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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 15.12.2024

Unterhaltend, aber nicht tiefgründig

Für immer
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„Wir waren auch einmal Natur, wir Menschen, dachte sie. Jetzt sind wir nicht länger ein Teil dieses Kreislaufs, und ich weiß nicht, was wir sind, wer wir sind. Wenn es uns überhaupt gibt. Denn ein Mensch, ...

„Wir waren auch einmal Natur, wir Menschen, dachte sie. Jetzt sind wir nicht länger ein Teil dieses Kreislaufs, und ich weiß nicht, was wir sind, wer wir sind. Wenn es uns überhaupt gibt. Denn ein Mensch, der so unveränderlich ist wie ein Bild, muss eine Fiktion sein.“

An einem 6. Juni bleibt plötzlich die Zeit stillstehen. Aber nur für den Menschen, nicht für die Tiere und die Natur. Der Mensch entwickelt sich nicht weiter, er hat keinen Hunger mehr, altert nicht mehr, Krankheiten kommen zum Stillstand. Er kann nicht sterben, es werden aber auch keine Kinder mehr geboren.

Was zunächst einmal wie eine Chance für viele Menschen klingt, zeigt nach und nach seine Unnatürlichkeit und seine häßlichen Seiten. So aus dem natürlichen Kreislauf gerissen zu sein, verändert Beziehungen, Lebensentwürfe und Gesellschaften.
Besonders deutlich zeigt sich diese Problematik an denjenigen, die nicht aus dem Leben scheiden können und an den Ungeborenen, die nicht ins Leben starten können.
Doch auch die Menschen, die mitten im Leben stehen und im ersten Moment beschenkt wirken, müssen feststellen, dass sie angesichts der Ewigkeiten verzweifeln.

Maja Lunde hat mit ihrem neuen Buch eine spannende und unterhaltende Utopie geschrieben. Sie dringt zu Teilen in die Psyche der einzelnen Figuren vor und schafft es aufzuzeigen, an welche Grenzen unsere Gesellschaft angesichts einer Unsterblichkeit geraten würde.

Leider reißt sie einige Ideen und Theorien nur an, bleibt immer an der Oberfläche und schreibt somit letzten Endes nur einen guten Unterhaltungsroman mit einem hastigen und unbefriedigenden Ende.

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Veröffentlicht am 18.11.2024

Die Veganerin

Die Vegetarierin
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„Ich weiß nicht, warum diese Frau weint. Auch nicht, warum sie ihren Blick nicht von meinem Gesicht abwendet und mit zitternden Fingern ununterbrochen mein bandagiertes Handgelenk streichelt. Mein Handgelenk ...


„Ich weiß nicht, warum diese Frau weint. Auch nicht, warum sie ihren Blick nicht von meinem Gesicht abwendet und mit zitternden Fingern ununterbrochen mein bandagiertes Handgelenk streichelt. Mein Handgelenk tut mir nicht mehr weh. Es ist mein Herz, das schmerzt, und in meiner Magengrube spüre ich einen undefinierbaren Druck. Er ist immer da.“

Eine scheinbar sehr durchschnittliche und angepasste Frau trifft eines Tages die Entscheidung, dass sie keine tierischen Produkte mehr essen möchte. Ihr mindestens ebenso durchschnittlicher, aber hochgradig egoistischer und unsympathischer Ehemann, der sie nur geheiratet hat, weil sie ihm ruhig und angepasst erschien, wird davon völlig aus der Bahn geworfen.

Nach und nach erfahren wir allerdings, dass die Frau nie einfach nur angepasst war. Dass sie ein schon ihrer Kindheit unterdrückter und traumatisierter Mensch ist. Ihre Träume und ihre so rigoros durchgesetzte Lebensweise scheinen Ausdruck einer Psychose, die auf ein Umfeld trifft, in dem die kleinste Unangepasstheit nicht geduldet wird.

Vom Klappentext ausgehend hätte ich etwas anderes erwartet: Eine Auseinandersetzung mit Vegetarismus (/Veganismus) in einer Welt, die das vielleicht als neu und seltsam erlebt. Ich dachte an eine Geschichte, in der eine Beziehung aufgrund gesellschaftlicher Normen und Erwartungen an ihre Grenzen stößt.

