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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 16.10.2017

Junge französische Literatur mit afrikanischen Wurzeln

Kleines Land
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Der kurze französische Roman über Kindheit, Bürgerkrieg und den Verlust der Heimat, hier konkret Burundi, kann mit seiner gut gemachten, musikalisch wirkenden Sprache überzeugen. Der Stil erinnert an eine ...

Der kurze französische Roman über Kindheit, Bürgerkrieg und den Verlust der Heimat, hier konkret Burundi, kann mit seiner gut gemachten, musikalisch wirkenden Sprache überzeugen. Der Stil erinnert an eine Afrika-spezifische Art des italienischen Neorealismus.

Die Kindheit des Erzählers Gabe scheint bis zum Alter von 11 Jahren paradiesisch, aber da aus der Gegenwart in Frankreich zurückdenkend erzählt wird, ahnt man schon, dass dieser Zustand mit dem nahenden Bürgerkrieg 1994 bald enden wird,
Zwischen Hutu und Tutsi kommt es in Ruanda zum blutigen Konflikt, der auch auf das Nachbarland Burundi ausstrahlt. Es kommt zu schockierend brutalen Massakern, in der auch Gabe und seine Familie hineingezogen werden. Diese Erlebnisse werden Gabe auch im Exil nicht mehr loslassen.

Das Buch ist ein Debüt und wurde in Frankreich mit dem Prix Goncourt des Lycéens ausgezeichnet.
Man kann in Lesepausen einen Soundtrack zum Buch zusammenstellen, mit dem im Roman erwähnten Sänger Geoffrey Oryema oder dem Autor selbst, der auch HipHop-Musiker ist.

Veröffentlicht am 15.10.2017

Orkney und die Klippen

Nachtlichter
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Autobiografisches Erzählen wird zur Literatur, wenn der Autor oder die Autorin über eine entsprechende Sprache verfügt und ein oder mehrere Themen behandelt, die Relevanz besitzen. Für das beeindruckende ...

Autobiografisches Erzählen wird zur Literatur, wenn der Autor oder die Autorin über eine entsprechende Sprache verfügt und ein oder mehrere Themen behandelt, die Relevanz besitzen. Für das beeindruckende Buch Nachtlichter ist das meiner Meinung nach der Fall. Es geht um Heimat und Familie und seinen Platz im Leben zu finden. Schwierigkeit dabei ist die Alkoholsucht, die sich anscheinend aus der Lebensgier der jungen Frau ergibt.

Autobiografische Bücher haben mich zuletzt ebenfalls von z.B. Delphine de Vigan oder Arno Frank fasziniert, aber Nachtlichter würde ich vom Lesegefühl vielleicht mehr mit Jeanette Walls Schloß aus Glas vergleichen, das vor kurzen verfilmt wurde. Auch in Nachtlichter werden starke Bilder von Menschen und Landschaft entworfen, die beim Leser nachwirken.

Der Alkohol hat Amy fest im Griff. Ihre Weltverlorenheit als Studentin in London kommt deutlich hervor. Auch später ruiniert ihr betrunkener Zustand ihre Beziehung und sie verliert ihre Jobs. Treffen der anonymen Alkoholiker oder Vorschläge der Therapeutin greifen nicht. Es gibt einige bedenkliche Vorfälle, sogar einen Überfall auf die betrunkene Amy. Erst eine intensive Therapie hilft kurz vor dem Abgrund, aber es ist ein schwerer Kampf. Dann folgt die Heimkehr, um wieder ins Leben zu finden. Die Gegend, aus der sie früher immer nur weg wollte, beginnt ihr etwas zu bedeuten. Das sind zum Beispiel die abgelegten und unbewohnten Inseln, die rau und windgepeitscht ihren eigenen Zauber haben. Bezüglich der Tiere auf der Farm oder den Vögeln gibt es detailreiche, beinahe dokumentarische Passagen, die dem Leser klar machen, dass es sich hier nicht um einen konventionellen Roman handelt. Hier engagiert sich Amy intensiv. Das erinnert stark an H wie Habicht von Helen MacDonald. Wer das Buch mochte, wird auch mit Teilen von Nachtlichter etwas anfangen können. Bei mir ist inzwischen der Appetit auf solche Bücher deutlich gewachsen!

Veröffentlicht am 09.10.2017

Ein Kriminalroman und etwas mehr

Die Gärten von Istanbul
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Eine Leiche wird vor einem Atatürk-Denkmal gefunden. Ein Fall für Oberinspektor Nevzat und sein Team, von denen Ali und Zeynep am meisten herausstechen. Auch weitere Morde erfolgen an zentralen Plätzen ...

Eine Leiche wird vor einem Atatürk-Denkmal gefunden. Ein Fall für Oberinspektor Nevzat und sein Team, von denen Ali und Zeynep am meisten herausstechen. Auch weitere Morde erfolgen an zentralen Plätzen in Istanbul.

Auffällig ist, wie der Autor sich in seinem 2010 geschriebenen Roman Zeit lässt, die Ermittlung zu zeigen, zum Beispiel das Verhör der Exfrau des Mordopfers geht über einige Seiten und das Team diskutiert auch die historische türkische Geschichte, da ein Zusammenhang möglich ist.

