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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 30.08.2023

Gemischte Gefühle

Vatermal
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Arda liegt im Krankenhaus, Organversagen. Wie viel Zeit ihm noch bleibt, weiß er nicht. Und so schreibt er einen Brief an seinen Vater, den er nie kennengelernt hat. Er hielt es auf Dauer nicht aus in ...

Arda liegt im Krankenhaus, Organversagen. Wie viel Zeit ihm noch bleibt, weiß er nicht. Und so schreibt er einen Brief an seinen Vater, den er nie kennengelernt hat. Er hielt es auf Dauer nicht aus in Deutschland, ging zurück in die Türkei, im Wissen, dass ihn dort das Gefängnis erwartet. Zurück ließ er zwei kleine Kinder, Arda und seine ältere Schwester Aylin. Arda erzählt von seinem Aufwachsen und der tragischen Geschichte seiner Familie, von seiner Mutter Ümran und seiner Schwester Aylin, die schon seit Jahren kein Wort mehr miteinander gesprochen haben.

Das Buch wurde ja direkt richtig gehyped, ich habe sooo viele positive Besprechungen gesehen, mehrfach wurde über eine Platzierung auf der Longlist vom deutschen Buchpreis spekuliert - und sie kam ja auch. Die Erwartungen waren also dementsprechend hoch - und ich muss sagen, für mich wurden sie leider nicht erfüllt. #unpopularopinionincoming

Ich fange mal mit dem positiven an: Ich hatte zuerst die Leseprobe gelesen und fand diese wahnsinnig gut. Den Schreibstil mochte ich sofort richtig gern. Irgendwie konnte der Autor aber für mich die Intensität, die die Leseprobe beziehungsweise der Anfang des Buches hatte, nicht über das ganze Buch aufrechterhalten. Das lag teils auch daran, dass ich die Dialoge aus Ardas Jugend ziemlich platt und stereotyp fand. Ich glaube, die Rückblicke ins Aufwachsen seiner Mutter haben für mich in Kombination mit dem Briefroman auch nicht so ganz funktioniert und mich teils auch verwirrt, die Stellen, an denen sich Arda direkt an seinen Vater wendet, habe ich jedenfalls deutlich lieber gelesen.

Versteht mich bitte nicht falsch, “Vatermal” ist definitiv kein schlechtes Buch und ich habe es auch nicht ungern gelesen. Es hat mich aber emotional über große Teile nicht so wirklich gepackt und ich glaube nicht, dass es mir besonders im Gedächtnis bleiben wird. Der Autor hat mit dem starken Anfang aber gezeigt, dass er richtig gut schreiben kann. Deshalb hoffe ich auf einen Nachfolger, der mir dann hoffentlich besser gefällt!

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Veröffentlicht am 30.08.2023

Große Alena-Schröder-Liebe!

Bei euch ist es immer so unheimlich still
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Alena Schröders Debüt-Roman “Junge Frau am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid” war im letzten Jahr mein absolutes Lieblingsbuch. Wievielen Menschen ich das Buch schon empfohlen habe, kann ich gar ...

Alena Schröders Debüt-Roman “Junge Frau am Fenster stehend, Abendlicht, blaues Kleid” war im letzten Jahr mein absolutes Lieblingsbuch. Wievielen Menschen ich das Buch schon empfohlen habe, kann ich gar nicht mehr zählen. Als dann die Ankündigung zu “Bei euch ist es immer so unheimlich still” kam, war klar: Das ist die Neuerscheinung, auf die ich mich in diesem Jahr am meisten freue!



Ich gebe aber zu: ein kleines bisschen Angst hatte ich davor, dieses Buch zu lesen, zu oft schon war ich von einem Buch begeistert und der Nachfolger konnte an diese Begeisterung nicht anknüpfen. Hier war die Sorge allerdings unbegründet, Alena Schröder hat mich wieder komplett abgeholt, ich habe es doll geliebt - auch wenn das Buch nicht gaaaaaanz an “Junge Frau…” hereingereicht hat. Das lag aber auch dran, dass “Junge Frau…” von der Handlung her einen stärkeren Spannungsbogen besitzt, wie “Bei euch…”. Was Alena Schröder aber einfach so gut kann, wie kaum jemand anderes: Zum einen liebenswerte, interessante und multidimensionale Charaktere schreiben und zum anderen mehrere Handlungs- und Zeitstränge miteinander verknüpfen. Hoffe auf ganz schnellen Alena-Schröder-Nachschub, werde auf jeden Fall alles lesen, was sie veröffentlicht und wenn es nur ihr Einkaufszettel ist #ultra <3

