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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.09.2023

Anrührend, aber letztlich nicht überzeugend

Aenne und ihre Brüder
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Reinhold Beckmann hat einen anrührenden Roman über die Jugend seiner Mutter und deren vier Brüder geschrieben, die alle vier im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen sind.
Beckmann hat sich viel vorgenommen. ...

Reinhold Beckmann hat einen anrührenden Roman über die Jugend seiner Mutter und deren vier Brüder geschrieben, die alle vier im Zweiten Weltkrieg ums Leben gekommen sind.
Beckmann hat sich viel vorgenommen. Auf der einen Seite stellt er die Geschichte des Nationalsozialismus von ca. 1930 bis 1945 dar, auf der anderen Seite schildert er das einfache Leben in seinem ländlich geprägten Heimatdorf. Ich glaube, sein Vorhaben war es, den Einfluss der „ großen“ Politik auf das Leben der einfachen Leute zu verdeutlichen. Und nicht zuletzt will er das Schicksal der vier jungen Soldaten anhand der vielen Feldpostbriefe aufarbeiten, die seine Mutter aufbewahrt hat.
Ich glaube, dass Vorhaben ist nicht so gelungen, wie Beckmann es sich am Beginn des Schreibprozesses vorgestellt haben mag. Die Feldpostbriefe sind, was das Kriegsgeschehen angeht, sehr unergiebig. Dafür mag zum einen die Zensur verantwortlich sein. Zum anderen könnte auch sein, dass die Brüder ihrer Schwester, an die die Briefe gerichtet sind, die genaue Beschreibung des Kriegselends ersparen wollten. Natürlich zeugen sie aber von der Sehnsucht, nach Hause zu dürfen, in die Heimat. Aber sie machen doch nicht recht deutlich, was es hieß, im zweiten Weltkrieg in Russland kämpfen zu müssen.
Das Dorf Wellingholzhausen, in dem seine Mutter und seine Onkel aufgewachsen sind, ist in vielerlei Hinsicht eine Enklave. Es gibt keine Juden, also haben die Nürnberger Gesetze und die Judenverfolgung keine praktischen Auswirkungen. Sie werden folglich auch kaum erwähnt. Die Reichsprogomnacht erleben die Dörfler nur als weit entfernten Feuerschein aus der Richtung von Osnabrück wahr.
Die Menschen sind auch nicht sehr politisch. Ihre Haltung gegenüber Hitler und seinem Regime ist nicht von Widerstand geprägt. Folglich kommt auch das Unterdrückungssystem der Nazis mit der totalen Überwachung durch die Gestapo nicht zur Sprache (ich erinnere mich nicht, dass der Begriff Gestapo überhaupt fällt). Überzeugte, ausgesprochene Nazis sind eher rar. Die Konsequenz ist, dass der unmenschliche Unrechtsstaat der Nazis letztlich nur angedeutet wird.
Reinhold Beckmann schreibt in einem sehr einfach gehaltenen Sprachstil. Der einfache Hauptsatz überwiegt als Satzkonstruktion. Nur in seltenen Fällen umfasst ein Satz einmal mehr als zwei Zeilen. Das erleichtert auf der einen Seite die Lektüre, führt auf der anderen Seite aber auch zur Simplifizierung.
Viel Mühe hat sich Beckmann damit gegeben, den Weg der vier Brüder als Soldaten im zweiten Weltkrieg zu rekonstruieren. Und anhand offizieller Aufzeichnungen kann auch etwas von der Grausamkeit und Unmenschlichkeit des Krieges deutlich werden.
Beckmann vermeidet es, Fragen zu stellen. Inwieweit waren seine Onkel in die Kriegsereignissen involviert: Haben sie Menschen erschossen? Haben sie sich an der Verbrechen der Wehrmacht beteiligt? Beckmann vermeidet die Fragen, da damit die Onkel aus der Opferrolle, in der Beckmann sie sieht, herausfallen würden.
Überhaupt neigt Beckmann dazu, sich auf die Seiten der Deutschen zu stellen. So wird etwa die Stadt Duisburg von den Bombern der Alliierten „heimgesucht“, wie eine Plage.
Allen Bedenken zum Trotz ist das Buch lesenswert: Als Beispiel für die extreme Schwierigkeit von jungen Frauen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und als leicht zu lesende Geschichte der politischen Ereignisse zur Zeit des Nationalsozialismus.
Als Schullektüre aber mag ich den Roman nicht empfehlen, sowie andere Rezensenten dies tun.

