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Veröffentlicht am 05.05.2025

Freundinnen mit Geheimnissen

Bad Tourists
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Kate, Camilla und Darcy sind Freundinnen - doch eigentlich wissen die drei Frauen nicht viel übereinander. Eine mehr als 20 Jahre zurückliegende Tragödie verbindet die drei Frauen, nun feiern sie mit einem ...

Kate, Camilla und Darcy sind Freundinnen - doch eigentlich wissen die drei Frauen nicht viel übereinander. Eine mehr als 20 Jahre zurückliegende Tragödie verbindet die drei Frauen, nun feiern sie mit einem gemeinsamen Urlaub in einem Luxusresort auf den Malediven Darcys Scheidung. Doch dann zeigt sich in Caro Carvers Urlaubsthriller "Bad Tourists", dass die Freundschaft des Trios nicht unbedingt auf Ehrlichkeit beruht und es Geheimnisse gibt, die bei Aufdeckung einen Abgrund verraten.

Die traumhafte Szenerie verbreitet Urlaubsstimmung, doch das Inselparadies hat seine dunklen Seiten. Das gilt auch für die Flitterwöchner Rob und Jade. Sehr schnell wird den drei Freundinnen klar, dass Rob seine deutlich jüngere Frau misshandelt. Doch hat er auch mit dem traumatischen Erlebnis in ihrer Vergangenheit zu tun?

Kate war als Studentin die einzige Überlebende eines Massakers an sechs Menschen in einem Guesthouse. Zu den Toten gehörten Camillas Zwillingsbruder und Darcys Freund. Die drei sehr unterschiedlichen Frauen lernten sich über eine Facebook-Gruppe für Angehörige kennen und freundeten sich an. Sie sind überzeugt: Der geständige Täter, der nur einen Monat nach seiner Verurteilung im Gefängnis starb, handelte nicht allein...

Aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt, schürt "Bad Tourists" mit Andeutungen so manchen Verdacht und legt falsche Spuren. Dramatische Wendungen, große Emotionen und ein brachialer Showdown sorgen für reichlich Spannung. Flüssig und fesselnd geschrieben, läuft der Thriller auf eine große Überraschung zu, die ich nicht erwartet hätte. Das ist Strandlektüre mit Gänsehautfaktor.

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Veröffentlicht am 30.04.2025

Vermisstenfall in Norfolk

Ein Schrei, den niemand hört
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Die Buchbeschreibung von "Ein Schrei, den niemand hört" von Alex Smith machte schon einmal neugierig: Ausgerechnet ein auf Vermisstenfälle spezialisierter Ermittler ist nun selbst betroffen: Robert Kletts ...

Die Buchbeschreibung von "Ein Schrei, den niemand hört" von Alex Smith machte schon einmal neugierig: Ausgerechnet ein auf Vermisstenfälle spezialisierter Ermittler ist nun selbst betroffen: Robert Kletts Frau ist entführt worden, er weiß nicht, ob sie überhaupt noch lebt. Trotz all seines Spezialwissens kann er seinen liebsten Menschen nicht finden. Als ob das allein nicht schon belastend genug wäre, ist er unversehens alleinerziehender Vater, der für seine drei kleinen Töchter im Alter von 18 Monaten, drei und sieben Jahren, alle mit höchst unterschiedlichem Temperament Normalität wahren muss.

In Norfolk, einer neuen Umgebung, soll Klett eigentlich auf andere Gedanken kommen und sich auf seine Kinder konzentrieren. Doch das spurlose Verschwinden zweier Mädchen lässt die angedachte Auszeit scheitern. Klett bietet der örtlichen Polizei seine Zusammenarbeit und Expertise an. Der örtliche Kripochef, Typ Grantler, ist davon zunächst einmal gar nicht angetan. Zum einen, weil er Londoner Polizisten generell Besserwissertum unterstellt, zum anderen, weil Klett immer mindestens ein Kleinkind im Schlepptau hat und die Kinderbetreuung sicherstellen muss. Das ist mit hochtourigen Polizeiermittlungen nur begrenzt kompatibel.

