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Veröffentlicht am 20.12.2017

Die heile Welt, die keine ist

Toni und Moni oder: Anleitung zum Heimatroman
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zeigt uns Petra Piuk in ihrem Abriss über die heile dörfliche Welt in Österreich. Denn ein Roman, wie man sich diesen vorstellt, mit mehr oder weniger übersichtlicher Handlung, ohne störendes Chi-chi, ...

zeigt uns Petra Piuk in ihrem Abriss über die heile dörfliche Welt in Österreich. Denn ein Roman, wie man sich diesen vorstellt, mit mehr oder weniger übersichtlicher Handlung, ohne störendes Chi-chi, statt dessen mit einem oder mehreren überschaubaren Erzählsträngen und jeder Menge Empathie seitens der Autorin für ihre Protagonisten - das ist dies sicher nicht.

Vielmehr eine Entblößung, eine Zurschaustellung, eine Demaskierung. Wobei das Thema ein Klares ist: Toni und Moni wachsen gemeinsam in einem kleinen österreichischen Dorf auf und am Ende kriegen sie sich. Um sie herum ihre Familien, die sie unterstützen. Unterstützen? Hier ploppen schon die ersten Fragezeichen auf, denn vor allem die Väter sind richtige Hassfressen, hat sich die Autorin Petra Piuk da nicht vertan?

Nein, das muss wohl so sein aus ihrer Sicht! Denn dass sie es auf sich genommen hat, dieses mit Sicherheit auch für sie nicht schmerzfreie Buch zu schreiben, das zeigt, das sie wirklich etwas zu sagen, eine wichtige Botschaft zu übermitteln hat.

Und sie verfügt definitiv über das richtige Handwerkszeug: ausgefeilt die Technik, spitz und sarkastisch der Stil. Gerade auch dort, wo es nichts, aber auch wirklich nichts zu lachen gibt, drückt sie nicht etwa auf die Spaßbremse: nein, ganz im Gegenteil.

Die ganze bigotte ländliche österreichische Gesellschaft in ihrer Bandbreite wird dem Leser vorgeführt, ihr Handeln und Tun, vor allem aber auch das, was unterlassen wird. Die Autorin versäumt es nicht, fleißig den Finger auf jede, aber auch wirklich jede Wunde zu legen, auch auf die allereitrigste!

Und gerade das ist es, was manchmal zu viel wird: das Ganze wirkt teilweise wie eine überladene dadistische, expressionistische oder symbolistische Ausstellung, in der sowohl Maler wie Aussteller einfach kein Ende fanden. Scharf ist die Feder, mit der Petra Piuk ihren Roman verfaßt hat und so voller Schmerz, voller Haßliebe, dass sie mich immer wieder an ihren großen Landsmann Thomas Bernhard denken ließ, aber dennoch: hier wäre weniger manchmal mehr gewesen.

Definitiv etwas für Österreicher, die mit ihrem Land abrechnen wollen, denen es reicht, aber auch für alle anderen Leser, die es mögen, wenn Masken heruntergerissen werden - und die hart im Nehmen sind!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Das alles und noch viel mehr

Halt dich an deiner Liebe fest. Rio Reiser
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hätte R.R. gemacht, wenn er König von Deutschland wär...

Nicht nötig, denn auch so war Rio Reiser einer der ganz Großen in Deutschland, auch wenn er trotz Ton-Steine-Scherben, trotz des Agit-Pop der 1970er ...

hätte R.R. gemacht, wenn er König von Deutschland wär...

Nicht nötig, denn auch so war Rio Reiser einer der ganz Großen in Deutschland, auch wenn er trotz Ton-Steine-Scherben, trotz des Agit-Pop der 1970er und 1980er ein eher leiser Poet war, einer dessen wahre Größe man erst erkennt (manchmal zumindest), wenn man seine wunderbaren Texte in eher leise Töne kleidet.

