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Veröffentlicht am 02.08.2023

Emotional und überraschend

Die Erinnerungsfotografen
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Hirasaka ist Erinnerungsfotograf. Sein Atelier befindet sich an der Grenze zwischen Leben und Tod und es ist seine Aufgabe, den Menschen, die dort ankommen, beim Übergang zu helfen. Für jeden Tag ihres ...

Hirasaka ist Erinnerungsfotograf. Sein Atelier befindet sich an der Grenze zwischen Leben und Tod und es ist seine Aufgabe, den Menschen, die dort ankommen, beim Übergang zu helfen. Für jeden Tag ihres Lebens existiert genau ein Foto und aus dieser Masse sollen sie für jedes Lebensjahr eines auswählen, das in die große Drehlaterne eingesetzt wird – so dass sie sich am Ende noch einmal das Kaleidoskop ihres Leben ansehen können. Nur Hirasaka selbst hat keine Ahnung, wer er war, bevor er in das Fotostudio kam und hofft jeden Tag darauf, dass ihn einer der Ankommenden erkennt.

„Die Erinnerungsfotografen“ ist der erste ins Deutsche übersetzte Roman der japanischen Schriftstellerin Sanaka Hiiragi. Die Handlung wird in der dritten Person und der Vergangenheitsform erzählt und bleibt zumeist bei Hirasaka, dem Protagonisten, und seinen jeweiligen Gästen im Studio. Nur ganz am Ende kommt Bote Yama zu Wort, der die Lebensfotos anliefert. Der Schreibstil ist emotional und mitreißend - es gelingt der Autorin, die seltsame Situation aller Beteiligten einzufangen. Vor allem Hirasaka überzeugt durch seine sanfte, geduldige Art.

Zunächst ist unklar, wie die drei ausgewählten Menschen im Fotoatelier miteinander verbunden sind. Hirasaka begleitet zunächst eine alte Frau, die früher Kindergärtnerin war, dann einen Yakuza, der mit einem Reparaturgeschäft Geld wäscht und schließlich ein kleines Mädchen. Vor allem dieser letzte Fall berührt und schockiert im Kontrast zu den ersten beiden, bei denen der Tod nicht unvermeidlich schien. Bis hierhin lesen wir also im Prinzip drei separate Kurzgeschichten – gut geschrieben, aber nichts völlig Neues.

Dann jedoch greift die Autorin tief in die Trickkiste und lässt Yama die losen Fäden zusammenführen. Szenen aus jeder der drei Geschichten ergeben auf einmal einen neuen Sinn und eigentlich müsste man das Buch noch einmal vor vorne beginnen, um keinen noch so kleinen Hinweis zu verpassen. Was hier offenbart wird, ist niederschmetternd und herzerwärmend zu gleich und erhebt „Die Erinnerungsfotografen“ von einer netten Kurzgeschichtensammlung zum kleinen Meisterwerk.

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Veröffentlicht am 26.07.2023

Drei Frauenschicksale

Die Unbändigen
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Drei Frauen, drei miteinander verknüpfte Schicksale. 1619 ist die Heilerin Altha angeklagt, mit Hexenkräften den Mann ihrer Freundin Grace getötet zu haben. Violet, in 1942, versucht verzweifelt, mehr ...

Drei Frauen, drei miteinander verknüpfte Schicksale. 1619 ist die Heilerin Altha angeklagt, mit Hexenkräften den Mann ihrer Freundin Grace getötet zu haben. Violet, in 1942, versucht verzweifelt, mehr über ihre verstorbene Mutter herauszufinden. Dann beschließt ihr Vater plötzlich, dass sie Cousin Frederick heiraten soll. Und in der Gegenwart des Jahres 2019 ist die schwangere Kate vor ihrem gewalttätigen Ehemann auf der Flucht und versteckt sich in Weyward Cottage – wo vor ihr auch Altha und Violet gelebt haben.

„Die Unbändigen“ ist der erste Roman der in Australien geborenen Autorin Emilia Hart, die inzwischen in Großbritannien lebt. Erzählt wird wechselnd aus der Perspektive der drei Frauen, wobei Althas und Violets Kapitel in der Vergangenheit und Kates im Präsens erzählt werden, was gut passt, weil wir von ihrer Zeitlinie aus zurückblicken. Der Erzählstil Emilia Harts ist dabei sehr poetisch und eindringlich, das Schicksal der Frauen berührt von der ersten Seite an.

Schnell stellt sich heraus, dass die Protagonistinnen einem Familienzweig entstammen, den Weywards – benannt übrigens nach den Hexenschwestern aus Shakespeares „Macbeth“. Sie alle haben den Ruf, wunderliche Außenseiterinnen zu sein. Altha ist, wie ihre Mutter, eine Heilerin, was in ihrem Jahrhundert natürlich gewisse Verdächtigungen und Gefahren mit sich bringt. Violet hingegen sieht sich eher gesellschaftlichen Zwängen gegenüber und muss damit zurechtkommen, dass sie als Frau für ihren Vater nichts wert ist. Kate wird von ihrem brutalen Ehemann künstlich in der Außenseiterrolle gehalten; er isoliert sie von allen und hat so die volle Kontrolle über sie.

