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Veröffentlicht am 02.06.2023

Wo die Grenzen verschwimmen

Babel
1

Wie weit geht man, um sich für seine Ideale einzusetzen? Was ist man bereit zu verlieren?

828. Robin Swift, den ein Cholera-Ausbruch im chinesischen Kanton als Waisenjungen zurücklässt, wird von dem ...

Wie weit geht man, um sich für seine Ideale einzusetzen? Was ist man bereit zu verlieren?

828. Robin Swift, den ein Cholera-Ausbruch im chinesischen Kanton als Waisenjungen zurücklässt, wird von dem geheimnisvollen Professor Lovell nach London gebracht. Dort lernt er jahrelang Latein, Altgriechisch und Chinesisch, um sich auf den Tag vorzubereiten, an dem er in das Königliche Institut für Übersetzung der Universität Oxford - auch bekannt als Babel - aufgenommen werden soll.
Oxford ist das Zentrum allen Wissens und Fortschritts in der Welt. Für Robin erfüllt sich ein Traum, an dem Ort zu studieren, der die ganze Macht des britischen Empire verkörpert. Denn in Babel wird nicht nur Übersetzung gelehrt, sondern auch Magie. Das Silberwerk - die Kunst, die in der Übersetzung verloren gegangene Bedeutung mithilfe von verzauberten Silberbarren zu manifestieren - hat die Briten zu unvergleichlichem Einfluss gebracht. Dank dieser besonderen Magie hat das Empire große Teile der Welt kolonisiert.
Für Robin ist Oxford eine Utopie, die dem Streben nach Wissen gewidmet ist. Doch Wissen gehorcht Macht, und als chinesischer Junge, der in Großbritannien aufgewachsen ist, erkennt Robin, dass es Verrat an seinem Mutterland bedeutet, Babel zu dienen. Im Laufe seines Studiums gerät Robin zwischen Babel und den zwielichtigen Hermes-Bund, eine Organisation, die die imperiale Expansion stoppen will. Als Großbritannien einen ungerechten Krieg mit China um Silber und Opium führt, muss Robin sich für eine Seite entscheiden ...
Aber kann ein Student gegen ein Imperium bestehen?
Der spektakuläre Roman der preisgekrönten Autorin Rebecca F. Kuang über die Magie der Sprache, die Gewalt des Kolonialismus und die Opfer des Widerstands.

Ich hätte nicht gedacht, dass mich dieses Buch so schnell an sich fesseln kann. Meine Erwartungen wurden übertroffen, besonders da ich R. F. Kuangs vorherige Trilogie “Im Zeichen der Mohnblume” nicht besonders überzeugt hat.
Die Freundesgruppe, in der Robin Swift seine Heimat in Oxford findet, hat sehr interessante Dynamiken, da sich jeder Charakter sehr stark individualisiert und dadurch hervortritt. Sie haben alle andere Erfahrungen im Leben for Oxford gesammelt, wodurch die erlernten Verhaltens- und Sichtweisen, Denkmuster und Interpretation von Situationen sehr unterschiedlich sind und gerne auch mal clashen. Motive sind nicht immer klar und Charakterentwicklungen finden sich schleichend ein, was mir sehr gefällt. Es sind nicht immer die großen Momente, die einen zum Wachsen bringen, sondern auch das alltägliche Leben, mit dem man sich rumschlagen muss. Die verschiedenen Lebensrealitäten sind des schließlich, die die Gruppe zwingt, sich so zu entwickeln wie sie sich nun entwickelt.

Sprache und ihre politische Macht, ihren Einfluss auf die persönliche Wahrnehmung ist der verbindende Faden in dieser Geschichte. Man spürt die eingehende Recherche, die R. F. Kuang in ihr Werk gesteckt hat. Nach leider vielen Enttäuschungen in modernen Fantasyromanen habe ich in Babel eine außerordentliche Erzählkunst gefunden, die eine Welt produziert, die unserer nicht allzu entfernt ist.

