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Veröffentlicht am 24.10.2022

Ein fulminanter "echter Gablé" über einen bedeutenden Abschnitt englischer Geschichte

Drachenbanner
16

Steht man inmitten einer Gemäldesammlung vor großartigen Bildern, kann man oftmals bereits auf den allerersten Blick erkennen, von welchem der herausragenden Künstler das Werk geschaffen wurde, ganz gleich, ...

Steht man inmitten einer Gemäldesammlung vor großartigen Bildern, kann man oftmals bereits auf den allerersten Blick erkennen, von welchem der herausragenden Künstler das Werk geschaffen wurde, ganz gleich, ob es beispielsweise ein Dürer, Rembrandt, Michelangelo oder Leonardo da Vinci ist. Bei historischen Romanen verhält es sich ganz ähnlich, hier wird allerdings zumeist Rebecca Gablé als das Maß der Dinge gesehen, insbesondere mit ihrer grandiosen Waringham-Saga oder der ebenso großartigen Helmsby-Serie. Der aktuelle Roman "Drachenbanner", der nunmehr 7. Waringham-Band, ist der unmittelbare Nachfolger von „Teufelskrone“ und – sofort erkennbar – in jeglicher Hinsicht, vom beeindruckenden Cover angefangen, über den Schreibstiel der Autorin bis hin zur gründlichen Recherche, ganz ohne Zweifel ein „echter Gablé“. Während „Teufelskrone“ sich mit Richard Löwenherz und dem teuflischen John Ohneland aus dem Hause der Plantagenets sowie der Magna Charta beschäftigte, ordnet sich „Drachenbanner“ geschichtlich nahtlos bei Johns ältestem Sohn, König Henry III. und dessen Sohn Edward sowie Johns jüngster Tochter Prinzessin Eleanor und ihrem historisch nicht gerade unbedeutenden Ehemann Simon de Montfort ein und umspannt den wichtigen Zeitraum der englischen Geschichte von 1238 bis 1265.

Der Bogen der fiktiven Handlung wird rund um Adela und Bedric erzählt und erinnert so ganz vage an sanft adaptierte Züge aus Shakespeares „Romeo und Julia“. Die beiden sind von Beginn an große Sympathieträger: Sie - von adeligen Stand und ausnahmsweise weiblicher Spross der Waringhams (Amabel und Yvain aus der „Teufelskrone“ haben übrigens auch kurze Gastauftritte), er - ein kerniger Naturbursche mit losem Mundwerk aus einer Leibeigenenfamilie. Die beiden sind am gleichen Tag geboren und Milchgeschwister, da Bedrics Mutter auch Adelas Amme war, und unzertrennlich, … bis zu jenem Tag, als Adela an den Hof von Prinzessin Eleanor entsandt und wenig später mit dem Adeligen Joshua of Meriden verheiratet wird. Adela und Eleanor verbinden vielerlei Eigenschaften und imponieren dem Leser durch ihren starken Charakter, ihr Selbstbewusstsein, ihre liebevolle und direkte Art und einen strategisch enorm weitsichtigen Blick, der vor allem bei Eleanor, geradezu zum Strippenziehen im Hintergrund verleitet. Bedric hingegen muss sich nach dem Tod seines Vaters mühevoll mit der Rolle des Leibeigenen herumschlagen, um Mutter Eldrida und Schwester Bertha kümmern, von seinem Stiefvater Wigot und Adelas ältestem Bruder Raymond drangsalieren lassen und beschäftigt sich mit dem Bogenbau und -schießen.
Allerlei Strapazen stehen den beiden und ihrer Liebe noch bevor und die Autorin investiert dieses Mal zu Beginn des Buches sehr viel Zeit in die fiktive Geschichte, in welche der Leser durch das behutsame Nahebringen aller Protagonisten mühelos hinein findet. Im Laufe des Buches rücken wir immer näher an die tatsächlichen historischen Geschehnisse dieser Epoche heran und wie immer gelingt es Rebecca Gablé die facettenreichen Charaktere sowohl ihrer fiktiven wie auch der geschichtsträchtigen Protagonisten so lebensnah und echt zu zeichnen und so geschickt miteinander zu verweben, dass der Leser das authentische Gefühl bekommt, dass die Fiktiven tatsächlich im Umfeld der Historischen gelebt haben und der Leser mittendrin den Protagonisten über die Schultern schaut. Überaus viel wird dem Leser auf den 928 Seiten des Buches geboten: vom Leben des einfachen armen Volkes, welches trotz Hungersnot und Seuche von seinem verschwenderisch bauwütigen aber schwachen König, der obendrein noch das Königreich Sizilien vom Papst für seinen Sohn Edmund kaufen und erobern möchte, extrem ausgepresst wird, über einen realen Blick auf beispielsweise das mittelalterliche London, den Provisions of Oxford, die jedem Menschen, auch den Leibeigenen Rechte verleihen sollen, dem zweiten Krieg der Barone, der Schlacht von Lewes, Simon de Montfort’s Parlament (dem Vorläufer des späteren House of Commons), bis hin zur finalen, schicksalsträchtigen Schlacht von Evesham mit all ihrer tragischen Konsequenzen. Und die fiktiven Charaktere um Adela und Bedric sind dabei zusammen mit dem Leser stets beeindruckend und zum Greifen nah in der historischen Kulisse mit dabei.

