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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.11.2023

Ein besonderer Außenseiter

Die leise Last der Dinge
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Eine zerbrochene Christbaumkugel oder ein Paar Schuhe: Ein Jahr nach dem Unfalltod seines Vaters Kenji fängt der 13-jährige Benny Oh an, die Stimmen unbelebter Gegenstände zu hören. Für den Teenager ist ...

Eine zerbrochene Christbaumkugel oder ein Paar Schuhe: Ein Jahr nach dem Unfalltod seines Vaters Kenji fängt der 13-jährige Benny Oh an, die Stimmen unbelebter Gegenstände zu hören. Für den Teenager ist es nicht leicht, die Gegenstände auszublenden, weil seine Mutter Annabelle in ihrer Trauer immer mehr Dinge zu Hause anhäuft. Beide drohen sowohl in einem psychischen als auch in einem realen Chaos zu versinken…

„Die leise Last der Dinge“ ist ein Roman von Ruth Ozeki.

Meine Meinung:
Der Roman setzt sich aus fünf Teilen zusammen, die wiederum aus 91 Kapiteln bestehen. Zudem gibt es zwei Prologe. Der Aufbau ist durchaus kreativ.

Erzählt wird aus zwei Perspektiven: aus der des Buches und der Bennys. Die Idee, ein Buch erzählen zu lassen, ist originell und vielleicht sogar einzigartig. Diese Erzählstruktur wird gegen Ende jedoch aufgeweicht. Eine weitere stilistische Besonderheit ist das Einflechten von Auszügen eines fiktiven Entrümpelungsratgebers. Die Sprache ist dialoglastig, detailliert, insgesamt unspektakulär, aber sehr anschaulich.

Der Fokus der Geschichte liegt in erster Linie auf dem jugendlichen Benny, einem reizvollen Charakter, und in zweiter Linie auf dessen Mutter. Während diese beiden Charaktere noch weitgehend realitätsnah dargestellt werden, sind die Nebenfiguren gnadenlos überzeichnet und wirken teilweise geradezu absurd.

Inhaltlich bietet der Roman eine Menge Potenzial. Besonders interessant finde ich, dass psychische Traumata und Krankheiten im Zusammenhang mit dem Messie-Syndrom beziehungsweise Überforderung aufgegriffen werden. Darüber hinaus spielen das Thema Literatur und die Rolle von Büchern eine wesentliche Rolle. Diesbezüglich gibt es mehrere lesenswerte Passagen.

Im ersten Teil schafft es der Roman, mich zu berühren und zu fesseln. Allerdings kommt danach ein Konglomerat an weiteren Aspekten wie Rassismus und Geschlechtsidentität zum Tragen, was die Geschichte zwar facettenreich, aber auch unübersichtlich macht. Der rote Faden geht somit immer mehr verloren.

Auf den fast 700 Seiten kommt es zu einigen Längen, vor allem aufgrund von Wiederholungen und sehr ausschweifenden Passagen. Die Handlung tritt immer wieder auf der Stelle. Den Lesegenuss trüben außerdem widersprüchliche Angaben, Logikfehler und Ungereimtheiten. Leider lässt die Autorin zudem die Möglichkeit ungenutzt, mit einem Plottwist oder anderen Überraschungen einen gelungenen Schlusspunkt zu setzen.

Den deutschen Titel mag ich etwas lieber als das englischsprachige Original („The Book of Form and Emptiness“). Das gilt auch für das liebevoll gestaltete Cover, wobei beide thematisch nicht die gesamte Geschichte abdecken.

Mein Fazit:
Mit „Die leise Last der Dinge“ konnte Ruth Ozeki meine hohen Erwartungen nicht erfüllen. Der mit dem Women‘s Prize for Fiction 2022 prämierte Roman konnte mich leider nur in Teilen überzeugen.

Veröffentlicht am 14.09.2023

Was wächst und nicht mehr wächst

Hinter der Hecke die Welt
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Pina und Lobo, die beiden Kinder des kleinen Dorfes, wachsen nicht mehr. Während die anderen dies mit Sorge beobachten, ist Dora, Pinas Mutter, als Forscherin in der Arktis. Dort sieht sie, wie das Eis ...

Pina und Lobo, die beiden Kinder des kleinen Dorfes, wachsen nicht mehr. Während die anderen dies mit Sorge beobachten, ist Dora, Pinas Mutter, als Forscherin in der Arktis. Dort sieht sie, wie das Eis schmilzt.

„Hinter der Hecke die Welt“ ist ein Roman von Gianna Molinari.

Meine Meinung:
Der Roman besteht aus 25 Kapiteln, die von mehreren Zwischenkapiteln unterbrochen werden. Erzählt wird aus verschiedenen Perspektiven und mit zwei Handlungssträngen. Skizzenhafte Zeichnungen ergänzen den Text.

Der Schreibstil ist atmosphärisch und eindringlich, die Sprache oft metaphorisch und poetisch. Das Erzähltempo ist sehr ruhig.

Die Figuren wirken durchaus lebensnah. Dennoch blieben mir die Charaktere fremd. Es fiel mir schwer, einen Zugang zu ihnen zu finden.

