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Veröffentlicht am 06.05.2024

Keine leichte Kost

Windstärke 17
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"Windstärke 17" präsentiert eine düstere Fortsetzung zu „22 Bahnen“, die die Leserinnen und Lesern auf eine emotionale Achterbahnfahrt mitnimmt. Im Mittelpunkt des Romans steht dieses Mal Protagonistin ...

"Windstärke 17" präsentiert eine düstere Fortsetzung zu „22 Bahnen“, die die Leserinnen und Lesern auf eine emotionale Achterbahnfahrt mitnimmt. Im Mittelpunkt des Romans steht dieses Mal Protagonistin Ida. Es sind Jahre vergangen, seit Tilda Ida mit der alkoholkranken Mutter allein zu Hause gelassen hat. Ida hat sich durchgeschlagen, aber der Selbstmord der Mutter, als sie nicht zu Hause ist, wirft sie vollkommen aus der Bahn. Spontan flüchtet sie nach Rügen und lernt dort das ältere Ehepaar Marianne und Knut kennen, bei denen sie Stabilität und Wärme findet. Zusätzlich ist da noch Leif, dem sie ebenfalls näher kommt und der seine eigenen Päckchen zu tragen hat. Doch dann erhält Marianne eine Krebsdiagnose und Ida muss sich dem Umgang mit Angst, Nähe und möglichem Verlust stellen.

Die Sprache von Autorin Caroline Wahl hat mir erneut richtig gut gefallen, sie findet poetische und treffende Metaphern für Idas Gefühle und die Geschichte entfaltet schnell einen Sog. Dieses Mal ist nicht das Freibad der Rückzugsort, sondern die mal als ruhig, mal als stürmisch beschriebene Ostsee, was mir ebenfalls gut gefallen hat. Ich bin aber unsicher, ob ich den Roman wirklich hätte lesen wollen, wenn ich gewusst hätte, dass Mariannes Krebserkrankung so eine große Rolle spielen würde. Im Vergleich mit 22 Bahnen hat dieses Buch inhaltlich deutlich weniger Leichtigkeit und Hoffnung zu bieten. Am Ende bleibt Vieles offen und auch das Verhältnis zwischen den beiden Schwestern Ida und Tilda bleibt ungeklärt, da Ida ihre Wut auf Tilda selbst nicht näher bestimmen kann.

Insgesamt bietet "Windstärke 17" eine tiefgründige Reflexion über Verlust, Angst und die Suche nach Stabilität. Wer sich auf eine emotionale Herausforderung einlassen möchte und Caroline Wahls poetische Sprache schätzt, sollte einen Blick riskieren, aber Vorsicht walten lassen, denn dieser Roman ist keine leichte Kost.

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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 05.05.2024

Gedanken zur Empörungsdemokratie

Heult leise, Habibis
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"Heult leise Habibis" ist ein Sachbuch, das sich mit dem potenziellen Gefährdungspotenzial von Dauererregung für die Demokratie auseinandersetzt. Nach dem Lesen des ersten Teils war ich durchaus beeindruckt ...

"Heult leise Habibis" ist ein Sachbuch, das sich mit dem potenziellen Gefährdungspotenzial von Dauererregung für die Demokratie auseinandersetzt. Nach dem Lesen des ersten Teils war ich durchaus beeindruckt von der sachlichen Diskussion, die hier geführt wird, und war gespannt darauf, wie sich das Buch weiterentwickelt. Der zweite Teil blieb dann aber leider deutlich hinter dem ersten Teil zurück.

Die Autorin beschäftigt sich mit den "die vernünftigen Stillen", die in einer Öffentlichkeit der „unvernünftigen Lauten“ nicht zu Wort kommen. Sie geht dabei vor allem sozialpsychologisch und nicht sozialwissenschaftlich vor. Dabei präsentiert sie Beobachtungen und Analysen, die man nicht unbedingt teilen muss, die mich aber vor allem im ersten Teil zum Nachdenken herausgefordert haben, sodass ich eigene Voreinstellungen teilweise hinterfragen oder schärfen konnte.

