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Veröffentlicht am 09.09.2023

Familie - oder: die Menschen, die man liebt, auch wenn man nicht dieselbe Meinung teilt

Sylter Welle
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Wer kennt das nicht? Familientreffen, unterschiedliche Generationen und Ansichten, alles Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Interessen, Sozialisation, Charakteren,Talenten und doch verbindet sie der ...

Wer kennt das nicht? Familientreffen, unterschiedliche Generationen und Ansichten, alles Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Interessen, Sozialisation, Charakteren,Talenten und doch verbindet sie der Stammbaum und im Idealfall ein gemeinsames Aufwachsen in irgendeiner Form.

In diesem Setting ist der Debütroman von Max Richard Leßmann angesiedelt, mit viel Urlaubsgefühl on top an drei Tagen des letzten Sylturlaubes mit seinen Großeltern. Die Beziehungen zu diesen steht im Mittelpunkt des Romans, der aus der Perspektive von Enkel Max erzählt wird. Die Großeltern, Lore und Ludwig, beides Kinder ihrer Zeit im Krieg- und Nachkriegsdeutschland aufgewachsen, mit diversen Prägungen, die dies für das weitere Leben bedeutet, Sparsamkeit, ein Fokus auf ordentliches Essen und Sattwerden, wenig Gefühle zeigen, bei Ludwig ein Zwang zur Dokumentation. Sehr schön herausgearbeitet wird, wie besonders das Band der Oma/Opa-Enkel-Beziehung ist, bei allen Differenzen in Ansichten, zuweilen vielleicht auch Verletzungen, die Großeltern, sie waren immer da, eine Konstante in guten, wie in schlechten Zeiten, mit wundervollen Kindheitserinnerungen, jede ärgerliche Eigenheit, mit der Zeit akzeptiert und in ihrer Kontinuität als Marotte fast lieb gewonnen.

Doch was ist, wenn diese Konstante zu verschwinden droht, weil das Unvorstellbare sich abzeichnet, die Endlichkeit, der scheinbar alterslosen Großeltern? Auch darüber sinniert Max an den drei Tagen, sodass der Roman gleichzeitig einen Rückblick in anekdotischen Erinnerungen, Reflexion, eine Form von Abschied, dem inhärent aber auch immer Neubeginn innewohnt, darstellt.

Es gibt viele Anekdoten über das Familienleben, jedoch auch Max selbst, die oft gut erzählt sind und zum Schmunzeln einladen. Zuweilen zeigen sich jedoch Längen in diesem Anekdotischen, und es scheint der Fokus aus dem Sinn zu rücken.

Ein Buch, dass mich an einigen Stellen sehr berührt hat und zum Nachdenken über die eigene, besondere Beziehung zu den Großeltern einlädt.

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Veröffentlicht am 19.08.2023

Jim Crow Gesetze trifft auf perlenbestickte Kleidersäume

Die Davenports – Liebe und andere Vorfälle
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Vier junge Frauen, vier Geschichten, jede für sich eine Geschichte vom Erwachsenwerden, Emanzipation, der Rolle als Frau und natürlich der Liebe. Das ist Die Davenports! Und gleichzeitig ist der Roman, ...

Vier junge Frauen, vier Geschichten, jede für sich eine Geschichte vom Erwachsenwerden, Emanzipation, der Rolle als Frau und natürlich der Liebe. Das ist Die Davenports! Und gleichzeitig ist der Roman, der als Jugendliteratur firmiert, so viel mehr. Eingebettet hat Krystal Marquis das unterhaltsame Liebesreigen in einen historisch bedeutenden Kontext. Chicago 1910, hier versammeln sich erfolgreiche schwarze Unternehmer*innen und haben sich vermeintlich von ihrer Geschichte als Sklaven emanzipiert. Doch der Schein trügt, wie bereits sehr früh im Buch deutlich wird, denn trotz allen Geldes und Erfolgs, begegnen auch die Davenports immer wieder Rassismus. Der lang geführte Kampf gegen die Unterdrückung und für das Ende der Sklaverei droht politisch in neuer Form mit den Jim Crow Gesetzen wieder aufzuflammen, statt weiterem Fortschritt der Gleichstellung droht die Regression.

Jim Crow Gesetze neben perlenbestickten Kleidersäumen. Das ist mutig, und es geht auf! Olivia, Helen, Amy-Rose und Ruby - vier ambitionierte, selbstbewusste Frauen, alle unterschiedlich in ihrer Herkunft, ihren Vorlieben, Talenten und Charakter, und auch ihren Sorgen. Was sie eint ist, dass sie mehr vom Leben wollen, als ihre Eltern, ihre Herkunft/Stand und die Gesellschaft für sie als Frau im Jahr 1910 (als Frauen noch nicht einmal das Wahlrecht hatten) vorgesehen haben.