In thematischer Hinsicht ist die Geschichte sehr aktuell. Es geht unter anderem um den Klimawandel - mal auf sehr direkte, mal auf weniger direkte Weise. Mit den surrealen Elementen hatte ich jedoch Probleme.

Auf den rund 200 Seiten kommt die Handlung nicht so recht in Gang. Einige Passagen empfand ich dennoch als interessant, andere hingegen als langatmig.

Das Cover mit den stilisierten Blättern wirkt künstlerisch und gleichzeitig recht abstrakt, was mir jedoch gut gefällt. Der metaphorische Titel ist ebenfalls nicht die schlechteste Wahl.

Mein Fazit:
„Hinter der Hecke die Welt“ von Gianna Molinari ist ein besonderer Roman, der mich mit seiner ungewöhnlichen Art sowohl fasziniert als auch unangenehm irritiert hat. Eine Geschichte, die ihr volles Potenzial leider nicht ausschöpft.

Veröffentlicht am 24.07.2023

Keine gewöhnliche Familiengeschichte

Der letzte Sessellift
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Aspen im US-Bundesstaat Colorado: Adam Brewster wächst bei seiner Großmutter auf. Seine Mutter Rachel, eine talentierte Skifahrerin, sieht er nicht besonders oft. Seinen Vater kennt Adam nicht. Doch er ...

Aspen im US-Bundesstaat Colorado: Adam Brewster wächst bei seiner Großmutter auf. Seine Mutter Rachel, eine talentierte Skifahrerin, sieht er nicht besonders oft. Seinen Vater kennt Adam nicht. Doch er würde gerne herausfinden, wer dieser ist. Das ist allerdings nicht das Einzige, was in seiner Familie ungewöhnlich ist…

„Der letzte Sessellift“ ist ein Roman von John Irving.

Meine Meinung:
Der Roman verfügt über eine klassische Struktur. Er umfasst drei Teile („Akte“) und insgesamt 53 Kapitel. Die Handlung umspannt mehrere Jahrzehnte. Zum Verfolgen der Zeitsprünge ist allerdings ein aufmerksames Lesen erforderlich.

Erzählt wird in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Adam. Zumindest überwiegend, denn in stilistischer Hinsicht ist der Roman nicht durchgängig gleich. Einzelne Kapitel sind nämlich wie ein Drehbuch gestaltet. Der Schreibstil ist anschaulich, zum Teil bildhaft, im Erzählton jedoch geschwätzig und weniger literarisch als erhofft.

Die Vielzahl an Figuren und ihre Beziehungen sind anfangs verwirrend und ein wenig undurchsichtig, was jedoch vermutlich Absicht ist. Einige Figuren wirken stereotyp oder überzeichnet. Insgesamt setzt sich das Personal jedoch interessant zusammen.

Inhaltlich ist der Roman ebenfalls sehr vielschichtig und gleichzeitig aktuell. Unterschiedliche sexuelle Orientierungen spielen eine entscheidende Rolle. Gekonnt verwebt wird die Geschichte einer Familie mit der Historie der USA. An einigen Stellen ist mir die Story zu absurd und damit unglaubwürdig. Für meinen Geschmack wird zudem das Gespenster-Motiv zu stark ausgereizt. Als Irving-Neuling sind mir möglicherweise jedoch einige Feinheiten entgangen, die den Inhalt aufwerten könnten.

Zwar weiß die Geschichte mehrfach zu überraschen und bietet spannende, dramatische Momente. Auf den mehr als 1000 Seiten tauchen leider aber einige Längen und Wiederholungen auf, was die Lektüre für mich immer wieder etwas anstrengend und frustrierend gemacht hat.

Der Titel, der wortgetreu aus dem Original („The Last Chairlift“) übersetzt wurde, ist vorzüglich formuliert. Auch das passende, reduziert gestaltete Cover spricht mich sehr an.

Mein Fazit:
Meine erste Begegnung mit John Irving lässt mich leider ein wenig enttäuscht zurück. Wahrscheinlich ist „Der letzte Sessellift“ nicht die beste Wahl für diejenigen, die mit dem Autor zuvor noch nicht in Berührung gekommen sind. Da nach meiner Ansicht jedes Werk aber für sich alleine stehen sollte, kann ich in diesem Fall bedauerlicherweise keine klare Empfehlung aussprechen.

Veröffentlicht am 12.06.2023

Von der Welt der Toten

Als wir Vögel waren
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Port Angeles in Trinidad und Tobago: Yejide wächst in einem Dorf in den Bergen auf. Ihre Familie stammt von Rabengeiern ab und kann den Toten den Weg in die andere Welt erleichtern. Als ihre Mutter stirbt, ...

Port Angeles in Trinidad und Tobago: Yejide wächst in einem Dorf in den Bergen auf. Ihre Familie stammt von Rabengeiern ab und kann den Toten den Weg in die andere Welt erleichtern. Als ihre Mutter stirbt, ist Yejide an der Reihe, dieses Erbe anzutreten. Das behagt ihr jedoch nicht. Emmanuel Darwins Religion verbietet ihm die Nähe zu Toten. Doch er ist gezwungen, als Totengräber auf dem Friedhof zu arbeiten.

