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Veröffentlicht am 22.02.2023

Der Wahnsinn des Krieges

Nachts ist unser Blut schwarz
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Im vorliegenden Roman des franko-senegalesischen Autors David Diop begleiten wird den „Senegalschützen“ Alfa Ndiaye in seine Gedankenwelt. Diese ist durch seinen Einsatz für Frankreich an der deutsch-französischen ...

Im vorliegenden Roman des franko-senegalesischen Autors David Diop begleiten wird den „Senegalschützen“ Alfa Ndiaye in seine Gedankenwelt. Diese ist durch seinen Einsatz für Frankreich an der deutsch-französischen Front während des Ersten Weltkriegs mächtig durcheinandergebracht, da er nicht nur seinen besten Freund neben sich hat elendig sterben sehen, sondern auch weil er sich nicht verzeihen kann, dessen dreimal vorgebrachte Bitte, ihn von seinen Qualen aktiv zu erlösen, nicht nachgekommen zu sein. Alfa driftet immer mehr in den Wahnsinn ab und wir werden Teil seiner Gedankenwelt.

Diop spricht in seinem kurzen, fast novellenartigen Roman ein häufig übersehenes bzw. vertuschtes Thema der französischen Geschichte an. Laut seinem Nachwort zum Buch kämpften 180 000 sogenannte „Senegalschützen“ für Frankreich im Ersten Weltkrieg. Ein Schicksal erfindet nun Diop und erzählt dieses punktuell nach. Man sollte bei diesem Buch aber kein allzu exemplarisches Beispiel oder gar einen stark faktendurchzogenen Text erwarten. Es handelt sich vielmehr um das Psychogramm eines traumatisierten Soldaten.

Alfa wird nach dem sich stundenlang hinziehenden Tod (inkl. heraushängender Innereien, also nichts für schwache Nerven!) seines „Seelenfreundes“ zunehmend zu dem, wie die Offiziere der Armee die Schwarzafrikaner in diesem Krieg zu Abschreckungszwecken darstellen wollten: einem Wilden. Wild durch Wut und Schuldgefühle, da er denkt seinen Freund an verschiedenen Stellen ihres Lebens verraten zu haben und damit für dessen Tod verantwortlich zu sein, entgleitet er in den Wahnsinn. Der sog. „kurzzeitige Wahnsinn“ sei sogar von den Vorgesetzten erwünscht, denn: „Der kurzzeitige Wahnsinn lässt die Wahrheit der Kugeln vergessen. Der kurzzeitige Wahnsinn ist der Bruder des Kriegermuts.“ So geht Alfa immer schrecklicher beim Umbringen der Gegner vor, doch das ist wiederum nicht erwünscht durch dir Obrigkeit, so sagt der Hauptmann zu ihm: „Du musst sie einfach nur töten, nicht verstümmeln. Im zivilisierten Krieg ist das verboten. Verstanden? Morgen fährst du.“ Während Alfas Fronturlaub in einer Rehabilitationsanstalt, auf den er von seinem Hauptmann geschickt wird, lernen wir nun etwas mehr über seine Vergangenheit im Senegal und die Freundschaft zu Mademba Diop, seinem Seelenfreund, kennen.

Sprachlich ist der Roman anspruchsvoll. Und zwar dahingehend, dass man mit den ständigen Wiederholungen in den Gedanken Alfas zurechtkommen muss. Mich hat dieses Repetitive immer stärker in den Kopf des Erzählers gezogen. Es hat also genau seinen Zweck erfüllt, ist aber sicherlich nicht jedermenschs Sache.

Insgesamt hätte ich gern einen ausführlicheren Roman gelesen. Die mitunter nur kurz eingeworfenen Umstände von Alfas Leben zuhause, dessen Weg in die Armee und dessen Position innerhalb einer Armee voller Französisch sprechenden Weißen, die Alfa sowohl rein sprachlich als auch vom Wesen her nicht versteht, hätte ich gern ausgebaut gesehen. So endet das Buch nach nur kurzer Lektüre mit einem afrikanischen Märchen, das einzuordnen an dieser Stelle schwerfällt. Ich empfehle nichtsdestotrotz die Lektüre dieses Romans, besonders aufgrund der historischen Brisanz und des überzeugenden Psychogramms dieses Soldaten.

