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Veröffentlicht am 21.05.2023

Ein Wiener Café als Dreh- und Angelpunkt vieler Geschichten

Das Café ohne Namen
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Das Café ohne Namen: In Robert Seethalers neuem Roman "Das Café ohne Namen" ist ein Café in Wien der Dreh- und Angelpunkt vieler Geschichten. 

Robert Simon ist der stolze Pächter des Cafés. 1966 - sicher ...

Das Café ohne Namen: In Robert Seethalers neuem Roman "Das Café ohne Namen" ist ein Café in Wien der Dreh- und Angelpunkt vieler Geschichten. 

Robert Simon ist der stolze Pächter des Cafés. 1966 - sicher nicht ohne Zufall Robert Seethalers Geburtsjahr - wird aus dem Gelegenheitsarbeiter Robert Simon ein stolzer Café-Betreiber. Ein klein wenig klingt die Kaffeehaus-Literatur der 1900er Jahre an. Doch sind es andere Geschichten, die in den 1960er Jahren erzählt werden und es sind andere Gäste, die Robert Simon bedient. Seethaler lässt in dem Café ganz unterschiedliche Menschen ein- und ausgehen, überwiegend sind es aber Arbeiter und Menschen der unteren Mittelschicht. 

Es sind eher die gebrochenen Gestalten - der gescheiterte Boxer, der Fleischer, der seine Kinder kaum ernähren kann, kurzum: all die, die eher ums Überleben kämpfen als dass sie Gewinner des Aufschwungs der Nachkriegszeit sind. 

Allerdings haben mich die Schlaglichter auf das Leben der ganz unterschiedlichen Café-Besucher zumeist nicht so mitgenommen. Ähnlich wie das "Café ohne Namen" bleiben auch sie eher konturlos. Nur kurze Ausschnitte aus ihrem Leben sind dem Leser gegönnt. 

Dafür gewinnt der Blick des Lesers auf den Pächter des Cafés immer mehr an Kontur. Robert Simon ist einer, der abgeschafft ist, dem ein Ruhetag zur Erholung nicht mehr ausreicht. Einer, der sich verwirklicht, seinen Traum lebt. Zumindest solange, bis er merkt, dass er keine weiteren Träume hat. Lebt er überhaupt? Um ihn herum wird gestritten, sich getrennt, wieder versöhnt, gesoffen, gestorben und eine Brücke bricht in sich zusammen. Nur er scheint sich nicht zu entwickeln, nur ihm selbst scheint nichts zu passieren. Außer den Geschichten seiner Gäste erlebt er nichts.

Dass einzelne Kapitel aus der reinen Wiedergabe von "Kaffeehaus"-Gesprächen bestehen, hat mich nicht überzeugt. Schon eher der Briefentwurf an den neuen Pächter, der am Ende des Buches abgedruckt ist. Das Café wird da beschrieben als ein Platz, an dem man sich in der wild drehenden Welt festhalten kann, wo man gleichermaßen schweigen und reden kann - je nachdem, wonach einem ist. 

Die letzten Kapitel des "Cafés ohne Namen" haben mich ein wenig mit dem doch eher ermüdenden Mittelteil versöhnt. Hier kommen die existenziellen Fragen auf den Tisch, hier gelingt es Seethaler mit vergleichenden Bildern wie der eingestürzten Brücke und sprachlichen Mitteln die grundsätzlichen Fragen von Aufbruch und Umbruch zu stellen. Denn letztlich muss das Café der neuen Zeit weichen. 

Fazit: Ganz überzeugt hat mich Robert Seethalers neuer Roman nicht. 

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Veröffentlicht am 02.01.2023

Die 1-Million-Dollar-Frage und der Professor

Kraft
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Richard Kraft braucht eine Million, um sich aus seiner unglücklichen Ehe herauszukaufen. In Jonas Lüschers Roman „Kraft“ macht er sich deshalb daran, an einem Wettbewerb teilzunehmen. Preisgeld: 1 Million ...

Richard Kraft braucht eine Million, um sich aus seiner unglücklichen Ehe herauszukaufen. In Jonas Lüschers Roman „Kraft“ macht er sich deshalb daran, an einem Wettbewerb teilzunehmen. Preisgeld: 1 Million Dollar. Preisfrage: Warum ist alles, was ist, gut und wie können wir es dennoch verbessern?

Kraft, Professor für Rhetorik in Tübingen, braucht das Geld, da er sich scheiden lassen will und bereits Unterhaltszahlungen aus seiner ersten Ehe leistet. Novellenartig erzählt Jonas Lüscher, wie sich der Akademiker über mehrere Wochen mit der Preisfrage beschäftigt. Vielerlei Rückblenden geben dem Ganzen einen biographischen Touch.

Die Welt ist gut? Kraft hat seine Probleme mit dieser einseitigen, naiven Sicht auf die Welt. Sieht er sich doch nach Archilochos eher als den cleveren Fuchs, der alles durchschaut und kritisch hinterfragt – selbst sieht er sich als Konservativen. Ein Igel aber hat nicht den Überblick über alles, ist sich selbst genug. Und muss man nicht ein Igel sein, um zu glauben, dass alles Vorhandene gut ist?