Darüber hinaus bringt die Autorin dem Leser viele geschichtlich bedeutende Persönlichkeiten jener Zeit nahe (neben den bereits oben genannten u.a. Richard of Cornwall, Henry d’Almain, Guillaume und Aymer de Lusignan, Thomas FitzThomas, Llewelyn ap Gruffydd), allesamt festgehalten im umfangreichen Personenregister. Zusätzlich zum - wie immer - flüssigen, emotional mitreißenden und ausdrucksstarken Schreibstil, gesellt sich dieses Mal auch eine überaus humorige Komponente hinzu und zu Beginn/Ende der einzelnen Abschnitte des Buches findet man wunderbare Zitate und Zeichnungen und zum Auffinden der jeweiligen Orte des Geschehens, sogar eine Karte über das relevante Gebiet von England und Wales. Ganz ohne Zweifel ist „Drachenbanner“ ein ganz großartiger Historischer Roman, der mit Gewissheit zu den besten dieses Genres zählt. Dennoch weißt er ein paar kleinere Schwächen auf. Auch wenn sich das Buch kontinuierlich steigert und spätestens in der zweiten Hälfte alle Erwartungen an einen „echten Gable“ voll und ganz erfüllt, kann das erste Drittel durchaus als ein klein wenig schleppend und zu sehr auf die fiktive Handlung konzentriert empfunden werden, die zudem immer mal wieder von flagranten Zufällen geprägt ist. In diesem Teil hätte Rebecca Gablé die historischen Details vielleicht bereits früher im Buch miteinbeziehen und mit der fiktiven Geschichte vernetzen können und die Zeitsprünge von jeweils vielen Jahren, in denen durchaus wichtige und interessante historische Ereignisse ausgespart wurden, etwas kleiner halten können. All das soll aber die große Qualität, einer von der riesigen Leserschaft und Fangemeinde der Autorin sehnsuchtsvoll erwarteten, großartigen Fortsetzung der Waringham-Saga, in keiner Weise schmälern. Ein beeindruckendes Nachwort mit zusätzlichen geschichtlichen Informationen und einer Einordnung des Geschehens runden das Bild eines faszinierenden historischen Romans ab.