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Veröffentlicht am 24.03.2023

Das Drama der Götter

Mythen und Sagen der Griechen
1

„Mythen und Sagen der Griechen“ ist ein kleines Büchlein, in dem viel drin steckt. Hier werden die griechischen Legenden wie der Entstehungen der Welt, dem trojanischen Krieg und den Irrfahrten des Odysseus ...

„Mythen und Sagen der Griechen“ ist ein kleines Büchlein, in dem viel drin steckt. Hier werden die griechischen Legenden wie der Entstehungen der Welt, dem trojanischen Krieg und den Irrfahrten des Odysseus nacherzählt. Die Kapitel waren zwar kurz, dennoch informationsdicht. Man musste sich beim Lesen sehr konzentrieren, um den Faden nicht zu verlieren, vor allem wenn man – so wie ich – nicht viele Kontaktpunkte zur griechischen Mythologie hatte (Percy Jackson und der Disney-Film Herkules machen einen scheinbar doch nicht zum Experten?!)
Die Aufmachung des Buches wurde sehr liebevoll gestaltet. Illustrationen der Krieger und Helden durchziehen sich durch die gesamten Erzählungen. Der Schreibstil war sehr einfach gehalten, wodurch die Geschichten etwas distanziert und kühl wirkten. Aber ich denke, das Buch soll in erster Linie informieren, und das schaffte es auf jeden Fall. Die Geschichten sind sehr komprimiert; innerhalb eines Absatzes kann einer sterben und wieder zum Leben erwacht werden und zwischendurch bekommt eine Göttin ihr xtes Kind. Man muss also wirklich dran bleiben! Besonders interessant fand ich die Bezüge zur gegenwärtigen Geographie: bspw wurde anhand einer Sage erzählt von wo das Atlas-Gebirge nach der griechischen Mythologie seinen Namen hat. Diese Anmerkungen waren sehr erfrischend und es hat sehr viel Spaß gemacht, diese trivialen Namen und Bezeichnungen auf diese phantasievolle Art und Weise erklärt zu bekommen.
Ich hätte mir gewünscht, wenn es eine Liste aller Figuren (und ihre Verbindungen zueinander) gegeben hätte. In jedem Kapitel wird man neuen Charakteren vorgestellt, wodurch man schnell mal den Überblick verlieren kann. Außerdem gab es hier und da Rechtschreibfehler, die einen aus dem Konzept bringen könnten; mich haben sie nicht besonders gestört.
Insgesamt hat mir das Buch viel Spaß gemacht und ich könnte mir auf jeden Fall vorstellen, ab und zu noch mal einzelne Geschichten nachzulesen! Die Lektüre ist für ein regnerisches Wochenende geeignet, in denen man sich vom Alltagstrott ablenken will. Das Drama der Götter ist der beste Stoff dafür!

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Veröffentlicht am 17.03.2023

Starkes Debüt

Bruder
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Über der Moschee auf Staten Island wachsen drei Brüder auf, die sehr unterschiedlich sind und einander doch innigst lieben. Dayo stammt aus Nigeria, Iseul aus Korea. Nur Youssef, der jüngste Bruder, weiß ...

Über der Moschee auf Staten Island wachsen drei Brüder auf, die sehr unterschiedlich sind und einander doch innigst lieben. Dayo stammt aus Nigeria, Iseul aus Korea. Nur Youssef, der jüngste Bruder, weiß nichts von seiner Herkunft. Er sucht die Nähe ihres Adoptivvaters Salim, doch der charismatische Mann steckt voller Rätsel. Während die Brüder in die Glitzerwelt Manhattans eintauchen, hält Salim antiwestliche Reden in der Moschee. Als er eines Nachts nach Saudi-Arabien aufbricht, folgen Youssef und seine Brüder ihm und begeben sich auf einen Weg der Erkenntnis wie der Verstörung. Sie werden Zeuge, was geschieht, wenn sich Religion und Kapitalismus als Machtinstrumente kaum noch voneinander unterscheiden lassen. Und sie erfahren endlich, wer sie wirklich sind. »Wenn es zu Ende ist, falls wir tatsächlich an unser Ende gelangen, hast du vielleicht eines Tages die Chance zu erkennen, wer wir gewesen sind. Und doch wird die Qual mich immer begleitet haben, und ich werde mich ewig fragen: Hätte ich dir noch mehr erzählen müssen?« Zain Khalid, Bruder

