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Veröffentlicht am 19.09.2022

Sehr konstruierter Klassiker

Die rätselhaften Honjin-Morde
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Winter 1937, Dorf O., Japan. Nach vielen Jahren als alleinstehender Mann hat Kenzo, der älteste Sohn der Familie Ichiyanagi beschlossen, die junge Lehrerin Katsuko zu heiraten. Doch nach einem rauschenden ...

Winter 1937, Dorf O., Japan. Nach vielen Jahren als alleinstehender Mann hat Kenzo, der älteste Sohn der Familie Ichiyanagi beschlossen, die junge Lehrerin Katsuko zu heiraten. Doch nach einem rauschenden Fest wartet am Morgen die grauenvolle Überraschung: Das Brautpaar wird tot in einem verschlossenen Raum gefunden, draußen im Schnee steckt ein blutiges Katana. In seiner Verzweiflung lässt der Onkel der Toten Privatdetektiv Kosuke Kindaichi herbeirufen.

Seishi Yokomizo gehört zu Japans bekanntesten Krimiautoren. Seine Reihe um Detektiv Kindaichi umfasst im Original 77 Bände; der erste - „Die rätselhaften Honjin-Morde“ entstand im Jahr 1946. In der Geschichte inszeniert sich der Autor selbst als Erzähler und Zeitzeuge der Ereignisse und beschreibt, wie er selbst den Schauplatz des Verbrechens besuchte und über beteiligte Personen von den grauenhaften Morden erfuhr. Der Krimi lest sich daher eher wie eine Art Bericht mit Kommentaren des Erzählers und sogar einer Skizze des Tatorts. Zum bessern Verständnis dienen ein Personen- und Fremdwortverzeichnis am Ende des Buches.

Das Buch ist ein klassischer „Locked Room Mystery“, also ein Kriminalfall, der sich in einem abgeschlossenen Raum auf scheinbar unmögliche Art und Weise abgespielt hat. Diese Technik, die auf Edgar Allan Poe zurückgehen soll, wurde auch schon von anderen berühmten Autoren wie Arthur Conan Doyle oder Agatha Christie verwendet. Im Roman wird sogar selbstreflexiv über die Autoren und darüber gesprochen, was einen guten Krimi dieses Genres ausmacht. Im Verlauf werden Hinweise gestreut und Verdächtige präsentiert – die Auflösung kommt dann recht überraschend.

Obwohl ich sehr gerne japanische Literatur lese, konnte ich mich mit diesem Werk nicht recht anfreunden. Detektiv Kindaichi trägt Züge des großen Sherlock Holmes oder auch von Hercule Poirot, kann aber deren Charisma nicht erreichen. Auch die Auflösung des Falles war mir zu glatt, das Motiv machte mich sogar wütend, was natürlich der Entstehungszeit des Romans geschuldet sein mag. Yokomizos Bedeutung für das Genre kann ich durchaus anerkennen, das macht diesen Krimi für mich aber leider nicht spannender.

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Veröffentlicht am 05.09.2022

Nicht so ergreifend wie "Weiches Begräbnis"

Wütendes Feuer
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Yingzhi ist eine zielstrebige junge Frau. Nach dem Ende ihrer Schulzeit entscheidet sie sich gegen ein Studium und fängt als Sängerin in einer Band an. Schnell merkt sie, dass die Männer nicht nur an ihrem ...

Yingzhi ist eine zielstrebige junge Frau. Nach dem Ende ihrer Schulzeit entscheidet sie sich gegen ein Studium und fängt als Sängerin in einer Band an. Schnell merkt sie, dass die Männer nicht nur an ihrem Gesang, sondern auch ihrem Körper interessiert sind und macht sich dies finanziell zunutze. Doch dann wird sie von einem ihrer Verehrer schwanger und heiratet. Damit landet Yingzhi nicht nur bei lieblosen Schwiegereltern, sondern auch in einer Abhängigkeit von einem Ehemann, der Geld lieber verspielt, als es zu verdienen. Die Wut in ihr wächst...

In ihrem zweiten ins Deutsche übersetzten Roman „Wütendes Feuer“ erzählt Fang Fang die Lebensgeschichte ihrer Protagonistin, mit dem Fokus auf deren Ehe und Mutterschaft, in der Vergangenheits- und Sie-Form. Yinghzhi sitzt zu Beginn der Handlung im Gefängnis und blickt auf die Momente zurück, die sie zu diesem Schicksal geführt haben. Vor ihrer bevorstehenden Hinrichtung will sie noch ihr Gewissen erleichtern und vertraut sich ihrer Zellengenossin an; dieses einführende Kapitel ist auch das einzige im Präsens verfasste. Aufgrund dieser Erzählsituation ist die Sprache des Romans eher einfach gehalten und widmet sich ausführlich den Gefühlen und Gedanken Yinghzhis.