3,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 13.02.2023

Die Erbin einer matriarchalen Familiendynastie

Männer sterben bei uns nicht
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„Meine Geburt hatte mich in die Nähe von Frauen geraten lassen, die mir nicht nahe waren.“ So ist eine der Erkenntnisse, die Luise rückblickend über ihr Hineingeboren werden in eine privilegierte Familie, ...

„Meine Geburt hatte mich in die Nähe von Frauen geraten lassen, die mir nicht nahe waren.“ So ist eine der Erkenntnisse, die Luise rückblickend über ihr Hineingeboren werden in eine privilegierte Familie, die sich aber niemals nah, sondern immer gegeneinander ausgerichtet erscheint, gewinnt.

Luise wächst auf dem Anwesen ihrer Großmutter auf. Diese ist die Matriarchin einer (Geld-)Adelsfamilie und versammelt auf dem Grundstück mit fünf Häusern die weiblichen Familienmitglieder. Fast könnte man sagen, sie nimmt sie in Sippenhaft und wer nicht nach ihren Regel spielen will, wird aussortiert. Die Männer spielen sowieso keine Rolle, sie sterben hier auf dem Anwesen nicht, sie verschwinden schon vorher und gehen ihrer eigenen Wege. Luise ist schon erwachsenen als nun ihre Großmutter verstirbt. Das bringt die Familie für die Beerdigung wieder örtlich, wenn auch nicht emotional, zusammen und lässt Erinnerungen von Luise aufflammen. Mit dem Blick der Erwachsenen versucht sie nun, nach und nach ihre Erinnerungen neu zu sortieren und vor allem auch neu zu interpretieren.

Mir hat dieses Buch zu Beginn wirklich sehr gefallen. Das Cover ist schon einmal eine Klasse für sich. Die Sprache der Autorin in ausdrucksstark und mit einer gewissen lakonischen Art versehen. Auch das Setting ist spannend gewählt. Kennen wir ja aus den vergangenen Literaturjahren das Phänomen der Veröffentlichung einer steigenden Anzahl von Romanen über Klasse und soziale Herkunft. Nur geht es hier nicht um die Arbeiterklasse, sondern um die Reichen, wenn auch nicht Superreichen. Die Familie väterlicherseits von Luise ist gut situiert. Luise scheint die einzige zu sein, die sich den Familientraditionen hingeben will und auch als würdig dafür erachtet wird. Ihre eigene Mutter stammt aus einer niedrigeren Klasse und passt ebenso wie andere Frauen auf dem Anwesen nicht so richtig hierher. Dieses Spannungsfeld wird gekonnt entworfen und man meint, dass damit nun für das finale Zusammentreffen und damit den Showdown zur Beerdigung der Großmutter und die Frage des Erbes (komplett an Luise) ein perfektes Spielfeld vorgegeben ist.

Nur leider verpufft die anfängliche Energie und Stringenz des Romans spätestens ab zwei Dritteln des Buches. Die Handlung und die Beziehungen der Frauen untereinander werden verwirrend, bleiben nebulös und einfach mitunter vollkommen unklar. Auch bekommen die Figuren nicht mehr die benötigte psychologische Tiefe, um sich erklären zu können, was zum Ende des Romans hin passiert. Ganz grundsätzlich scheint dem Buch auch eine Aussage zu fehlen. Ist es eine feministische, im Sinne von: Alle Frauen sollten, egal wie unterschiedlich sie sind, sich nicht auseinandertreiben lassen, sondern zusammenhalten? Denn dieses Auseinandertreiben hat bisher die Großmutter königlich beherrscht. Sie hat einen Keil zwischen die vielen Frauen dieser Familie getrieben, um sich dann die Rosine (Luise) als ihre Nachfolgerin auf dem Anwesen herauszupicken. So schreibt Annika Reich:

