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heinoko

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 22.08.2023

Ein kraftvoller Roman, schaurig und nachdenkenswert

Ein Fluss so rot und schwarz
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Anhand der kurzen Inhaltsangabe auf dem Buchrücken konnte ich mir nicht im Geringsten vorstellen, was die Lektüre dieses dystopischen Romanes in mir auslösen würde. Das Buch ist von einer immens großen ...


Anhand der kurzen Inhaltsangabe auf dem Buchrücken konnte ich mir nicht im Geringsten vorstellen, was die Lektüre dieses dystopischen Romanes in mir auslösen würde. Das Buch ist von einer immens großen und grausamen Kraft, die einen Schauder nach dem anderen über den Rücken jagt.

Das Szenario ist beängstigend: Sechs Menschen, die auf einem selbststeuernden Militärschiff erwachen, neben einer Leiche. Sechs Menschen, denen jegliche Erinnerung geraubt worden war. Sechs Menschen mit ganz unterschiedlichen, fast automatisch ablaufenden Fähigkeiten. Durch dichten Nebel dringen grauenhafte Schreie. Über ein Satellitentelefon erhalten die sechs Menschen von einer Maschinenstimme Anweisungen, ohne weitere Erklärungen oder Informationen. Sie erkennen, dass sie immer näher der völlig zerstörten Stadt London kommen. Und dass die auf dem Schiff reichlich vorhandenen Waffen nicht genug sein werden für ihre Mission…
Wann wird eine Dystopie zum lange nachwirkenden Albtraum? Wenn sie brillant geschrieben ist zum einen. Und brillant geschrieben ist dieser Roman. Man hört, man riecht, man sieht als Leser Ungeheuerliches in seinem Kopfkino entstehen. Anthony Ryan schreibt entsetzlich intensiv, eindringlich, schonungslos und tief erschreckend. Und eine Dystopie wird zum lange nachwirkenden Albtraum, wenn ihre Handlung unserer vertrauten realen Welt ganz nah kommt, sodass man sie nicht als Fantasy abtun kann. Sondern das wahre Grauen entsteht durch den Gedanken, dass das Beschriebene in einer gar nicht so fernen Zukunft so oder ähnlich geschehen könnte. Wie nah sind wir im realen Leben der Apokalypse? Wann wendet sich die Umwelt endgültig gegen uns, gegen uns Menschen, die wir uns so arrogant die Welt gefügig machen wollen? Wenn Mutation der Motor der Evaluation ist, was geschieht, wenn wir Mutation steuern können? Wenn eine Dystopie Fragen wie diese auslöst, ist sie viel mehr als nur schaurige Unterhaltung. Und genau das ist Anthony Ryan mit dem vorliegenden Roman perfekt gelungen

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Veröffentlicht am 08.08.2023

Ein großer Roman

Tasmanien
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Für dieses Buch waren mir die vorgegebenen 3 Wochen Lesezeit zu kurz. Deshalb ist dieser Versuch einer Rezension eben nur ein Versuch. Denn dieses Buch von Paolo Giordano ist irgendwie nicht fassbar, nicht ...

Für dieses Buch waren mir die vorgegebenen 3 Wochen Lesezeit zu kurz. Deshalb ist dieser Versuch einer Rezension eben nur ein Versuch. Denn dieses Buch von Paolo Giordano ist irgendwie nicht fassbar, nicht einordenbar und doch zutiefst verstörend. Es ist kein Sachbuch, obwohl viel sachlich Wissenswertes darin zu finden ist. Es nennt sich zwar Roman, aber auch mit diesem Begriff hadere ich, obwohl er per definitionem richtig ist. Fiktionales Nachdenken über die mögliche Zukunft, philosophisches Nachdenken über Gegenwart und Zukunft, also der Spagat zwischen unserem realen Sein und dem fiktiv Denkbaren – nichts weniger als all das wird in der Schilderung des Mannes Paolo vereint.
Paolo ist gerade mal knapp 40, von Beruf Journalist. Dass seine Frau die frustranen Versuche künstlicher Befruchtung einstellt, wird zur Lebenskrise für Paolo. Und so flieht er zur Klimakonferenz nach Paris, spricht mit Fachleuten über klimatische Phänomene und über Terrorismus, er reist um die Welt, um seinem eigenen Leben zu entfliehen und gleichzeitig die Schrecken der möglichen Zukunft zu erdenken.
Das Buch ist in seiner Tiefgründigkeit nicht einfach nur schnell durchzulesen. Immer wieder lohnt es sich, Pausen beim Lesen zu machen und nachzuforschen, wo man selbst gedanklich steht, ob man Paolo folgen kann in seinem Versuch, der Zukunft einen Hoffnungsschimmer zu verleihen oder ob man eher dazu neigt, die Zuversicht zu verlieren aufgrund der drohenden und zu erwartenden Katastrophen. Der treffend schöne Sprachstil erfordert ebenso ein sehr sorgsames, aufmerksames Lesen. Für mich ist „Tasmanien“ ein Buch, das ich immer wieder neu in die Hand nehmen möchte, weil es mich von Mal zu Mal neu dazu herausfordert, mich den existentiellen Fragen zu stellen und mein persönliches Tasmanien zu suchen. Paolo Giordano hat hier meiner Meinung nach einen wirklich großen Roman geschaffen.



