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Veröffentlicht am 18.04.2024

Ausflug in die minoische Vergangenheit

Kretisches Rätsel
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In „Kretisches Rätsel“, Band 6 der Michalis Charisteas-Reihe, nimmt uns der Autor einmal mehr in die minoische Vergangenheit der größten griechischen Insel mit. Ausgangspunkt ist Knossos, ein touristischer ...

In „Kretisches Rätsel“, Band 6 der Michalis Charisteas-Reihe, nimmt uns der Autor einmal mehr in die minoische Vergangenheit der größten griechischen Insel mit. Ausgangspunkt ist Knossos, ein touristischer Hotspot mit Wiedererkennungswert, da diesen wahrscheinlich die meisten Urlauber, so sie denn nicht nur einen reinen Badeurlaub auf Kreta verbringen, schon einmal besucht haben.

Auf dem Palastgelände wird ein archäologischer Mitarbeiter und Kollege Hannahs (Michalis deutsche Verlobte) tot aufgefunden. Die Kopfwunde weckt Zweifel, weshalb Michalis und sein Partner Koronaios zum Fundort der Leiche beordert werden, obwohl Michalis auf Bitten seiner Mutter wegen seiner bevorstehenden Hochzeit nur noch mit Lappalien beschäftigt werden sollte. Es stellt sich heraus, dass der Tote kürzlich ein Kloster auf der Halbinsel Akrotiri besucht und dort Nachforschungen angestellt hat. Der Besuch der beiden Ermittler im Kloster bleibt allerdings weitgehend ergebnislos, da sich die Mönche auf ihr Schweigegebot berufen, aber es scheint, als ob der Tote einem sensationellen archäologischen Fund auf der Spur war. Ein Umstand, der ihn bedauerlicherweise das Leben kostete.

Um Informationen zu sammeln und den Täter dingfest zu machen, beginnt für Michalis und Pavlos die kleinteilige Ermittlungsarbeit, bei der sie neben zahllosen Gesprächen auch noch auf den Spuren der Minoer gefühlt sämtliche Ausgrabungsstätten und Siedlungen besuchen, die dieser Hochkultur zugeschrieben werden. Knossos, Gortys, Phaestos, die Messara-Ebene, Zominthos, Kato Zakros und Kalamaki, alles dabei, was Rang und Namen in der archäologischen Welt hat.

Zwei Punkte sind mir positiv aufgefallen. Weder nehmen in diesem Band die ausufernden und in den Vorgängern permanent wiederholten Schilderungen des familiären Alltags von Michalis und Hannah, noch die detaillierten Beschreibungen ihrer Hochzeitsvorbereitungen über Gebühr Raum ein. Und auch der Wechsel der Handlungsorte weg vom westlichen gelegenen Chania und Umgebung hin zum Süden und Osten hat das geografische Spektrum angenehm erweitert.

Allerdings hatte ich stellenweise das Gefühl, einen Führer für archäologische Rundreisen in Händen zu halten, denn zu jedem minoischen Ermittlungsort gab es von Seiten des Autors ausführliche Hintergrundinformationen, die man, wenn man daran interessiert ist, problemlos im Reiseführer oder Internet findet. Leider geht das auf Dauer zu Lasten von Tempo und Spannung und schafft in einem Kriminalroman unnötige Brüche, die es zu vermeiden gilt.

Alles in allem mit den erwähnten Einschränkungen als Urlaubslektüre empfohlen.

3,5 von 5, aufgerundet auf 4 Sterne

Veröffentlicht am 14.04.2024

Ein Neuanfang

Fräulein Liebe und das Glück der Bücher
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Es sind die letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs, die das Leben der 18-jährigen Eva auf den Kopf stellen. Als durch einen verhängnisvollen Bombenangriff auf Berlin ihre gesamte Familie getötet und ihr ...

Es sind die letzten Wochen des Zweiten Weltkriegs, die das Leben der 18-jährigen Eva auf den Kopf stellen. Als durch einen verhängnisvollen Bombenangriff auf Berlin ihre gesamte Familie getötet und ihr Zuhause komplett zerstört wird, kann sie übergangsweise bei ihren Schwiegereltern in spe unterschlupfen. Doch als diese die Nachricht erhalten, dass ihr Sohn (und Evas Verlobter) gefallen ist, gibt man ihr deutlich zu verstehen, dass sie in deren Haushalt nicht mehr erwünscht ist. Aber wo soll sie hin? Von nun an auf sich allein gestellt, erinnert sich Eva an ihren Onkel, Besitzer einer Buchhandlung in Andernach und der einzige Verwandte, den sie noch hat. Und so macht sie sich auf den beschwerlichen Weg ins Rheinland, nur um dort festzustellen, dass ihr Onkel mittlerweile auch an der Front ist und ihre Tante sich nicht sonderlich erfreut bei ihrer Ankunft zeigt. Und das hat Gründe…

Bücher über Buchhandlungen gibt es wie Sand am Meer, auch solche, die zeitlich in Kriegszeiten verankert sind. Allerdings werden diese meist als Orte dargestellt, in denen die Besucher Ablenkung von den Kriegswirren suchen. Ganz anders in „Fräulein Liebe und das Glück der Bücher“ (übrigens, meiner Meinung nach ein unglücklich gewählter, sperriger Titel), denn hier ist die Buchhandlung ein Ort des Mutes und des passiven Widerstands, kommen hier doch Menschen in einem Lesekreis zusammen, die die verbrannten und von den Machthabern verbotenen Bücher lesen und aus ihnen Hoffnung schöpfen.

