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Veröffentlicht am 02.02.2024

Chinesische Interessen an Afrika

Die Spiele
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In Shanghai tagt ein Kongress zur Vergabe der nächsten Olympischen Sommerspiele. Die Entscheidung soll zwischen Europa und Afrika fallen. Überschattet wird Verhandlungsprozess vom Mord am mosambikanischen ...

In Shanghai tagt ein Kongress zur Vergabe der nächsten Olympischen Sommerspiele. Die Entscheidung soll zwischen Europa und Afrika fallen. Überschattet wird Verhandlungsprozess vom Mord am mosambikanischen IOC-Funktionär Charles Murandi. Motive gibt es im Umfeld des umtriebigen Murandi genug. Da sind die überbordenden chinesischen Interessen, Korruptionsverdächtigungen seitens der deutschen Presse sowie das Schicksal der sogenannten Madgermanes, die als mosambikanische Vertragsarbeiter in der DDR tätig waren und bei ihrer Rückkehr um ihre Zukunft betrogen worden sind.

In gehobener Sprache gewährt uns Stephan Schmidt einen ausschnitthaften Einblick in die chinesische Lebenswirklichkeit. Selbstverständnis und Stolz der Partei treffen auf die tägliche Realität, lassen eine seltsam anmutende Stimmung in der Gesellschaft entstehen, die irgendwo zwischen bevorstehender Revolte und maximaler Obrigkeitshörigkeit verortet ist. Die Ausrichtung an den Leitlinien der Partei scheint ein schier unmögliches Unterfangen, weil zunehmend unklar ist, welche der unbekannten, ungeschriebenen Regeln jeweils gerade gültig sind.

In diesem Umfeld gerät ein Deutscher, Thomas Gärtner, ins Visier der chinesischen Behörden. Mit seiner Einreise via Touristenvisum hat der recherchierende Journalist einen Stockfehler begangen. Im gleichen Hotel ansässig wie der Tote ist die Sache für die Chinesen ziemlich schnell klar. Um die Mordermittlungen herum konstruiert der Autor ein interessantes Verwirrspiel mit leicht offenem Ende. Die Reichweite und Komplexität des chinesischen Einflusses in Afrika sind beeindruckend. Die Verknüpfung des aktuellen Kontexts mit den mosambikanischen Vertragsarbeitern in der DDR gekonnt umgesetzt.

Durch die vielen politischen Aspekte ist der als Krimi ausgewiesene Roman natürlich nicht so spannend und Herzklopfen verursachend wie andere, die mit Verfolgungsjagden aufwarten. Hier wird eher mit spannenden Hintergrundinformationen zum immer weiter aufstrebenden China gepunktet, das mit seinen Aktivitäten unser von gewisser Arroganz geprägtes, westliches Wirtschafts- und Lebensmodel ins Wanken bringen kann. Ich hatte geradezu den Eindruck, als würde ich dem erfolgversprechenden Versuch beiwohnen, scheidende Kolonialmächte durch eine mächtigere Neue zu ersetzen.

Insgesamt hat mir der Roman sehr gefallen. Auf mich machte er einen perfekt recherchierten Eindruck. Man merkt, dass sich Stephan Schmidt schon lange mit China auseinandersetzt. Die aus der Fantasie des Autors stammenden Szenen mit den deutschen Politiker:Innen erschienen mit durchaus glaubwürdig, haben mich in dem ansonsten eher ernsten Roman hin und wieder schmunzeln.

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Veröffentlicht am 01.02.2024

Impulse für mehr Mut und Kreativität im Leben

Die Piratenstrategie
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Pirate up your Life ist der Leitspruch von Stefanie Voss‘ Motivationsschrift. Es geht um das gezielte Verlassen der eigenen Komfortzone, um die Etappen zu den eigenen Lebenszielen zu meistern. Dafür braucht ...

Pirate up your Life ist der Leitspruch von Stefanie Voss‘ Motivationsschrift. Es geht um das gezielte Verlassen der eigenen Komfortzone, um die Etappen zu den eigenen Lebenszielen zu meistern. Dafür braucht es Wagemut, in meiner Wahrnehmung das am häufigsten verwendete Wort in diesem Sachbuch. Es ist allerdings nicht notwendig sein ganzes Leben auf links zu drehen. Pirate up your Life ist eher das regelmäßige Eingehen von Risiken, um den Status quo sukzessive zu verändern. Den inneren Schweinehund als Bedenkenträger gegenüber unserer Ideen und Vorhaben zu überwinden, dazu möchte uns die Autorin motivieren.