Die Geschichte ist in 47 kürzere Kapitel unterteilt, die jeweils einer der vier Protagonistinnen gewidmet sind und uns in ihre Gedankenwelt und Erfahrungen mitnehmen. Wie ein Mosaik setzt sich so die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven zu einem großen Ganzen zusammen. Marquis zeichnet die Charaktere sehr liebevoll und mit großer Sympathie, sodass man kaum umhin kommt, in jeder der vier jungen Frauen ein Stück von sich selbst zu finden, sei es Helens Pragmatismus, Olivias Pflichtbewusstsein und wachsendes politisches Interesse, Amy-Roses Geschäftsbewusstsein und Kampfgeist für ein besseres Leben oder Rubys Warmherzigkeit.

Ja, es ist durchaus nicht völlig überraschend, wie sich das Liebesreigen entwickeln wird, doch das macht das Buch nicht schlechter, denn es ist gerade der Weg dorthin, der unterhaltsam ist und für jede der jungen Frauen viel mehr als die jeweilige Liebesgeschichte darstellt - Amy-Roses Traum vom eigenen Salon, Helens Passion für Mechanik und Autos, Olivias politisches Bewusstsein und Engagement.

An einigen Stellen ist mir jedoch das Schmachten der Protagonistinnen zu viel und passt auch nicht zu ihrer sonst so selbstbewussten, emanzipierten Haltung. Dass nun jeder offene Hemdknopf und Blick auf die Muskeln eines Mannes, eine Frau dazu bringen soll, alles um sie herum zu vergessen, ist mir persönlich manchmal zu kitschig.

Der Schreibstil hat noch etwas Luft nach oben und wirkt an einzelnen Stellen etwas gestelzt, was jedoch auch der Übersetzung geschuldet sein kann. Ich hatte ein paar Stellen an denen ich dachte, das würde ich gern im Original lesen, um zu sehen, wie es dort ausgedrückt ist und vielleicht mache ich dies auch noch.

Sehr gut und informativ finde ich die separate historische Einordnung der Autorin im Anhang des Buches.

Der türkise Einband mit dem gelben Cover sieht sehr wertig aus und macht das Buch auch zu einem schönen Geschenk.

Wer Downton Abbey und Bridgerton mag, wird auch an diesem Buch große Freude haben und auf eine Fortsetzung hoffen. Ein gutes Buch zum Mitfühlen mit kleinen Schwächen, dass im leichten, eingängigen Stil und klug gewählten Setting, wichtige Themen vermittelt und erlebbar macht.

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Veröffentlicht am 29.07.2023

Bordieu sitzt mit am Tisch und schmunzelt…

Kochen im falschen Jahrhundert
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Kochen im falschen Jahrhundert liest sich wie ein zeitgenössischer Theaterabend. Moderne Distinktionsmechanismen über Essen, Trinken, Wohnen und auch das Sprechen werden von Präauer sehr amüsant und gleichzeitig ...

Kochen im falschen Jahrhundert liest sich wie ein zeitgenössischer Theaterabend. Moderne Distinktionsmechanismen über Essen, Trinken, Wohnen und auch das Sprechen werden von Präauer sehr amüsant und gleichzeitig erbarmungslos seziert. Die HauptdarstellerInnen in diesem Kammerspiel sind allen voran, die nicht näher bezeichnete Gastgeberin, ihr Partner, der wiederum primär mit seinem Smartphone eine Partnerschaft führt, ein befreundeter Schweizer, seines Zeichens Universitätsdozent und betonter Antikapitalist in Funktionskleidung, sowie ein Ehepaar. In der Nebenrolle ein amerikanisches Paar, eine Zufallsbekanntschaft des Ehepaares am frühen Abend. Trotz unterschiedlicher Herkunft und Sozialisation bewegen sich alle Figuren zum Zeitpunkt, zu dem sie um den neuen großen dänischen Holztisch sitzen, in einer Blase der gebildeten, betont unangestrengten, wohlhabenden, großstädtischen Schicht. Hier ist Inszenierung alles, wird jedoch nie so genannt oder überhaupt reflektiert. Man wurde vom Leben großzügig bedacht und gibt diese Großzügigkeit gern zurück. Und stellt dies gerne aus. Die bunten Wiesensträuße, die in diesem Milieu gerade angesagt sind und auch die Gastgeberin zur Deko gewählt hat, sind somit nicht etwa das Ergebnis eines ausgedehnten Spaziergangs in der Natur sondern wurden aus dem Großstadtblumenladen eigens kuratiert, um eben ersteres zu inszenieren. Doch wo bleibt das Ich und das Authentische in der Welt-Sein, im Moment-Sein, in dieser Inszenierung? Wo die Freude beim Betrachten der Wiese, dem Pflücken der Blumen, die Zeit in der Natur, die der mitgebrachte Strauß früher konserviert hat? Präauer führt der Moderne einen Spiegel vor, die eine eigene Welt in sozialen Medien geschaffen hat und dabei nicht selten das Leben dabei vergisst.

Soziologische Theorie übersetzt in Literatur, Kammerspiel, leckeres Essen, all das vereint dieser Roman und macht ihn zum Genuss.

Einen Punkt Abzug gibt es für kleinere Logikfehler im Ablauf, was der Qualität des Buches angesichts der inhaltlichen und sprachlichen sehr guten Umsetzung jedoch keinen wesentlichen Abbruch tut.