Zum besonderen Reiz dieses Spannungsroman gehört, dass er nicht nur fesselt, sondern trotz aller Dramatik Humor hat. Dafür sorgen schon Kletts Probleme mit dem lieben Kleinen. Die können nämlich ganz schön nervig werden und zeigen: Elternsein ist nichts für Weicheier. Auch Kletts Kollegen haben alle so ihre besonderen Eigenheiten, an die er sich erst mal gewöhnen muss. Mit dieser Mischung hat mich Smith eingefangen - so sehr, dass ich nicht nur "Ein Schrei, den niemand hört" in einer Nacht durchlas, weil ich einfach nicht aufhören konnte, ich musste auch sofort den Folgeband "Die Schatten, die dich jagen" lesen, der zeitlich wenige Wochen nach Kletts erstem Fall spielt.

Klett ist mittlerweile Teil des Ermittlerteams in Norfolk, von seinem letzten Fall aber noch angeschlagen, nicht nur physisch, sondern auch wegen eines kryptischen Hinweises auf die Entführung seiner Frau. Ein Leichenfund im Wald erinnert an eine alte Volkssage, den dämonischen "Black Shuck", der in den Wäldern mordet. Großstadtmensch Klett findet die dichten Wälder zwar eher unheimlich, glaubt aber nicht an Gespenster. Doch das Böse, er ahnt es, ist hier am Werk.

Auch der zweite Band ist unglaublich spannend, denn Klett ist engagiert bis zur Schmerzgrenze und wenn er sich in einen Fall verbissen hat, pfeift er sowohl auf Dienstvorschriften wie auf Risiko. An diesem Punkt habe ich mitunter meine Probleme mit der Impulsivität Kletts, der keineswegs unfähige Kolleginnen und Kollegen hat. Dennoch ignoriert er wiederholt die Tatsache, dass er für drei kleine Mädchen der einzig verbliebene Elternteil ist. Zwar macht er sich wiederholt klar, wie traumatisch es für seine Töchter wäre, würden sie auch ihn verlieren - doch dann prescht er doch wieder im Alleingang vor. Spannung und Dramatik sind auch hier garantiert - da lässt sich ahnen, dass der Abschlussband der Triologie noch einmal sämtliche Register zieht.

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Veröffentlicht am 28.04.2025

Spionin in der Landkommune

See der Schöpfung
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Sadie Smith, die Protagonistin in Rachel Kushners ungewöhnlichem Spionageroman "See der Schöpfung", heißt eigentlich ganz anders - aber Namen sind für die Ich-Erzählerin so eine Sache. Sie schlüpft scheinbar ...

Sadie Smith, die Protagonistin in Rachel Kushners ungewöhnlichem Spionageroman "See der Schöpfung", heißt eigentlich ganz anders - aber Namen sind für die Ich-Erzählerin so eine Sache. Sie schlüpft scheinbar mühelos in neue Identitäten, die sie über Monate aufrechterhält, in ein erfundenes Leben eintaucht. Früher für die CIA, mittlerweile für private Auftraggeber. Anders als James Bond hat sie keine Lizenz zum Töten, sondern verlässt sich eher auf die Waffen einer Frau, insbesondere ihre beachtlichen, wenn auch nicht ganz echten Brüste. Und statt Martini bevorzugt sie französische Weine.

Ihr neuer Auftrag führt Sadie auch nicht in den internationalen Jet-Set, in dem sich 007 bewegt, sondern in eine französische Landkommune. Die Annäherung war lang und konspirativ, auch etwas, was in einem James Bond-Film nie vorkommt: Die angebliche Langzeit-Literaturstudentin hat ein Verhältnis mit Lucien begonnen, einem Regisseur aus großbürgerlicher Pariser Familie. Lucien glaubt selbstverständlich, dass die Initiative von ihm ausging und er eine schüchterne US-Studentin erfolgreich verführt hat. Dabei ist er nur Mittel zum Zweck, denn sein Kindheitsfreund Pascal in der Anführer einer Aussteigerkommune auf dem Land. Sadies Auftraggeber glauben. die Mitglieder radikalisierten sich zunehmends, unter Einfluss des Ex-Revolutionärs Bruno, der mit den Kommunarden per Email kommuniziert, ansonsten aber eine buchstäblich verborgene Gestalt ist.

Klar, dass Sadie bei dem Austausch schon lange mitliest. Sie weiß, Bruno lebt in einer Höhle. Er verwundert und fasziniert sie mit seinen langen Erörterungen über die Neanderthaler, in denen er die besseren Menschen sieht. Zurück in die Höhle als Lebensmotto? Und was hat das alles mit dem - möglicherweise gewalttätigen - Widerstand gegen die Agrarindustrie zu tun, die die herkömmliche Lebensweise der Kleinbauern mit Monokultur und dem Bau von Megawasserbecken zu zerstören droht?