Ja, hier erzählt Gert Möbius von Rio Reiser, Rios großer Bruder. Aber er erzählt auch viel von sich, finde ich. Ein bisschen zu viel. Denn ehrlich gesagt, auch wenn das jetzt ein bisschen fies klingt: ich bin hier wegen Rio, ich möchte ihn im Mittelpunkt des Buches haben und zwar durchgehend. Auch wenn die Kindheits- und Jugendschilderungen aus der Berliner Familie interessant sind, danach interessiert mich wirklich Rio, sein Werdegang, sein Denken und tun. Und da hatte ich ein bisschen mehr auf seinen Bruder gebaut, wobei ich natürlich nicht richtig enttäuscht bin, denn interessant ist es auf jeden Fall, Rio (also Ralf, wie er wirklich hieß) aus der Perspektive von jemandem zu sehen, der immer in seinem Leben zugegen war. Toll sind natürlich die Fotos, die nicht in jeder Zeitung waren, ich hätte mir aber ein Glossar und auch eine Zeittafel gewünscht. Irgendwie hilft mir das bei Sachbüchern immer, wenn ich mal nachschlagen kann und nicht gleich googeln muss.

Etwas für wahre Rio-Verehrer, für Fans von Ton-Steine-Scherben und für die, die immer noch überlegen, was sie machen würden, wenn sie König(in) von Deutschland wären!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Nur das Überleben zählt

Die Verschwörung von Shanghai
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und manchmal nicht einmal das im Shanghai der 1930er Jahre.

Zunächst treffen wir auf den Fotografen Hsueh, die quasi Hauptperson des Romans. Er hat nicht nur diesen einen Beruf, sondern verdient sein ...

und manchmal nicht einmal das im Shanghai der 1930er Jahre.

Zunächst treffen wir auf den Fotografen Hsueh, die quasi Hauptperson des Romans. Er hat nicht nur diesen einen Beruf, sondern verdient sein hauptsächliches Auskommen als Begleiter der Österreicherin Therese, die inzwischen verwitwet, in Shanghai gestrandet ist und die Geschäfte ihres Mannes übernimmt.

Dass dies ein Hauen und Stechen sondergleichen wird, schreckt die Geschäftsfrau, die sich schon bald als eiskalte Verhandlungspartnerin herausstellt, nicht. Nahtlos fügt sie sich in das in Shanghai vorherrschende "jeder gegen jeden und jeder für sich selbst" ein, das umso erschreckender erscheint, als dass der Autor Xiao Bai hier hauptsächlich wahre Ereignisse "verbraten" hat.

Spannend ist der Roman durch den unterkühlten Stil nur am Rande, doch gibt er einen treffenden Einblick in die Atmosphäre des Shanghai der frühen 1930er Jahre, man hat es bildlich vor sich und kann sich das Geschilderte auch gut als Film vorstellen.

Hsueh gerät ein bisschen aus dem Gleichgewicht, da er eine Frau auf einem Schiff entdeckt hat, die ihn verzaubert. Sie spielt in einer anderen Liga, nämlich der der Politik und ihr bedeuten Emotionen durchaus etwas. Werden sie ihr bzw. beiden möglicherweise zum Verhängnis?

Wer gerne in fremde Welten und Zeiten eintaucht sowie einen extrovertierten, dabei eloquenten Schreibstil zu schätzen weiß, wird sich möglicherweise von dem Buch einfangen lassen. Ein wenig Exotik im Alltag und eine fremde, ein wenig unheimliche Welt! Etwas für Liebhaber ungewöhnlicher Literatur und historischer Themen!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Nach über 2000 Jahren mal wieder nach dem Rechten schauen auf Erden

Chefvisite
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auf Erden - das tut Jeschua, der sich Oliver und dessen Frau Charlotte während ihres Israel-Urlaubs als Gottes Sohn outet und sich kurz darauf als Gast im heimischen Hannover einstellt. Nachdem er ein ...


auf Erden - das tut Jeschua, der sich Oliver und dessen Frau Charlotte während ihres Israel-Urlaubs als Gottes Sohn outet und sich kurz darauf als Gast im heimischen Hannover einstellt. Nachdem er ein paar grundsätzliche Details geklärt hat, glauben ihm Oliver und Charlotte, um alsbald in diverse Aktivitäten einbezogen zu werden. Mal kurz nach New York, um einen radikalen Taxifahrer zu bekehren, dann nach Rom, um den Papst auf einen guten Weg zu bringen (seien sie mal gespannt, ob das klappt) - Jeschua hat so einiges vor.