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Veröffentlicht am 05.08.2023

Tief bewegend

Kontur eines Lebens
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Die Lektüre dieses Buches hat mich umgehauen. Vielleicht, weil ich fast so alt bin wie Frieda, die Erzählerin im Buch, und weil ich sowohl die Sechzigerjahre mit ihren strengen Moralvorstellungen aus ...


Die Lektüre dieses Buches hat mich umgehauen. Vielleicht, weil ich fast so alt bin wie Frieda, die Erzählerin im Buch, und weil ich sowohl die Sechzigerjahre mit ihren strengen Moralvorstellungen aus eigenem Erleben kenne, als auch das Alter mit seinen zunehmenden Einschränkungen und den immer öfter rückgerichteten Erinnerungen an das gelebte Leben. Das Buch hat mich aber auch umgehauen, weil sein Erzählstil so treffend ist, so mit leichter Hand, in kurzen Sätzen geschrieben, in die Tiefe der Gefühlswelt von Frieda eintauchend und sowohl ein Zeitbild als auch ein Seelenbild abgibt, wie es treffender und stimmiger nicht sein könnte.
Der Roman bewegt sich auf zwei Zeitebenen: Da lernen wir die 81-jährige Frieda im Seniorenheim kennen. Soeben hat sie ihren Mann begraben, der stets für sie da gewesen war. Sie kämpft mit dem zunehmenden körperlichen Verfall und mit der Trauer um ihren Mann. Sie lebt in ihrer eigenen Welt, fordert ihre Bedürfnisse ein und zeigt kaum Empathie für ihren Sohn und dessen Frau. Und so empfindet der Leser wenig Sympathie für Frieda. Immer öfter schweifen ihre Erinnerungen zurück in die Zeit, als sie eine junge, naive Frau in den Sechzigerjahren war, Floristin von Beruf. Hier liegt eine traumatische Erfahrung, geschuldet dem katholisch geprägten Umfeld und der strengen Moralvorstellungen dieser Zeit. Denn ihre Liebe zum verheirateten Otto hatte Folgen, ein Skandal! Die Puzzlestücke der Erinnerungen formen sich für den Leser nach und nach zu einem Teil von Friedas Leben mit einer tief im Inneren verschlossenen unendlichen Trauer, die sich schließlich unerwartet Bahn bricht. Und spätestens da empfindet man als Leser uneingeschränktes Mitempfinden für Frieda – und für so viele Frauen, denen es so oder ähnlich ergangen ist in diesen moralisch gnadenlosen Zeiten.

Jaap Robben hat einen Roman geschrieben, der ergreifend ist, tief bewegend, und doch mit leichter Hand, ohne Larmoyanz erzählend. Ein starkes, ein sensibles Buch, dessen Lektüre emotional tief berührt.


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Veröffentlicht am 01.08.2023

Hinreißend gestaltetes Bilderbuch über unsere geschundene Welt

Mein Leben als einsamer Axolotl
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Die finnische Autorin hat ein ganz besonderes Bilderbuch geschaffen, das sowohl vom Text her als auch von den Illustrationen und der dahinterstehenden Botschaft absolut ungewöhnlich und besonders ist. ...