„Als wir Vögel waren“ ist der Debütroman von Ayanna Lloyd Banwo.

Meine Meinung:
Der Roman beinhaltet 36 Kapitel, die aus verschiedenen Perspektiven erzählt werden. Die Überschriften weisen die jeweilige Perspektive aus. Die Kapitel sind sieben Teilen zugeordnet. Erzählt wird im Präsens, wobei unklar bleibt, wann genau die Handlung spielt („gestern“, „heute“).

Der Sprache ist atmosphärisch und bildstark, aber nicht zu schnörkelhaft. Sie stellt für mich die größte Stärke des Romans dar.

Im Vordergrund stehen Darwin und Yejide. Beide Figuren werden realitätsnah und mit psychologischer Tiefe beschrieben. Dennoch blieben sie mir etwas fremd.

Inhaltlich ist die Geschichte ebenfalls besonders, hat mich allerdings nicht komplett überzeugt. Es geht um Liebe in ihren verschiedenen Formen, um Leben und Tod. Anders als erwartet, spielen jedoch Mythen, Märchen, Magisches und Schöpfungsgeschichten eine große Rolle und nehmen breiten Raum ein. Durch dieses Ausmaß hat mich die Geschichte leider etwas verloren.

Die Handlung nimmt nur sehr langsam Fahrt auf. Auf den rund 340 Seiten stellte sich bei mir bedauerlicherweise kein Lesesog ein. Erst gegen Ende konnte mich die Geschichte wieder abholen.

Das Cover ist nicht nur ansprechend gestaltet, sondern passt auch thematisch gut. Der englischsprachige Originaltitel („When we were Birds“) wurde erfreulicherweise wortgetreu übersetzt.

Mein Fazit:
Mit „Als wir Vögel waren“ hat Ayanna Lloyd Banwo meine persönlichen Erwartungen nicht gänzlich erfüllt. Der ungewöhnliche Roman dürfte aber genügend Fans finden.

Veröffentlicht am 18.05.2023

Wenn Sparsamkeit ausartet

Das Fräulein
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Kaufmannstochter Rajka Radaković aus Sarajevo verliert mit 15 Jahren ihren Vater. Am Sterbebett schärft er ihr ein, stets sparsam zu sein. Ein Ratschlag, den sie sich sehr zu Herzen nimmt…

„Das Fräulein“ ...

Kaufmannstochter Rajka Radaković aus Sarajevo verliert mit 15 Jahren ihren Vater. Am Sterbebett schärft er ihr ein, stets sparsam zu sein. Ein Ratschlag, den sie sich sehr zu Herzen nimmt…

„Das Fräulein“ ist ein Roman von Ivo Andrić, der im Original bereits im Jahr 1945 erschienen ist.

Meine Meinung:
Der Roman beginnt mit einer Art Vorrede oder Prolog, der den Tod der Protagonistin vorwegnimmt und im Februar 1935 spielt. Daran schließen sich acht Kapitel an. Erzählt wird aus auktorialer Perspektive in Rückblenden.

Der Schreibstil ist atmosphärisch und anschaulich, in Teilen jedoch auf ermüdende Weise redundant und detailliert. Die Sprache ist angemessen und zeittypisch, aber auch recht nüchtern. Wort- und Sacherklärungen sind weiter hinten im Buch beigefügt.

Rajka steht zweifelsohne im Fokus der Geschichte. Die Protagonistin wird sehr stark überzeichnet. Sie wird ausführlich und mit psychologischer Tiefe dargestellt. Dennoch kommt man der Figur nicht nahe und kann ihr Verhalten nicht immer nachvollziehen. Dadurch habe ich schnell das Interesse an diesem Charakter verloren.

Inhaltlich dreht sich der Roman vor allem um das Thema Geiz, und das in einer extremen Form. Nur vordergründig geht es um das Porträt einer Frau, denn Rajka wird immer wieder auf ihre Raffgier reduziert. Das macht die Geschichte für mich zu plakativ.

Auf den rund 250 Seiten schreitet die Handlung nur sehr langsam voran. Ein richtiger Lesesog wollte sich bei mir nicht einstellen. Erst im letzten Drittel kommt etwas Schwung in die Geschichte. Zum Ende hin konnte sie mich sogar noch überraschen. Positiv anzumerken ist zudem, dass historische Ereignisse und Entwicklungen eingebettet werden, sodass die Lektüre lehrreiche Elemente enthält.

Das Nachwort der Zsolnay-Ausgabe („Geiz und Ehrgeiz“), verfasst von Michael Martens, ist informativ.

Leider bin ich mit dem Marketing der deutschen Ausgabe nicht so glücklich. Der Klappentext verrät bereits viel. Das Cover ist sehr hübsch, passt jedoch nur bedingt.

Mein Fazit:
Mit „Das Fräulein“ hat mich Nobelpreisträger Ivo Andrić insgesamt nicht überzeugt. Ein Klassiker, der nicht zwingend im Bücherregal stehen sollte.