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Veröffentlicht am 19.08.2023

Zwiegespalten

Eine vollständige Liste aller Dinge, die ich vergessen habe
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Eine Frau, alleinerziehend, deren nun volljährige Kinder ausziehen, weshalb sie sich ihre Wohnung nicht mehr leisten kann und sich verkleinern muss, die versucht herauszufinden, wer sie eigentlich ist ...

Eine Frau, alleinerziehend, deren nun volljährige Kinder ausziehen, weshalb sie sich ihre Wohnung nicht mehr leisten kann und sich verkleinern muss, die versucht herauszufinden, wer sie eigentlich ist und dafür in Fotos, Erinnerungen und Familiengeschichten wühlt. Ein Roman, geschrieben im Stil von Autofiktion, als Hauptthema weibliche Selbstfindung – eigentlich genau mein Ding. Trotzdem lässt mich der Roman zwiegespalten zurück.
Zum einen ist da dieser grandiose Einstieg: „Der Hund hat schon wieder ins Auto gekotzt. Er hielt durch, bis ich auf den Parkplatz bei der Hundewiese einbog, dann brach es aus ihm heraus.“ (S. 7). Bin ja ein Fan von guten ersten Sätzen und der hier hatte mich sofort. Und auch sonst waren da wirklich einige Stellen drin, bei denen ich sofort meinen Bleistift gezückt und unterstrichen habe, beispielsweise dieses schöne Zitat: „Die Frau, über die ich schreibe, gibt es nicht. Sie ist ein Konstrukt, zusammengesetzt aus Erinnerungen, viele davon fehlerhaft, aus Selbstüberhöhung und Selbsthass, aus Erzählungen von anderen, aus Bildern in Fotoalben.“ (S. 88)
Dann gab es aber auch die andere Seite, denn immer wieder kamen dann Stellen, die mich so gar nicht erreicht haben und mittendrin hatte ich einen so richtigen Durchhänger, dass ich kurz – trotz der vielen Unterstreichungen – überlegt habe, das Buch abzubrechen, weil ich nicht so ganz wusste, wo es eigentlich noch hinwill und dadurch auch irgendwie das Interesse verloren habe. Das lag zum Teil auch an der Protagonistin: Einen großen Teil der Erzählung nehmen ihre finanziellen Sorgen ein und der Wunsch, ihre Wohnung nicht verlassen zu müssen und auf Wohnungssuche festzustellen, dass sie sich ihre Wunschwohnungen nicht leisten kann (alles absolut verständlich!). Zwischen den Wiederholungen zu ihren finanziellen Nöten erfährt man allerdings, dass sie zwei Immobilien besitzt: Ein Haus auf dem Land, ein kleines Apartment in der Stadt - in beide möchte sie aber nicht ziehen. Konnte ich persönlich (zumindest für eine Übergangslösung) nicht so ganz nachvollziehen.
3,5/5

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Veröffentlicht am 26.07.2023

Überraschungs-Highlight

Nincshof
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Wenn ich ganz ehrlich bin, hätte ich von mir aus zu diesem Buch wahrscheinlich nicht gegriffen. Die Grundidee klang zwar witzig, aber so richtig angesprochen hat mich das Thema irgendwie auch nicht. Zum ...

Wenn ich ganz ehrlich bin, hätte ich von mir aus zu diesem Buch wahrscheinlich nicht gegriffen. Die Grundidee klang zwar witzig, aber so richtig angesprochen hat mich das Thema irgendwie auch nicht. Zum Glück hat der Dumont Verlag mich damit überrascht, denn “Nincshof” war für mich ein absolutes Überraschungs-Highlight!