Eine große Zuneigung zu Istanbul ist durch die detaillierten Beschreibungen authentisch spürbar und im Fall des Stadtviertels Balat auch ganz gezielt durch den Ich-Erzähler ausgedrückt. Balat ist ein Viertel mit steilen Gassen und vielen Cafes, aber relativ wenig Touristen.
Auch andere Gegenden werden betrachtet, z.B. das Sieben Türme-Viertel.

Der Kommissar Nevzat ist eine besondere Hauptfigur, ein Gefühlsmensch mit natürlicher Autorität, deswegen folgen ihm seine Leute blind.
Nevzat umgibt eine Melancholie, denn einst wurden seine Frau und seine Tochter ermordet, der Fall wurde nie aufgeklärt. Das belastet seine neue Beziehung zu Evgenia.

In einer Szene hören Nevzat und Evgenia Schallplatten mit Musik von der türkischen Sängerin Müzeyyen Senar. Das ist sehr passend, denn ihre Salonmusik gleicht Ahmet Ümits Schreibstil, der langsam, aber eindrücklich und rhythmisch ist.

Immer wieder werden in den Dialogen kleine Geschichte aus der Vergangenheit auch der Nebenfiguren eingeflochten, auch wenn die nichts mit den Mordfällen zu tun haben. Das bereichert den Roman!

Mir gefällt, wie Ahmet Ümit seine Figuren anlegt, ihnen ein Gefühl für wichtige Werte wie langjährige Freundschaft, Toleranz und dass man sich umeinander kümmert, gibt.

Schließlich verdichtet sich die Ermittlung, bei der es 7 Morde gibt.

Das ganze hat einfach Klasse, wirklich edel!

Veröffentlicht am 01.10.2017

Geborgenheit in der Welt der Bücher

Ich treffe dich zwischen den Zeilen
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Ein sehr emotionales Buch mit einer starken, widerspenstigen Protagonistin, die aber auch sehr verletzlich ist. Der Grund dafür liegt in ihrer Vergangenheit.
Loveday ist eine junge Frau, die in einer Buchhandlung, ...

Ein sehr emotionales Buch mit einer starken, widerspenstigen Protagonistin, die aber auch sehr verletzlich ist. Der Grund dafür liegt in ihrer Vergangenheit.
Loveday ist eine junge Frau, die in einer Buchhandlung, einem Antiquariat arbeitet und sich größtenteils abschottet. Bücher sind ihre Leidenschaft. Sie ergänzt sich gut mit ihrem Chef Archie, dem Besitzer des Antiquariats, der ihr ein väterlicher Freund ist.
Loveday trifft den Dichter Nathan. Eine Beziehung bahnt sich an, aber es gibt auch noch ihren labilen Exfreund Rob.

Zwischendurch möchte ich noch kurz das Cover erwähnen, weil es mir nicht besonders gut gefällt, einerseits weil es gelb ist, andererseits strahlt es durch das Motiv eine Harmlosigkeit aus, die der Roman nicht verdient hat.

Es ist ein Buch, in das man versinken kann. Das liegt neben dem geschmeidigen Schreibstil auch daran, das einem die Figuren schnell sehr am Herzen liegen.
Was ich besonders an dem Buch mochte ist das Sujet. Das Antiquariat als eine Welt der Bücher, ein Ort des Schutzes. Hier fühlt sich Loveday geborgen. Und dann noch die Poetry Slams als ein Ausflug in die richtige Welt. Hier muss sie den Ausgleich finden.
Dadurch ist der Roman mehr als nur eine Liebesgeschichte, obwohl die Beziehung zu Nathan natürlich auch zu dem inneren Befreiungskampf dazu gehört.

Veröffentlicht am 30.09.2017

mehr als ein Durchschnittskrimi

In tiefen Schluchten
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Unter dem Namen Cora Stephan hat die Autorin mit „Ab heute heiße ich Margo“ einen großartigen Roman geschrieben, an dem sie sich bei künftigen messen lassen muss.
In tiefen Schluchten ist ein ganz anderer ...

Unter dem Namen Cora Stephan hat die Autorin mit „Ab heute heiße ich Margo“ einen großartigen Roman geschrieben, an dem sie sich bei künftigen messen lassen muss.
In tiefen Schluchten ist ein ganz anderer Stoff und wird zudem als Kriminalroman vermarktet, aber ich finde, auch dieser geschmeidig geschriebene Roman bietet wesentlich mehr als der Durchschnittskrimi und ist alles andere als eine Enttäuschung.

Mit großer Zuneigung zu der Gegend in Südfrankreich beschreibt Anne Chaplet die bizarre und überwältigende Landschaft. Auch ihre Protagonistin Tori Godon teilt diese Begeisterung, aber ihr Gemüt ist verdüstert aus Trauer um ihren Mann Carl, der vor ca. einem Jahr verstarb. Aber sie ist eine Person die sich nicht unterkriegen lässt. Ich mochte sie schon, als sie sich um den eingesperrten Hund gekümmert hat. Dieser Hund wird später noch eine große Rolle spielen, als sich die impulsive Tori in Gefahr bringt. Es gibt auch einen Mann, ein ehemaliger Polizist, der bei der Rettung mitwirkt.
Der Kriminalanteil bleibt relativ gering, doch spannende Momente gibt es dennoch.
Ich habe den Roman sehr gerne gelesen.