimmt, findet sie dort auch einige alte Tagebücher, die dem Inhalt nach dem Veröffentlichten völlig entgegenstehen. Je mehr Gianna sich in den Inhalt der mütterlichen Notizen vertieft, umso mehr kommt ihr Maria als Mensch näher…
Grit Landau hat mit „Gran Paradiso“ einen sehr fesselnden historischen Roman vorgelegt, der den Leser erneut in den kleinen Ort Sant‘Amato an der italienischen Riviera entführt, um dort gemeinsam mit Gianna in die berührende Vergangenheit von Maria Lanteri einzutauchen. Der flüssige, farbenfrohe und gefühlvolle Erzählstil lässt den Leser an Giannas Seite gleiten und mit ihr nach Sant’Amato reisen. Die Handlung erstreckt sich abwechselnd über zwei Zeitebenen, wobei die Geschichte von Gianna im Jahr 1982 den Rahmen zur Geschichte von Maria bildet, die sich während des Jahres 1944 zugetragen hat. Während Gianna sich bei ihren Verwandten in Sant’Amato etwas Abstand von ihrem Turiner Leben verspricht und die Hinterlassenschaften ihrer Mutter in Augenschein nimmt, heftet sich der Leser an Marias Fersen, die sich dem italienischen Widerstand anschließt und als eine von wenigen Partisaninnen mit der Waffe gegen die Nazis kämpft. Die Autorin hat sehr akribisch recherchiert und den historischen Hintergrund wunderbar mit ihrer Handlung verknüpft. Die lebhaften Beschreibungen lassen den Leser alles hautnah miterleben, denn sie entfachen ein lebendiges Kopfkino und schicken ihn gleichzeitig mit einer emotionalen Geschichte durch eine Achterbahn der Gefühle, denn auch eine unbekannte Liebe kommt an die Oberfläche. Sehr gekonnt lässt Landau den Leser miterleben, wie Gianna ihre Mutter Maria von einer ganz neuen Seite kennenlernt, die sie bisher als unterkühlt und ihr gegenüber gleichgültig wahrgenommen.
Die Charaktere sind liebevoll und facettenreich ausgestaltet und mit Leben versehen worden. Mit ihren menschlichen Ecken und Kanten können sie den Leser schnell in ihren Bann ziehen, der sich nur zu gern unter sie mischt, um hautnah dabei zu sein und mitzufiebern. Gianna ist eine Frau, deren Leben momentan nicht gerade rosig verläuft. Sie wirkt entmutigt und auch verunsichert, doch im Verlauf der Geschichte geht eine Veränderung in ihr vor, die sie kraftvoller und entschlossener auftreten lässt. Maria ist eine Kämpfernatur, offen, mutig und mit dem Herzen am rechten Fleck. Mafalda ist fröhlich, fürsorglich und warmherzig, aber auch John Stiller ist liebenswert und mit wunderbarem Humor gesegnet.
„Gran Paradiso“ ist ein wunderbarer Mix aus Familiengeschichte, Liebe, Geheimnissen, Schicksalen und damaligem Zeitgeschehen, der wunderbar gefühlvoll und fesselnd erzählt wird. Landau beweist erneut auf eindrucksvolle und tiefgründige Art, wie sehr sie den Leser mit ihren Geschichten in den Bann ziehen kann. Absolute Leseempfehlung für einen wunderbaren Roman!

Veröffentlicht am 08.05.2022

Mit jedem neugeborenen Kind geht eine kleine Sonne auf. (Irmgard Erath)

Das Leben in unseren Händen
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1939. Während das Nazi-Regime mit seiner schrecklichen Ideologie in Deutschland wütet, versucht die jüdische Familie Rosenbaum, das Land auf dem schnellsten Wege zu verlassen. Doch sie erhalten nicht ausreichend ...

