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Veröffentlicht am 20.01.2024

Bauernopfer oder Mörder?

Die Spiele
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Der Titel von Stephan Schmidts Roman „Die Spiele“ bezieht sich auf die Olympischen Spiele und deren Vergabe, über die in Shanghai abgestimmt wird. Der deutsche Journalist Thomas Gärtner will sich dort ...

Der Titel von Stephan Schmidts Roman „Die Spiele“ bezieht sich auf die Olympischen Spiele und deren Vergabe, über die in Shanghai abgestimmt wird. Der deutsche Journalist Thomas Gärtner will sich dort mit dem IOC-Funktionär Charles Murandi aus Mosambik treffen, weil dieser ihm angeblich brisante Dokumente übergeben will. Um ein Visum zu erhalten, macht Gärtner falsche Angaben, was in China keine gute Idee ist. Gärtner und Murandi kennen sich seit 1994, als sich Gärtner als Korrespondent in Mosambik aufhielt. Er lernt dort Murandi als Anführer der sogenannten Madgermanes kennen, mosambikische Staatsangehörige, die als Leiharbeiter in der DDR tätig waren und um einen Großteil ihres Lohns geprellt wurden. Nach der Wiedervereinigung mussten sie die DDR verlassen und seitdem demonstrieren sie in Maputo dafür, den von ihrer Regierung unrechtmäßig einbehaltenen Teil ihres Lohns zurückzubekommen. Es handelt sich hierbei im Übrigen um eine wahre Begebenheit.
Das Treffen mit Murandi erweist sich als ziemlich frustrierend, weshalb Gärtner beschließt, ihn erneut aufzusuchen. Pech nur, dass die Hotelkameras aufzeichnen, wie er Murandis Hotelzimmer verlässt, zumal dieser am nächsten Tag tot aufgefunden wird. Eine Schlüsselrolle spielt auch die Konsularbeamtin Lena Hechfellner, die sowohl Gärtner als auch Murandi von früher kennt.
Die Geschichte ist interessant, aber trotzdem kam über viele Seiten hinweg, vor allem in der Mitte des Buchs, keine Spannung auf. Was mich außerdem irritiert hat, ist die Mischung aus Fakten, Halbwahrheiten und Fiktivem, wobei man sich nie sicher sein kann, was was ist. Manche Personen werden namentlich genannt, beispielsweise Regierungssprecher Seibert oder Horst Seehofer. Heißt das, die beschriebenen Anekdoten und Situationen entsprechen der Wahrheit? Was „die Kanzlerin“ anbelangt, so versichert der Autor, dass es sich um eine fiktive Person handelt. Seltsam nur, dass sie sich Gedanken über das Ende ihrer Amtszeit macht.
Vieles in diesem Kriminalroman wird nur angedeutet und ich habe mich oft gefragt, was denn nun wirklich passiert ist. Nicht nur Gärtner gerät ins Visier der chinesischen Behörden, ein zweiter Journalist wird an der Ausreise aus China gehindert. Über sein weiteres Schicksal erfährt man allerdings nichts, es sei denn ich habe es überlesen, denn zugegebenermaßen wollte ich die letzten Seiten einfach nur hinter mich bringen.
Alles in allem finde ich den Roman durchaus lesenswert, zumal er eine Vielzahl an brisanten Themen anspricht. Aber vielleicht ist genau das auch der Grund, weshalb mir der Roman ziemlich überfrachtet und stellenweise zu langatmig erschien.

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Veröffentlicht am 30.10.2023

Im Norden nichts Neues

Beuteherz
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Annie kehrt nach einem schlimmen Erlebnis in ihrer Jugend ihrem Heimatort Lockne den Rücken und zieht nach Stockholm, wo sie ziemlich zurückgezogen als Sozialarbeiterin arbeitet. Ihr Vater ist gestorben, ...

