Subtile Rollenkritik
Leichter SchwindelEndlos lange Seiten voller Aufzählungen der Erledigungen, die elendig langen Gänge des Supermarktes mit seinen dutzenden hunderten Artikeln. Unwichtige Dinge. Aber sind sie wirklich so unwichtig? Schließlich ...
Endlos lange Seiten voller Aufzählungen der Erledigungen, die elendig langen Gänge des Supermarktes mit seinen dutzenden hunderten Artikeln. Unwichtige Dinge. Aber sind sie wirklich so unwichtig? Schließlich sind sie Natsumis Welt, ihr ganzes Leben. Ein Hausfrauenleben.
Natsumi ist nicht unzufrieden mit diesem Leben. Ihre Ehe nimmt sie als gegeben hin und erledigt, was anfällt, zuverlässig. Hin und wieder jedoch reißt sie etwas aus der ewigen Aneinanderreihung von Pflichten und Routinen, trifft sie unvorbereitet wie ein reflektierter Sonnenstrahl, der das Auge blendet und verursacht ihr einen leichten Schwindel. Dieser Schwindel ist wie ein Blinzeln aus ihrem Alltag und lässt sie kurz innehalten. Innehalten worüber? Natsumi kann es nicht ganz erfassen. Das Unwohlsein des Schwindels manifestiert sich nie in Gedanken oder gar Worten, bleibt immer vage.
Der leichte Schwindel Natsumis darüber, wohin ihr Leben eigentlich führt, spiegelt sich in verschachtelten Sätzen wieder, die sich über eine ganze Seite oder länger erstrecken können. Die Gleichförmigkeit sich wiederholender Tage ist in eine ideale sprachliche Form übersetzt.
Unter dem Titel „Karui Memai“ erschien Mieko Kanais Werk zunächst als Fortsetzungsgeschichte in der Zeitung und 1997 als Buch bei Kodansha. Die Handlung spielt in Tokyo, könnte zur selben Zeit aber auch in Düsseldorf, Göttingen oder München stattfinden, die öde Begrenzung des Hausfrauenalltags war schließlich überall dieselbe. Wer jetzt aber denkt, „Leichter Schwindel“ ist ein Aufschrei gegen das Patriarchat und eine himmelwärts gereckte Faust, liegt weit entfernt. Mieko Kanais Geschichte ist subtil wie fein gemahlener Pfeffer, eher ein Kitzeln in der Nase denn ein lautstarkes Niesen.