Der Schauort ist ein kleines österreichisches Dorf an der ungarischen Grenze, das sich laut einer Legende vor etlichen Jahren im Schilf versteckt und so ungestört von der Außenwelt existiert hat. Es findet sich eine vierköpfige Gruppe zusammen, die sich “die Oblivisten” nennen und in der Tradition ihrer Dorf-Legende die Geschichte wiederholen wollen: Nincshof soll vergessen werden! Blöd nur, dass sich eine bekannte Dokumentarfilmerin mit ihrem Mann, der mit seiner Irrziegen-Zucht Touristen in die Region locken möchte, im Dorf niederlassen.

Überzeugt hat mich sofort der feine Humor, der sich durch das gesamte Buch zieht und der mich oft zum schmunzeln gebracht hat. Angefangen beim Thema, über die Dialoge bis hin zu Details wie die Irrziegen. Dazu liebenswerte, etwas schrullige Charaktere, wie zum Beispiel die Rentnerin Erna Rohdiebl, die nachts in andere Gärten einbricht, um im Pool schwimmen zu können. Interessant fand ich auch, dass - entgegen der vermutlich meisten Dorf-Historien - in Nincshof einige ziemlich feministische Traditionen herrschen, wie das Weiterreichen des Nachnamens der Frau. Die philosophischen Fragen, die das Thema “Vergessen/Erinnern” mit sich bringt, haben dem Buch eine angenehme Tiefe gegeben - nicht zu seicht, aber auch nicht so tief, als dass es nicht mehr unterhaltend und leicht zu lesen gewesen wäre. Auch wenn ich es am Anfang wirkich nicht gedacht hätte, hat mich das Buch aus einer Leseflaute gezogen und ich habe es quasi gar nicht mehr aus der Hand legen können. Falls ihr also auch dachtet, dass das Buch nix für euch ist: Lest unbedingt mal in der Buchhandlung rein, ob euch der Humor zusagt! Und da ich schon häufiger gelesen habe, dass “Nincshof” etwas an Mariana Leky erinnert, muss ich da wohl auch ganz dringend mal was lesen.

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Veröffentlicht am 24.04.2023

Tolles Debüt, möchte ich am liebsten direkt nochmal lesen!

22 Bahnen
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“Hauptsache, es wird keine tragische Liebesgeschichte. Dafür habe ich keine Kapazitäten.” (S. 188). Ich auch nicht, Tilda. Gut, dass “22 Bahnen” auch keine tragische Liebesgeschichte ist, sondern eine ...

“Hauptsache, es wird keine tragische Liebesgeschichte. Dafür habe ich keine Kapazitäten.” (S. 188). Ich auch nicht, Tilda. Gut, dass “22 Bahnen” auch keine tragische Liebesgeschichte ist, sondern eine schöne Erzählung über den Zusammenhalt zwischen zwei Schwestern, die in instabilen Familienverhältnissen aufwachsen. Die Liebesgeschichte gibt es zwar auch, war aber halt nicht der Mittelpunkt, was ich sehr erfrischend fand.

“22 Bahnen” punkte bei mir außerdem mit: Charakteren mit viel Tiefgang, einem tollen Schreibstil, witzigen Dialogen, einer nicht-kitischigen Liebesgeschichte und (last but not least) einem wuderschönen Cover. Tilda, die ältere Schwester, jobbt im Supermarkt an der Kasse und spielt dabei immer ein Spiel, bei dem sie versucht anhand der Gegenstände zu erraten, was für ein Mensch da einkauft, so kleine wiederkehrende Details mag ich einfach. Zwischen den Zeilen lässt sich dann auch viel zum Thema soziale Herkunft herauslesen, da hat also für ein 200-Seiten-Buch echt einiges dringesteckt!

Ida, die kleine Schwester, war mir aber manchmal ein bisschen zu unglaubwürdig erwachsen für ihr Alter. Darüber kann ich aber hinweg sehen, denn “22 Bahnen” war ein Roman, den ich einfach sehr gerne (und sehr schnell, weil ich dringend wissen wollte, wie es weiter geht) gelesen und mit einem schönen Gefühl - aber auch ein bisschen Wehmut, dass die Geschichte damit vorbei ist - zugeklappt habe. Tilda, Ida und Viktor werden mich im Herz aber noch eine Weile begleiten.

Und ich brauche ganz dringend Buchempfehlungen zu ähnlichen Büchern, “22 Bahnen” hat nämlich einfach komplett meinen aktuellen Lesegeschmack getroffen und im Zweifel lese ich es im Sommer einfach nochmal.

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