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Buchliese

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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 02.10.2017

Konnte leider nicht überzeugen

Der gefährlichste Ort der Welt
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Calista Broderick und ihre Freunde leben in Mill Valley, einer Kleinstadt über der Bucht von San Francisco. Reich, verträumt, ein kleines Paradies. Gerade ins Teenageralter gekommen, werden erste zarte ...

Calista Broderick und ihre Freunde leben in Mill Valley, einer Kleinstadt über der Bucht von San Francisco. Reich, verträumt, ein kleines Paradies. Gerade ins Teenageralter gekommen, werden erste zarte zwischenmenschliche Bande geknüpft und natürlich auch über die Stränge geschlagen. Cally hängt mit ihren Freundinnen Abigail und Emma ab, das Leben hält alle Wege für sie offen und dann erhält sie einen Brief. Tristan Bloch, Außenseiter in allen Lebenslagen, gesteht Cally seine Liebe. Als die Zeilen auf Facebook gepostet werden, fühlt sich Tristan verraten, steigt auf sein Fahrrad und radelt auf die Golden Gate Bridge. Fünf Jahre später treffen wir Calista und ihre Freunde wieder.
„Der gefährlichste Ort der Welt“ hat sich leider auch als etwas fad herausgestellt. Nach einem gelungenen und sensibel erzählten Auftakt verlief sich die Geschichte leider im Sande. Die einzelnen Kapitel waren in der Hauptsache einer Person gewidmet und sie glichen sich sehr. Jedes Klischee nicht nur amerikanischer Teenager wurde erfüllt: faul in der Schule, Drogen, Alkohol, mit Papis teurem BMW durch die Straßen heizen. Langweilig? Ja, so würde ich es wohl beschreiben. Der Brief und dessen Folgen hätten dem Roman viel Substanz verleihen können. Hier ist es aber nicht gelungen, eine durchgehende Verbindung zu knüpfen. Schade, denn erzählen kann Lindsey Lee Johnson gut, inhaltlich konnte mich des Buch aber nicht überzeugen.

Veröffentlicht am 02.10.2017

Come to QualityLand!

QualityLand
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Qualityland. Das Land der Superlativen, in dem nichts dem Zufall überlassen wird. QualityPartner, die weltgrößte Datingplattform, Everybody, das weltgrößte soziale Netzwerk, und TheShop, der weltweit beliebteste ...