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Veröffentlicht am 13.03.2023

Vielfältige Thematik

Dschomba
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Thematisch ist der Debutroman „Dschomba“ von Katrin Reschka recht vielfältig. Der hintere Buchklappentext fasst diese Vielfältigkeit gut zusammen: „Über das Beheimatetsein in der Fremde, das ...

Thematisch ist der Debutroman „Dschomba“ von Katrin Reschka recht vielfältig. Der hintere Buchklappentext fasst diese Vielfältigkeit gut zusammen: „Über das Beheimatetsein in der Fremde, das Ausloten der eigenen Herkunft und ein wenig über das Leben als Wirtstochter“. Man kann das noch ergänzen: Es geht um Ausgrenzung, um Freundschaft und um die Aufarbeitung unangenehmer geschichtlicher Ereignisse.
In vielen Rezensionen wird der eigentümliche Sprachstil der Autorin angesprochen: z.T. unvollständige Sätze, die den grammatischen Regeln widersprechen. Mir ist die Funktion dieses Sprachstils nicht deutlich geworden. Der Roman nimmt überwiegend die Perspektive eines jungen Mädchens ein, aber es keine kindliche Sprache. Wer eigentlich erzählt, bleibt unklar. Möglicherweise ist es die Autorin selbst! aber spricht sie so - kaum vorstellbar. Meinen Lesefluss hat der Sprachstil gestört.

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Veröffentlicht am 28.09.2022

Keine leichte Lektüre

Die Kriegerin
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Helene Bukowski macht es den LeserInnen ihres Romans „Die Kriegerin“ nicht leicht. Obwohl aus der Perspektive der einen Hauptfigur, Lisbeth erzählt, gibt die Erzählerin nur wenig von dem preis, ...

Helene Bukowski macht es den LeserInnen ihres Romans „Die Kriegerin“ nicht leicht. Obwohl aus der Perspektive der einen Hauptfigur, Lisbeth erzählt, gibt die Erzählerin nur wenig von dem preis, was im Inneren der Figur sich abspielt. Sie schildert die Ereignisse mit Distanz. Dies gilt auch für die zweite Hauptfigur, die bis kurz vor Schluss namenlos bleibt. Der/die LeserIn muss sich die inneren Handlungsmotive und die Befindlichkeit der beiden Hauptfiguren selbst erschließen. So ist es bei Lisbeth ihre Neurodermitis, die immer dann einen Schub bekommt, wenn sich psychische Probleme auftun. Und ihre Träume spielen eine besondere Rolle.
Die erzählerische Distanz passt zum Charakterzug der beiden Frauen, die sich, aus welchen Gründen auch immer, anderen Menschen gegenüber wenig öffnen. Und obwohl sie befreundet sind, öffnen sich auch die beiden Frauen erst am Schluss des Romans, als schon eine Katastrophe droht.
Die Sprache passt sich der Erzählweise an: die Formulierungen sind einfach, fast lakonisch.
Ich fand es schon spannend zu lesen, wie zwei Außenseiterinnen letztlich doch zueinander finden.

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Veröffentlicht am 13.01.2024

Zu stoisch

Das späte Leben
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Von Platon ist der Satz überliefert: Philosophieren heißt sterben lernen. Dem Menschen ist eigen, dass er sich seiner eigenen Sterblichkeit bewusst ist. Allerdings weiß er in der Regel den größten Teil ...