„Sie [die Großmutter] hatte kein emotionales Verständnis von Familie, sondern ein dynastisches, auch wenn das Wort zu pompös war für den Haufen, den wir darstellten. Sie wies jeder von uns einen Platz und eine Aufgabe zu, und wenn wir diesen Platz einnahmen und die damit verbundene Aufgabe erfüllten, lief alles glatt, wenn nicht, wurden wir aussortiert wie verschlossene Muscheln.“

Solche Passagen sind schon toll geschrieben, aber sie führen leider gefühlt zu nichts mit Blick auf den gesamten Roman. Immer wieder ist von „Versehrungen“ der Hauptfigur zu lesen, aber was genau dort dahinter steckt, erfahren wir nicht. Vieles bleibt schwammig und wird immer schwerer zu deuten, umso klarer wird, dass die Erinnerungen von Luise vielleicht auch kindlich verzerrt sind. Es wird immer mal wieder angedeutet, dass ein Ereignis so oder auch ganz anders hätte passiert sein können. So wendet sich der Roman zum Ende hin immer mehr ab vom Konkreten und bleibt auf eine störende Art und Weise unkonkret.

Insgesamt handelt es sich hierbei durchaus um ein lesenswertes Buch, welches sein anfängliches Potential jedoch nicht halten kann. Schade.

3,5/5 Sterne

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Veröffentlicht am 21.03.2024

Der Alltag von Söldnern im Hundertjährigen Krieg

Essex Dogs
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Der britische Historiker Dan Jones veröffentlicht mit „Essex Dogs“ seinen ersten historischen Roman und man merkt es diesem Buch an, dass es hier dem Verfasser um historische Genauigkeit ging und nicht ...

Der britische Historiker Dan Jones veröffentlicht mit „Essex Dogs“ seinen ersten historischen Roman und man merkt es diesem Buch an, dass es hier dem Verfasser um historische Genauigkeit ging und nicht um eine glorreiche Darstellung des Krieges und seiner Helden.

„Essex Dogs“ ist in der Anfangszeit des Hundertjährigen Krieges (1337 bis 1453) zwischen England und Frankreich angesiedelt. Nun stehen sich 1346 die Heere vom englischen König Edward III. und seinem französischen Cousin König Philipp gegenüber, nachdem die 15.000 Mann mit mehreren Tausend Schiffen von England über den Ärmelkanal übergesetzt sind. Genau dort setzt die Handlung ein, auf einem kleinen Boot mit den zehn Kämpfern der Gruppe genannt „Essex Dogs“. Schnell wird klar, dass die Heere auf Söldnergruppen bestehen, denen es prinzipiell egal ist, für wen sie wo und gegen wen kämpfen. Es ist ihr Broterwerb, mehr nicht. Im Laufe des Buches verfolgen wir den sogenannten „Edward III. Feldzug (1346/47)“ und begleiten die Essex Dogs auf ihrem Weg durch die Normandie, bis kurz vor Paris und dann wieder nach Norden Richtung Calais.

Jones macht in seinem Roman deutlich, dass der Kampf im Heer eines mittelalterlichen Königs keinesfalls ein glanzvoller Job war. Von tagelangen Fußmärschen, Hunger, wenn die Nahrung ausgeht, über verschlissenes Schuhwerk und Rivalitäten innerhalb des Heeres, lässt er nichts aus. Genauso wenig wie das Brandschatzen, den Mord, die Plünderungen. Das liest sich insgesamt sehr aufschlussreich und hält auch die nicht sonderlich bekannte Erkenntnis bereit, dass es damals z.B. schon ein Opiatpulver gab, von dem Kämpfer abhängig werden konnten. Wir sind also ganz nah am Arbeitsalltag dieser Söldner dran. Das liest sich recht unterhaltsam, wirkt über die 470 Seiten hinweg manchmal aber auch etwas ermüdend, da sich natürlich einiges auch wiederholt. Den Schlachtszenen konnte ich mit imaginierten Bildern nicht immer folgen, da das Ganze nun einmal auch tatsächlich damals ein ganz schönes Gewusel war. Die Figuren entsprechend schon den Standardcharakteren, die man in so einem Trupp vermuten würde. Ab und an blickt man etwas tiefer in ihre Köpfe (besonders in den des Anführers „Loveday“), da hätte ich mir aber definitiv mehr gewünscht. Manche Verhaltensweisen blieben mir auch nicht nachvollziehbar. Auffällig ist, dass diese kleine Gruppe von Söldnern irgendwie über den gesamten Feldzug hinweg immer wieder mit den Top-Rittern der Truppe zusammenarbeiten und dadurch natürlich immer ganz vorn bei den interessanten Kämpfen mit dabei sind. Soll heißen: Der Roman schwankt zwischen der unglaublich Genauigkeit, mit der der Alltag dieser Männer beschrieben wird, und gleichzeitig habe ich mich häufiger gefragt, wie wahrscheinlich es gewesen sein mag, dass dieses verranzte, zusammengewürfelte Grüppchen tatsächlich mit den höchsten des Stabs zu tun gehabt hätte. Hier sollte sicherlich ein Szenario geschaffen werden, welches die Action eines Blockbusters über die 470 Seiten hinweg aufrechterhalten sollte.