Qualityland. Das Land der Superlativen, in dem nichts dem Zufall überlassen wird. QualityPartner, die weltgrößte Datingplattform, Everybody, das weltgrößte soziale Netzwerk, und TheShop, der weltweit beliebteste Versandhändler, bilden ein Dreigestirn der Glückseligkeit. Kein Wunsch bleibt unerfüllt, mag er auch noch unbewusst geäußert sein. Man muss nur wollen. Die Menschen werden in unterschiedliche Levelstufen eingeteilt. Von 2 bis 99 ist alles möglich, man muss sich nur anstrengen, im Strom nach oben schwimmen. Peter Arbeitsloser will das nicht mehr. Einst ausgebildet, um Maschinen und Anlagen instandzusetzen, hat ihm das Konsumschutzgesetz, das auch Reparaturen jeglicher Art verbietet, einen Strich durch die Rechnung gemacht. Jetzt ist er, der als Familiennamen den Beruf seines Vaters tragen muss, Maschinenverschrotter und im Level 10 trennt ihn auch nur noch ein Level von den Nutzlosen. Nutzlose warten länger beim Arzt, auf den Drohnenanflug des Versandhandels und dürfen jederzeit auch ohne Anlass von der Polizei kontrolliert werden. Und während der Leser mit Peter Arbeitsloser die Gesellschaft von unten betrachtet, zeigt ihm „Qualityland“ auch die Vogelperspektive. Wahlen stehen an und die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft ziehen die Strippen. Conrad Koch, der Ängste vor Überfremdung schürt, will das weltweit beliebteste Land ebenso regieren, wie John of US, Kandidat der Fortschrittspartei. Aber John of US ist kein Mensch wie jeder andere, John of Us ist Androide.
„Ein verblüffende Zukunftssatire über die Verheißung und die Fallstricke der Digitalisierung.“ heißt es gleich auf der Innenklappe des Buches. Liest man „Qualitiyland“, und das kann ich guten Gewissens nur raten, wird man immer wieder merken, wie nah wir diesem Szenario schon gekommen sind. Amazon, Facebook & Co. lassen herzlich grüßen. Personifizierte Nachrichten und Werbung, Konsumgüter, die einfach weggeschmissen werden, weil die Reparatur sich nicht lohnt, endlose Kundendienstwarteschleifen, Löhne, die ihren Namen so gar nicht verdient haben, und Politik, der man kaum noch Glauben schenken kann … Erschreckend ist wohl die am ehesten zutreffende Beschreibung der Geschichte. Und doch habe ich Tränen gelacht und meine Mitmenschen mit spontanen Lesestellen beglückt. Natürlich gibt es nicht nur John of Us, den Androiden, sondern auch selbst fahrende und sprechende Autos, Drohnen, die schmollig werden, wenn sie bei der Paketzustellung nicht bewertet werden und noch jede Menge andere technische Spielereien, die dem ganzen Buch die Spur Science-Fiction einhaucht, die dem Roman die nötige Distanz zu einer Verschwörungstheorie gibt. Gesellschaftskritik verpackt in großartigen Wortwitz. Und ein Mal linst sogar das Känguru um die Ecke … Ab in den Buchladen!

Veröffentlicht am 06.09.2017

Genre verfehlt

In tiefen Schluchten
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Tori Codon, 42 Jahre alt, Patentanwältin im Ruhestand und verwitwet, lebt im Süden Frankreichs. Am Fuße der Cevennen haben ihr Mann Carl, der an einem Hirntumor erkrankt war, und sie ein Haus gefunden. ...

Tori Codon, 42 Jahre alt, Patentanwältin im Ruhestand und verwitwet, lebt im Süden Frankreichs. Am Fuße der Cevennen haben ihr Mann Carl, der an einem Hirntumor erkrankt war, und sie ein Haus gefunden. In direkter Nachbarschaft zur Kirche scheint es das älteste Haus im kleinen Dorf Belleville zu sein. Nach dem Tod Carls versucht Tori nun, sich in die Dorfgemeinschaft einzufügen. Als ein holländischer Urlauber verschwindet und sich scheinbar niemand für seinen Verbleib interessiert, wird Tori stutzig. Bald darauf stürzt einer der ältesten Einwohner unglücklich die Kellertreppe hinab und stirbt, nachdem er Andeutungen über ein lange gehütetes Geheimnis rund um die Einwohner von Belleville gemacht hat. Zufall?
Anne Chaplet ist es mit ganz besonders detaillierten Beschreibungen über die Landschaft, die reiche Pflanzenvielfalt und die rauen Charaktere der Menschen gelungen, mich in die Geschichte zu ziehen. Man spürt förmlich die Liebe zur Gegend, ein persönlicher Bezug wird auch im Dankeswort erwähnt. Ebenfalls eine Besonderheit des Buches sind die vielen geschichtlichen Informationen. Die Hugenotten waren ein Thema ebenso wie der Zweite Weltkrieg und die Besetzung Frankreichs. Aber genau diese geschichtlichen Hintergründe haben „In tiefen Schluchten“ weit weg vom Genre Krimi gedrängt. Es gab Geheimnisse, die um jeden Preis gehütet werden sollten, es gab Tote, die im Zusammenhang mit der Vergangenheit standen und es gab sicher auch spannende Momente, aber ein Kriminalroman ist dieses Buch nicht. Hier hat man sowohl mit dem Untertitel als auch mit dem Klappentext wohl weder der Autorin noch den künftigen Lesern einen Gefallen getan. In die Irre geleitet, wird es mit Sicherheit für die ein oder andere Enttäuschung sorgen. Für Liebhaber Frankreichs und geschichtlicher Hintergrundinformationen ist dieses Buch sicher zu empfehlen. Freunde der Kriminalliteratur sollten ein anderes Buch wählen.