Wie so oft wusste ich nicht, worauf ich mich bei diesem Roman einlasse. Jedoch wusste ich bereits nach den ersten Seiten es würde mich sehr berühren. Zain Khalid schreibt überaus arabisch – also poetisch und existentiell. Da ich selbst aus diesen Teilen der Welt komme, habe ich von Anfang an eine besondere Verbindung zu diesem Buch gespürt. Die Beschreibungen der Moschee und des Gebets, der so leicht im Alltag verwoben wurde, waren sehr berührend. Die Atmosphäre war zu Beginn eher ruhig und von der kindlichen Leichtigkeit der Protagonisten geprägt. Dennoch konnte man eine tiefsitzende Narbe, auf jeden Fall einen starken Drang zu etwas Unbestimmten bemerken.

Leider wurde diese Ruhe und diese Beobachtungskraft, die in Khalids Schreibstil zu erkennen waren, von einem lauten Plot erdrückt. Gegen Mitte hin stieg der Spannungsbogen exponentiell und plötzlich waren wir inmitten eines Hollywood-Films. Auch wenn mir ein aufregender Plot und dem Kampf um Leben und Tod nichts ausmacht, ja sogar manchmal gefällt, fand ich sie in diesem Roman fehl am Platz.

Außerdem, und das fand ich wirklich Schade, gefiel mir die Richtung nicht, in der die Geschichte ging (auch wenn ich sie hätte vorhersagen können, hätte ich mehr als die beiden ersten Sätze der Zusammenfassung gelesen.). Es war klischeebehaftet. Jedes Mal – so fühlt es sich für mich, einer Muslima, die in Deutschland wohnt, an – muss der Islam mit etwas Radikalem und Bedingungslosem verbunden werden, etwas Gewalttätigem. Natürlich gibt es diese Gewalt im Islam, aber wird sie verhältnismäßig zu oft thematisiert im Gegenzug zum Frieden des Islams. Ich hätte mir gewünscht, wenn endlich mal nicht von dieser Seite gesprochen würde. Aber wie gesagt – hätte ich die Zusammenfassung aufmerksamer gelesen, hätte ich mich darauf vorbereiten können.

Nun gut, nichtsdestoweniger hab ich das Lesen genossen. Die Charaktere und ihr Zusammenspiel, besonders das der Brüder, war sehr harmonisch und echt. Außerdem sind die Perspektivenwechsel des Erzählers, besonders zum Ende hin sehr interessant und haben mir eine Gänsehaut verpasst.

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Veröffentlicht am 10.03.2023

Nichts für schwache Nerven

Lapvona
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Wovon ist das Glück des Menschen abhängig?
Diese Frage exploriert Ottessa Moshfegh in ihrem Roman „Lapvona“ auf widerstrebende Art und Weise.
Es riecht nach Kot und Verwesung, nach Blut, Vieh und Schlamm ...

