Berührende Erzählung über Verlust, Freundschaft und Selbstfindung: "Auf Erden" von Anne Kanis.
"Ich war mir sicher, dass alle Eltern ihre Kinder trugen und schützten und stärkten, wie meine uns. Mein Blick veränderte sich erst, als ich erfuhr, dass es auch anderes geben konnte: sich schwächende, ...
"Ich war mir sicher, dass alle Eltern ihre Kinder trugen und schützten und stärkten, wie meine uns. Mein Blick veränderte sich erst, als ich erfuhr, dass es auch anderes geben konnte: sich schwächende, verletzende oder abgrundtief traurige Familien. Plötzlich sah ich sie. Im Park und in der U-Bahn. In der Kaufhalle und auf dem Gehweg. Im Schwimmbad. Überall." - Buchzitat (S. 51)
Anne Kanis' Roman "Auf Erden" entführt uns in die bewegende Geschichte von Sunny, deren Leben nach dem Tod ihres Vaters aus den Fugen gerät. Auf Erden ist der zweiter Roman der Autorin. Dabei stehen Themen wie Trauerbewältigung, Jugendjahre in Berlin und der Bedeutung von Familie und Freundschaft im Vordergrund.
Sunny, die Protagonistin, findet sich in einem Strudel aus Verlust, Erinnerungen und Neuanfängen wieder, nachdem ihr Vater verstorben ist. Zwischen Rückblicken auf ihre Jugend in den aufregenden Neunzigerjahren in Berlin und der Gegenwart, begleiten wir sie auf ihrem Weg der Trauerbewältigung und Selbstfindung. Anne Kanis berührt dabei Themen wie Liebe, Freundschaft, Gewalt, Erziehung und den Umgang mit Verlust auf eine besonders einfühlsame und mitreißende Art und Weise.
Ich muss sagen ich war total überrascht, wie gut mir "Auf Erden" gefallen hat. Die Geschichte wird aus der Perspektive der erwachsenen Sunny erzählt, während die Handlung zwischen ihren Teenagerjahren und der Gegenwart hin und her wechselt. Es hat mich überrascht, wie leicht es mir fiel, mich in die Gedanken- und Gefühlswelt von Sunny hineinzuversetzen. Der Schreibstil hat mir sehr gut gefallen, und die Stimmung des Romans wechselt zwischen bedrückend und lebensfroh - eine passende Mischung für die Themen, die angesprochen werden.
Apropos Themen: Das Buch spricht eine Vielzahl von Themen an: (neue) Liebe, Jugendzeit, Gewalt in unterschiedlichen Formen, Erziehung, Entfaltung, Berufswahl und den eigenen Weg gehen, Musik, Familie, Geschwister, (Jugend-)Freundschaft, Macht und vor allem den Umgang mit Trauer. Gerade das Thema Familie beschäftigt die Protagonistin sehr, die sich rückblickend immer mehr und mehr über das Glück bewusst wird, in eine glückliche und intakte Familie hineingeboren worden zu sein, die von Liebe, Wertschätzung und Geborgenheit geprägt ist. Ganz im Gegenteil zu den Lebensrealitäten ihrer drei Freundinnen. Anne Kanis erzählt mit viel Einfühlungsvermögen und Empathie von einem tiefen Trauer- und Erinnerungsprozess sowie von den Herausforderungen des Aufwachsens in einer aufgebrochenen Stadt.
Die Geschichte erstreckt sich von den 90er Jahren bis zur Gegenwart und präsentiert polarisierende Männerbilder: die Guten, die unterstützend, liebevoll und feinfühlig sind, und die Bösen, die sexistisch, übergriffig und depressiv sind. Besonders erschreckend, aber realistisch, fand ich die Darstellung von Sexismus und die damit verbundenen Sicherheitsmaßnahmen, denen junge Mädchen früh ausgesetzt sind:
"Ich hatte gedacht, dass die Zeit, dass Männer einem gefährlich werden können, irgendwann aufhört. Aber in diesem Moment wurde mir klar, dass sie niemals aufhört, dass man immer achtsam bleiben muss, immer und überall..."- Buchzitat (S. 178)
Im Kontrast zu Sunnys großartiger Vater-Beziehung erleben wir auch die Väter ihrer drei Freundinnen Katharina, Alma und Jessy, die aus verschiedenen Gründen ihren Töchtern Leid zufügen und deren Auswirkungen auf die Mädchen und ihre Weltsicht. Obwohl ich selbst keine Kinder habe und nicht sicher bin, ob ich welche haben möchte, hoffe ich, dass ich mir in Sachen Erziehung etwas von Sunnys Vater abschauen kann, der eine sehr ruhige Art hat und Sunny auf Augenhöhe begegnet.
Das Cover des Buches hat mich zugegebenermaßen anfangs irritiert, nach dem Lesen ist mir aber einiges klar geworden. Insgesamt ist "Auf Erden" von Anne Kanis ein beeindruckendes Buch, das durch seine Tiefe, Authentizität und Vielschichtigkeit überzeugt. Mit einer ausgewogenen Mischung aus Emotion, Spannung und Lebendigkeit ist dieses Buch eine klare Empfehlung. Ich vergebe 4 von 5 Sternen.
">Dürfen wir glücklich sein?<; >Natürlich dürfen wir glücklich sein.<; >Obwohl wir trauern?<; >Das muss sich vielleicht nicht ausschließen, oder?<; >Wie Winter und Sonne?<" - Buchzitat (S. 185)
Das Buch wurde mir als Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Dies hat die Meinung jedoch nicht beeinflusst.