Aber dieses Buch geht weiter. Die Gesellschaft, in der die Geschichte spielt, ist sehr viel rigoroser und unbeugsamer, als ich es mir vorstellen konnte. Emanzipation und Ehe spielen sich auf ganz anderen Ebenen ab.

Dass dieses Buch so viel mehr in die Tiefe geht und eine mir fremde Welt aufzeigt (in der Menschen aber dieselben Bedürfnisse nach Freiheit und Individualismus haben), hat mich zunächst positiv überrascht. Etwas ähnliches hatte ich bisher noch nicht gelesen. Die Autorin ist in der Lage, ganz tief in die Psychologie des Menschen vorzudringen und eine bildgewaltige Geschichte zu erzählen.
Dennoch musste ich die Lektüre abbrechen, denn die schrecklichen Tierquälereien, Vergewaltigungen und Demütigungen waren für mich nicht aushaltbar.

Ich bin also zwiegespalten: Ein Buch, das ich nicht zu Ende lesen konnte und das ich einfach viel, viel, viel zu grausam finde; bei dem ich aber gleichzeitig denke, dass es ein großartiges Werk sein muss… wie soll ich es bewerten?

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Veröffentlicht am 13.08.2024

Toxisches Patriarchat

Toxische Weiblichkeit
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„Emanzipation ist nicht nur die Befreiung von der institutionellen Dominanz der Männer, sondern auch die Befreiung von Weiblichkeit als patriarchaler Wunschvorstellung.“

Von toxischer Männlichkeit hört ...

„Emanzipation ist nicht nur die Befreiung von der institutionellen Dominanz der Männer, sondern auch die Befreiung von Weiblichkeit als patriarchaler Wunschvorstellung.“

Von toxischer Männlichkeit hört man immer wieder: Die Rollenerwartungen an Männer im Patriarchat fordern Aggressivität, vermeintliche Stärke und das Demonstrieren der eigenen Überlegenheit. Doch es gibt auch (mehr oder weniger konträre) Rollenerwartungen an Frauen: Zurückhaltung, Fürsorglichkeit und ein anbiederndes Äußeres.

Sophia Fitz fasst diese und viele weiteren Verhaltensweisen von Frauen unter dem Begriff der Toxischen Weiblichkeit zusammen. Sie analysiert, wie sich Weiblichkeit oftmals darstellt und welche der für Frauen scheinbar typischen Eigenschaften eigentlich erlernte Anpassungen an ein männergemachtes System sind. Sie zeigt auch auf, wie diese Anpassungen den Frauen selbst zum Nachteil werden.

Fitz’ Buch ist eine anregende Lektüre, die viele kleine Alltäglichkeiten als Patriarchatssymptome enttarnt. Lieber habe ich allerdings das Buch „Süß“ von Ann-Kristin Tlusty gelesen, an das ich mich bei dieser Lektüre oft erinnert fühlte. Den Begriff der Toxischen Weiblichkeit finde ich eigentlich schlecht gewählt. Er ist erklärungsbedüftig und hört sich ohne weitere Erklärung erst einmal an, als könne man nun also mit dem Finger doch auch auf die Frauen und Feminist*innen zeigen.

Des Weiteren kann ich mich in vielen der geschilderten persönlichen Situationen der Autorin nicht wiederfinden. So agiere ich nicht. Und so erlebe ich es auch nicht in meinem Umfeld. Vielleicht bin ich weniger toxisch weiblich. Oder zu alt.

Ein gutes Buch, aber vielleicht eher für jüngere Frauen.

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Veröffentlicht am 28.08.2023

Von der Unabhängigkeit einer Frau

Die Fessel
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„Gewohnheitsmäßige Grübelei hat stets etwas von Wahnsinn an sich und mündet oft in eine beabsichtigte Ekstase, die manchmal schmerzlich ist und manchmal nicht … Und nun fange ich auch noch an zu verallgemeinern.“

Nizza, ...