Annie kehrt nach einem schlimmen Erlebnis in ihrer Jugend ihrem Heimatort Lockne den Rücken und zieht nach Stockholm, wo sie ziemlich zurückgezogen als Sozialarbeiterin arbeitet. Ihr Vater ist gestorben, die Mutter lebt dement im Pflegeheim, von wo sie eines Tages mitten im Winter verschwindet und halb erfroren vor der Tür eines Verwandten steht. Annie hat es lange genug vor sich hergeschoben, jetzt muss sie ihre Mutter besuchen und nach dem Rechten sehen. Zuhause trifft sie auf ihre erste große Liebe, Johan, der zwischenzeitlich geheiratet hat. Eigentlich will Annie nichts lieber, als schnell wieder nach Stockholm zurückzufahren, doch dann verschwindet Saga, die siebzehnjährige Tochter ihres Cousins. Annie beteiligt sich an der Suche nach dem Mädchen und beschließt, ihren Job in Stockholm zu kündigen und vorerst in Nordschweden zu bleiben.
Beuteherz ist ein typisch schwedischer Krimi. Das fängt schon bei der nicht sonderlich originellen Covergestaltung an: ein rotes Holzhaus im Wald, die Atmosphäre etwas gruselig. Auch Annies Geschichte liest sich wie schon viele andere zuvor: ein traumatisches Erlebnis in der Jugend, Flucht nach Stockholm, die Umstände führen die Protagonistin zurück an den Ort ihrer Kindheit und die damit verbundenen Erinnerungen.
Das in kurzen Kapiteln verfasste Buch lässt sich gut und flüssig lesen, aber die Story ist nichts Neues. Über Annies Trauma erfahren wir scheibchenweise immer mehr, das meiste kann man sich sowieso zusammenreimen. Die Bedeutung des Romantitels hat sich mir bis zuletzt nicht erschlossen. Und die Frage im Klappentext, „Wiederholt sich die Vergangenheit?“, ergibt für mich auch keinen Sinn, denn Sagas Verschwinden hat rein gar nichts mit Annies eigener Geschichte gemeinsam. Manchmal frage ich mich, ob die Leute, die solche Teasertexte verfassen, das Buch überhaupt kennen.
„Beuteherz“ ist ein durchschnittlicher Krimi, ganz unterhaltsam, aber er hebt sich nicht aus der großen Masse hervor.

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Veröffentlicht am 27.06.2023

Ein Ort der Begegnung

Das Café ohne Namen
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Es ist das Jahr 1966 und Robert Simon arbeitet als Gelegenheitsarbeiter auf dem Wiener Karmelitermarkt. Es war schon immer sein Traum, ein eigenes Café zu führen. Als er ein leerstehendes und ziemlich ...

Es ist das Jahr 1966 und Robert Simon arbeitet als Gelegenheitsarbeiter auf dem Wiener Karmelitermarkt. Es war schon immer sein Traum, ein eigenes Café zu führen. Als er ein leerstehendes und ziemlich heruntergekommenes Café entdeckt, wagt er den Sprung in die Selbständigkeit. Bald schon ist „das Café ohne Namen“ ein Treffpunkt für Marktarbeiter und Bewohner des Viertels und ein wichtiger sozialer Treffpunkt vor allem für Menschen mit geringem Einkommen.
Das Buch schildert episodenhaft Ereignisse aus dem Leben dieser Personen. Das Buch wirft ein Schlaglicht auf einen Boxer, dessen beste Tage vorbei sind, Fabrikarbeiterinnen aus der nahegelegenen Nähfabrik, die demnächst schließt, eine etwas in die Jahre gekommene Frau, die gern für die Nacht mit dem Nächstbesten mitgeht, den hochverschuldete Vermieter des Cafés, der keine Menschenseele hat, und viele andere. Manche dieser Schicksale haben mich berührt, andere Momentaufnahmen schienen sehr willkürlich und manchmal wusste ich überhaupt nicht, wer gerade spricht.
Robert Seethalers bildhafte und poetische Sprache hat mir gut gefallen, was den Inhalt des Buchs anbelangt, bin ich etwas zwiegespalten, denn viele der Personen haben mich nicht wirklich erreicht. Auch Simon selbst lernen wir nicht gut kennen. Sein Leben besteht aus Arbeit, die ihn mit den Jahren immer mehr anstrengt, seine wenige Freizeit verbringt er mit Gesprächen mit seiner verwitweten Vermieterin. Vielleicht ist es für ihn daher gar nicht allzu tragisch, als das Gebäude, in dem sich das Café befindet, nach einigen Jahren von Spekulanten aufgekauft wird und er schließen muss.
Ich habe dieses Buch nicht ungern gelesen, doch kam beim Lesen manchmal auch etwas Langeweile auf. Ich hatte mir mehr jedenfalls davon versprochen.