Der Akademiker sammelt schließlich Zitat um Zitat, beschäftigt nicht mit Theodizee und Technodizee, entwirft eine Argumentationsskizze, um sie schließlich wieder zu verwerfen. Nebenbei will er noch seine alte zerbrochene Studienfreundschaft wieder kitten. Und doch spürt Kraft nach einem Gespräch mit dem Sponsor des Preisgeldes, dass das Silicon Valley nicht so tickt wie er glaubt.

Vielleicht ist gerade deshalb auch der Schluss des Buches so wie er ist. Ich muss zugeben: mich hat er so gar nicht überzeugt. Nichts davon wird im Vorfeld angedeutet. Die Begeisterung für dieses Buch, die in vielen Rezensionen der großen Zeitungen zu finden ist, kann ich nicht so ganz verstehen und auch nicht teilen. Vielleicht gibt es ja in Deutschland einfach zu wenige Gesellschaftsromane, sodass man die wenigen feiern muss.

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Veröffentlicht am 31.12.2022

Begegnungen in Israel

Auf Jesu Spuren
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Ein Pilger in Israel: Nils Straatmann wandert durch Israel. Darüber schreibt er ein Buch. Das ist an manchen Stellen recht interessant, an anderen so gar nicht.

Bereits der Titel des Buches „Auf Jesu ...

Ein Pilger in Israel: Nils Straatmann wandert durch Israel. Darüber schreibt er ein Buch. Das ist an manchen Stellen recht interessant, an anderen so gar nicht.

Bereits der Titel des Buches „Auf Jesu Spuren“ ist etwas missverständlich, denn Nils Straatmann ist kein klassischer Pilger, der die Via Dolorosa erleben möchte. Im Gegenteil, er ist ein aufgeklärter Christ, der etwa nicht daran glaubt, dass Jesus für seine Sünden gestorben ist, sondern vielmehr für seine Überzeugungen. Ebenso macht er sich Gedanken über die Qualität der historischen Quellen und eben auch über die Historizität biblischer Texte und scheitert bei dem Versuch, selbst über den See Genezareth zu laufen.

Daher macht sich Straatmann auch während seiner Wanderung Gedanken darüber, wo Jesus tatsächlich gewirkt hat. Nur dass er in Tiberias ausgerechnet das Gespräch mit einer Prostituierten führt, passt da nicht so ganz ins Bild. Der angehende Theologe weiß sicherlich, dass Maria Magdalena erst später angedichtet wurde, eine Prostituierte zu sein. Alles Schau also an dem Gespräch über Gott und die Welt.

Viel spannender und sehr lesenswert sind die zufälligen Begegnungen, die Straatmann schildert. Sei es mit Drusen, mit Palästinensern, Samaritern und – natürlich – Juden. Allerdings wirkt das Buch bei der Darstellung des israelisch-palästinensischen Konflikts doch recht holprig. Was aber auch der Komplexität des Konflikts geschuldet ist.

Wer Israel und seinen Konflikt kennenlernen will, dem sei eher Wolf Iros Buch „Nach Israel kommen“ empfohlen, das es auch recht preisgünstig bei der Bundeszentrale für politische Bildung gibt.

Für wen ist das Buch geschrieben? Für Pilger sicherlich nicht, der Titel sollte besser „Unterwegs in Israel“ heißen. Für Leute, die schon einmal in Israel waren? Ja, die Vielzahl an unterschiedlichen Begegnungen wird Erinnerungen wecken… Für Leute, die noch nie in Israel waren? Ja, das Buch macht neugierig auf das Land. Allerdings muss gesagt werden, dass es im Buch kaum Landschaftsbeschreibungen gibt. Zumeist werden nur die körperlichen Qualen etwa beim Besteigen eines Berges bei hohen Temperaturen beschrieben. Etwas zu wenig erfährt man auch von Straatmanns Reisekompagnon, als dass man sich über ihre Auseinandersetzungen wirklich amüsieren könnte.

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Veröffentlicht am 04.09.2022

Auf der Suche nach sich selbst

Außer sich
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Die Zwillingsschwester auf der Suche nach ihrem verschwunden Bruder in Istanbul: Sasha Marianna Salzmanns Debütroman „Außer sich“ dreht sich um eine verwirrende Suche nach Identität, Heimat und der Rolle ...

Die Zwillingsschwester auf der Suche nach ihrem verschwunden Bruder in Istanbul: Sasha Marianna Salzmanns Debütroman „Außer sich“ dreht sich um eine verwirrende Suche nach Identität, Heimat und der Rolle der Herkunft.

