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Veröffentlicht am 01.04.2023

Ein berührendes Buch über zwei Schwestern in Bergen-Belsen

Nicht ohne meine Schwester
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Rachel Epstein, 17 Jahre alt, lebt mit ihren Eltern und Geschwistern in einem Dorf und bisher verschlossen sie ihre Augen vor den Deportationen der Juden. Auf ihrem Hof hatten sie alles, was sie zum Leben ...

Rachel Epstein, 17 Jahre alt, lebt mit ihren Eltern und Geschwistern in einem Dorf und bisher verschlossen sie ihre Augen vor den Deportationen der Juden. Auf ihrem Hof hatten sie alles, was sie zum Leben brauchten. Bis dann eines Tages der Landrat Keller, ein strammer Nazi, ihre Eltern als Gefangene vom Hof holte. Zum Glück war Rachel mit ihrer kleinen Schwester, 4 Jahre alt, nicht zuhause. Sie wurden gewarnt und konnten vor den Häschern flüchten. Ihr Glück währte aber nicht lange. Schon bald wurden sie verhaftet und kamen 1944 ins Lager Bergen-Belsen. Bei ihrer Ankunft dort musste die kleine Mindel mit ansehen, wie Rachel von ihr fortgezogen wird. Sie weint und ruft, aber die Aufseher haben kein Verständnis für ihre Not. Dabei fühlte sich für sie die Gefangenschaft doch gar nicht so schlimm an, wenn sie zusammen wären.

Bergen Belsen besuchte ich vor vielen Jahren mit meinen Eltern. Ohne Vorbereitung oder Aufklärung durch die Schule. Diesen Schock beim Anblick der Fotos werde ich nie vergessen. Rachel und Mindel vegetierten also in diesem Lager dahin. Unter den wachsamen Augen der Aufseher und ohne jegliche Zuwendung. Besonders für die kleine Mindel war das kaum zu ertragen. Und die Große kam fast um vor Sorge. Und trotzdem wurden Freundschaften geschlossen. Wie wichtig diese zum Überleben waren, kann niemand nachempfinden, der es nicht selbst erlebte.

Marion Kummerow schrieb einige Bücher über die grausame Zeit des zweiten Weltkriegs. In diesem Band stellt sie ein Ehepaar vor, das sich für die Kinder im Lager einsetzte. Sie bemühten sich dabei, den Kleinen Liebe und Geborgenheit zu geben. Erstaunlich für mich, dass die Nazis ihnen das gestatteten. Es gibt also nicht nur Leid und Schmerz zu erlesen. Auch schöne Erlebnisse richteten die Gefangenen immer wieder auf und lockern die Geschichte der Mädchen ein wenig auf. So ist auch kurz erwähnt, dass Anne Frank und ihre Schwester zu den Freundinnen Rachels gehörten. Was mit Anne geschah, wir jedem bekannt sein, der Bücher zu ihrem Leben las.

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Veröffentlicht am 01.04.2023

Der lange Weg zur minimalen Gerechtigkeit

Im Bann des Bösen
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Ja, es gab wohl auch „nette“ Aufseherinnen in den Konzentrationslagern. Zu denen gehörte Ilse Koch aber nicht. Das belegen die Akten amerikanischer und deutscher Gerichte. Die Historikerin Alexandra Przyrembel ...

Ja, es gab wohl auch „nette“ Aufseherinnen in den Konzentrationslagern. Zu denen gehörte Ilse Koch aber nicht. Das belegen die Akten amerikanischer und deutscher Gerichte. Die Historikerin Alexandra Przyrembel zeigt in dem Buch "Im Bann des Bösen" den Werdegang Kochs. Von ihrem Eintritt in die NSDAP bis zu ihrem Suizid. Diese „Hexe von Buchenwald“ war der Schrecken vieler Gefangener und lebte selbst in Luxus und Sorglosigkeit, sehr nah an den Baracken der Gefangenen.

Kaum zu glauben, dass die Einwohner von Weimar damals nicht mitbekamen, was im Buchenwald vor sich ging. Zumindest die Stadtväter wussten es und es ist davon auszugehen, dass sie sich Vorteile durch ihr Schweigen erhofften. Ilse und ihr Ehemann kamen erst durch ihre Verbindungen ins Lager zu ansehnlichem Reichtum. Bis sie überhaupt heiraten durften, mussten sie ausführliche Befragungen über sich ergehen lassen. Die kamen vom „Sippenrat der SS“. Eine Institution, die ein wachsames Auge auf all ihre Mitglieder und deren hatte. Der einwandfreie Leumund und die Belege einer „reinen“ Rasse gestatten eine Heirat. Und diese durfte nicht in einer Kirche stattfinden.

