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Veröffentlicht am 01.11.2022

Integrationsdebatten und Alltag

Zusammenwachsen
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Wenn es um die Debatten zu Integration, Assimilierung, Tradition und Eigenständigkeit, Mehrheits- und Parallemgesellschaften geht, kann Musa Deli zweifellos mitreden - zum einen hat er als Sohn türkischer ...

Wenn es um die Debatten zu Integration, Assimilierung, Tradition und Eigenständigkeit, Mehrheits- und Parallemgesellschaften geht, kann Musa Deli zweifellos mitreden - zum einen hat er als Sohn türkischer Migranten, der selbst erst nach Jahren den Eltern nachgezogen ist, viel praktische Lebenserfahrung. Zum anderen kennt er als Leiter des Kölner Gesundheitszentrum für Migrantinnen und Migranten viele Probleme, Reibungspunkte und gegenseitige Missverständnisse aus dem Arbeitsalltag.

Sein Buch "Zusammenwachsen" ist nicht nur ein Plädoyer für gegenseitige Akezeptanz und Dialog, es macht aich deutlich, dass es eben nicht "DEN Migranten" gibt - und dies, obwohl er sich ganz überwiegen auf die türkeistämmige Community stützt. Eine Vielzahl von anderen Gruppen mit ihren jeweiligen Heruasforderungen, Problemen und Besonderheiten ist da noch gar nicht berücksichtigt.

Doch auch die türkische Commuity ist schließlich nicht homogen und nicht so, wie es aus der Perspektive von Stammtischdiskussionen oder soziologischen Hauptseminaren ausehen mag. Deli zeichnet auf, was die erste, zweite und dritte Generation von Migranten unterscheidet, berichtet von Kofferkindern und Heiratsmigration, von Lebensverhältnissen, demütigenden Erfahrungne, von Stolz und Diskriminierung, aber auch vom Verharren in Isolation, sozialem Druck innerhalb der Community und der wachsenden Entfremdung von der "Heimat", die die "Almansi" oder Deutschtürken machen.

Manchmal gerät allerdings auch bei Deli der Blick nicht über den Tellerrand. Die soziale Frage wird (wieder einmal, das fällt mir in Texten zu Migration immer wieder auf) ausgeklammert. Diskriminierung auf dem Wohmumgsmarkt, in der Schule, ungleiche Bildungschancen - das betrifft eben nicht nur Menschen mit einer Migrationsgeschichte. Und umgekehrt flieht nicht jeder Migrant aus der Armut, sondern kommt als Doktorand, Unternehmer, Spezialist usw durchaus mit ganz anderen Erfahrungen, Hintergründen und Perspektiven als diejenigen, die einst als "Gastarbeiter" aus entlegenen Orten in Anatolien geholt wurden.

Veröffentlicht am 01.11.2022

Schuld, Lügen und Wahrheitssuche

Unschuld
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Mit seinem neuen Roman "Unschuld" hat sich Takis Würger weg von Semidokumentarischem und historischen Stoffen bewegt - und das ist gut so. Denn auch wenn der Plot sich relativ vorhersehbar bewegt und ...

Mit seinem neuen Roman "Unschuld" hat sich Takis Würger weg von Semidokumentarischem und historischen Stoffen bewegt - und das ist gut so. Denn auch wenn der Plot sich relativ vorhersehbar bewegt und sich die Überraschungsmomente in Grenzen halten, ist die Geshichte über eine junge Frau, die versucht, ihren Vater aus der Todeszelle zu retten und den Mordverdacht gegen ihn zu entkräften, durchaus unterhaltsam.

Allerdings sind die Protagonisten durch möglichs klaffende Gegensätze doch recht plakativ geraten - hier Molly, die junge Frau aus dem Wohnwagenpark einer amerikanischen Kleinstadt, die schon mit ihrem Namen Rosedale für die Dominanz einer Unternehmerfamilie steht, da eben jene Familie, die ein Beweis dafür ist, dass Reichtum und Einfluss auch nicht glücklich machen.