„Gewohnheitsmäßige Grübelei hat stets etwas von Wahnsinn an sich und mündet oft in eine beabsichtigte Ekstase, die manchmal schmerzlich ist und manchmal nicht … Und nun fange ich auch noch an zu verallgemeinern.“

Nizza, in den Zwanziger Jahren. Renee, eine geschiedene (sic!) Frau und Schauspielerin, genießt hier ihre Ruhe. Das Erbe ihrer verstorbenen Schwägerin ermöglicht ihr diese Freiheit. Sie lernt im Hotel ein hitziges junges Paar kennen und lässt sich bald schon auf eine Affäre mit Jean ein.
Diese Beziehung steht nicht nur aufgrund der äußeren Umstände unter einem schlechten Stern. Jean ist aufbrausend, wird schon seiner Partnerin gegenüber handgreiflich, und auch in der Beziehung mit Renee nimmt er den dominanten und fast desinteressierten Part ein. Während Renee sich ihm - trotz ihrer sonstigen Skepsis und Vorsicht - anbietet und emotional abhängig macht.

„Die Fessel“ ist der Nachfolger zum Roman „La Vagabonde“. Man kann die Bücher unabhängig voneinander lesen, allerdings finde ich, dass die Geschichte in der Luft zu hängen scheint, wenn man dieses Buch liest ohne vom Vorgänger zu wissen. Die Sprache Colettes ist sehr pompös und gleichzeitig verdichtet. Das Erzähltempo in beiden Büchern ist ein unheimlich langsames und anstrengendes. „Die Fessel“ ist allerdings etwas aufregender und gleichzeitig entspannter zu lesen. Renee ist nicht mehr ganz so zurückhaltend und langweilig.

Man muss in der Stimmung sein, um dieses Buch genießen zu können. Es kann die perfekte Sommerlektüre sein, aber die Geschichte trägt die Leser*in nicht leichtfertig, sondern verlangt viel Konzentration und Geduld. Außerdem sollte man sich vor Augen halten, in welcher Zeit hier ganz selbstverständlich von der geschiedenen, freien und unabhängigen Frau erzählt wurde und wird.

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Veröffentlicht am 23.07.2023

Nicht die beste Lindgren-Biografie

Astrid Lindgren. Helle Nächte, dunkler Wald
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„Fürs Erste und Zweite, fand sie, sollte die Öffentlichkeit sich aus ihrem Privatleben heraushalten. Große Teile ihres Lebens behielt Astrid Lindgren für sich und gab sie, wenn überhaupt, nur ihrem allerengsten ...

„Fürs Erste und Zweite, fand sie, sollte die Öffentlichkeit sich aus ihrem Privatleben heraushalten. Große Teile ihres Lebens behielt Astrid Lindgren für sich und gab sie, wenn überhaupt, nur ihrem allerengsten Kreis preis.“

Vieles über Astrid Lindgrens Leben und Wirken ist bekannt. Zumindest die Teile, die sie selbst bekannt geben wollte. Eine engagierte Frau, die sich für Kinderrechte und insgesamt ein soziales, freies Miteinander stark gemacht hat. Und eine Autorin, die fantastische Kinderbücher geschrieben hat, die bis heute große internationale Erfolge feiern.

Ich bewundere Astrid Lindgren und habe deshalb schon sehr viel von ihr und über sie gelesen. Unter anderem die Biografie der Journalistin und Freundin Margareta Strömstedt. Auch habe ich mir vor wenigen Tagen ihr Geburtshaus in Vimmerby angeschaut und dort das Astrid Lindgren Museum besucht.

Nebenbei las ich dieses Buch; die Romanbiografie Maria Regina Kaisers. Und ich muss leider sagen, dass dieses Buch ein wenig im Kotrast zu den freundlich gezeichneten Darstellungen Astrid Lindgrens stand. Der Romanteil liest sich eher schleppend und ist eigentlich auch nicht viel tiefergehend als eine nicht literarisierte Biografie. Dem anschließenden ausführlichen Sachteil konnte ich noch ein paar interessante Gedanken entnehmen. Beide Teile klingen aber etwas unfreundlich und nicht unbedingt wohlgesonnen. Ich denke, es sollte Astrid Lindgren zugestanden werden, dass sie ein Bild von sich in der Öffentlichkeit präsentieren wollte, das vielleicht nicht alles offenlegt, was sie ausmachte.

Es hätte etwas feinfühliger vorgegangen werden können bei einer Biografie.

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