„Das Christentum ist die Angelegenheit erbsündiger Menschen“, so hieß es damals. Auch die Hochzeitsfeier der Kochs wurde dem Brauchtum der Kelten angelehnt und nur mit SS-Kameraden veranstaltet. Die Gerichtsverhandlungen der Angeklagten Koch waren für etliche Deutsche ein Instrument zur eigenen Entlastung. Nach dem Motto: „Nein, so schlimm war ich aber nicht, oder Schau mal, was sie den Gefangenen antat“ ließ sie denken, dass sie zu den „Guten“ oder gar zum Widerstand gegen den Diktator gehörten.

Das Sachbuch hat eine sehr lange Einführung in die Geschichte. Es beleuchtet nicht nur den kleinen Kreis um Frau Koch und ihre Familie. Die ganze Situation damals wird aufgezeigt und es bedarf einer gewissen Stärke, dieses Sachbuch zu lesen. Wichtig ist es allemal. Wir, als nachfolgende Generation, dürfen nicht schweigend zusehen, wie Tendenzen rechter Gesinnung in unserer Gesellschaft Fuß fassen.

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Veröffentlicht am 31.03.2023

Faktenreich und ein Genuss beim Lesen

Florentia - Im Glanz der Medici
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Es sollte in rauschendes Fest werden. Lorenzo, der älteste Sohn der Eheleute Medici wird heiraten. Eine Römerin, die er noch nie sah. Guilamo, der jüngere Bruder von Lorenzo, holte sie nach Florenz. Obwohl ...

Es sollte in rauschendes Fest werden. Lorenzo, der älteste Sohn der Eheleute Medici wird heiraten. Eine Römerin, die er noch nie sah. Guilamo, der jüngere Bruder von Lorenzo, holte sie nach Florenz. Obwohl er bei seinem Vater gar nicht gut gelitten war, verstand er sich mit seinem Bruder sehr gut. Die Medicis waren eigentlich die unangefochtenen Herrscher in Florenz. Warum nur eigentlich? Weil sie unter anderem von dem Clan der Pazzis verachtet und zuweilen sogar angegriffen wurden.

Fioretta Gorini ist die Tochter des Leibarztes der Medici. Sie verbrachte ihre Kindheit mit den beiden Söhnen und hatte lange ein inniges Verhältnis zu ihnen. Leonardo da Vinci, damals noch ein unbekannter Ausnahmekünstler malte immer mal wieder Familienangehörige der Medici und Fioretta schaute ihm dabei über die Schulter. Ihr inniger Wunsch war es, ebenfalls das Malen zu lernen und sich damit den Lebensunterhalt zu verdienen. Und wie passt nun der reiche Guilamo zu diesen jungen Menschen? Was verbindet die drei? Spannend und äußerst faktenreich berichtet die Autorin über das Leben im Florenz 1469. Gedanken, Sehnsüchte und Erwartungen unterscheiden sich kaum von jenen der heutigen Zeit.

Wie kann einem die Geschichte eines Landes eindrücklicher entgegengebracht werden, als durch einen gut recherchierten historischen Roman. "Florentia - Im Glanz der Medici" ist solch ein Buch. Eintauchen in vergangene Tage, das konnte ich beim Lesen. Gleichzeitig erfuhr ich, in welcher Weise die „Heilige Mutter Kirche“ in Form des Papstes Einfluss auf das Leben ihrer Anhänger nahm. Brautpaare, die nur ganz selten aus Liebe zueinander fanden und Homosexuelle, die in abartiger Form verfolgt und sogar getötet wurden, das war damals normal.

Nicht nur die gute Recherche machen das Buch zu etwas Besonderem. Auch die abwechslungsreiche Sprache und der gehobene Stil ließen mich voller Begeisterung lesen. Viel mehr als die Höchstzahl der Sterne würde ich gerne geben. Fraglos ein Highlight im Lesejahr 2023.

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Veröffentlicht am 21.03.2023

Auch dieses Stück deutscher Geschichte darf nie vergessen werden

Ewig währt der Sturm
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Emma ist ganz aufgeregt. Sie kann nicht ruhig sitzen, wirbelt in der Wohnung herum und fasst es nicht. Die Mauer ist gefallen. Jetzt will sie nur noch feiern und fragt ihre Mutter Anna, ob sie nicht auch ...