Fazit: Unterm Strich hat Rebecca Gablé mit „Drachenbanner“ einen großartigen, lange ersehnten Waringham-Roman vorgelegt, bei dem fiktive wie auch historische Charaktere wunderbar herausgearbeitet wurden und der durch seine detailgenaue Recherche, historische Nähe und einen großartigen Schreibstil besticht. Wie bei allen Romanen dieser Serie, ist auch dieser in sich abgeschlossen und lässt sich vollkommen unabhängig von den übrigen lesen. Im Vergleich zu den meisten anderen Romanen dieses Genres würde ich ihn als herausragend bezeichnen, unter den zahlreichen Büchern der Autorin selbst würde ich es allerdings nicht unbedingt als das aller-stärkste ihrer Werke ansehen. Sein etwas offenes Ende hingegen schreit förmlich nach einer Fortsetzung, zeitlich hin zum ursprünglichen Beginn der Serie „Das Lächeln der Fortuna“. Für Anhänger des guten historischen Romans, die es genießen, das Leben einer ganzen Generation mit seiner gesamten Palette an Emotionen, Dramen, Liebe und Tod, Auseinandersetzungen Arm-Reich und sehr viel Tiefgang, eingebettet in einen umfangreichen geschichtlichen Hintergrund, mitverfolgen zu dürfen, stellt „Drachenbanner“ ein absolutes Muss dar - für echte Waringham-Fans ohnehin. Mit großer Spannung und Vorfreude sehne ich mich bereits jetzt nach dem nächsten großartigen Roman aus der Feder Rebecca Gablés.

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Veröffentlicht am 12.06.2022

Sehr gelungene, objektive Analyse des Ukraine-Kriegs und der Frage, wie Europa in diese Situation geraten konnte

Zeitenwende
5

„Zeitenwende - Putins Krieg und die Folgen“ von Rüdiger von Fritsch ist ein großartiges Buch über die Ursachen, die Entstehung und den bisherigen Verlauf des Ukraine-Kriegs und gibt darüber hinaus sogar ...

„Zeitenwende - Putins Krieg und die Folgen“ von Rüdiger von Fritsch ist ein großartiges Buch über die Ursachen, die Entstehung und den bisherigen Verlauf des Ukraine-Kriegs und gibt darüber hinaus sogar noch einen Ausblick wohin das Ganze in Europa und weltpolitisch führen könnte.

Der Autor ist vom Fach und als ehemaliger Botschafter in Moskau und Warschau einer der ganz wenigen echten Experten, wenn es um den Kreml, Russland und insbesondere um eine realistische Einschätzung zu Putin und seinen Plänen geht. Rüdiger von Fritsch gibt sich dabei nicht damit zufrieden, nur die Wochen vor dem Krieg zu beschreiben. Vielmehr analysiert er sehr präzise, wie Russland aus seiner Historie heraus in einer Schwächephase die ehemaligen Kolonien verloren hat und Putin diese nun wieder erobern möchte. Vieles davon geht dabei bis zu den Ursprüngen der Rus zurück und „der kleine Bruder“ Ukraine gehört nach Putins Lesart einfach zu Russland dazu. Der Autor erklärt ferner sehr detailliert, wie sich bereits 2014 die Bedingungen im Krim-Krieg und im Donbass zugespitzt und eskaliert haben bzw. von russischer Seite ganz bewusst eskaliert wurden. Auch weist von Fritsch mehrfach darauf hin, dass es in der westlichen Welt einen großen Unterschied macht, ob sich die NATO den ehemaligen GUS-Staaten anbietet, oder ob diese Staaten bei der NATO um Schutz vor Russland bitten. Darüber hinaus wird mit Mythen aufgeräut, wie beispielsweise, dass die NATO versprochen habe, sich niemals nach Osten hin erweitern zu wollen. Ganz offensichtlich hat Russland lange Zeit kein Problem dabei im Falle von u.a. Polen, Tschechien, Ungarn oder der baltischen Staaten gesehen, fühlt sich nun aber bei der Frage, ob die Ukraine bei der NATO aufgenommen werden könnte, bedroht. Rückwirkend und völlig ohne erhobenen Zeigefinger legt Rüdiger von Fritsch offen, wie Europa die Zeichen, die eindeutig auf Krieg hindeuteten, hätte erkennen können – obgleich jeder, inklusive des Autors selbst, diese nicht wirklich auf dem Schirm hatte, sie ignoriert hat oder sie ignorieren wollte. Da auch dem Autor der Ausgang des Krieges nicht bekannt ist, diskutiert er verschiedene Szenarien und erläutert die Konsequenzen des jeweiligen Ausgangs.