Natürlich, und das ist der Wermutstropfen dieses vornehmlich an die weibliche Zielgruppe gerichteten Romans, fehlt leider auch die obligatorische Liebesgeschichte nicht. Aber gut, man kann nicht alles haben.

Sehr detailreich und durchaus berührend beschreibt die Autorin sowohl Alltag der Menschen als auch individuelle Schicksalsschläge in diesen schweren Kriegszeiten. Durch die gewählte Form der kurzen Abschnitte ergibt sich hier eine sehr abwechslungsreiche Geschichte für zwischendurch, die ich (mit Abstrichen s.o.) gerne gelesen habe. Die Fortsetzung „Fräulein Liebe und der Traum vom Leben“, die während der Aufbaujahre in den Fünfzigern spielt, erscheint übrigens am 1. Juli 2024.

3,5 von 5 / aufgerundet auf 4 Sterne

Veröffentlicht am 14.11.2023

Über die Zuverlässigkeit der Erinnerung

Memoria
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Ein kluger Autor hat einmal gesagt, dass ein guter Spannungsroman mit einem Knall beginnen muss. Diese Anweisung hat Zoe Beck für den Einstieg in „Memoria“ beherzigt: Ein ICE muss auf freier Strecke halten, ...

Ein kluger Autor hat einmal gesagt, dass ein guter Spannungsroman mit einem Knall beginnen muss. Diese Anweisung hat Zoe Beck für den Einstieg in „Memoria“ beherzigt: Ein ICE muss auf freier Strecke halten, weil der Wald großflächig brennt. Die Zugreisenden, unter ihnen Harriet, eine junge Frau mit einem Leben voller geplatzter Träume, werden evakuiert. Als sie hinter dem Fenster eines in der Nähe stehenden Hauses eine ältere Frau sieht, die Hilfe benötigt, fasst sie sich kurzentschlossen ein Herz und rettet sie. Mission erfüllt, oder etwa doch nicht? Aug‘ in Aug‘ mit der Frau beschleicht sie ein seltsames Gefühl. Es scheint fast so, als ob sie ihr früher schon einmal begegnet wäre. Aber das ist erst der Anfang, denn in den folgenden Tagen, Wochen gibt es immer wieder Situationen, in denen sie eine ähnliche Ahnung beschleicht, sie verunsichert. Bildet sie sich das ein oder kann sie ihren Erinnerungen trauen?

Becks Stoff ist zwar zeitlich in einer nahen Zukunft mit dystopischen Anleihen angesiedelt, aber es sind die brisanten Themen unserer Gegenwart, die den Hintergrund des Thrillers bilden. Die immer weiter auseinanderklaffende Schere zwischen Besitzenden und Besitzlosen, eine gespaltene Gesellschaft, in der jeder Schritt überwacht wird, Lebensräume, die von den Auswirkungen des Klimawandels verwüstet werden, der Zugang zu lebensnotwendigen Ressourcen, der nicht mehr gefahrlos für alle möglich ist, die Möglichkeiten, ob gut oder schlecht, die KI bietet, Ethik, Moral und Verantwortung von Forschung und Wissenschaft, die auf dem Altar des Profits geopfert werden.

Es sind äußerst interessante Themen, die die Autorin hier behandelt und damit jede Menge Denkanstöße liefert. Und gerade durch die Verknüpfung mit den Lebensumständen und der Geschichte der Protagonistin werden sie greifbar, wirken realistisch und nicht zuletzt auch sehr beängstigend. Aber ach, so spannend die Story über weite Strecken auch war, hat sie doch mit der „Auflösung“ ausgetretene Pfade beschritten und offenbar nicht nur meine Vermutungen bestätigt. Das sollte einer erfahrenen Thriller-Autorin nicht passieren, kratzt es doch an dem guten Eindruck, den der Leser/die Leserin bisher hatte. (3,5 von 5)

Veröffentlicht am 20.08.2023

Wer einmal lügt...

Verlogen
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Vor über einem halben Jahr hat die alleinerziehende Maríanna eine kurze Notiz auf dem Tisch hinterlassen und ist spurlos verschwunden. Wegen ihrer problematischen Biografie vermutete die Polizei damals ...