Es sind vor allem Sadies Beobachtungen und geistige Monologe - scharfsinnig, zynisch und nicht ohne Humor, die Kushners Roman so lesenswert machen. Sadie mag zwar keine ausgewiesene Feministin sein, seziert aber gnadenlos Geschlechterrollen und Dynamiken toxischer Männlichkeit, die in Aussteigerkreisen ebenso funktionieren wie bei großbürgerlichen Alphamännchen.

Als Agentin Provokateur soll Sadie für Eskalation sorgen und zugleich eine Enttarnung als Spitzel vermeiden - eine durchaus herausfordernde Aufgabe. Vor allem, da Brunos Zivilisationskritik auch sie zum Nachdenken anregt. Der Spagat zwischen skrupelloser Spionin und reflektierter Beobachterin sind gepaart mit einer oft ziselierten Sprache. Dabei kommt auch die Spannung nicht zu kurz. Kein klassischer Spionageroman, sondern deutlich faszinierender. "See der Schöpfung" wurde verdient für den Booker-Preis nominiert.

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Veröffentlicht am 14.04.2025

Detaillierte Geschichte der Hisbollah

Die Hisbollah
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Wer auf der Suche nach Hintergründen und Vernetzungen der bewaffneten Gruppen im Nahen Osten ist, scheint an Joseph Croitoru nicht vorbei zu kommen. Im vergangenen Jahr las ich mit großem Interesse sein ...

Wer auf der Suche nach Hintergründen und Vernetzungen der bewaffneten Gruppen im Nahen Osten ist, scheint an Joseph Croitoru nicht vorbei zu kommen. Im vergangenen Jahr las ich mit großem Interesse sein Buch über die Hamas, nun sein neues Sachbuch über die Hisbollah.

Einmal mehr zeigt sich Croitoru als gründlicher und faktenreicher Rechercheur, der nicht nur auf die jüngsten Entwicklungen eingeht, sondern Zusammenhänge erklärt und einordnet. Sein Buch beschreibt nicht nur den Werdegang und Aufstieg führender Persönlichkeiten wie des im vergangenen Jahr bei einem israelischen Angriff getöteten Hisbollah-Führers Hassan Nasrallah. Es ist auch ein Abriss der Geschichte des Libanon in den vergangenen Jahrzehnten und der Rivalitäten der verschiedenen religiösen und politischen Gruppen.

Wer kein Religions- oder Islamwissenschaftler ist, bekommt einen Einblick in die historische Spaltung in Schiiten und Sunniten. Natürlich geht es auch um die Rolle des Iran und der islamischen Revolution dort, aber auch das Engagement Syriens in der Region, sowie selbstverständlich um die Politik Israels im Umgang mit dem Libanon und anderen Staaten der Region. Rivalitäten sowohl mit der PLO im Libanon wie auch mit anderen schiitischen Gruppen wie der Amal werden in ihrer Entwicklung und ihren wichtigsten Vertretern aufgezeichnet.

Croitoru schildert Geschichte und Ideologie, Taktiken und Bündnisse, Rivalitäten und Grabenkämpfe in der schiitischen Minderheit im Libanon und zeigt, wie die "Partei Gottes" von einer kleinen Gruppe zur wichtigsten proiranischen Miliz in der Region aufstieg.

Sowohl als Nachschlage- wie auch als Erklärwerk über die Hisbollah und ihre Rolle im Nahostkonflikt ist sein Buch unverzichtbar für alle, die sich mit der aktuellen Lage zwischen Israel und Libanon, der andauernden Gewalt und den Konflikten in der Region sowie den Positionen der verschiedenen Gruppen befassen wollen.

Veröffentlicht am 14.04.2025

Ein Jungfunktionär mit berauschender Idee

Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste
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Vielleicht sollte man in der Zeit des Kalten Krieges aufgewachsen sein oder den real existierenden Sozialismus a la DDR selbst erlebt haben, um Jakob Heins Roman "Wie Grischa mit einer verwegenen Idee ...