Fazit: Mit „Zeitenwende“ hat Rüdiger von Fritsch in sehr kurzer Zeit (das Manuskript hatte bereits im April vorgelegen) ein großartiges Buch über Ursachen und Auswirkungen des Ukraine-Kriegs verfasst. Er geht dabei auf viele Details ein und bespricht auch Lösungswege, wie – je nach unterschiedlichem Ausgang - nach dem Krieg vorgegangen werden könnte. Zusätzlich zur historischen Komponente geht er auch sehr deutlich darauf ein, wie wirksam Sanktionen gegen Russland sich auswirken können. Mir persönlich hat das Buch sehr gut gefallen und ich kann es jedem politisch Interessierten nur wärmstens empfehlen, um sich eine eigene Meinung bilden oder aktiv bei Diskussionen mitsprechen zu können. Auch wer glauben sollte, sich bei dieser Thematik bereits recht gut auszukennen, wird eines besseren belehrt und eine enorme Erweiterung seines Wissenshorizonts zu aktuellen und geschichtlichen Fragen in Bezug auf Russland und Putin verspüren: Ein großartiges Buch, welches unbedingt gelesen werden sollte.

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Veröffentlicht am 10.06.2022

Karikatur eines (erfolgreichen) Politikers

Strömung
3

„Strömung“ ist die Romanpremiere von Jakob Augstein. Der Autor selbst ist mittlerweile ein bekannter und bewährter Journalist sowie Sachbuchautor und als rechtlicher Sohn des ehemaligen „Spiegel“-Gründers ...

„Strömung“ ist die Romanpremiere von Jakob Augstein. Der Autor selbst ist mittlerweile ein bekannter und bewährter Journalist sowie Sachbuchautor und als rechtlicher Sohn des ehemaligen „Spiegel“-Gründers Rudolf Augstein und leiblicher Sohn des Schriftstellers Martin Walser und der Übersetzerin Maria Carlsson lasten die Erwartungen natürlich ganz besonders hoch … und Jakob Augstein macht das mit seinem Erstlingswerk richtig gut. „Strömung“ ist kein Werk im Stile Heinrich Bölls, Thomas Manns oder Günter Grass‘ - den Literaturnobelpreis sollte man also nicht unbedingt im Blick haben, obwohl der Roman sprachlich schon eine ganze Menge hergibt. Es handelt sich ebenso wenig um einen politisch autobiografischen oder Schlüsselroman, und dennoch geht es um das Leben des (fiktiven) Politikers Franz Xaver Misslinger.

Dessen Karriere nimmt zu Beginn des neue Jahrtausends so richtig Fahrt auf, nachdem er sich - als bei den Klassenkameraden nicht gerade sonderlich beliebtes und ziemlich unsportliches Kind, so irgendwie trickreich durchs Leben geboxt hat, und er schließlich in der Person des „Walter“, einem ehemaligen Spitzenpolitiker, seinen großen Unterstützer gefunden hat. Mitreißende Reden halten, ja das kann Franz Xaver Misslinger so exzellent wie kaum ein zweiter und aus dem Mangel seines Namens formt er einen kernigen Slogan „Mein Name ist Franz-Xaver Misslinger und bei mir hört das Scheitern mit dem Namen auf.“, mit welchen er typischerweise sich selbst vorstellt. Sein Weg scheint bereits vorgezeichnet, hin zur Parteispitze einer freiheitlichen, demokratischen Partei (durch die Erwähnung des Dreikönigstreffens wird sie eindeutig als die FDP entlarvt) zu zeigen. Um für den entscheidenden Parteitag „die ultimative“ Rede entwerfen zu können, gönnt sich Misslinger eine inspirierende Auszeit in den USA, der Wiege der Freiheit und der Demokratie, bei der nach seiner Lesart auch seine Ahnen, die Angeln, eine entscheidende Rolle gespielt haben. Und da es mit seiner Ehe immer weiter bergab geht, nimmt er seine jugendliche Tochter, die mit beiden Beinen auf dem Boden steht und viel mehr in der Realität lebt als Misslinger, mit auf diese Reise. Wie fast schon zu erwarten, reden die beiden von Anfang an komplett aneinander vorbei.