Gemeinsam haben alle drei Frauen eine seltsame Affinität zu Tieren, vor allem zu Insekten und Vögeln, was im Verlauf von allen Handlungssträngen eine große Rolle spielen wird. Überhaupt ist es unglaublich geschickt, wie die Autorin die Schicksale der Frauen miteinander verwebt und nach und nach große, bedeutsame Zusammenhänge aufdeckt. Jede der Geschichten macht auf ihre Weise Mut, dass sich durch Solidarität und dem Einstehen für sich selbst tatsächlich etwas verändern kann.

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Veröffentlicht am 19.07.2023

Ratgeber, der Betroffenen Mut macht

Scheiß-Angst
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Als Karina Spiess mit 16 Jahren für ein Jahr ins Ausland geht, entwickelt sie dort schwere Magen-Darm-Beschwerden und erlebt ihre erste Panikattacke – Dinge, die sie noch bis zum heute begleiten. Auf Instagram ...

Als Karina Spiess mit 16 Jahren für ein Jahr ins Ausland geht, entwickelt sie dort schwere Magen-Darm-Beschwerden und erlebt ihre erste Panikattacke – Dinge, die sie noch bis zum heute begleiten. Auf Instagram beginnt sie schließlich, über ihre Erfahrungen zu sprechen und stellt fest: es geht vielen Menschen ähnlich. So formt sich der Gedanke, auch weiter zur Enttabuisierung dieser Themen beizutragen und eine Karriere als selbst ernannte „Kackfluencerin“ beginnt.

Verfasst hat die Autorin, auch bekannt als @kikidoyouloveme, ihr Sachbuch gemeinsam mit Schwägerin Ekaterina Spiess, einer Ärztin, die den medizinischen Teil zum Buch liefert. Schon der Titel „Scheiß-Angst“ ist gut gewählt, denn zum einem geht es wortwörtlich um die Angst, in einer unpassenden Situation auf die Toilette zu müssen und auf der anderen hat Kiki manchmal genau das: eine Scheiß-, also eine riesige Angst, die sich in Panikattacken äußert. Auch die äußere Ausstattung ist mit ihren Pastellfarben und der Grafik modern und ansprechend und erinnert so gar nicht an ein klassisches, trockenes Sachbuch.

Inhaltlich gibt Karina Spiess zunächst eine Einführung, wie bei ihr alles überhaupt angefangen hat, wann und wie die Diagnose Reizdarm zustande kam und wie sie heute damit lebt. Dabei schneidet sie die unterschiedlichsten Themen an: Was stellt das alles mit der Psyche an? Wie gehen Partner und Freunde damit um? Wie gestaltet sich der Alltag und was kann selbst oder mit professioneller Unterstützung an Therapien unternommen werden? Ekaterina Spiess ergänzt immer wieder medizinische Fakten, zum Beispiel erklärt sie, wie unser Gehirn mit dem Darm verbunden ist oder was die fünf Säulen der Reizdarmtherapie sind. Zwischendurch gibt es dann auch Dinge, die selbst reflektiert und ausgefüllt werden sollen.

„Scheiß-Angst“ ist kein rein medizinischer Ratgeber und nicht zur Selbst-Diagnose und -behandlung gedacht – das machen die Autorinnen auch deutlich. Aber es ist ein Anfang, sich mit dem Thema zu beschäftigen und die Bestätigung, dass man mit diesen Themen eben nicht allein ist, was Betroffenen viel Hoffnung und Trost geben dürfte.

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Veröffentlicht am 13.07.2023

Konrads Geheimnis

Die Dauer der Liebe
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Eines Abends steht die Polizei vor Renatas Tür. Konrad, ihr Lebensgefährte, ist unerwartet auf einem Parkplatz verstorben. Nun muss die Übersetzerin nicht nur damit klarkommen, dass eine geliebte Person ...

Eines Abends steht die Polizei vor Renatas Tür. Konrad, ihr Lebensgefährte, ist unerwartet auf einem Parkplatz verstorben. Nun muss die Übersetzerin nicht nur damit klarkommen, dass eine geliebte Person sie nach 25 Jahren für immer verlassen hat, sondern auch mit der Tatsache, dass – vor dem Gesetzt und vor allem für Konrads Familie – eine Liebe ohne Trauschein nichts wert ist. So beginnt eine niederschmetternde Zeit für Renata und schon bald muss sie sich fragen, ob sie wirklich alles über ihren Partner wusste.