Vor über einem halben Jahr hat die alleinerziehende Maríanna eine kurze Notiz auf dem Tisch hinterlassen und ist spurlos verschwunden. Wegen ihrer problematischen Biografie vermutete die Polizei damals Depressionen mit Selbsttötungsabsicht. Doch nun wurde die Leiche in einer Höhle gefunden und es scheint, als ob sie eines gewaltsamen Todes gestorben ist. Ein Cold Case, und nach so langer Zeit kein einfacher Fall für Elma und ihren Kollegen Sævar, da auf den ersten Blick niemand aus dem Umfeld der Toten ein Interesse an ihrem Tod hatte. Oder etwa doch? Was ist mit Hekla, der Tochter, die mittlerweile bei liebevollen Pflegeeltern lebt? Oder mit der Pflegemutter, die bereits in der Vergangenheit immer wieder Probleme mit Maríanna hatte? Viele Fragen, wenig Antworten in Eva Björg Ægisdóttirs „Verlogen“, Bd. 2 der Mörderisches-Island-Trilogie.

Parallel zu der Ermittlungsarbeit von Elma und Sævar, die sehr ausufernd geschildert wird, sind immer wieder Tagebucheinträge einer überforderten Mutter zu lesen, deren Kind offensichtlich eine Entwicklungsstörung, eventuell aus dem autistischen Spektrum hat und die über die Jahre nicht in der Lage ist, ihr Kind anzunehmen und eine Beziehung zu diesem aufzubauen.

Keine Frage, bis zu einem gewissen Punkt liest sich das durchaus spannend und weckt das Interesse, aber mangels der Fortschritte in den Ermittlungen ist bei 360 Seiten irgendwann der Punkt erreicht, an dem man gerne Ergebnisse und die eigenen Vermutungen bestätigt sehen möchte. Wer sagt die Wahrheit, wer erzählt Lügen?

Mir war das insgesamt zu klein-klein erzählt und mit zu vielen Wiederholungen und uninteressanten Nebensächlichkeiten gespickt, die den Fortgang der Handlung immens ausgebremst haben. Das typische Problem bei dem mittleren Band einer Trilogie.

Alles in allem deshalb nur 3,5 von 5.

Veröffentlicht am 12.05.2023

Politthriller mit leichten Schwächen

Die Macht der Wölfe
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„Die Macht der Wölfe“ beginnt relativ unspektakulär. Melia Adans Vater bittet sie um ein Treffen mit der Bundeskanzlerin, die ihre Hilfe benötigt. Diese ist Opfer einer Erpressung, denn ein von ihr verursachter ...

„Die Macht der Wölfe“ beginnt relativ unspektakulär. Melia Adans Vater bittet sie um ein Treffen mit der Bundeskanzlerin, die ihre Hilfe benötigt. Diese ist Opfer einer Erpressung, denn ein von ihr verursachter Unfall mit Todesfolge droht ihr nun auf die Füße zu fallen. Um ihre politische Karriere nicht zu gefährden, hatte sie sich der Verantwortung nicht gestellt, sondern die Eltern des Opfers mit einem großen Geldbetrag zum Schweigen gebracht. Staatssekretär Bovert, den wir bereits aus den Vorgängerbänden kennen, hat Kenntnis von diesem Vorfall und möchte dies zum Vorteil eines rechtskonservativen Netzwerks (ebenfalls aus den Vorgängern bekannt) nutzen, das politische System im Land umbauen und die Macht übernehmen will. Vincent Veih hingegen hat es mit einem kniffligen Fall zu tun. Auf einer Großbaustelle wurde Leichenteile gefunden, aber leider ist es anhand der Teile nicht möglich, die Identität des Toten festzustellen. Und natürlich wird sich im Laufe der Ermittlungen zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Fällen gibt. Stellt sich die Frage, wer der Puppenspieler im Hintergrund ist…

Kurze Kapitel aus wechselnden Perspektiven generieren nicht nur hohes Tempo, sondern halten auch das Interesse der Leser hoch. Keine Frage, Eckert schreibt spannende, realitätsnahe und thematisch brisante Politthriller, aber dass sowohl Melia als auch Vincent mit rechtskonservativen Vätern geschlagen sind…come on. Das ist dann doch schon etwas zu sehr gewollt. Was die Macht der Bilder sowie die politische Einflussnahme mit Hilfe der Medien angeht, das erleben wir tagtäglich, hier bleibt die Handlung nahe an der Realität, auch wenn ich mir hier einen differenzierteren Blick gewünscht hätte, gerade weil die Rollen von Gut und Böse zu offensichtlich verteilt sind. Und zu guter Letzt die Rollen, die Bovert, Osterkamp und Konsorten in dieser Reihe spielen. Das ist mittlerweile hinreichen bekannt, ebenso die Ziele, die sie haben. So ist auch dieser Fall lediglich eine Variation des Themas. Vielleicht sollte der Autor sie endlich aufs Abstellgleis schieben, um Platz für neue Handlungsimpulse zu schaffen.