Von Platon ist der Satz überliefert: Philosophieren heißt sterben lernen. Dem Menschen ist eigen, dass er sich seiner eigenen Sterblichkeit bewusst ist. Allerdings weiß er in der Regel den größten Teil seines Lebens nicht, wann ihn der Tod ereilen wird. In der Bibel heißt es dazu: Denn ihr kennt weder Tag noch Stunde. Und das ist in der Regel auch gut so.
Anders ist die Situation, wenn wir von einem Arzt eine Diagnose gestellt bekommen, nach der das Ende des Lebens relativ präzise absehbar ist. Und dies ist die Ausgangssituation des neuen Romans von Bernhard Schlink: Martin, der Protagonist des Romans, ein emeritierter Professor des Rechts, erfährt, dass er wegen Bauchspeicheldrüsenkrebses nur noch zwölf Wochen zu leben hat. Martin ist mit einer wesentlich jüngeren Frau verheiratet und hat einen sechsjährigen Sohn. Wie soll er auf diese Nachricht reagieren?
Martin entwickelt eine absolut stoische Haltung zu dem Wissen um den Zeitpunkt und die Art seines Todes. Weniger im Sinne von Epikur, der eine Auseinandersetzung mit dem Tod ablehnt („Er geht uns nichts an.“), sondern eher im Sinne Senecas, der eine ruhige, gelassene, rationale Haltung zum Tod empfiehlt. Und genau diese Haltung nimmt Martin ein. Er malt sich ganz rational aus, wie sein körperlicher Zerfallsprozess mit den Schmerzen verlaufen wird und trifft entsprechende Vorsorgemaßnahme (Platz in einem Hospiz). Er lässt kaum eine Gefühlsregung zu. Auch nicht gegenüber dem Abschiednehmen von seinem Sohn und seiner Frau. Er will seinem Sohn etwas hinterlassen und legt mit ihm einen Kompost an (wie sinnträchtig!) und schreibt ihm Briefe, die er später lesen soll, in denen er eine eher triviale Lebensphilosophie darlegt.
Die Entdeckung, dass seine Frau ihn schon seit längerem betrügt, wirft ihn auch nicht aus der Bahn. Er weiß nun, dass es für seine Frau ein Weiterleben nach seinem Tod geben wird.
Kurz vor Ende seines Lebens unternimmt er noch eine Reise mit Frau und Sohn an die Ostsee, damit endet der Roman. Der Sterbeprozess selbst wird nicht mehr dargestellt.
Entsprechend Martins Grundeinstellung ist die Sprache des Romans schlicht und rational. Von dem Verlauf der Krankheit erfährt der Leser, dass Martin Schmerzen hat und dass er häufig müde ist..
All dies macht den Protagonisten und damit den Roman eher uninteressant. Es gibt keine komplexe Gefühlswelt, mit der sich Martin auseinandersetzen müsste. Es geschieht nicht Unvorhersehbares, die Nebenfiguren bleiben blass, die Dialoge mit ihnen sind eher hölzern.
Beim Lesen war mir, als müsste ich Martin einmal kräftig schütteln und ihm zurufen: „Nun lass doch einmal deine Trauer raus, deine Ängste, deinen Zorn“ -aber vermutlich wäre das auch wirkungslos an ihm abgeprallt.

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Veröffentlicht am 30.09.2022

Verpasste Chance

Die karierten Mädchen
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Was für eine Chance. Die Schriftstellerin Alexa von Hennig-Lange findet auf dem Dachboden 130 von ihrer Großmutter besprochene Kassetten. Die Großmutter stellt darauf ihr Leben in der Zeit zwischen ...

Was für eine Chance. Die Schriftstellerin Alexa von Hennig-Lange findet auf dem Dachboden 130 von ihrer Großmutter besprochene Kassetten. Die Großmutter stellt darauf ihr Leben in der Zeit zwischen 1929 und 1945 dar, in der sie zunächst in einem Kinderheim gearbeitet und es dann später auch geleitet hat. Um das finanzielle Überleben des Kinderheimes zu gewährleisten, kollaboriert die Großmutter mit den Nazis und übernimmt die Erziehungsziele der Nazis bei der Erziehung ihrer Schößlinge. Alexa von Hennig-Lange macht aus der Erzählung der Großmutter einen Roman und füllt Leerstellen in der Erzählung der Großmutter, wie sie selbst in einem Interview äußert. Da ist zunächst ein völlig legitimes Verfahren der Literatur, der es primär nicht darauf ankommt, pure Fakten zu liefern. Literatur hat immer auch die Möglichkeit darzustellen, wie es auch hätte gewesen sein können. Von Hennig-Lange verzichtet auf diese Möglichkeit. Sie stilisiert vielmehr die Großmutter zu einer harmlosen Mitläuferin, die innerlich zwar gegen die Nazis protestiert, ihr Handeln aber gemäß dem „Zwang der Verhältnisse“ nicht danach ausrichtet. Von Hennig-Lange geht sogar noch einen Schritt weiter und erfindet eine „Heldentat“ der Großmutter, in dem sie ein jüdisches Mädchen als ihre eigene Tochter ausgibt, es dann aber, als die politischen Verhältnisse immer schwieriger werden, in ein jüdisches Kinderheim gibt. Folgt man dieser Darstellung, hat es in Deutschland eben keine Täter, sondern nur Mitläufer gegeben.
Auch erzähltechnisch ist der Roman wenig überzeugend. Jede, aber auch jede innere Regung wird offen gelegt, ein Deutungsspielraum ist nicht vorgesehen. Dem Leser wird alles präsentiert, seine Haltung kann nur eine rezeptive sein.
Ein spannender Roman hätte entstehen können, wenn denn Alexa von Hennig-Lange wirklich die Auseinandersetzung mit ihrer Großmutter gesucht und ausgelotet hätte, welche Handlungsmöglichkeiten es jenseits aller politischen Verhältnisse gegeben hätte.