Vielleicht sollte man in der Zeit des Kalten Krieges aufgewachsen sein oder den real existierenden Sozialismus a la DDR selbst erlebt haben, um Jakob Heins Roman "Wie Grischa mit einer verwegenen Idee beinahe den Weltfrieden auslöste" richtig würdigen und genießen zu können. Aber auch nachgeborene Generationen dürften an der witzigen und unterhaltsamen alternativen Geschichtsschreibung deutsch-deutscher Verhältnisse in den 80-er Jahren Spaß haben.

Hein führt die Leser*innen zurück in die frühen 80-er Jahre. Helmut Kohl ist Bundeskanzler und setzt auf die geistig-moralische Wende, die Handlung spielt allerdings ganz überwiegend in der DDR. Grischa, linientreuer Kadersprössling, SED-Mitglied und für den Sozialismus brennend, ist aus der thüringischen Provinz nach Berlin gezogen, um seine erste Stelle anzutreten. Bei der Plako, der staatlichen Planungskommission! Der ehrgeizige junge Mann kann es gar nicht erwarten, so richtig loszulegen. Und erleidet erst einmal einen Realitätsschock: Der Jungaktivist der Abteilung für Afghanistan - wo zu diesem Zeitpunkt die sowjetische Invasion andauert - hat außer seinem Chef keine weiteren Kollegen, und die Arbeitsleistung der Abteilung ist sehr übersichtlich. Viel Zeit wird in der Kantine verbracht.

Doch Grischa will Völkerfreundschaft und Handelsaustausch dienen und hat nach ausgiebiger Recherche eine zündende Idee, von der er seine Vorgesetzten erst einmal überzeugen muss: Technik aus der DDR im Austausch gegen Medizinalhanf, das zusammen mit Schlafmohn zu den landwirtschaftlichen Erzeugnissen Afghanistans gehört. Und anders als in der BRD sei Cannabis in der DDR nicht gesetzlich verboten, schon allein, weil es dort keinen vorhandenen Markt gebe. Doch Grischa will ohnehin nicht die DDR-Jugend zum Kiffen verführen, sondern den Kapitalismus unterwandern: Mit Verkauf an die Westberliner Jugend gleich hinter dem Grenzkontrollpunkt, in einem deutsch-afghanischen Freundschaftsladen, lässt sich dem Klassenfeind eine Nase drehen und obendrein kriminelle Strukturen von Dealern unterwandern.

Nach einer Exkursion zum afghanischen Brudervolk - unter Aufsicht einer strengen Offizierin des MfS, versteht sich - und Produktprobe werden Grischas Pläne tatsächlich Realität - und spülen nach anfänglichen Anlaufproblemen schon bald reichlich Devisen in die Kassen der DDR. Es dauert ein bißchen, bis die Westberliner und bundesdeutschen Behörden auf das Phänomen aufmerksam werden, das nicht nur rechtlichen, sondern auch politischen Sprengstoff verspricht. Denn bundesdeutsche Kontrollmaßnahmen liefen womöglich auf eine de facto-Anerkennung der Grenze hinaus, die es nicht geben darf.

Derweil hat eine junge, ehrgeizige und in einem Bonner Ministerium gelangweilte Rechtsreferendarin eine Idee, wie mit dem Rauschgifthandel am Grenzkontrollpunkt umgegangen werden sollte. Ein fast schon konspiratives deutsch-deutsches Treffen in Bayern wird zur Verhandlung über das Afghanistan-Projekt, bei der sich beide Seiten gegenseitig belauern und natürlich bespitzeln. Dennoch kommt es zu einer unerwarteten deutsch-deutschen Annäherung und einem Ausgang, der Grischa Lob von höchster Stelle und die Auszeichnung als "Held der Arbeit" einbringt. Auch wenn er sich sein völkerverbindendes Agrarprojekt so nun wirklich nicht vorgestellt hat. Doch mit einem geradezu märchenhaften Ausgang schafft es Hein, für die Protagonisten des Plako-Teams ein buchstäbliches happy end zu finden.

Ähnlich wie in "Good bye Lenin" sorgt dieses Buch für viele heitere Momente, gerade weil die aberwitzige Handlung mit DDR-Sprech und Beamten-Slang begleitet wird. Schon allein das konspirative Bayern-Treffen mit Geheimdienstlern beider Seiten ist ein kleines Juwel. Ich habe mich beim Lesen großartig unterhalten.

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