Mollys Vater sitzt in der Todeszelle, und die Zeit bis zu seiner Hinrichtung tippt. Molly glaubt an die Unschuld ihres Vaters, der als Mechaniker für die Rosedales gearbeitet hat und gestanden hat, deren ältesten Sohn Caspar erschossen zu haben. Um der Wahrheit auf die Spur zu kommen, geht Molly mit Hilfe einer Journalistin undercover und heuert als Hausmädchen bei den Rosedales an. Rosedale Senior ist sofort misstrauisch und entlarvt sie als Reporterin, lässt sie aber bleiben unter der Bedingung, ihren Artikel freigeben zu dürfen. Sein jüngerer Sohn Joel hat eiin Alkoholproblem, ist hyperaktiv und wird offenbar von seinem Vater geschlagen. Die Mutter schwebt in höheren Sphären in einem Retreat, schätzt Flüstertöne und ruhig stellende Meidkamente. Wie gesagt, Reichtum macht nicht glücklich.

Dass auch Caspar nicht glücklich war, zeigt eine weitere Erzählebene, die einige Ereignisse aus Caspars Leben in den Wochen vor seinem Tod, seine erste Liebe und seine Träume von Flucht und Aufbruch schildern.

Als wäre hier nicht schon viel Schicksal am Werk, sind die Rosedales Vertreter der Waffenlobby und neigen ebenso wie Molly zu Medikamentenmissbrauch, währen Mollys Vater wegen eines Gendefekts an einer tödlich verlaufenden Krankheit leidet. Molly fürchtet, auch bei ihr könne in späteren Jahren Huntington ausbrechen, weigert sich aber konsequent, den Brief des Untersuchungslabors zu öffnen, das bei ihr einen Gentest vorgenommen hat.

Auf ihrer Suche nach der Wahrheit erlebt Molly zunächst zahlreiche Rückschläge, tastet sich aber auch mit Hilfe von Joel immer näher vor. Doch gleichzeitig läuft ihr die Zeit davon... Die Auflösung des wahren Verantwortlichen für den Tod Caspars hat mich nun wirklich nicht überrascht. "Unschuld" wirkt, als sei es bereits mit Gedanken an eine spätere Verfilmung geschrieben. Und bei der Umsetzung fürs Fernsehen oder die Leinwand kann Subtilität ja häifig hinderlich für einen Kassenerfolg sein.

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Veröffentlicht am 23.10.2022

Agent im Zentrum einer Intrige

Einmal noch sterben
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Es war die Rede von Colin Powell in der UN, die auch Skeptiker in die Koalition der Willigen brachte und den Irakkrieg ermöglichte: Die USA hätten Beweise dafür, dass der Irak im Besitz von Massenvernichtungswaffen ...

Es war die Rede von Colin Powell in der UN, die auch Skeptiker in die Koalition der Willigen brachte und den Irakkrieg ermöglichte: Die USA hätten Beweise dafür, dass der Irak im Besitz von Massenvernichtungswaffen sei, so Powell. Dem gemäßigten Republikaner, Berufsmilitär und Diplomaten, der international Ansehen und Glaubwürdigkeit genoss, wurde Glauben geschenkt. Heute weiß man: Die Angaben waren nicht wahr. Möglicherweise war Powell selbst getäuscht worden von der Falkenfraktion des Bush-Administtation.

Und wenn das alles früher bekannt gewesen wäre? Diese Idee steht im Mittelpunkt des Plots des Politthrillers "Einmal noch sterben" von Oliver Bottini um den ausgebrannten BND-Agenten und Präzisionsschützen Frank Jaromin. Ein französischer Geheimdienstoffizier erhält von einer irakischen Quelle eine brisante Nachricht: Die Angaben über irakische Massenvernichtungswaffen sind ein Fake, es gibt Beweise dafür, dass der Informant, der wiederum vom BND in Deutschland geführt wird, gelogen hat. Die Übergabe dieser Beweise geht nicht nur spektakulär daneben, Jaromin steht plötzlich im Verdacht, durch eigenmächtiges Handeln - womöglich gar Sabotage? - die Operation zum Scheitern gebracht zu haben.