Teil der Abhandlung ist darüber hinaus ein großer Block Reflexion, über die eigenen Werte, über eigene Regeln vs gängiger Konventionen, über Geld- und Sinnkonto und vieles mehr. Logisch, weil sofort einsichtig, sind die Ausführungen zu den schönen Dingen des Lebens. Viel zu selten nehmen wir sie wahr. Besonders gefallen haben mir der Kuchen ohne Grund, die Piccolöchen im Kühlschrank sowie die Partys mit Activity.

Insgesamt ist das Sachbuch eine kurzweilige Angelegenheit. Mit Beispielen aus berühmten Piratenbiografien wie auch eigenen Lebenssituationen bereichert Stefanie Voss ihre Argumentationsketten. Manches reizt mich sofort nachzuahmen. In jedem Fall fühle ich mich motiviert, weniger nachgiebig gegenüber meinen Partnern zu sein.

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Veröffentlicht am 24.01.2024

Eindringlicher Rückblick

Lichtungen
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Da ich durch die Lektüre von „Die Unschärfe der Welt“ Iris Wolff noch in guter Erinnerung hatte, wollte ich selbstverständlich auch ihren neuen Roman lesen. „Lichtungen“ begleitet die seit Kindertagen ...

Da ich durch die Lektüre von „Die Unschärfe der Welt“ Iris Wolff noch in guter Erinnerung hatte, wollte ich selbstverständlich auch ihren neuen Roman lesen. „Lichtungen“ begleitet die seit Kindertagen bestehende Freundschaft zwischen Lev und Kato. An den beiden skizziert die Autorin die Herausforderungen des Lebens in Rumänien zu Zeiten Ceaușescus wie auch nach der Öffnung der sozialistischen Staaten. Die harte Lebenswirklichkeit der Diktatur wird abgelöst durch etwas Neues, das allerdings nicht weniger herausfordernd ist. Abwanderung Richtung Westen ist die Folge. So lichten sich nicht nur die Wälder, in denen Lev als Waldarbeiter tätig ist, sondern auch die umliegenden Dörfer, weil es kaum noch etwas gibt, das die Menschen in Rumänien hält.

Die Aufbereitung der Story hat mich fasziniert. Die Sprache der rückwärts erzählten Geschichte habe ich als eher reduziert empfunden. Doch gerade das Reduzierte und die recht großen Sprünge auf der Zeitachse ließen für mich einen besonderen Reiz entstehen. Sie schaffen Raum für eigene Gedanken und Interpretationen. In diesem Zusammenhang ist es bestimmt hilfreich, wenn man grob in der osteuropäischen Geschichte zu Hause ist, damit man die gesetzten Hinweise nicht verpasst. Obwohl Isis Wolffs Stil vom Standard abweicht, fiel es mir nicht schwer, ihr zu Folgen. Viele Erlebnisse von Lev und Kato konnte ich nicht nur inhaltlich, sondern auch auf der emotionalen Ebene sehr gut nachvollziehen.

Iris Wolff hat mich mitgenommen in ihre Welt wie auf eine Reise. Am Ende kam es mir vor, als wäre ich selbst Teil der Geschichte gewesen.

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Veröffentlicht am 19.12.2023

Held und Antiheld zugleich

Kalmann und der schlafende Berg
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Zum zweiten Mal durfte ich dem selbsternannten Sheriff von Raufarhöfn, Kalmann, begegnen. Er ist ein unterschätzter Mann in der Blüte seines Lebens, der in einem Einkaufszentrum arbeitet. Seine Hauptaufgabe ...

Zum zweiten Mal durfte ich dem selbsternannten Sheriff von Raufarhöfn, Kalmann, begegnen. Er ist ein unterschätzter Mann in der Blüte seines Lebens, der in einem Einkaufszentrum arbeitet. Seine Hauptaufgabe ist das gleichmäßige Verteilen der Einkaufswagen auf dem Parkplatz. Doch ein zu schnelles Urteil sollte man sich nicht erlauben über diesen liebenswerten Charakter, auch wenn er selbst behauptet, es befände sich Fischsuppe in seinem Kopf oder die Räder in seinem Kopf liefen manchmal rückwärts.

Joachim B. Schmidt spielt mit den Lesenden, ihren Vorurteilen, ihrer Einstellung zum Normalsein. So beginnt der Roman fast alltäglich. Nachdem sein Großvater verstorben ist, muss Kalmann ins nächstgrößere Städtchen zu seiner Mutter ziehen. Gemeinsam erdulden sie die Beschwerlichkeiten der Pandemie, bis sich eines Tages sein amerikanischer Vater meldet und Kalmann nach Virginia einlädt. Ein Weilchen ist Alles heimelig und schön. Doch dann befördert ein „Familienausflug“ diesen liebenswürdigen Mann mitten in den Sturm auf das Kapitol vom 6. Januar 2021 hinein. Ausweisung und Medienrummel bringen dann Einiges ins Rollen, so dass sich der Roman fast schon zu einem Krimi entwickelt. Durch Kalmann als Ich-Erzähler fühlt es sich allerdings nicht so an. Ich fieberte zwar mit, erlebte das ganze Geschehen wie unter Wasser oder wie in Zeitlupe. Teilweise wollte ich unserem Helden zurufen „Oh mein Gott, KALMANN, geh da weg!!!“

