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Veröffentlicht am 12.11.2023

Locked Room Thriller

The Institution
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In Helen Fields neuem Roman “The Institution“ geht es um einen Mord in einer speziellen Einrichtung für psychisch kranke Straftäter, der Parry Institution. Sie wurde auf den Resten einer alten Festung ...


In Helen Fields neuem Roman “The Institution“ geht es um einen Mord in einer speziellen Einrichtung für psychisch kranke Straftäter, der Parry Institution. Sie wurde auf den Resten einer alten Festung hoch über einem Stausee fern von jeglicher Zivilisation errichtet. Hier hat Dr. Connie Woolwine einen Einsatz als verdeckte Ermittlerin, zusammen mit ihrem Partner Brodie Baarda, der angeblich in seiner Zeit beim Militär schreckliche Verbrechen begangen hat und auf der Station H. von ihr als Psychologin betreut werden soll. Sie wollen auf diese Weise herausfinden, wer die Krankenschwester Tara Cameron ermordet und ihr ungeborenes Baby entführt hat und sich nun mit Lösegeldforderungen an die Familie wendet.
Im Lauf des Romans führt Dr. Connie, wie sie genannt wird, Gespräche mit den fünf Serientätern und dem Personal. Fast jeder wirkt irgendwie verdächtig, und lange fehlt jede Spur. Die erfahrene Profilerin arbeitet unter Zeitdruck, weil sie überzeugt ist, dass die kleine Aurora lebt, als Frühgeburt jedoch spezielle Betreuung braucht. Connie vermutet, dass der Mörder einer der Serienkiller ist und Hilfe von jemand hatte, der zum Personal gehört.
In der ersten Hälfte des recht umfangreichen Romans passiert nicht allzu viel. Erst in der zweiten Hälfte nimmt die Geschichte Fahrt auf, als ein schwerer Sturm dafür sorgt, dass es laufend Stromausfälle gibt und die Anstalt komplett von der Außenwelt abgeschnitten ist. Insgesamt ist der Roman interessant und spannend, auch wenn ich zum Ende hin nicht alle Wendungen glaubwürdig fand. Wegen der vielen grausamen Details der von den Insassen verübten Verbrechen ist der Roman für empfindliche Leser nicht so gut geeignet.

Veröffentlicht am 31.10.2023

Flucht und Fremdsein

Der Geruch von Ruß und Rosen
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Im Mittelpunkt von “Der Geruch von Ruß und Rosen“ von Julya Rabinowich steht das junge Mädchen Madina. Sie ist mit ihrer Mutter, ihrem kleinen Bruder Rami und ihrer Tante Amina, der Schwester der Mutter, ...

Im Mittelpunkt von “Der Geruch von Ruß und Rosen“ von Julya Rabinowich steht das junge Mädchen Madina. Sie ist mit ihrer Mutter, ihrem kleinen Bruder Rami und ihrer Tante Amina, der Schwester der Mutter, vor dem Krieg in ein anderes, sicheres Land geflohen, wo nicht jeder sie willkommen heißt. Sie finden jedoch auch Unterstützung, z.B. von Susi, in deren Haus sie nach der Unterbringung in einem Flüchtlingsheim wohnen. Madina hat in Laura eine sehr liebe Freundin, auf die sie sich immer verlassen kann. Dann ist der Krieg vorbei, und Madina reist mit ihrer Tante heimlich in die alte Heimat zurück, um ihren Vater zu finden, bzw. sein Schicksal aufzuklären. Auch Amina hat noch eine Rechnung offen, sucht den Kontakt zu ihrer Familie.
Die Autorin zeigt in diesem dritten Band einer Serie, dass es im Krieg nur Verlierer gibt. Niemand kann jemals vergessen, was ihm widerfahren ist: physische und psychische Qualen, materielle Verluste, der Tod geliebter Menschen: „Man kann nicht weglaufen vor dem, was der Krieg gesät hat.“ (S. 193) und “Krieg ist ein Arschloch.“ (S. 194). Die Autorin nennt bewusst weder das Land, in dem der Krieg stattfand noch die Sprache, die die Figuren sprechen, weil die Schicksale, die sie beschreibt, für unzählige andere, gleichartige stehen. Die Protagonistin ist sehr sympathisch, ihre Sprache authentisch. Sie wird im Laufe der Geschichte erwachsen, legt die viel zu früh übernommene Verantwortung ab wie einen viel zu schweren Rucksack (S. 229) und beschließt von nun an, ihr eigenes Leben zu leben, nachdem sie jahrelang eine Art Pufferzone in ihrer Familie war und bei Konflikten immer ausgleichend gewirkt hat.
Der Leser ist aufgefordert, Empathie zu zeigen und Hilfe zu leisten, statt etwa Flüchtlinge pauschal als Sozialschmarotzer zu verunglimpfen. Ein wichtiges, empfehlenswertes Buch.