Im zweiten Teil wurde dann der eher konservative bzw. wirtschaftsliberale Blick der Autorin verstärkt deutlich, wobei die Ausführungen nicht mehr so stark einen differenzierteren Blick ermöglicht haben. Dies führte zu Pauschalisierungen, die aus meiner Sicht unbedingt zu hinterfragen sind. Besonders kritisch sehe ich das Kapitel über den Einfluss von Müttern und Vätern. Es regt zwar zum Nachdenken an, jedoch halte ich einige Beschreibungen wie die von "Müttersöhnchen" für zu vereinfacht. Denn nicht immer lässt sich eine gestörte Beziehung zu den Eltern an den jeweiligen biologischen Geschlechtern festmachen, sondern eher an der sozialen Rolle.

"Heult leise Habibis" bietet insgesamt einige Denkanstöße, jedoch sollte man kritisch hinterfragen, ob alle Argumentationen und Darstellungen in ihrer Vereinfachung und Pauschalität ausreichend differenziert sind. Dennoch kann das Sachbuch ein guter Startpunkt für den Einstieg in die Diskussion sein.

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Veröffentlicht am 04.05.2024

Einblicke in das Schicksal von Amerasiern

Wo die Asche blüht
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"Wo die Asche blüht" ist der langersehnte Nachfolger zu "Der Gesang der Berge", einem Roman, den ich regelrecht verschlungen und unzählige Male weiterempfohlen habe. Die Geschichte spielt erneut in Vietnam, ...

"Wo die Asche blüht" ist der langersehnte Nachfolger zu "Der Gesang der Berge", einem Roman, den ich regelrecht verschlungen und unzählige Male weiterempfohlen habe. Die Geschichte spielt erneut in Vietnam, sowohl während des Vietnamkriegs als auch in der Gegenwart. Sie erzählt von der einfachen Bauerntochter Trang, die sich in Saigon in einen amerikanischen Soldaten verliebt und inmitten des Krieges eine Affäre mit ihm beginnt. Die Folgen dieser Begegnung sind weitreichend und beeinflussen das Leben der Protagonisten bis in die Gegenwart, als der Veteran mit seiner amerikanischen Frau zurückkehrt, um sich seinen damaligen Traumata zu stellen.

Besonders interessant fand ich die Darstellung des oft verschwiegenen Schicksals der Kinder vietnamesischer Frauen mit amerikanischen Soldaten, der sog. Amerasier. Die Autorin rückt diese Thematik in den Fokus und zeigt, wie der Krieg und seine Nachwirkungen bis heute Menschenleben prägen. Trotz des erlittenen Leids stehen in diesem Roman aber die Hoffnung und die Möglichkeit zur Vergebung im Vordergrund. Das hat mir gut gefallen und führt zu berührenden Momenten.

"Wo die Asche blüht" mag zwar nicht die kunstvolle Verknüpfung der Handlungsstränge wie sein Vorgänger aufweisen, aber die Erzählweise der Autorin und die Vielseitigkeit der Geschichte haben mich insgesamt dennoch gerne weiterlesen lassen. Eine klare Empfehlung für Leser:innen, die sich für bewegende Geschichten und einen Einblick in die vietnamesische Geschichte interessieren.

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  • Cover
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  • Handlung
  • Charaktere
Veröffentlicht am 27.04.2024

Sympathische Heldin

The Happiness Blueprint
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In "The Happiness Blueprint" kehrt Klara widerwillig nach Schweden zurück, um ihrem krebskranken Vater und der Familienfirma beizustehen. Klara ist eine sympathische Protagonistin, die sich selbstlos für ...