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Veröffentlicht am 23.04.2024

Die Chronologie eines Skandals in der Verlagswelt im Twitterzeitalter

Yellowface
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Athena hat alles was June sich immer erträumt hat. Mit Mitte 20 ist sie ein Star der Literaturszene, weiblich, divers, talentiert, gut aussehend. June hingegen ist eine vollkommen durchschnittliche weiße ...

Athena hat alles was June sich immer erträumt hat. Mit Mitte 20 ist sie ein Star der Literaturszene, weiblich, divers, talentiert, gut aussehend. June hingegen ist eine vollkommen durchschnittliche weiße Amerikanerin und erfolglose Autorin. Durch das gemeinsame Studium verbindet die beiden eine lose Freundschaft, und als Athena unglücklich beim Essen erstickt, ist June dabei. Ohne viel nachzudenken, schnappt sie sich Athenas neuestes Manuskript…

Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich Yellowface mit Schuld, kultureller Aneignung, Rassismus, Cancel Culture, der Rolle sozialer Medien in diesem Kontext und der hart umgekämpften Verlagswelt.

So interessant wie die Darstellung der Verlagswelt und auch die des Twitter und Social Media - Mobs waren, hatte der Roman für mich doch einige Längen. Viele Motive wiederholen sich und auch June entwickelt sich als Charakter nicht weiter, wird immer wieder in ihre Haltung zwischen Neid, Reue, Erfolgssucht hineingeschrieben und verharrt und verzweifelt dort. Zum Teil war der Charakter für mich inkonsistent, wenn einerseits das Schreiben als größte Passion herausgestellt wird und andererseits jedoch der Erfolg und die Anerkennung vollkommen im Vordergrund stehen - um jeden Preis.

Insgesamt lässt mich Yellowface etwas ratlos zurück. Es ist stilistisch gut geschrieben, gibt interessante Einblicke in die Verlagswelt und regt zum Nachdenken über Cancel Culture und die Rolle von Social Media an. Doch gleichzeitig bleibt es seltsam blass dabei, ohne echte Botschaft oder Charakterentwicklung und zeigt einige Längen. Für mich hallt Yellowface dadurch nur wenig nach und reiht sich in solide Unterhaltungsliteratur ein. Nach dem Hype um den Roman, habe ich etwas mehr erwartet.

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Veröffentlicht am 09.03.2024

Eine Männerrunde ermittelt

Der Baron
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Berthold Warstein steigt vor dem Lokal in dem der Geburtstag seiner Tochter gefeiert wird aus dem Auto, bricht zusammen und verblutet aufgrund einer Schusswunde. Was ist passiert? Warstein, von allen aufgrund ...

Berthold Warstein steigt vor dem Lokal in dem der Geburtstag seiner Tochter gefeiert wird aus dem Auto, bricht zusammen und verblutet aufgrund einer Schusswunde. Was ist passiert? Warstein, von allen aufgrund des adeligen Ursprungs seiner Familie nur der Baron genannt, war Inhaber einer erfolgreichen Naturkosmetikmarke in Meran und Rennstallbesitzer.

Und so tauschen wir mit den Ermittlern nicht nur in seine Firmenwelt, sondern auch in die umstrittene Pferderennsportwelt zwischen Tierwohl und Profit ein.

Die Geschichte wird relativ klassisch im Stil eines (Vor-)Abendkrimis erzählt. Insgesamt gibt es relativ viele Verdächtige, die auftauchen und dann wieder ausgeschlossen werden, manchmal sind die Wendungen nach meinem Geschmack zu abrupt, ohne das wirkliche Spannung aufkommt. Die Personenübersicht zu Beginn des Buchs ist hier hilfreich, ich hätte mir angesichts der Fülle jedoch sogar noch mehr Erläuterungen dort zu den Figuren erwünscht, damit ich sie in der Handlung besser zuordnen kann. Interessant fand ich das Verhältnis zwischen Carabinieri und der Staatspolizei, welches mir bisher immer Rätsel in Italien aufgegeben hat. Mir fehlte in der ganzen Ermittlung etwas Tempo, das leider auch nicht zumindest mit schönen Landschaftsbeschreibungen „ausgeglichen“ wurde, wie bei anderen Krimis aus der Region.

Die Dynamik zwischen Terranostra (Carabinieri) und Farner (Staatspolizei) war durchaus unterhaltsam und auch innerhalb der jeweiligen Teams gab es zum Teil humorvolle Dialoge. Für mich persönlich hatte die gesamte Handlung jedoch zu viel Testosteron. Alle Ermittler, Verdächtige und Opfer im Roman sind ausschließlich Männer. Auf mich wirkte dieses Setting im Jahr 2024 seltsam aus der Zeit gefallen. Aber wir dürfen hoffen, denn es kündigt sich eine Frau im Team an.

Ein solider Krimi mit einigen überraschenden Wendungen. In der Fortsetzung hoffe ich auf mehr Meran und etwas Frauenpower.

Ich gebe solide 3,5 Sterne.

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