Aber auch für die Nöte seiner neuen Freunde hat Jeschua ein Ohr. Als nämlich die Tochter einer ehemaligen Schulkameradin von Charlotte verschwindet, ist er gleich dabei, um die Suche und vor allem die Rückkehr des Kindes zu unterstützen. Unterstützen - das heißt bei Jeschua, die Dinge zu regeln und so wundern sich Oliver und Charlotte nur (noch) wenig, als sie aufgefordert werden, Weihnachten nach Kanada zu reisen, wo sie neben Jeschua auf weitere himmlische Wesen treffen.

Albrecht Gralle kennt als Pfarrer sein Metier und bezieht locker-flockig Unübliches, ja Unkonventionelles mit ein und so bekommen wir es gar mit Außerirdischen zu tun.

Am Ende war es mir trotz des angenehmen Schreibstils und der orignellen Einfälle etwas zu viel des Guten!

Jesus came down from heaven to earth - um ein paar Dinge zu klären. Im Endeffekt hat es für mich mehr Fragen aufgeworfen als Klarheit gebracht! Aber ich kann gut verstehen, dass jemand, der den ganzen Tag an nichts anderes denkt - um es mal überspitzt auszudrücken - ein Pfarrer in seinem Job also - Lust bekommt, mal mit dem Thema zu spielen. Ein wagemutiger Versuch, der mit Sicherheit polarisieren wird! Für Leser, die den Glauben mal aus einer völlig anderen, sehr lässigen Perspektive erleben wollen, zumindest eine neue und originelle Perspektive!

Veröffentlicht am 20.12.2017

Auf der Suche nach der verlorenen Frau

Wer hier schlief
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ist Philipp, nachdem er für besagte Schönheit namens Myriam alles aufgegeben hat. Alles - das ist ein komfortables Leben inklusive gut situierter Partnerin, in deren Unternehmen für Sicherheitstüren er ...

ist Philipp, nachdem er für besagte Schönheit namens Myriam alles aufgegeben hat. Alles - das ist ein komfortables Leben inklusive gut situierter Partnerin, in deren Unternehmen für Sicherheitstüren er einen sicheren und guten Job hat. Aber nur, bis er sie verlässt, dann bricht alles zusammen, denn auch Myriam ist auf einmal unauffindbar. Und bevor sie das wurde, hat sie sich ganz schön geleistet.

Wobei sich Philipp - wie im Laufe der Lektüre mehr und mehr deutlich wird - schon immer so durchs Leben gestromert hat. Auch in den Zeiten vor Myriam. Doch jetzt wird es ernst. Allmählich - und das geht schnell - verliert er sich selbst, zunächst ohne es zu merken. Er hat auf Risiko gesetzt, ohne sich dessen bewusst zu sein. Und irendwie klappt nichts, denn "möglicherweise hatte er nicht das Geringste von dem, was irgendwer brauchte". (S.124)

Das Buch lebt durch ungewöhnliche Settings und interessante Nebenfiguren wie einen plötzlich auftauchenden alten Herrn oder auch Philipps Schwester Andrea oder auch die SUHOs (Abkürzung für Suddenly Homeless, eine ebenso realistische wie intensive Bewegung, die es wirklich geben könnte). Eine Art Roadtrip könnte man Philipps Odysee, zu der der beabsichtigte Start in ein neues Leben quasi wird, auch nennen.

Gelegentliche Abstecher ins Tragikomische offenbaren die wunden Stellen des Protagonisten Philipp, der "nie gelernt hat, sich vor Verletzungen zu schützen" (S. 118). Er und auch die meisten der anderen Akteure sind wahrlich keine Menschen, die auf der Sonnenseite des Lebens weilen. Aber wenn man es an sich heranlässt, ist es trotzdem ein positives Buch, weit davon entfernt, für Frustration zu sorgen.

Die Ursache dafür ist nur durch die Lektüre desselben herauszufinden, aber glauben Sie mir - es lohnt sich, in diese von Isabella Straub geschaffene Welt einzutauchen. Ihre Sätze sind treffend - auf wenigen Seiten skizziert sie eine Fülle von Charakteren, auf die man erstmal kommen muss - und die man so schnell nicht vergisst - und auch die Handlung ist nicht ohne. Hier zeigt sich, dass das Alltägliche oft die besten Geschichten birgt - wobei es diesmal durchaus noch Luft nach oben gibt, wenn auch nur ein kleines bisschen!