Istanbul kann einen verschlucken – diesen Eindruck bekommt man, wenn man Saha Marianna Salzmanns Roman „Außer sich“ liest. Zunächst verschwindet der Zwillingsbruder, Anton, in Istanbul. Eine Postkarte bringt schließlich seine Schwester Alissa, die sich selbst Ali nennt, dazu, ihn dort zu suchen. Dabei wird sie immer mehr von der Stadt eingesogen und verliert sich in der Suche nach ihrem Bruder, die immer mehr zu einer Suche nach ihr selbst wird.
Weshalb es ausgerechnet Istanbul ist, wohin sich die Zwillinge begeben, bleibt offen. Ali und ihr Bruder sind mit ihren Eltern als russische Juden nach Deutschland emigriert. Auch das wird in „Außer sich“ erzählt – die Handlung springt immer wieder in die Vergangenheit, wie auch die Erzählerstimme immer wieder springt. Mal ist es ein auktorialer Erzähler, der die Geschichte erzählt, mal springt sie in die Ich-Form und die Erzählerstimme wird von Ali selbst übernommen.
All das macht das Lesen immer wieder zu einer Herausforderung. Selbst die Sprünge in die Vergangenheit, die bis in die Zeit des Stalinismus reichen, werden immer wieder relativiert. Immer wieder wird eingeworfen, dass es vielleicht ganz anders gewesen sein könnte. Nur wenig gibt dem Lesenden Halt – und damit hat er vieles mit der Protagonistin Ali gemeinsam. Haltlos lässt sie sich immer mehr durch Istanbul treiben, verliert immer mehr die Suche nach ihrem Bruder aus den Augen und begibt sich immer mehr auf die Suche nach sich selbst: ihrer Heimat, ihrer Identität, ihrem Geschlecht.

Ist man als Lesender bereit, sich auf den suchenden Stil des Buches einzulassen, wird man es mit Sicherheit mit Gewinn lesen. Allein schon deshalb, weil das Buch mit seinem ironischen Unterton sprachlich wunderbare Szenen bietet.

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Veröffentlicht am 15.05.2022

Roman über die Entstehung des Oxford English Dictionary

Die Sammlerin der verlorenen Wörter
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Die Geschichte des Oxford English Dictionary verwoben mit dem Kampf der Suffragetten für das Frauenwahlrecht und mit dem Ersten Weltkrieg: in ihrem Buch „Die Sammlerin der verlorenen Wörter“ bietet Pip ...

Die Geschichte des Oxford English Dictionary verwoben mit dem Kampf der Suffragetten für das Frauenwahlrecht und mit dem Ersten Weltkrieg: in ihrem Buch „Die Sammlerin der verlorenen Wörter“ bietet Pip Williams all dies.

Kann man ein Buch über die Entstehung eines Wörterbuchs schreiben? Ja, zumindest wenn dieses Wörterbuch über Jahrzehnte entstanden ist. Und, wenn man sich ein wenig dichterische Freiheit herausnimmt.

Zur dichterischen Freiheit gehört die Hauptfigur des Romans, Esme. Ihr Leben zwischen den Jahren 1887 und 1928 bildet den Kern des Romans.

Bereits als Kind spielt Esme im so genannten Skriptorium, wo Lexikgraphen die Wörterbucheinträge zusammenstellen. Im Gegensatz zum Duden gehört zu den Wörterbucheinträgen des Oxford English Dictionary auch eine Erklärung der Bedeutungsvarianten und Beispielsätze aus der (gehobenen) Literatur. Versteckt unter dem Sortiertisch beobachtet Esme die Arbeit – bis sie selbst zur Mitarbeiterin wird.

Bald schon geht Esmes Interesse über das an Bedeutungsvarianten hinaus: sie fragt sich, weshalb manche Wörter es nicht ins Wörterbuch schaffen, sammelt die „verlorenen“ Wörter in einer Kiste. So drängt sich die Frage nach dem Umgang mit Sprache immer wieder sanft in den Vordergrund. Ob obszöne Wörter, negativ konnotierte oder umgangssprachlich verwendete: Wörter: Esme sammelt all das, was es nicht ins Wörterbuch schafft. So entsteht nach und nach ein alternatives Wörterbuch. So wie die Gebrüder Grimm von Ort zu Ort zogen, um Volksmärchen zu sammeln, begibt sich Esme auf den Markt und schaut den einfachen Leuten aufs Maul (so hätte es Martin Luther ausgedrückt). Etliche der gesammelten Einträge sind im Buch abgedruckt (da das Buch nach den Bänden des Wörterbuchs aufgebaut ist, zunächst auf Englisch und dann in deutscher Übersetzung).

Dem Nachwort der Autorin ist es zu verdanken, dass man noch erfährt, was in „Die Sammlerin der verlorenen Wörter“ einen historischen Bezug hat – und das ist mehr, als man beim Lesen denkt. Allerdings muss ich sagen: Richtige Spannung entsteht selten im Buch, das Sammeln der Wörter bleibt im Zentrum des Erzählens, was manchmal zulasten des Erzählflusses geht. Oft genug werden Ereignisse nicht erzählt, sondern allenfalls erwähnt. Und auch das Thema des Umgangs mit der Sprache ist eher vorsichtig eingewoben, anklagend ist das Buch nie. Mich hat weder die Geschichte Esmes noch die Entstehung des Wörterbuchs besonders in ihren Bann ziehen können.

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