Es hat mir gefallen, wie der Autor Geschehnisse der jüngsten Vergangenheit mit Überbleibseln früherer Geschichte verknüpft. Er setzt dadurch Impulse bei den Lesenden, macht aufmerksam auf mögliche Parallelen zum historischen Kontext. Kombiniert mit dem eher dörflichen Setting rund um Raufarhöfn mit der Melrakkaslétta und dem schlafenden Berg strahlt der Roman trotzdem eine unaufgeregte Ruhe aus. Das ist mir gut bekommen. Dabei verschleiert Joachim B. Schmidt die Tatsachen gar nicht, er verzichtet lediglich auf ein überbordendes Befeuern von Sensationsgelüsten.

Durch die sprachliche Gestaltung wirken Kalmann und die Bewohner von Raufarhöfn sehr authentisch. Kalmann‘s amerikanischen Familienmitgliedern hat der Autor eine englische Stimme gegeben. Sogar ein paar isländische Formulierungen finden sich im Roman. Dieser eingestreute Sprachmix war erfrischend für mich.

Insgesamt wieder ein angenehm lesbarer Roman mit toller Hauptfigur. Für ein vollständiges Verständnis würde ich die vorherige Lektüre des Vorgängers empfehlen.

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Veröffentlicht am 06.12.2023

Anstrengendes Lesevergnügen

Unsereins
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Ich habe schon lange keinen vergleichbar anstrengenden Roman mehr gelesen. Durch die Lektüre von Archipel wusste ich, dass der Stil von Inger-Maria Mahlke durchaus anspruchsvoll sein kann. In diesem Sinne ...

Ich habe schon lange keinen vergleichbar anstrengenden Roman mehr gelesen. Durch die Lektüre von Archipel wusste ich, dass der Stil von Inger-Maria Mahlke durchaus anspruchsvoll sein kann. In diesem Sinne hat sie sich hier noch übertroffen. Damit möchte ich den Roman nicht in ein schlechtes Licht rücken, sondern lediglich auf die erforderliche Zeit und Konzetration aufmerksam machen.

Ohne die Stadt Lübeck auch nur ein einziges Mal zu benennen, stellt sie als kleinster Staat des Deutschen Kaiserreichs das Hauptsetting der von 1890 bis 1906 dargestellten Geschichte der Familie Lindhorst dar. Die Familiengeschichte selbst wird sehr detailreich erzählt, die Familienmitglieder treten insbesondere auch aufgrund politischer Verflechtungen mit jeder Menge weiterer Personen in Kontakt. Wir haben es also mit einer hohen Anzahl an Charakteren zu tun, die fast ausschließlich durch ihr Handeln zum Leben erweckt werden. Ihre präzise Optik sowie ihre Gefühlswelt bleiben der Leserschaft weitestgehend verborgen. In diesem Kontext ist es schwierig, sich ein umfassendes Bild von den handelnden Personen zu machen, geschweige denn Nähe zu ihnen aufzubauen. Insgesamt waren es für meinen Geschmack auch zu viele Charaktere.

Obwohl sich der Roman überwiegend entlang des Zeitstrahls bewegt, sind die verschiedenen Zeitschienen nicht gut erkennbar. Es werden ungekennzeichnete Rückblicke eingestreut, die meinen Lesefluss gehemmt haben. Dadurch entstehen Längen, die eigentlich nicht notwendig wären. Denn was mir an „Unsereins“ gefällt, ist die vermittelte Atmosphäre, der Umgang der Leute miteinander, Eltern mit ihren Kindern, Politiker untereinander und mit ihren Angestellten. Interessant auch das Verhalten gegenüber Minderheiten. Es entsteht darüberhinaus ein Eindruck zum Leben seinerzeit an sich, wie beschwerlich es für manche Gesellschaftsschicht war. Amüsant habe ich die Verhaltensregeln in Liebesdingen empfunden. Insgesamt habe ich die Erzählweise ähnlich wahrgenommen wie Gespräche zwischen meinen Großeltern und deren Freunden, denen ich als kleines Kind beiwohnen durfte. Dieses Wecken von Erinnerungen gefällt mir.

Trotzdem kann ich den Roman nicht uneingeschränkt weiterempfehlen. Man muss sich schon sehr darauf einlassen und mehr Lesekapazität als gewohnt investieren.

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