Veröffentlicht am 03.10.2023

Georg Wilhelm Papst - ein Genie des deutschen Films

Lichtspiel
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In seinem Roman “Lichtspiel“ erzählt Daniel Kehlmann das Leben des deutschen Regisseurs Georg Wilhelm Papst. Er wurde durch seine genialen Stummfilme bekannt, drehte in Frankreich, bevor er sich mit seiner ...


In seinem Roman “Lichtspiel“ erzählt Daniel Kehlmann das Leben des deutschen Regisseurs Georg Wilhelm Papst. Er wurde durch seine genialen Stummfilme bekannt, drehte in Frankreich, bevor er sich mit seiner Frau Trude und seinem Sohn Jakob in Hollywood niederließ – in der Hoffnung, an seine bisherigen Erfolge anknüpfen zu können. Sein erster Film war jedoch ein Misserfolg, und keiner konnte oder wollte ihm helfen. Deshalb kehrte er nach Europa zurück. Als er seiner alten Mutter in einem Seniorenheim in seiner Heimat Österreich einen kurzen Besuch abstatten will, kann er wegen des Kriegsausbruchs nicht wieder ausreisen und muss sich irgendwie mit dem Naziregime arrangieren. Kehlmann beschreibt sehr anschaulich, welche Schwierigkeiten und Schikanen die Familie bewältigen muss. Der Vaterlandsflüchtling Papst wird noch immer als Kommunist und Jude beschimpft, obwohl es keine Juden in seiner Familie gibt. Er muss sich jede Äußerung genau überlegen, denn auch unter seinen Mitarbeitern könnten Spitzel des Regimes sein. Das Leben in Nazi-Deutschland ist auch deshalb eine große Belastung für das Ehepaar, weil Sohn Jakob Mitglied der Hitlerjugend ist und später als Soldat an die Front geht.
Der gut recherchierte, kenntnisreiche Roman stellt dem Leser nicht nur G.W. Papst vor, sondern eine Vielzahl bekannter Persönlichkeiten der Zeit. Der Autor vermischt Fakten und Fiktion, vor allem im Zusammenhang mit dem in den letzten Kriegsmonaten in Prag gedrehtem Film “Der Fall Molander“, der nie in die Kinos gelangte. In einer Rahmenhandlung tritt der im Sanatorium Abendruh lebende demente Franz Wilzek, ehemals Papsts Regieassistent, später eigenständiger Regisseur in der Fernsehsendung „Was gibt es Neues am Sonntag“ auf und lässt das Rätsel um den verschwundenen Film in einem neuen Licht erscheinen.
Ich habe den neuen Roman wie schon seine Vorgänger gern gelesen, obwohl er durch den enormen Detailreichtum zur damaligen Herstellung von Filmen und die schier unüberschaubare Personenvielfalt streckenweise erhebliche Längen hat. Dennoch ist Kehlmann ein sehr interessantes Buch gelungen.

Veröffentlicht am 03.10.2023

Dem Tod und dem Schmerz Zeit abtrotzen

Die Kinder des Don Arrigo
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In seinem Roman “Die Kinder des Don Arrigo“ erzählt Ivan Sciapeconi die Geschichte von jüdischen Kindern, die im Zweiten Weltkrieg von der Organisation DELASEM vor den Nazis in Sicherheit gebracht werden. ...