Begleitumstände wie eine kriselnde Ehe, zittrige Hände, Medikamentenmissbrauch scheinen Jaromin weiter zu belasten. Selbst seine Teammitglieder, Männer, mit denen er brenzlige Situationen unter Lebensgefahr durchgestanden hatte, trauen ihm plötzlich nicht mehr. Zunehmend isoliert, fällt es dem Agenten schwer, Beweise für seine Unschuld ausfindig zu machen.

Eine BKA-Ermittlerin betreibt unterdessen eigene Nachforschungen im Auftrag des Sicherheitsberaters des Kanzlers, höchst inoffiziell und geheim. Gibt es innerhalb des BND und anderer Sicherheitsdienste eine geheime Gruppe von strengkonserativen Falken, die in Allianz mit den Amerikanern ihre eigene Agenda haben - für den Krieg, für militärische Stärke? eine anonyme Quelle weist die Polizistin auf eine Verschwörung hin, die bis in höchste Kreise reicht. Doch wie Beweise finden, zumal die Nachforschungen gefährlicher sind als zunächst angenommen?

Das "was wäre, wenn..." Szenario Bottinis ist reizvoll und nicht völlig aus der Luft gegriffen, während die persönlichen Krisen und schicksalhaften Vergangenheit seiner Protagonisten wieder einmal die Überfrachtung persönlichen Leidens sind, ohne die manche Autoren einfach nicht auszukommen scheinen. Da wäre dann weniger mehr, vor allem auch mehr Glaubwürdigkeit gewesen. Trotzdem spannend zu lesen, nicht nur für Anhänger von Verschwörungstheorien.

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Veröffentlicht am 23.10.2022

Japanisch ist mehr als nur Sushi

Tohrus Japan
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"Alles außer Sushi" verspricht "Tohrus Japan", das gleichermaßen Kochbiographie und Rezeptsammlung ist. Tohru Nakamuru war mir bis dahin völlig unbekannt, vermutlich weil ich zum einen wenig Sterneköche ...

"Alles außer Sushi" verspricht "Tohrus Japan", das gleichermaßen Kochbiographie und Rezeptsammlung ist. Tohru Nakamuru war mir bis dahin völlig unbekannt, vermutlich weil ich zum einen wenig Sterneköche kenne und zum anderen bei japanischer Küche tatsächlich eher gen Sushi schiele. Ganz puristisch geht es auch in diesem Buch nicht zu, was allerdings mit der persönlichen Geschichte des Autors zusammenhängt. Denn als Kind einer Deutschen und eines Japaners wuchs er mit beiden (Ess-)Kulturen auf, mit bayrischen Schmankerln ebenso wie mit der Originalküche der Großeltern in Japan, zu denen es jedes Jahr in den Sommerferien ging.Viele der Rezepte des Buches enthalten daher Fusionselemente.

Da gibt es etwa Schololaden-Cookies, die auf den ersten Blick völlig herkömmlich erscheinen, aber nicht nur weiße Schokolade und Walnuss, sondern auch Kombu-Alge enthalten. Oder die Miso-Bayerische Creme ist ein anderes süßes Crossover. Selbst so etwas deutsch-Bodenständiges wie Spätzle erhält mit Tofu eine neue Note.

Nicht alle Rezepte lassen japanische Elemente erkennen, so rätselte ich etwa bei der Entenbrust mit Chicoree, Kaki und Pinienkernen, wo die speziell japanische Handschrift des Rezeptes zu finden sei. Bei einem Gemüsegericht mit Möhren und Kohlrabi ist es dann wieder die Sauce sowie die Gemüsemarinade, die japanisches Flair in das Gericht bringt.