Zuletzt muss ich sagen, dass mich zwei Dinge sehr gestört haben, die auch miteinander zusammenhängen. Es taucht ziemlich zu Beginn eine Frauenfigur auf, die dann immer mal wieder in merkwürdigen Szenen kurz erscheint, etwas nicht Nachvollziehbares tut und dann wieder verschwindet. Das ist im Roman vollkommen unzusammenhängend und wird auch nicht nachvollziehbar aufgelöst. Und das hängt sicherlich damit zusammen, dass es sich hierbei um den ersten Band einer Trilogie handelt. Hier stört mich, dass dies nirgends auf dem Buch ersichtlich ist. Allein in den biografischen Angaben zum Autor ist von der „Essex-Dogs-Trilogie“ die Rede. So könnte man sich vorstellen, dass diese mysteriöse Frauenfigur später noch einmal eine Rolle spielen wird und es auch Erklärungen für ihr Verhalten geben wird. Darauf muss man sich meines Erachtens aber auch einstellen können. Soll heißen: Mir wäre es wichtig gewesen, dass es einen deutlicheren Hinweis vom Verlag gibt, der aufzeigt, dass man sich gerade den ersten Band einer Reihe gekauft hat. So lässt man sich doch ganz anders auf die Geschichte ein.

Abschließend muss ich sagen, dass ich gut unterhalten wurde und auch das ein oder andere zum damaligen Leben als Söldner erfahren habe. Das Buch habe ich nicht ungern gelesen, merke aber, dass ich die folgenden beiden Teile, welche sicherlich bald auch im Deutschen erscheinen werden, nicht zwingend lesen muss.

3/5 Sterne

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Veröffentlicht am 29.01.2024

Solide, aber nicht überwältigend

Heimkehr
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Dies ist nun mein erstes Toni Morrison-Buch. Gespannt war ich auf diese vielgeehrte Literatur Nopbelpreisträgerin. Leider konnte mich "Heimkehr" trotzder hochinteressanten und wenig beleuchteten Thematik ...

Dies ist nun mein erstes Toni Morrison-Buch. Gespannt war ich auf diese vielgeehrte Literatur Nopbelpreisträgerin. Leider konnte mich "Heimkehr" trotzder hochinteressanten und wenig beleuchteten Thematik nicht überzeugen.

Frank ist Schwarz und entscheidetet sich nach einer Kindheit auf der Flucht vor Weißen in den Südstaaten, mit desinteressierten Eltern und einer grausamen Großmutter als junger Mann zur Army zu gehen. Er wird nach Korea geschickt und kommt als gebrochener Mann - wie so viele andere dieses fast vergessenen Krieges - zurück in die USA. Seine kleine Schwester Cee indes muss sich als Jugendliche allein durchschlagen. Aus kurzen 155 Seiten begleiten wirs sie nun beim Wiedertreffen unter dramatischen Umständen und der Heimkehr in mehrfachem Sinne.

Sprachlich, strukturell und bezüglich des Plotinhaltes finde ich dieses Buch zwar durchaus solide, es konnte mich nur leider überhaupt nicht berühren und erst recht nicht vom Hocker hauen. So scheint mir hier ein eher mittelmäßiger Roman der Autorin vorzuliegen, dem meines Erachtens etwas mehr Umfang und Ausführlichkeit gut getan hätte.

