Cover-Bild Das Haus aus Stein
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14,99
inkl. MwSt
  • Verlag: Penguin
  • Themenbereich: Belletristik - Belletristik: zeitgenössisch
  • Genre: Romane & Erzählungen / Erzählende Literatur
  • Ersterscheinung: 18.03.2019
  • ISBN: 9783641244859
Aslı Erdoğan

Das Haus aus Stein

Roman
Gerhard Meier (Übersetzer)

Aslı Erdoğans wichtigster Roman endlich auf Deutsch

»Haus aus Stein« ist nicht nur der wichtigste Text im Werk der gefeierten türkischen Schriftstellerin Aslı Erdoğan. In diesem symphonisch komponierten Roman über Gefangenschaft und den Verlust aller Sicherheiten nimmt sie auch auf erschütternde Weise die eigene Gefängniserfahrung vorweg. »Was hatte ich hier zu suchen? Was war übrig von einem Ich?«, fragt einer der Protagonisten. Ein anderer wird freigelassen, doch was in der Haft geschehen ist, bleibt unsagbar, und er verfällt allmählich dem Wahnsinn. Aslı Erdoğan folgt mit ihrer poetischen dunklen Sprache den tiefen Narben, die eine Begegnung mit dem »Haus aus Stein« hinterlässt. Ihren in der Türkei bereits 2009 erschienenen Roman ergänzt sie durch einen eigens für diese Ausgabe verfassten Essay über die Monate, die sie 2016 nach dem gescheiterten Militärputsch willkürlich im Frauengefängnis Bakırköy-Istanbul inhaftiert war.

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Veröffentlicht am 06.02.2020

Thema, Engagement wichtig. Umsetzung mir meist zu gekünstelt

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Aus dem Kommentar am Ende des Romans: Nachwort: „Taş Bina“ (= Haus aus Stein) wurde 2009 auf Türkisch veröffentlicht, 2019 auf Deutsch. Im Rahmen der Verhaftungswelle nach dem gescheiterten Militärputsch ...

Aus dem Kommentar am Ende des Romans: Nachwort: „Taş Bina“ (= Haus aus Stein) wurde 2009 auf Türkisch veröffentlicht, 2019 auf Deutsch. Im Rahmen der Verhaftungswelle nach dem gescheiterten Militärputsch in der Türkei von 2016 wurden besonders viele kritische Stimmen verhaften, Journalisten, Menschen die sich einsetzten für die Rechte der Kurden, gegen Polizeiwillkür. Aslı Erdoğan verbrachte 132 Tage in Haft und sagte laut dieses Kommentars hinterher „Auch wenn man nur Monate im Gefängnis verbringt, verliert man sofort viele Fähigkeiten. Ich war nicht mehr in der Lage, Entscheidungen zu treffen, nicht einmal, welches Joghurt ich kaufen sollte. Man verläuft sich in der Stadt, findet die eigene Wohnung nicht mehr. In der Haft entwickelt man sich zurück, wird wieder zum Kind ohne Rechte und Verantwortung. Ich habe vergessen, wie man einen Bus nimmt, einen Anruf zu beantworten fällt mir sehr schwer“.

Dieser kurze Text erzählt die Geschichte der Inhaftierten. Er heißt mehrfach, er erzähle auch die der Autorin, damit tue ich mich schwer; doch dazu später.

„Nichts kommt so schlimm wie befürchtet, sagen manche, aber das sind Leute, die das Menschengeschlecht nicht richtig kennen und meinen, der Schmerz habe einen Anfang und ein Ende.“
Das ist nicht die Erfahrung der Inhaftierten. „Ein Schrei ertönt, verkümmert zu einem Wimmern, erklingt erneut. Dauert diesmal an. Schwillt an wie eine Lawine, lässt dich an die Wand zurückweichen, in tiefste Dunkelheit. Stammt er von einer Frau, einem Mann, einem Menschen oder einem viel unschuldigeren Wesen? Einem Körper oder etwa von der Seele selbst? … Nun bereitest auch du dich vor, so gut du kannst. Entscheidest, welches Ich an die Front soll und welches sich zurückziehen. Eines davon wird sich gewiss zu Tode fürchten. Du prüfst, was du opfern kannst und was nicht, rechnest ab, so gut es nur geht. In den Tiefen deines Körpers zittert ein anderer Körper, und mit ihm zusammen zittern auch die Wände,…“ Selten habe ich Folter so eindringlich vermittelt bekommen, der ganze Text vermittelt Qualen, Zerrissenheit, Sprachlosigkeit, Entfremdung, Angst, Hoffnungslosigkeit, seltene Momente der Menschlichkeit.