Veröffentlicht am 01.09.2017

Odyssee einer Sklavin

Underground Railroad
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„Irgendwo, vor Jahren, war sie vom Pfad des abgekommen und fand nicht mehr zur Menschenfamilie zurück.“ Cora wurde schon als Sklavin geboren. Bereits ihre Großmutter Ajaary und ihre Mutter Mabel waren ...

„Irgendwo, vor Jahren, war sie vom Pfad des abgekommen und fand nicht mehr zur Menschenfamilie zurück.“ Cora wurde schon als Sklavin geboren. Bereits ihre Großmutter Ajaary und ihre Mutter Mabel waren Unfreie gewesen. Ajaary war längst tot, Mabel gelang vor Jahren die Flucht von der Farm und Cora blieb als kleines Mädchen auf sich allein gestellt auf der Baumwollplantage zurück. Die harte Arbeit auf der Plantage, der ständige Kampf um das kleine Stück Land, auf dem sie Rüben und Wurzeln zog, um ihre karge Nahrung aufzubessern, und die Einsamkeit hatten Cora zu einer Einzelgängerin gemacht. Jahre später trifft sie auf Caesar. Nach dem Tod seiner früheren Besitzerin war er als neuer Farmsklave gekauft worden und plante seine Flucht. Gemeinsam mit Cora wollte er mit der Railroad, der unterirdischen Eisenbahn, die, von wem auch immer gebaut, über ein Netz aus geheimen Stationen verfügte und deren Helfer Leibeigenen zur Flucht verhalfen, in die Freiheit aufbrechen. Ein gefährliches Unterfangen, denn Sklaven waren lebenslang Eigentum ihrer Besitzer und kein Aufwand war zu hoch, um sie zurück zu bringen.
In anschaulichen Bildern erzählt Colson Whitehead über eines der dunkelsten Kapitel der Menschheit, die Sklaverei. Unterdrückung, schwere körperliche Misshandlungen, die Hatz auf entlaufene Sklaven durch Häscher werden thematisiert und durch die Geschichte von Cora zum Leben erweckt. Als roter Faden durch den Roman zieht sich neben ihr auch der Sklavenjäger Rideway. Er verdient sich seinen Lebensunterhalt durch die Rückbringung Geflohener. Gnadenlos und brutal jagt er Cora, nachdem ihm schon ihre Mutter Mabel entwischt war. Cora ist eine starke und unerschütterliche Frau. Überhaupt fällt im Roman auf, dass wenig auf weiche Emotionen gesetzt wird. Das Leben dieser Zeit ist unerbittlich und so hat es auch die Menschen hart gemacht. Whitehead erzählt interessant und spannend von Rasseunterschieden, der „Farbigenfrage“ und vom Abolitionismus, dem Kampf für die Abschaffung der Sklaverei. Ohne Rücksichtnahme wurde jeder, der Sklaven versteckt hat oder auch nur Schriften, die sich gegen die Sklaverei aussprachen, besaß, am nächsten Baum aufgeknüpft. Ebenso wie die Bestrafung der Sklaven wurde dies in einem Volksfestcharakter gehalten. Trotz ihrer Flucht fühlte sich Cora weiter in Gefangenschaft. Versteckt, gehetzt, von ständig drohendem Denunziantentum in die Enge gedrängt, die Lebensbedingungen anders, aber nicht besser.
Ein eindringlicher Roman ist „Underground Railroad“ und eines der, wenn nicht das beste Buch, das ich in diesem Jahr gelesen habe. Vielleicht ist nicht jedes Buch, das mit einem Preis ausgezeichnet wurde, ein besonderes Buch. Das Buch, das den Pulitzerpreis 2017 erhalten hat, ist es aber auf jeden Fall. Ich möchte diesen Roman unbedingt empfehlen!