Einen Vorteil hat das alles - die Zutatenliste scheint nicht überirdisch schwer zu beschaffen, auch wenn ich mich bei einigen Algensorten etc schon frage, ob ich die im durchschnittlichen Asialaden finde. Denn dort kann ich zwar zuverlässig viel für thailändische, vietnamesische und chinesische Küche einkaufen, bei speziell japanischem Zubehör könnte es aber bereits schwieriger aussehen.

Die Fotos im Buch haben teilweise "Sterne-Ästhetik" - da lese ich dann eher aus Neugier und Interesse, nicht aber mit dem Anspruch, so etwas selbst auf den Tisch zaubern zu können. Interessant ist es allemal zu sehen, was ein Profi aus den Zutaten herausholen kann.

Nicht zuletzt verrät der Autor auch ein bißchen über seine eigene Kochphilosophie. Im Glossar gibt es ein umfangreiches Verzeichnis von Zutaten, die in der japanischen Küche eine Rolle spielen. Wieder einiges dazugelernt!

Veröffentlicht am 14.10.2022

Wahnwitzige Abenteuer

SoKo Börsenfieber
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Mit "Soko Börsenfieber" hat Gerhard Henschel nunmehr den dritten Band um die Abenteuer des Uelzener Kommissars-Ehepaars Gerold und Fischer vorgelegt - und bleibt dabei dem Rezept des ersten Bandes "Soko ...

Mit "Soko Börsenfieber" hat Gerhard Henschel nunmehr den dritten Band um die Abenteuer des Uelzener Kommissars-Ehepaars Gerold und Fischer vorgelegt - und bleibt dabei dem Rezept des ersten Bandes "Soko Heidefieber" treu: Hier wird gnadenlos überzeichnet, das Regionalkrimigenre persifliert, und auch der leidgeprüfte Schriftsteller Thomas Gsella samt seines Autorenkupels Frank Schulz auf eine Tour der Leiden geschickt, diesmal quer durch Südamerika. Hier kann der Autor Henschel sämtliche sadistische Fantasien, was er seinen Figuren antun kann, genüsslich ausleben. Nebenbei gibt es Seitenhiebe auf die Finanzwelt, die Kirche, die Mafia und Superhelden in Polizeidiensten. Auch Linguisten kommen einmal mehr auf ihre Kosten, schließlich spricht die Fischerin friesisches Platt.

Nein, allzu ernst sollte man das alles nicht nehmen, aber in der Übertreibung ist auch Soko Börsenfieber lustig - auch wenn das Erzählschema mittlerweile vertraut und ein wenig abgenutzt ist. Wie es einmal mehr gelingt, aus dem beschaulichen Uelzen internationalen Verbrecherkartellen das weltumspannende Geschäft zu verderben, dem Tod ein Dutzend mal von der Schippe zu springen und beim nächsten Abenteuer noch eine Schippe raufzulegen - das ist auch dann ausgesprochen unterhaltsam, wenn man schon ahnt, dass es gleich mit der nächsten Kapriole weitergeht.

Diesmal ist es ein harpunierter Banker, der Kommissar Gerold von niedersächsischen Nachbarschaftsstreitigkeiten und Ladendiebstählen ablenkt. Er kämpft allein gegen Mafia und Blutrache, jettet als Ermittler um die Welt und auch seine Ehefrau kann wieder zu großer Tour auflaufen. Doch so wirklich wichtig ist der Plot nicht, geht es doch darum, die Polizisten und Autoren um den Globus zu schicken und immer wahnwitzigeren Situationen auszuliefern.

Klar, dass weder Bombenanschläge noch Killerkommandos, Schiffsuntergänge oder Volkanausbrüche Henschels Protagonisten aufhälten können. Ein wenig angeschlagen und um etliche Erfahrungen reicher werden sie sicher noch weiteren Abenteuern entgegenblicken. Denn noch sind nicht sämtliche Genreparodien ausgereizt.

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