Dem Nachwort zufolge ist die Handlung in den frühen 90er Jahren in der Provinz Hubei in Mittelchina angesiedelt. Für diese Zeit zeigt die Protagonistin eine ausgesprochen feministische Einstellung. Sie wünscht sich Gleichberechtigung, Eigenständigkeit, finanzielle Unabhängigkeit, versteht auf der anderen Seite aber auch nur zu gut, dass dies – vor allem in ihrer ländlichen Gegend – nicht zu realisieren ist. Sämtliche Versuche, sich aus diesem Leben zu befreien, schlagen fehl; die Gesellschaft ist noch nicht so weit, Yinghzhi in diesem Vorhaben zu unterstützen. So steuern die Ereignisse unaufhaltsam auf eine Katastrophe zu.

Der Ausgang der Geschichte ist von Beginn an klar und dennoch konnte sie für mich bei Weitem nicht dieselbe Dringlichkeit entfalten, wie Fang Fangs Roman „Weiches Begräbnis“, der zu meinen absoluten Highlights im vergangenen Jahr gehörte. Yinghzhi blieb mir bis zum Ende fremd.

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Veröffentlicht am 05.04.2022

Mikroagressionen und Alltagsrassismus

Zusammenkunft
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Nach außen hin hat die namenlose Protagonistin alles, was erstrebenswert ist: Erfolg im Job, finanzielle Absicherung und einen Partner aus der Upper Class. Doch hinter all dem versteckt sich Erschöpfung, ...

Nach außen hin hat die namenlose Protagonistin alles, was erstrebenswert ist: Erfolg im Job, finanzielle Absicherung und einen Partner aus der Upper Class. Doch hinter all dem versteckt sich Erschöpfung, denn als Schwarze Frau sieht sie sich zahlreichen Hindernissen gegenüber – von Mikroaggressionen bis hin zum alltäglichen Rassismus. Die Beförderung bekommt sie angeblich nur ihrer „Diversität“ wegen, von ihren Kollegen wird sie entweder offen beneidet und beleidigt oder sexuell angegriffen und die Eltern ihres Freundes hoffen, sie möge nur eine weitere Frau auf dem Weg zur „richtigen“ Schwiegertochter sein.

In „Zusammenkunft“ erzählt Natasha Brown von dem Wunsch ihrer Hauptfigur, erfolgreich zu sein und welche Kosten damit – vor allem für eine Schwarze Frau – verbunden sind. Dabei ist die Struktur des Romans nicht immer sofort klar, denn die Autorin springt zwischen unterschiedlichen Themen, verrät nicht immer den Kontext ihrer Szenen und verzichtet außerdem auf die Kennzeichnung der wörtlichen Rede. Ihr Sprachstil ist klar, nüchtern, beinahe kalt und ihre Sätze sind kurz und wirken oft gehetzt.

Es ist nicht einfach, zu lesen, wie die Protagonistin in ihrer aktuellen Lebenssituation leidet und zu allem Überfluss kommen neben den beruflichen und privaten Schwierigkeiten auch noch gesundheitliche hinzu. Nun muss sie sich entscheiden, was sie weiterhin mit ihrer Zukunft anfangen will. Und so eindrucksvoll ich die Beschreibung der Umstände auch finde, denen sie täglich ausgesetzt ist, so wenig kann ich einen Bezug zu ihr aufbauen. Denn mir fehlt sowohl eine Charakterisierung der Figuren als auch eine Handlung mit klarem Anfang und Ende.

Vermutlich ist die schablonenhafte Zeichnung der Hauptfigur so gewollt, um gerade herauszustellen, dass viele Schwarze Frauen dasselbe Schicksal teilen, dennoch hätte ich diese namenlose Frau gerne besser kennengelernt. Wie war ihre Kindheit? Was bereitet ihr Freude? Was wünscht sie sich für ihr Leben? So werden wir als Leser*innen an einem bestimmten Punkt in die Geschichte geworfen, streben auf eine gewisse Szene hin und werden anschließend wieder allein zurückgelassen.

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Veröffentlicht am 21.02.2022

Nichtssagender Trilogieauftakt

Dunbridge Academy - Anywhere
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Ein Jahr will Emma im schottischen Internat „Dunbridge Academy“ verbringen, in dem auch schon ihre Eltern zur Schule gegangen sind. Dort, so erhofft Emma es sich, wird sie endlich Hinweise finden, warum ...

Ein Jahr will Emma im schottischen Internat „Dunbridge Academy“ verbringen, in dem auch schon ihre Eltern zur Schule gegangen sind. Dort, so erhofft Emma es sich, wird sie endlich Hinweise finden, warum ihr Vater die Familie verlassen hat und vielleicht sogar die Chance erhalten, ihn wiederzusehen. Doch ihr Fokus beginnt sich zu verschieben, als sie bereits auf dem Flug Henry kennenlernt: Schulsprecher, sympathisch, gutaussehend – aber auch in einer glücklichen Beziehung.