Die finnische Autorin hat ein ganz besonderes Bilderbuch geschaffen, das sowohl vom Text her als auch von den Illustrationen und der dahinterstehenden Botschaft absolut ungewöhnlich und besonders ist. Ein Bilderbuch, das für Vorschulkinder in allen Facetten vielleicht noch nicht verständlich ist, aber das beim Vorlesen und begleitenden Gesprächen mit den vorlesenden Erwachsenen durchaus seine Botschaft verständlich werden lässt. Und ein Bilderbuch, das älteren Kindern und Erwachsenen mehr als Herz geht als man vielleicht erwartet.
Der namenlose Axolotl ist der letzte seiner Art. Er ist einsam, aber er freut sich dennoch seines Lebens. Er erfreut sich an Fundstücken, die die Plumplinge ins Wasser werfen. Er besucht die Unterwasserschule und hat eine Weile lustige Tigersalamander-Freunde, bis diese an Land auswandern. Das Wasser wird trüber, die Luft wird heißer, die Einsamkeit wird größer. Bis eine Riesenwelle den Axolotl durch die Gegend schleudert und er, völlig unerwartet, in eine neue Zukunft startet.
Von der naiv wirkenden, aber unsagbar eindringlichen Gestaltungskraft von Linda Bondestam bin ich hingerissen. Ich wüsste nicht, welche Geschichte über die Zerbrechlichkeit unserer Erde mir bisher so sehr ans Herz gegangen wäre. Der liebenswerte Axolotl, der sich mit allem, was ist, zufrieden gibt, hat es verdient, zu überleben und letztlich sein Glück zu finden. Vielleicht ganz ohne Plumplinge. Denn die Erde weiß sich zu helfen. Wenig einfacher und doch sehr aussagekräftiger Text ist eingebettet in intensivfarbige großflächige Illustrationen, aus denen der winzige Axolotl hervorscheint. Vieles aus unserer gegenwärtigen Umwelt lässt sich in den Bildern finden. Und der Wandel, den die Erde vollzieht, ist elementar. Was Plumpiane nicht schaffen, gelingt Axolotl wie von selbst: unerschöpflicher Lebensmut.

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Veröffentlicht am 10.07.2023

Ein absoluter Lese-Leckerbissen

Die Zeitreisende
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Normalerweise sind Autobiographien, von Prominenten (oder Ghostwritern) geschrieben, nur mäßig interessant und vor allen Dingen sprachlich ohne Anspruch. Das Buch von und über Ute Lemper, zum 60. Geburtstag ...


Normalerweise sind Autobiographien, von Prominenten (oder Ghostwritern) geschrieben, nur mäßig interessant und vor allen Dingen sprachlich ohne Anspruch. Das Buch von und über Ute Lemper, zum 60. Geburtstag herausgebracht, ist eine rühmliche Ausnahme. Ute Lemper haben wir in Deutschland irgendwie aus den Augen verloren, obwohl sie doch eine der Wenigen ist, die sich ein echter Weltstar nennen darf und auf die wir stolz sein könnten. Ihre Vielseitigkeit, ihr überragendes Können als Sängerin, Tänzerin und Schauspielerin, kurzum als beeindruckende Künstlerin, hat die Welt überzeugt. Dazu kommt für mich nach Lektüre des Buches noch ihre außerordentliche schriftstellerische Begabung. Das Buch lohnt sich zu lesen!

Ute Lemper hat schon einmal vor Jahren eine Autobiographie geschrieben. Aus dieser zitiert sie in der ersten Buchhälfte sehr viel, aber nicht aus Bequemlichkeit, sondern unter gleichzeitiger Reflektion ihrer Entwicklung seit diesem ca. 30 Jahre alten ersten Buch. Solch eine Reflektionsfähigkeit ist wahrlich nicht jedem Künstler gegeben. Sie beschreibt die hellen und dunklen Seiten ihres prall vollen Künstlerlebens ungeschönt, offen und selbstkritisch. Immer aber spricht aus den Erzählungen ihre unabdingbare Leidenschaft für ihr Tun. Sie weiß was sie kann, wurde mit vielen Preisen im Verlauf ihrer Weltkarriere ausgezeichnet, aber sie zeigt sich an keiner Stelle im Buch überheblich. Wir gewinnen einen tiefen Einblick in die vielen Facetten des Denkens und Fühlens der Ute Lemper als Künstlerin, als Mensch, als Frau, als Mutter. Und wir dürfen erahnen, welch ungeheuere Bandbreite ihr künstlerischen Tun auszeichnet. Ihre hellwachen Gedanken zu zeitgeschichtlichen Ereignissen fand ich ebenso interessant. Was für mich das Buch jedoch zusätzlich zu einer besonderen Lektüre machte, war die wunderbare, teilweise fast poetisch zu nennende Sprache, in der Ute Lemper erzählt. Ihr gelingt es auf beeindruckende Weise, Innerseelisches in Wortbilder zu fassen. Manche Sätze möchte man am liebsten in großen Buchstaben an die Wand hängen.

Kurzum: Eine außergewöhnlich gut geschriebene, facettenreiche und sehr offene Autobiographie einer Vollblutkünstlerin und ein echter Lese-Leckerbissen!

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