Emma ist ganz aufgeregt. Sie kann nicht ruhig sitzen, wirbelt in der Wohnung herum und fasst es nicht. Die Mauer ist gefallen. Jetzt will sie nur noch feiern und fragt ihre Mutter Anna, ob sie nicht auch mitkommen möchte. Raus auf die Straße und den Tag der Tage angemessen begehen. Aber Anna steht der Sinn nicht nach feiern. Sie möchte das Geschehen viel lieber im TV anschauen. Dann, sie erstarrt ganz plötzlich. Wirkt abwesend, während ein Reporter beschreibt, was an der Grenze los ist. Kann es denn wahr sein? Ist es wirklich ihre große Liebe Werner? Der, von dem sie Jahrzehnte nichts hörte und dachte, er sei tot?

Ein fesselndes Stück deutsche Geschichte. Anna und Werner leben in Ostpreußen, in der Nähe von Insterburg und sind seit Kindertagen ein Paar. Als der Krieg ausbricht, erfahren sie zunächst nur aus der Ferne davon. Das ändert sich aber schnell und Werner muss in den Krieg. Und dann kommt das Unfassbare. Anna und ihre Familie müssen ihre Heimat verlassen und so schnell es geht in Richtung Deutsches Reich fliehen. Nach dem Krieg dann die Teilung Deutschland und die Hoffnung auf ein Wiedersehen der beiden Liebenden schwindet dahin.

Kaum vorstellbare Qualen durchlitten die Vertriebenen. Sie kämpften nicht nur gegen Hunger, Kälte und Misstrauen. Nein, sie waren keineswegs willkommen. Es gab zu viele, die Zuflucht suchten. Die Autorin schreibt so realistisch, dass ich das Grauen förmlich spürte. Kinder verhungerten, Säuglinge erfroren und Frauen wurden geschändet. Und das alles geschah, weil ein Mann gute Reden schwingen und eine Nation zur Nachfolge bringen konnte. Welche ein außergewöhnliches Buch.

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Veröffentlicht am 20.03.2023

"Die Wahrheit ist ein Pfau"

Die spürst du nicht
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Die Eltern der 14jährigen Sophie-Luise sind sehr beschäftigt. Sie als Politikerin und er ebenfalls in führender Position. Also erfüllen sie ihrer Tochter (fast) jeden Wunsch. Und mal ehrlich. Wie gut kommt ...

Die Eltern der 14jährigen Sophie-Luise sind sehr beschäftigt. Sie als Politikerin und er ebenfalls in führender Position. Also erfüllen sie ihrer Tochter (fast) jeden Wunsch. Und mal ehrlich. Wie gut kommt es an, wenn eine „Grüne“ sich als „Gutmensch“ offenbart, und einem Flüchtlingskind aus Somalia einen Urlaub in der Toskana schenkt? Das Mädchen ist schüchtern und alle Beteiligten sind davon überzeugt: „Die spürst du nicht“. Welches Drama sich dann allerdings im Feriendomizil ereignet, das sprengt alles Vorstellbare.

Ayana, so heißt das Mädchen aus Somalia, besucht die gleiche Klasse, wie Sophie-Luise. Ihre Eltern sprechen kaum Deutsch. Nur ihr Bruder und sie selbst können sich einigermaßen verständigen. Dass sie mit in die Toskana reisen soll, das gefällt den Eltern überhaupt nicht. Der Bruder überredet sie dann doch noch und vielleicht freut sich Ayana ja auch auf die Zeit. Neben den Eltern Sophie-Luises fährt noch ein befreundetes Ehepaar mit in den Urlaub. Chillen am Swimmingpool, Sekt trinken und über Nebensächlichkeiten plaudern, das gefällt den vier Erwachsenen. Wichtig für sie: vor den Freunden so gut wie möglich dazustehen und mit ihrem Reichtum zu prahlen. Wie sich diese Freundschaft allerdings entwickelt, als zu dem Unglück kam, das ist vorauszusehen.

Ein Buch, welches den Finger in etliche Wunden legt. Wie fühlen wir uns, wenn wir mit Menschen aus fernen Landen kommunizieren? Denken wir, dass wir besser seien? Oder sind wir sogar dankbar, dass wir nicht vor Krieg und Misshandlung fliehen müssen? Erkennen wir die Furcht unserer Mitmenschen an, oder setzen wir uns darüber hinweg? Kann man Recht mit Geld und/oder dem Zutun von Freunden kaufen?

Besonders gut gefielen mir die verschiedenen Perspektiven, aus denen die Geschichte erzählt wird. Diese fiktiven Kommentare auf Facebook sind perfekt getroffen. Dann diese Furcht vor gesellschaftlichem und finanziellem Absturz, wenn gewisse Dinge an die Öffentlichkeit kommen. An die Eltern Ayanas wird dabei nicht gedacht. Die Sprache wechselt je nach Charakter und ist bildgewaltig. Und die Charaktere optimal herausgearbeitet. Klare Empfehlung und einen Sternenregen gibt es von mir.

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