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Veröffentlicht am 17.06.2023

Moralisches Dilemma, das in Wirklichkeit keines ist

In unseren Kreisen
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Familie Sandmann bekommt durch ein Erbe viel Geld sowie die Möglichkeit, in eine schöne Villa am Stadtrand zu ziehen. Bisher betrachteten sie sich als intellektuelle, gesellschaftskritische Linke, im neuen ...

Familie Sandmann bekommt durch ein Erbe viel Geld sowie die Möglichkeit, in eine schöne Villa am Stadtrand zu ziehen. Bisher betrachteten sie sich als intellektuelle, gesellschaftskritische Linke, im neuen Viertel mit lauter reichen Nachbarn fühlen sie sich daher zunächst unwohl. Doch bald erkennen sie, welche Vorteile ihnen der Geldsegen eröffnet.
Die ersten zwei Drittel des Buchs habe ich sehr genossen. Oswald schreibt mit einem ironischen Augenzwinkern und die Geschichte fängt vielversprechend an. Marie, die Tochter der Sandmanns bringt nicht die Noten nach Hause, die sie nach Meinung der Eltern bekommen sollte. Schuld ist selbstverständlich die ignorante Lehrerin, die nicht erkennt, dass das Mädchen höchstwahrscheinlich hochbegabt ist und sich lediglich unterfordert fühlt. Doch mit dem Umzug in ein anderes Viertel löst sich dieses Problem wie viele andere in Wohlgefallen auf.
Von einem kauzigen Nachbarn wird Nikolai Sandmann in Andeutungen darauf hingewiesen, dass das geerbte Haus im Dritten Reich in jüdischem Besitz war. Daraufhin überlegen Tatjana und Nikolai, ob es nicht das Beste wäre, das Haus zu verkaufen und den Erlös zu spenden. Als ob! Dafür haben sie sich schon viel zu sehr an ihr angenehmes neues Leben gewöhnt. Es kommt mir vor, als ob der Autor im letzten Drittel des Buchs nicht so richtig gewusst hätte, wie er die Geschichte zu Ende bringen soll. Handlungsstränge, von denen ich mir eine Fortsetzung erwartet hätte, werden nicht fortgeführt und das Ende bleibt offen. Schade, ich hatte mit einer Überraschung zum Schluss gerechnet, aber irgendwie endet alles äußerst unspektakulär.

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Veröffentlicht am 03.06.2023

Spannender Krimi mit schwachem Schluss

Die Wahrheit
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Der Roman „Die Wahrheit“ von Mattias Edvardsson beginnt mit einem Doppelmord an dem Kinderarzt Rytter und seiner chronisch kranken Frau.
In kurzen Kapiteln lernen wir drei Personen kennen, die alle von ...

Der Roman „Die Wahrheit“ von Mattias Edvardsson beginnt mit einem Doppelmord an dem Kinderarzt Rytter und seiner chronisch kranken Frau.
In kurzen Kapiteln lernen wir drei Personen kennen, die alle von der Polizei vernommen werden. Bill, den alleinerziehenden Vater, der aus Geldnot ein Zimmer an die Studentin Karla vermietet, die ebenfalls knapp bei Kasse ist und deshalb bei Steven und Regina geputzt hat, sowie Jennica, eine Studentin und Steven Rytters Geliebte. Zwischen den einzelnen Kapiteln, die aus der Perspektive dieser drei Personen erzählt werden, sind kurze polizeiliche Vernehmungen eingefügt, Ermittler treten nicht auf.
Das Buch ist wirklich spannend. Jede der Personen hätte ein Motiv, Eifersucht, Geldnot, Verdeckung einer Straftat. Bis zum Schluss tappt man als Leser im Dunkeln. Die Auflösung des Verbrechens erscheint mir allerdings sehr konstruiert und alles andere als glaubhaft, was den Lesegenuss für mich doch sehr relativiert hat. Ein spannendes Buch allein genügt nicht, wenn das Ende unbefriedigend ist.

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