Veröffentlicht am 01.09.2017

Pass immer schön auf, wenn du über die Straße gehst ...

Der Vater, der vom Himmel fiel
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„Schön, dass wir uns noch mal gesehen haben, Junge. Dass wir noch mal miteinander reden konnten. Solange man am Leben ist, denkt man immer, man hätte noch ewig Zeit, um mit anderen Menschen zu reden.“ ...

„Schön, dass wir uns noch mal gesehen haben, Junge. Dass wir noch mal miteinander reden konnten. Solange man am Leben ist, denkt man immer, man hätte noch ewig Zeit, um mit anderen Menschen zu reden.“ Lyle ist 83 Jahre alt, als er auf dem Weg zum günstigeren Schokoriegel über die Straße schlurft und es zum tödlichen Zusammenprall mit einem Bus kommt. Beim Check-in im Himmel kommt es dann zu einer Verwechslung mit einem Namensvetter aus Amerika. Bedauerlich, aber natürlich könne es zu Fehlern kommen. Gern wäre man aber bereit, ihm als kleine Entschuldigung einen nochmaligen Besuch auf der Erde zu ermöglichen. Zwei Bedingungen: Nur an einem von ihm bestimmten Ort darf er sich aufhalten und nur einer Person kann er in diesen zwanzig Tagen begegnen. Lyle entscheidet sich für sein bisheriges Zuhause und seinen jüngeren Sohn Greg, das schwarze Schaf der Familie. Ein durchaus willkommenes Angebot für Lyle, denn ein, zwei Angelegenheiten gibt es schon noch zu klären. Schließlich kam Gevatter Tod doch sehr überraschend.
Auf dem Klappentext heißt es: „Eine wunderbar menschliche Geschichte über durchgeknallte Typen in rebellischer Grundstimmung. Erzählt auf dem schmalen Grat zwischen großer Komik, bittersüßer Trauer und tiefstem Ernst.“ Ich könnte das jetzt in meine eigenen Worte fassen, aber besser würde ich es auch nicht sagen können. Auch mit seinem zweiten Roman hat Henderson mich wieder mit einem wunderbar englischen Humor ausgezeichnet unterhalten und dabei das Thema aufgegriffen, was unser aller Leben nie langweilig werden lässt. Die Familie. Seit sieben Jahren hatten die Söhne Lyles keinen Kontakt mehr miteinander. Der Streit über die Farbgebung einer Regenrinne ließ nur noch den wechselseitigen Austausch von Weihnachts- und Geburtstagskarten zu. Billy, der ältere seiner beiden Söhne und mit der zänkischen Jean verheiratet, und Onkel Frank, Lyles kauziger Bruder, hauchen der skurrilen Geschichte mit ihren verborgenen Wünschen und Problemen Leben ein. Über Liebe wird in dieser Familie nicht gesprochen, heißt es an einer Stelle im Buch, man bekäme dann immer das Gefühl, es wäre etwas Schlimmes passiert. Und so leben alle nebeneinander her und scheinen ein wenig seltsam zu sein. Natürlich hält das Leben auch für Greg noch eine ganz besondere Überraschung bereit. Für ganz besonders gelungen fand ich Onkel Franks Dispute mit Reverend Tinkler über die Bibel. War Jesus wirklich so besonders? Passten tatsächlich alle Tiere auf die Arche Noah? Und wie wurden sie versorgt? „Sie haben die Bibel aber schon gelesen, oder?“ Eine wunderbar menschliche Geschichte, die ich gern sehr weiterempfehle!