„Die Dauer der Liebe“ ist mein erstes Buch der österreichischen Autorin Sabine Gruber, die für ihr Werk - bestehend aus Erzählungen, Gedichten, Hörspielen, Theaterstücken und Romanen - mehrfach ausgezeichnet wurde. Die Handlung wird aus Sicht der Protagonistin in der Gegenwartsform und der dritten Person erzählt, so dass wir das Gefühl haben, Renata von Anfang an durch diese furchtbare Situation zu begleiten und ihre Emotionen unmittelbar und in all ihrer Wucht zu erfahren. Das ist vor allem dann eindringlich, wenn geschildert wird, wie Konrads Familie dessen Wünsche völlig übergeht und Renata um so viele wertvolle und Erinnerungsstücke betrügt.

Renata selbst fühlt sich nach Konrads Tod wie betäubt, den Handlungen von Schwiegermutter, Schwägerin und Schwager hat sie nichts entgegenzusetzen. Verzweifelt klammert sie sich an an die Erinnerungen, die sie mit ihrem Lebensgefährten verbinden, doch mit jedem Gegenstand, der aus der gemeinsamen Wohnung verschwindet, scheint auch er nach und nach zu verblassen. Als sie schließlich in Konrads Kleidung und seinen Unterlagen Hinweise auf ein großes Geheimnis entdeckt, findet ihr guter Freund Bruno das sogar positiv. Denn vielleicht, so hofft er, kann das Renata endlich aus ihrer Lethargie reißen.

Sabine Gruber ist hier eine großartige Geschichte über Trauer und Verlust gelungen, aber auch darüber, dass Familienbande beim Thema Geld dann oft doch zerreißen. Ihr Schreibstil ist mitreißend, ihre Worte voll schmerzhaft-poetischer Wahrheit, aber das ganz ohne Kitsch. Damit macht „Die Dauer der Liebe“ große Lust, das weitere Werk der Autorin zu entdecken.

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Veröffentlicht am 14.06.2023

Spannender, amüsanter Einzelband

Wie man einen Prinzen tötet
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Marra ist die jüngste Prinzessin eines kleinen Hafenkönigsreichs; ihre beide älteren Schwestern werden nacheinander dem Prinzen Vorling verheiratet. Nach dem mysteriösen Tod der Ältesten (Damia) muss die ...

Marra ist die jüngste Prinzessin eines kleinen Hafenkönigsreichs; ihre beide älteren Schwestern werden nacheinander dem Prinzen Vorling verheiratet. Nach dem mysteriösen Tod der Ältesten (Damia) muss die 2. Schwester Kania ihr nachfolgen und Marra wird ins Kloster geschickt. Als sie immer mehr über Vorling und das Schicksal von Damia und Kania herausfindet, fasst sie einen Entschluss: Sie muss den Prinzen töten.

T. Kingfisher ist das Pseudonym der Autorin Ursula Vernon, welches sie für ihre Romane für Jugendliche und Erwachsene verwendet. Sie schreibt ebenfalls Kinderbücher und ist in den unterschiedlichsten Genres zuhause. „Wie man einen Prinzen tötet“ wird aus Marras Perspektive in der dritten Person und der Vergangenheitsform erzählt. Besonders spannend fand ich hierbei, dass diese in der Gegenwart der Handlung 30 Jahre alt ist und somit nicht die klassische, junge Fantasy-Protagonistin darstellt – eine wirklich erfrischende Perspektive, auch wenn Marra durch ihr Aufwachsen als Prinzessin und im Kloster manchmal etwas naiv wirkt.

Ursprünglich wurde ich auf das Buch aufmerksam, weil es von einer meiner liebsten Autorinnen, Jasmin Schreiber, übersetzt wurde. Dann war ich aber von der Geschichte wirklich angenehm überrascht. Die Autorin erschafft eine interessante Welt, die von klassischen Märchen inspiriert ist, aber auch durchaus moderne Themen anspricht. So präsentiert sich Marra als eine Frau, die sich den Regeln ihres Königreichs eben nicht beugen will. Dennoch versucht sie auf ihre Weise, ihre Familie zu unterstützen und das obwohl Kania und sie sich nicht einmal gut verstehen.

Bei ihrem Plan zur Ermordung des Prinzen wird unsere Heldin von drei interessanten Charakteren, einem Dämonenhuhn und einem Küken unterstützt. Allein diese Konstellation führt immer wieder zu witzigen Situationen und Dialogen, was mir gut gefallen hat, da Humor in klassischer Fantasy oft zu kurz kommt. Zudem hat jede Person aus der bunten Reisegruppe ganz eigene Stärken und Schwächen, aber nur gemeinsam können sie bestehen.

Fazit: Ein spannender, amüsanter Einzelband, nachdem ich unbedingt mehr von T. Kingfisher lesen möchte.

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