In "The Happiness Blueprint" kehrt Klara widerwillig nach Schweden zurück, um ihrem krebskranken Vater und der Familienfirma beizustehen. Klara ist eine sympathische Protagonistin, die sich selbstlos für ihre Familie einsetzt, trotz der Herausforderungen, vor denen sie steht. Die Autorin beleuchtet dabei einfühlsam Klaras Herausforderungen, von ihrem mangelnden Organisationstalent bis hin zu ihrer neurodivergenten Identität. Besonders berührend ist die Unterstützung ihres Vaters und die Art und Weise, wie sie sich gegen die negativen Einflüsse in der Firma behauptet. Zu Schwester und Mutter hat sie ein eher schwieriges Verhältnis.

Und dann ist da noch Handwerker Alex, der nach dem Unfalltod seines Bruders in einer Depression versinkt und aus dessen Sicht ein Teil des Romans erzählt wird. Die Darstellung von Alex' Depressionen ist sensibel, obwohl sie manchmal eine melancholische Stimmung erzeugen. Insgesamt sind die ersten Kapitel daher relativ düster. Die Dynamik zwischen Klara und Alex bringt schließlich eine erfrischende Leichtigkeit in die Geschichte, wodurch sich ihre Kapitel aufhellen und fröhlicher werden.

In der vom Cover her unbeschwert anmutenden Romcom steckt also einiges drin: Leben mit Neurodivergenz, Krankheit, Tod, Depression, schwierige Familienbeziehungen, Sexismus, Identität. Das macht die Lektüre nicht zu so leichter Kost, wie man vielleicht erst erwartet hat. Dennoch wird man durch zahlreiche Wendungen und Missverständnisse bis zum Ende gut unterhalten, was nicht zuletzt an der sympathischen Heldin liegt, deren Kapitel glücklicherweise in diesem Roman überwiegen.

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Veröffentlicht am 23.04.2024

Archaische Inselwelt

Die Tage des Wals
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"Die Tage des Wals" ist für mich ein überraschend sprachmächtiges Debüt, das mich von Anfang bis Ende gefesselt hat. Der Schreibstil ist einerseits klar und nüchtern, gleichzeitig aber auch poetisch und ...

"Die Tage des Wals" ist für mich ein überraschend sprachmächtiges Debüt, das mich von Anfang bis Ende gefesselt hat. Der Schreibstil ist einerseits klar und nüchtern, gleichzeitig aber auch poetisch und bildhaft, was insbesondere die Atmosphäre auf der Insel, der Heimat der Protagonistin Manod, genau beschreibt. Besonders gefallen haben mir die Beschreibungen der Landschaft, die sowohl zart und verwunschen als auch kalt und unerbittlich wirkt. Diese Dualität spiegelt sich auch im Leben der Protagonistin Manod wider, die zwischen Alltagsroutine und Melancholie gefangen ist.

Die kurzen Kapitel, die sich zwischen Handlung und Beschreibungen des Insellebens abwechseln, tragen zum Sog der Geschichte bei. Manod sucht nach einer Möglichkeit, als Frau Ende der 1930er Jahre selbstbestimmt zu leben. Ihre Suche nach Freiheit und Identität wird dabei einersei von ihrer Familie beeinflusst, um die sie sich nach dem Tod der Mutter kümmert, andererseits von den mysteriösen Engländern Joan und Edward, die für ethnologische Forschungen auf die Insel kommen und eine komplexe Dynamik schaffen. Und dann ist da noch der Wal, der angespült wird, die Bewohner:innen der Insel aus ihrer Routine reißt und große Veränderungen ankündigt.

Obwohl der Roman viele Leerstellen enthält, fügen sich diese organisch in die rätselhafte Atmosphäre der Geschichte und lassen Raum für Interpretationen. Insgesamt ist "Die Tage des Wals" ein Roman mit einer fesselnden Sprache und rätselhafter Tiefe. Es ist eine Entdeckung, die mich nachdenklich und begeistert zurücklässt, und ich freue mich auf weitere Werke der Autorin.

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