„Anywhere“ ist der Auftakt zu einer neuen Trilogie der Autorin Sarah Sprinz, welche dieses Mal – nach Berlin und Vancouver – in Schottland angesiedelt ist. Erzählt wird erneut aus der Perspektive beider Hauptcharaktere, so dass wir einen guten Blick auf die Ereignisse erhalten. Sprachlich gesehen weiß die Autorin auch durchaus wieder zu überzeugen, nur kann dieses Mal die Handlung nicht mithalten, denn eigentlich passiert außer einem großen Knall die meiste Zeit nicht viel und Kleinigkeiten werden zu großen Krisen aufgebauscht.

Das größte Problem sind jedoch die Figuren, zu beiden konnte ich das gesamte Buch keinerlei Bezug aufbauen. Vor allem Emma ist unglaublich privilegiert, fühlt sich aber als Opfer und bemitleidet sich pausenlos selbst. Ja, ihre Mutter ist alleinerziehend (wie viele andere auch) und ja, sie wurde von ihrem Freund verlassen (auch das passiert) – dennoch hat sie es in vielerlei Hinsicht gut getroffen. Henry hingegen, der tatsächlich vor und während der Handlung einiges durchmachen muss, bleibt dennoch völlig farblos. Beide Hauptfiguren werden nur über die Geschehnisse charakterisiert, aber wer sind sie außerhalb dieser kleinen und großen Dramen?

Ich mag Sarah Sprinz wirklich gerne und auch ihre beiden vorangegangenen Trilogien, aber „Dunbridge Academy 1“ ist für mich völlig nichtssagend. Wo es der Autorin bisher gelungen ist, dass ich mit ihren Charakteren mitfühle, bleibt jetzt nur Unverständnis und Indifferenz. Immerhin sind die Nebenfiguren aber so interessant, dass ich tatsächlich weiterlesen möchte, denn auf ihnen liegt der Fokus in Band zwei.

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Veröffentlicht am 29.12.2021

Ratgeber mit Nachgeschmack

Überwintern. Wenn das Leben innehält
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Als ihr Mann kurz vor ihrem Geburtstag ins Krankenhaus eingeliefert und operiert werden muss, wird Katherine May zum ersten Mal bewusst, dass sie ihn verlieren könnte. Zu dieser Angst kommt eine weitere ...

Als ihr Mann kurz vor ihrem Geburtstag ins Krankenhaus eingeliefert und operiert werden muss, wird Katherine May zum ersten Mal bewusst, dass sie ihn verlieren könnte. Zu dieser Angst kommt eine weitere Tatsache. Vor einer Woche hat sie ihren Job aufgegeben und die Zukunft ist ungewiss. Die Autorin spürt es deutlich: der Winter kommt – und nun versucht sie, sich anzupassen und zu überwintern.

In „Überwintern“, einem Mix aus Autobiografie und Sachtext, begleiten wir die Autorin Katherine May durch mehrere Winter ihres Lebens. Ausgehend von den Ereignissen in der Gegenwart, blickt sie auch auf Vergangenes zurück, wie zum Beispiel eine Reise während ihrer Schwangerschaft oder ihre Überforderung als junge Mutter. Dabei lässt sie immer wieder auch Exkurse einfließen, zum Beispiel über Bienenvölker oder den Effekt von kaltem Wasser auf den Organismus. Hauptsächlich geht es jedoch um Mays Strategien, den Winter in ihr zu überwinden, indem sie sich Ruhe gönnt und Dinge unternimmt, die ihrer Seele guttun.

Dieses Buch lässt mich zwiegespalten zurück. Auf der einen Seite ist der Wunsch der Autorin nach Entschleunigung und Zeit für sich selbst verständlich, auf der anderen Seite kann ich ihre Schlüsse daraus nicht nachvollziehen. May macht zum Beispiel keinen Hehl daraus, dass sie nicht an Therapien glaubt. Für mich hingegen wäre das einer der ersten Impulse, wenn ich an mir Anzeichen einer Depression entdecke. Stattdessen suggeriert das Buch, man müsse nur in die Kirche oder zum Eisbaden gehen, schon ginge es einem besser. Ist der Sohn in der Schule unglücklich, unterrichtet man ihn eben zuhause.

Mir ist klar, dass die Autorin nur ihre eigenen, nicht perfekten Wege aus dem Winter erzählt, aber dennoch bleibt ein gewisser Nachgeschmack. Nicht jeder hat die Kapazitäten, einfach den Job zu kündigen oder das Kind zuhause zu behalten. Gestört hat mich außerdem, dass die Autorin Handlungsfäden beginnt und sie dann nicht weiterführt, so dass wir nicht wissen, wie eine Situation für sie ausgegangen ist. Irritiert hat mich dabei auch, dass der zu Beginn so bedeutsame Ehemann für den Rest des Buches quasi keine Rolle mehr spielt.

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