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Veröffentlicht am 29.01.2024

Zu stakkatohaft erzählt, um mitreißen zu können

Wir Gotteskinder
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Wenn man die biografischen Angaben zur Auroin Nana Oforiatta Ayim auf dem Buchumschlag sowie im Internet mit der erzählten Lebensgeschichte der Ich-Erzählerin Maya vergleicht, wird deutlich, dass es sich ...

Wenn man die biografischen Angaben zur Auroin Nana Oforiatta Ayim auf dem Buchumschlag sowie im Internet mit der erzählten Lebensgeschichte der Ich-Erzählerin Maya vergleicht, wird deutlich, dass es sich bei diesem Roman mehr oder weniger um die eigene Geschichte der Autorin handeln muss. Denn Maya ist die Enkelin des verstorbenen Königs der ghanaischen Region Akeym Abuakwa, in Deutschland aufgewachsen, in Großbritannien studiert und später als Kuratorin tätig, nun wieder in Ghana lebend. Wie gesagt, stimmt für Maya wie für Nana.

Nun erzählt uns Ayim ihre Geschichte aus der Ich-Perspektive und vergisst meinem Gefühl nach ein wenig die Leser*innen ihres Werkes. Sie springt unvermittelt von einem Lebensabschnitt zum nächsten und von einer Anekdote zur nächsten. Leider ergibt sich dadurch ein wenig zusammenhängendes Bild einer Frau dieser Generation, deren Mutter nach Europa geschickt wurde, um mit ausgebildeten Kindern nach Ghana zurückkommen zu können und das Land voranzubringen. Als für Maya sehr wichtige Bezugsperson wird der Cousin Kojo eingeführt, welcher als Vollwaise von Mayas Mutter aufgenommen und wie ihr eigenes Kind aufgezogen wird. Kojo sei ein "Gotteskind", wie es nur selten in eine Familie geboren werde, dazu berufen, die alten Geschichten in die neue Generation zu tragen. Er ist damit die heimliche Hauptfigur des Romans, bleibt jedoch ungewöhnlich flach, ebenso wie fast alle anderen Figuren inklusive der Ich-Erzählerin. Der Roman heißt übrigens im englischen Original "The God Child", was in der Einzahl auch besser passt, als der Titel in der deutschen Übersetzung.

Leider schafft es der Roman trotz ein paar einzelner, aufschlussreicher Sequenzen für mich nicht, im Gesamten zu funktionieren. Er wirkt nie richtig rund, bruchstückhaft und lieblos erzählt. Manchmal konnte ich der Handlung gar nicht mehr richtig folgen, konnte nicht einschätzen, warum das Geschilderte jetzt wichtig sein soll. Mit einem großen Fragezeichen im Kopf lässt mich der Auszug aus "Das Buch der Geschichten", welcher am Ende des Buches abgedruckt ist, zurück. Dieses Buch wird im Roman häufiger erwähnt und scheint - wenn ich das überhaupt richtig verstanden habe - eine Aufzeichnung von Kojos Vater, also Mayas Onkel aus dessen Leben zu sein. Wenn so prominent ein Text angestellt ist, würde ich einen starken Erkenntnisgewinn daraus erwarten, einen Inhalt, der das zuvor Gelesene in neuem Licht erscheinen lässt. Leider ist dieses neue Licht für mich nicht aufgeleuchtet, vielleicht weil ich den gesamten Roman nicht in dem Maße verstanden habe, wie es dafür notwendig gewesen wäre. Meine Vermutung ist die, dass Ayim den Roman in einer speziellen Form, welche in Ghana traditionell typisch ist, angelegt hat, um eine Art des Geschichtenerzählens zu konservieren, die im Land immer mehr verloren geht. Dieser Art des Erzählens funktioniert aber leider nicht für mein europäisches Hirn. Auf Grundlage dieser Vermutung, dass hier mehr dahinter stecken könnte, bekommt das Buch von mir doch drei Sterne. "Verführerisch, poetisch, beispiellos", wie der Roman auf dem Cover beworben wird, war er für mich jedoch leider nicht.

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