Und so erkennt der Leser recht schnell, dass Franz Xaver Misslinger tief in seiner ganz eigenen Welt gefangen scheint, entfremdet vom normalen Menschen, vom Wähler, selbst von seiner Familie. Er geht komplett auf in der Welt der Floskeln, bei denen mit vielen Worten, ganz wenig transportiert wird; er versucht andere zu belehren und wundert sich dabei, wie es seiner Frau und seiner Tochter eindrucksvoll gelingt, komplexe Sachverhalte informativ in nur wenige Worte zu packen. Ablenkung verschaffen Franz Xaver Misslinger unter dem Decknamen Bruno Bolognese u.a. heimliche Sex-Chats. Dabei hat es ihm auf seiner Amerikareise ganz besonders Arta Demirovic, die ihm aufreizende Bilder von sich schickt, angetan. Interessant wird es, wenn Misslinger parallel zu Telefonaten und Gesprächen mit der Tochter, bei Chats mit seiner Frau und Frau Demirovic die Adressaten verwechselt.

So schafft Jakob Augstein also ein sprachlich außerordentlich gefälliges und politisch völlig überzeichnetes Bild des Franz Xaver Misslingers zu entwerfen, bei dem der Protagonisten als Karikatur oder fast schon als Persiflage eines Spitzenpolitikers daher kommt. Ohne dass sich der Leser mit Misslinger auch nur im entferntesten identifizieren könnte, gelingt es Augstein eine Atmosphäre zu kreieren, bei der man einerseits zwar Abneigung gegen Misslinger hegt, andererseits aber durchaus auch Mitleid für den Menschen empfindet, da dieser gar nicht mehr erkennen kann, wie nah er sich am Abgrund befindet.

Fazit: Jakob Augstein hat bei seinem Debüt einen sprachlich sehr schönen und ausgereiften Roman über einen Spitzenpolitiker geschrieben, dessen Hauptcharakter derart überzeichnet wurde, dass es Lesern, denen Ironie und Sarkasmus gefällt, Spaß machen muss „Strömung“ zu lesen. Sicherlich mögen ihm ganz kritische Stimmen vorwerfen, dass Augstein dabei so weit geht, dass er die Politik gewissermaßen vorführen möchte und dass die Handlung des Buches insgesamt eigentlich nirgendwo hinführt. Mir persönlich hingegen hat das Buch gerade aufgrund seiner ironischen Überzeichnung und dadurch dass erwartete Vorurteile gegen die Politik bedient werden, sehr gut gefallen. Als politisch Interessierter sollte man genügend Distanz bewahren können, um all das Lustige einer solchen Persiflage genießen zu können. Das Buchcover ist stimmig gewählt und, obwohl es vermutlich bessere Vorleser als den Buchautor geben mag, fand ich es richtig toll, dass die Hörbuchvariante als Autorenlesung von Jakob Augstein selbst gesprochen wird. In meinen Augen hat er die Bewährungsprobe seines Romandebüts hervorragend gemeistert.

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Veröffentlicht am 23.05.2022

Deep Learning“ nicht nur bei der Maschine, sondern auch beim Leser

Natürlich alles künstlich
6

Mit „Natürlich alles künstlich - Was künstliche Intelligenz kann und was (noch) nicht - KI erklärt für alle“ hat Philip Häusser ein überragendes Buch zum Thema "Künstliche Intelligenz" verfasst. Wer sich ...

Mit „Natürlich alles künstlich - Was künstliche Intelligenz kann und was (noch) nicht - KI erklärt für alle“ hat Philip Häusser ein überragendes Buch zum Thema "Künstliche Intelligenz" verfasst. Wer sich schon immer gefragt haben möchte, was unterscheidet eigentlich künstliche von realer Intelligenz und wie funktionieren eigentlich neuronale Netzwerke, sollte hier unbedingt rein schauen. Als promovierter Physiker, Wissenschaftsjournalist und auch TV-Moderator schafft es der Autor beeindruckend leicht auch komplizierte Sachverhalte verständlich darzustellen, insofern der Leser über ein gewisses naturwissenschaftliches Allgemeinverständnis verfügt.