1939. Während das Nazi-Regime mit seiner schrecklichen Ideologie in Deutschland wütet, versucht die jüdische Familie Rosenbaum, das Land auf dem schnellsten Wege zu verlassen. Doch sie erhalten nicht ausreichend Schiffspassagen für alle Familienmitglieder, so dass erst einmal die beiden Schwestern Hannah und Ada in Richtung Amerika aufbrechen, um dort bei ihrer Tante Judith unterzukommen. Aber schon ihre Anreise gerät zum Desaster, weil Judith es versäumt, die Schwestern in Empfang zu nehmen, so dass diese auf Ellis Island bleiben müssen und erst einmal nicht einreisen dürfen. Ada, die bisher ihre Schwangerschaft erfolgreich verheimlichen konnte, bringt ihr Kind 2 Monate zu früh zur Welt, und niemand gibt ihm eine Überlebenschance, auch Ada möchte am liebsten nichts mit ihrem eigenen Baby zu tun haben. Einzig Hannah, die ausgebildete Krankenschwester ist, wendet sich an ihre Zufallsbekanntschaft, den Geburtshelfer Martin Couney, der sich mit der Versorgung und dem Überleben von Frühchen einen Namen gemacht hat. Während Hannah darauf hofft, dass ihre Nichte überlebt, schaut sie Mr. Couney über die Schulter und erhält von ihm das Angebot, mit ihm zusammenzuarbeiten…
Eva Neiss hat mit „Das Leben in unseren Händen“ eine berührenden historischen Roman vorgelegt, der den Leser nicht nur eine Reise ins vergangene Jahrhundert antreten, sondern gleichzeitig auch außergewöhnliche Menschen und ihre Schicksale kennenlernen lässt. Der flüssige, bildhafte und gefühlvolle Erzählstil katapultiert den Leser in das Leben der Rosenbaum-Schwestern, denen als Jüdinnen in letzter Minute die Flucht aus Deutschland gelingt, während ihre Eltern und ihr Bruder zurückbleiben müssen. Die Ankunft in Amerika wird sowohl für Hannah als auch für Ada zur Herausforderung, denn die beiden sind nicht nur vom Charakter her gegensätzlich, sie haben auch völlig verschiedene Vorstellungen von ihrem Leben. Zudem werden auch in Amerika die jüdischen Neuankömmlinge misstrauisch unter die Lupe genommen und oftmals mit Ablehnung gestraft. Krankenschwester Hannah möchte sich den Traum von einem Medizinstudium erfüllen, während ihre Schwester Ada vor allem von einer vorteilhaften Ehe träumt, dabei wäre ein Kind nur im Wege. Deshalb ist sie ihrem eigenen Fleisch und Blut auch so gleichgültig gegenüber, denn es wäre ihr bei ihrem Vorhaben nur ein Klotz am Bein. Hannah dagegen kämpft um ihre kleine Nichte, die Begegnung mit Couney ist ein Glücksfall, denn dieser kümmert sich geradezu rührend um Frühchen und ihr Überleben. Die Beschreibung der Versorgung der Baby sowie Couneys Entwicklung des Inkubators sind von der Autorin sehr detailliert und interessant in die Handlung mit eingewebt. Neiss lässt Fiktion mit realen Fakten so geschickt ineinanderfließen, so dass der Leser bei der Lektüre sowohl eine Achterbahn der Gefühle durchlebt während ihm die Finger an den Seiten kleben und ein gelungenes Kopfkino verursachen.
Die Charaktere sind lebendig in Szene gesetzt und können den Leser mit ihren glaubwürdigen Ecken und Kanten schnell überzeugen, der ihnen nur zu gern auf den Fersen folgt, um keinen Augenblick zu verpassen. Hannah ist eine mutige, fürsorgliche, hilfsbereite und starke Frau. Sie gibt nicht auf, verbeißt sich regelrecht und kämpft bis zur Erschöpfung. Ada dagegen wirkt oberflächlich und egoistisch, sie ist kein Sympathieträger. Doch ihr Schicksal offenbart sich erst gegen Ende der Geschichte, was den Leser den Eindruck überdenken lässt. Arzt Nathan ist empathisch, modern in seinen Ansichten und vor allem eine große Unterstützung. Aber auch Couney und Aaron tragen ihren Anteil zur Geschichte bei.
„Das Leben in unseren Händen“ unterhält mit historischem Hintergrund, zwei sehr unterschiedlichen Schwestern, Liebe, Schicksal, medizinischem Fortschritt sowie einem Einblick in die amerikanische Gesellschaft zur damaligen Zeit. Sehr fesselnde und bewegende Lektüre, die eine absolute Leseempfehlung verdient!