Wovon ist das Glück des Menschen abhängig?
Diese Frage exploriert Ottessa Moshfegh in ihrem Roman „Lapvona“ auf widerstrebende Art und Weise.
Es riecht nach Kot und Verwesung, nach Blut, Vieh und Schlamm – das ist Lapvona, der gottverlassenste Ort der Romanwelt. Hier ist niemand vom Glück begünstigt, am wenigsten Marek, der missgestaltete Sohn des Schafhirten. Doch sein Elend birgt auch eine große Kraft: baldige Nähe zu Gott durch Entsagung und Erniedrigung. Als er von Villiam, dem irren Landvogt, aufs Schloss berufen und als neuer Fürstensohn eingeführt wird, glaubt Marek sich zu Höherem erkoren. Denn noch ahnt er nicht, wie grausam nicht nur die Not, sondern auch die Sättigung den Menschen macht. In ihrem neuesten Meisterwerk entwirft Ottessa Moshfegh ein höllisches Panoptikum menschlicher Monstrosität und trifft in der grotesken Darstellung von Ungleichheit, Korruption und Tyrannei den Nerv unserer Zeit erschreckend genau.
Der Roman erzählt vom mittelalterlichen Stadtgeschehen Lapvonas, die durch ihren Fürsten Villiam regiert wird. Im besonderen Fokus steht der Junge Marek, Sohn eines Lammhirten, der aufgrund seiner „Missgestalt“ von den anderen Dorfbewohner gemieden wird. Mehr kann man vorerst nicht beschreiben, denn ich denke jeder Versuch, diese Geschichte nachzuerzählen, misslingt. Diese Brutalität muss man selbst gelesen haben, wenn man sich denn dafür interessiert. Und ein dickes Fell hat. Denn die Szenen die einem vor Augen geführt werden, vergisst man nicht so leichte – ich zumindest nicht. Es gab genug Momente, an dem ich das Buch zur Seite stellen und nicht mehr in die Hand nehmen wollte; dabei behaupte ich schon von mir, dass ich auch groteske Angelegenheiten gut verkraften kann. Schließlich habe ich doch weitergelesen, denn Moshfegh schafft es zwischen diesen abscheulichen und faszinierenden Charakteren Konflikte zu schaffen, dass man einfach wissen MUSS, was aus ihnen wird. Wie in der Leserunde so treffend beschrieben wurde: Es ist wie bei einem Verkehrsunfall; man kann einfach nicht wegschauen.
Ottessa Moshfegh versteht das Schreiben und vor allem wie sie ihre Charaktere gegeneinander aufspielt, um psychisch vielschichtige Figuren zu schaffen.

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Veröffentlicht am 07.03.2023

Ruhe

Kitchen
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Das war mein erstes Buch von Banana Yoshimoto. Ich entschied mich spontan nach diesem Büchlein zu greifen, als ich mich für das Geschichtsabi vorbereitete. Wenn man die ganze Zeit über Kriege und Ungerechtigkeiten ...

Das war mein erstes Buch von Banana Yoshimoto. Ich entschied mich spontan nach diesem Büchlein zu greifen, als ich mich für das Geschichtsabi vorbereitete. Wenn man die ganze Zeit über Kriege und Ungerechtigkeiten lernen musste, kann das einen ganz schön mitnehmen. Ich wusste nicht worauf ich mich einließ, welche Geschichte hinter diesem schönen aber auch nicht viel sagendem Cover steckte.

Ich las das halbe Buch am Stück. Was für mich wirklich eine Seltenheit war, denn ich bin erstens wirklich langsam und zweitens meine Aufmerksamkeitsspanne ist vielleicht so groß wie mein Finger breit. Aber die Geschichten (es befinden sich zwei Kurzgeschichten in diesem Buch) haben mich verschlungen, mich eingenommen. Es sind warme, melancholische und friedliche Geschichten.

Banana Yoshimoto katapultierte sich auf meiner Liste der LieblingsautorInnen ganz weit nach oben.

Ich habe in der Zwischenzeit noch mehr von ihr gelesen; spoileralarm: Sie ist immernoch einer der besten SchreiberInnen, von der ich lesen durfte.

Sie hat in mir eine ganz herzliche Ruhe ausgelöst. Es waren schöne Geschichten über schöne (nichts äußerliches) Menschen, die trotz schwerer Ereignisse ein schönes Leben haben wollen. Für manche sind die Geschichten sicher langweilig, aber ich habe wirklich sehr sehr gerne das Leben und das Zusammenspiel der Charaktere beobachtet. Und es war sogar etwas Magischer Realismus zu erkennen.

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