Sehr überschaubar und gut strukturiert werden die Grundlagen der KI vermittelt und plastische Parallelen beispielsweise zum menschlichen Auge oder Gehirn gezogen. Gleichzeitig wird auch ein historischer Abriss über die Entwicklung gegeben und dargelegt, wann und wo man damals auf die Grenzen der KI gestoßen ist. Dabei wird auch auf die im Laufe der Jahre erzielten Verbesserungen der zugrunde liegenden Algorithmen eingegangen ohne, wie sonst oft üblich, auf Formeln einzugehen. Viel Wissenswertes lernt der Leser über den schwammigen Überbegriff „Künstliche Intelligenz“ und seine Untergattungen „Maschinelles Lernen“, „Neuronale Netze“ und „Deep Learning“ oder wie das Smartphone aus Filtern, die horizontale und vertikale Linien und ähnliches enthalten, im Laufe von nur weniger Layers lernen, Gesichter wiederzuerkennen oder Hunde von Katzen und Zebrastreifen von Zebras zu unterscheiden.

Für mich persönlich stellt „Natürlich alles künstlich - Was künstliche Intelligenz kann und was (noch) nicht - KI erklärt für alle“ von Philip Häusser ein sehr informatives und interessantes Buch dar, bei dem der Leser unter Benutzung der eigenen gehörig viel über über die Thematik der künstlichen Intelligenz und deren Limits lernen kann. Eine klare Empfehlung an all jene, die sich auf populärwissenschaftliche Art über KI weiterbilden möchten.

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Veröffentlicht am 01.05.2022

Packender Abschluss der Trilogie mit interessanter und aktueller Thematik

Frische Wunden
5

Nach Kirsten Nähles Krimi-Debut „Zwölf Sünden“ und dem Nachfolger „Vertraute Qualen“ stellt nun „Frische Wunden“ den Abschluss der Kriminalroman-Trilogie um das Würzburger Ermittler-Duo Victoria Stahl ...

Nach Kirsten Nähles Krimi-Debut „Zwölf Sünden“ und dem Nachfolger „Vertraute Qualen“ stellt nun „Frische Wunden“ den Abschluss der Kriminalroman-Trilogie um das Würzburger Ermittler-Duo Victoria Stahl und Daniel Freund dar.

Wie bereits in den beiden Bänden zuvor ist man als Leser von Beginn an gleich mitten drin im Geschehen und muss dieses Mal hautnah miterleben, wie im Prolog eine junge Frau mit Baby auf dem Arm durch den Wald gehetzt und getötet wird. Der Prolog wird dabei in „Ich“-Form erzählt und hebt sich damit in puncto Atmosphäre und Erzählperspektive vom Rest des Buches ab. Im ersten Kapitel wird dann das Ermittler-Duo, wie bereits im Vorgängerband ergänzt durch die Anwärterin Kathrin Schuster und Oberkommissar Benedikt Strobel, zu eben diesem Tatort mitten im Wald gerufen. Obwohl das offensichtlich auffallend hübsche Opfer teure Kleidung trägt, ist sie im angrenzenden Nobel- und Villenviertel unbekannt, wie sich bei den ersten Befragungen herausstellt. Ungereimt bleibt zunächst einmal, wie die junge Frau dorthin gelangt war und die Bedeutung einer Babydecke, mit welcher die Tote zugedeckt war. Das von den Ermittlern und weiteren Personen verzweifelt gesuchte Baby bleibt erst einmal verschwunden. Darüber hinaus lernt der Leser Jonas kennen, der in einem Fitnessstudio arbeitet. Die Handlung spitzt sich dann soweit zu, dass der Leser befürchten muss, dass es sich bei der Toten wohl um Lara, die (Ex-)Freundin von Jonas handelt. Jonas stellt auf eigene Faust Nachforschungen an und gerät dadurch selbst unter Verdacht. Zu diesen Protagonisten gesellen sich dann auch noch eine vernünftig überschaubare Anzahl von Nebencharakteren, die im Verlauf des Buches mal mehr, mal weniger Einfluss auf die Handlung nehmen und von denen manche selbst zu Hauptverdächtigen werden. Privat ist Victoria mittlerweile wieder zu ihrem Mann Tom zurückgekehrt, ihre Tochter Marie befindet sich derzeit auf einem Auslandsaufenthalt in den USA und Daniel und seine Lebensgefährtin Susanne hatten eine Fehlgeburt erlitten. Und auch zwischen Kathrin und Daniel entwickeln sich nun deutlich mehr Gefühle als die beiden wohl geplant hatten. Hier wird also an vielen Stellen die Handlung dort fortgesetzt, wo sie ganz grob vor einem halben Jahr, damals in Band 2, geendet hatte. Alle drei Bände sind allerdings auch komplett unabhängig voneinander lesbar.