So nachvollziehbar wie in diesem Zitat ist „Haus aus Stein“ jedoch mitnichten durchgängig. Ich habe mich durch den Text gequält nicht wegen seines Inhaltes. Es dürfte unmöglich sein, eine Inhaltsangabe zu verfassen – zu wenig Zusammenhang, zu vieldeutig. Da gibt es Sätze, viele Sätze wie „Jene Stammgäste sehen im Leben der Menschen gegenüber nichts weiter als eine Reihe von Geschichten, die sie eines Tages gerne erzählen würden. Verfassen sie über das Menschsein eine Geschichte – ist das Schreiben nicht gewissermaßen die Kunst, in der Glut zu rühren, ohne sich dabei die Finger zu verbrennen? - , hinterlässt dies auf ihrem Gaumen den stechenden Geschmack des Todes.“ Bitte ganz ehrlich: das klingt poetisch, da sind bedeutungsschwangere Worte enthalten wie Glut, Tod, stechend – aber was will man uns damit sagen? Leider habe ich zu oft den Eindruck eines gewollt literarischen Schreibens. Das Feuilleton hilft mir: langes Prosagedicht, pathetisches Martyrium, abgenutzte oder kitschige Sätze und Bilder (Deutschlandfunk, 29.5.2019),
dichte expressionistisch-lyrische Struktur mit aufgebrochener Komposition, die die Grenzen verwischt zwischen Erzähler und Erzähltem, Verräter und Verratenem (NZZ 10.5.2019), bildreiche poetische Sprache, bei der nicht zu trennen ist, was innere, was äußere Wirklichkeit ist (Deutschlandfunk Kultur 19.3.2019), verdichtet, poetisch (FAZ 16.3.2019), Prosagedicht, Sturm von Metaphern (Zeit 14.3.2019). Die meisten schreiben positiv – ich dachte an „Des Kaisers neue Kleider“. Bei denen mag niemand sagen, dass es „zu wenig“ ist, vielleicht mag hier niemand sagen, es sei „zu viel“, um nicht als dumm beschimpft zu werden. Ich kann damit leben. Ich wollte es mögen, bei der Geschichte der Autorin, ihrem Engagement. Doch warum sollte man das nicht trennen von ihrer Arbeit?

So werde ich hin- und hergeworfen von Sätzen wie „So zeigte der Engel seine tödlichen Wunden. Die auf unseren Körpern rot aufblühenden Schnitte, die blauen Male, die Brandwunden, die urwaldartig verflochtenen Spuren der Schläge und schließlich das Blut, das wie wilde Rosen trocknende, zügellos dahinschießende, endloss quellende Blut.“ Endlich, endlich erklärt sich hier die mehrfach wiederholte Metapher der Rosen. Gleichzeitig wird etwa ab dort stark zu dem Mittel gegriffen, ganze Sätze, Abschnitte zu wiederholen – ein Kunstgriff, der mich mehrfach verwirrte. Vielleicht soll dargestellt werden, wie das Leben zur Endlosschleife wird, wenn – neiiiiiin, nicht noch so ein verzweifelter Versuch der Sinngebung. Damit hatte ich schon zu Beginn Zeit verschwendet bei einem Satz, den ich hier mit Absätzen darstelle, die ich benötigte, um ihn irgendwie zu verarbeiten:
„Wenn man den stellenweise eingedrückten Schädel entlang
jene Narbe verfolgt,
als wanderte man auf einem Bergpfad,
steht man nach der Umrundung der lädierten Augenhöhlen
am Rand eines Abgrunds,
der nicht in der Sprache der Menschen spricht, sondern in der Sprache des Windes, des Mondlichts und der Steine.“ Aber natürlich.

Anmaßend fand ich, dass Frau Erdoğan zu Beginn seitenlang die Verhaftungen in der Türkei mit den Konzentrationslagern der Nazis vergleicht. Ja, man sperrt(e) bei beiden Menschen ein, foltert. Jeder einzelne ist hier zu viel. Aber sie will kaum sagen, dass ihr Namensvetter alle Angehörigen einer Gruppe auslöschen will und als minderwertig erachtet, wie das gesamte Volk Isreal, wie Sinti und Roma. Auch ist definitiv Isolationshaft Folter, wie von Aslı Erdoğan ausgesagt und selbst erlitten. Ich halte jedoch die Aussage, ihr Text nehme das von ihr selbst erlebte unheilvoll voraus, für sehr aufgebläht: die Opfer im Text sind über Jahre schwersten Misshandlungen UND der Einsamkeit ausgesetzt.

Wichtiges Engagement für die Pressefreiheit. Ein mir zu sehr in Richtung „künstlerisch“ aufgeblähtes Schreiben bei einzelnen hervorscheinenden Passagen, die ich als herausragend empfand. Zu viel Anmaßung. 3 Sterne. Ohne das Engagement, das Thema, hätte es bei sonst ähnlichem Handwerk geführt zu 1 Stern.

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