In seinem Roman “Die Kinder des Don Arrigo“ erzählt Ivan Sciapeconi die Geschichte von jüdischen Kindern, die im Zweiten Weltkrieg von der Organisation DELASEM vor den Nazis in Sicherheit gebracht werden. Der fiktive Ich-Erzähler Natan wird 1942 von Recha Freier aus Berlin weggebracht, nachdem die Nazis schon seinen Vater abgeholt haben und genauso wie zahlreiche andere Kinder und Jugendliche nach einer langen Odyssee im Ort Nonantola in der Emilia Romagna versteckt. In der Villa Emma wird die kleine Gemeinschaft vom Pfarrer Don Arrigo mit Unterstützung des Bürgermeisters und eines Arztes geschützt. Auch die Dorfgemeinschaft hält zusammen und hilft, wo es nötig ist. Die Dorfbewohner riskieren dabei ihr Leben, denn die Bedrohung durch die Braunhemden wird immer größer, die deutschen Soldaten rücken näher, sodass sie am Ende kaum noch das Haus verlassen können. Schließlich muss erneut eine abenteuerliche Flucht organisiert werden, die beim ersten Versuch scheitert, denn die Schweizer Grenzposten lassen keine Juden ins Land. Ihr eigentliches Ziel - Palästina - werden sie so bald nicht erreichen.
Der Autor erzählt eine berührende Geschichte, die nicht nur verdeutlicht, dass in dieser furchtbaren Zeit nicht alle Faschisten und Mörder waren, sondern dass gerade dann mitmenschliches Verhalten und christliche Nächstenliebe vonnöten ist. Die Überlebenden haben dem Tod und dem Schmerz Zeit abgetrotzt. Ihr Sieg besteht darin, dass sie überlebt haben und die Chance auf ein neues Leben bekommen (S. 187). Ein wichtiges, lohnendes Buch.

Veröffentlicht am 23.09.2023

Es werde Schmerz, und es ward Schmerz

Die weite Wildnis
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Lauren Groffs neues Buch “Die weite Wildnis“ ist ein historischer Roman. Die Protagonistin ist ein Waisenkind, das von ihrer Dienstherrin im Alter von 4 oder 5 Jahren aus dem Waisenhaus geholt wird, damit ...


Lauren Groffs neues Buch “Die weite Wildnis“ ist ein historischer Roman. Die Protagonistin ist ein Waisenkind, das von ihrer Dienstherrin im Alter von 4 oder 5 Jahren aus dem Waisenhaus geholt wird, damit sie sich um die neugeborene kleine Bess kümmert. Der zweite Mann der Frau, ein Pastor, verlässt England mit der Familie, um an der amerikanischen Ostküste als einer der neuen Siedler zu leben. Viele Engländer sterben schon in den Stürmen während der Überfahrt, sehr viele mehr während des harten Winters an Hunger oder Krankheiten im belagerten Fort. Das Mädchen, von den grausamen Frauen im Heim Lamentatio Venal genannt, damit die Schande ihrer Herkunft nie in Vergessenheit gerät, erlebt im Fort schlimme Dinge. Eines Tages flieht sie, weil die Gefahren ihr dort viel größer erscheinen als alles in der unbekannten Wildnis dort draußen. Als Leser verfolgen wir, wie klug sie sich Nahrung verschafft und Schutz unter Felsen, in Höhlen oder zwischen Baumstämmen sucht. Sie bekommt einen neuen Blick auf die Welt, lernt die Schönheit der Natur mit ihren Pflanzen und Tieren zu lieben und lässt den Leser an ihren Erinnerungen an die Vergangenheit teilhaben. Nach allem, was ihr widerfahren ist, verliert sie ihren Glauben und stellt die Existenz Gottes in Frage. Schließlich war auch der Pastor nur ein gefährlicher Heuchler, dem es immer nur um den eigenen Vorteil ging. Das Mädchen schafft es durch ihre überragende Intelligenz allen Gefahren zu trotzen, leidet aber unter ihrer Einsamkeit. Mit dem holländischen Glasbläser auf dem Schiff hat sie die Liebe ihres Lebens verloren. Zurück bleiben Trauer und Schmerz (S. 254).
Die Autorin erzählt die Geschichte ihrer Protagonistin in packender Sprache, überzeugt durch wunderbare Passagen über Landschaft und Klima und lässt auch Kritik an den skrupellosen Europäern einfließen, die sich anmaßen, die neue Welt in Besitz zu nehmen und alles zu zerstören, die Natur genauso wie fremde Zivilisationen, in diesem Fall die First Americans, die Ureinwohner. Ich habe den Roman gern gelesen, hätte mir aber schon etwas mehr Handlung gewünscht. Auch hat mich die Qualität der Übersetzung mit ihrer gewollt altertümelnden Sprache gestört, die leider auch unzählige Fehler enthält („vom Hunger gehagert“, S. 7 – soll das Deutsch sein?). Eine dennoch überwiegend positive Leseerfahrung.