Die wieder einmal düstere Atmosphäre des Covers, welches einen leicht mit Schnee bedeckten Wald in gleißendem Gegenlicht zeigt, der Titel „Frische Wunden“ und die ständigen Perspektivenwechsel in den kurzen, mit den Namen der Protagonisten überschriebenen Kapiteln, welche die Autorin mit ihrem mitreißenden Schreibstil gekonnt einbaut, stellen einen hohen Spannungslevel über den gesamten Umfang des Buches hinweg sicher. In gewohnter Weise flüssig und nie langweilig erzählt, lässt Kirsten Nähle den interessanten Plot von „Frische Wunden“ sich zu einem begeisternden Pageturner entwickeln – zumal sie der gesamten Handlung wie auch den diesmal deutlich Ausdrucks- und Charakter-stärkeren Protagonisten im Gegensatz zum Vorgängerband mehr Zeit zur Entfaltung gewährt und deutlich mehr Tiefe verleiht. An keiner Stelle ist die Handlung auch nur im Entferntesten vorhersehbar und alle Handlungsstränge werden am Ende logisch und sinnvoll zusammengeführt. Ebenso wird mit der nicht erfüllten Kinderwunsch- und Leihmutterschaftsproblematik von der Autorin einmal mehr ein interessantes und hoch-aktuelles Thema aufgegriffen, zu welchem der Leser sich auf der Basis des Buches sein ganz eigenes Meinungsbild erstellen kann und zum individuellen Abwägen gelangt, was nun gesellschaftlich, moralisch und politisch sinnvoll ist oder sein könnte. Eine besonders emotionale Note bekommt der Roman dadurch, dass die Autorin die persönlichen Schicksale der Protagonisten, insbesondere der Ermittler Victoria, Daniel, Kathrin und Benedikt mit dem Kriminalfall geschickt verwebt.

Fazit: Kirsten Nähle liefert mit „Frische Wunden“ ein deutlich reiferes Werk ab als das noch mit dem unmittelbaren Vorgänger „Vertraute Qualen“ der Fall war. Die Handlung bleibt dieses Mal völlig widerspruchsfrei, zu keinem Zeitpunkt vorhersehbar und spannend von der ersten bis zur letzten Seite. Allen Lesern, die die Kriminalfälle und das Privatleben von Victoria und Daniel durch die Vorgängerbände begleitet haben, wird es eine Freude sein, nun den packenden Abschluss der Trilogie miterleben zu dürfen. Die Palette an Protagonisten ist vielfältig und jeder einzelne hat einen sehr viel ausgeprägteren Charakter und mehr Facetten als das noch in „Vertraute Qualen“ der Fall war. Des weiteren hat die durchweg schlüssige Handlung deutlich mehr Tiefgang. Nach „Frische Wunden“ wäre es durchaus schön, wenn sich Kirsten Nähle dazu entscheiden würde, die Trilogie irgendwann dann vielleicht mit einem Folgeband weiterzuführen. Vermutlich würden viele Leser gemeinsam mit mir gerne erfahren, vor welche Herausforderungen Victoria, Daniel, Kathrin und Benedikt beruflich wie auch privat noch gestellt werden.

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