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Veröffentlicht am 29.04.2024

Zu viele Klischees, zu viel Schwarz und Weiß

Heult leise, Habibis
5

„Heult leise, Habibis!“ von Sineb El Masrar
Worum geht´s?
Das Buch soll die „vernünftigen Stillen“ dazu anregen, ihre Stimme einzusetzen, damit nicht immer nur die Lauten zu hören sind, die oftmals polarisieren ...

„Heult leise, Habibis!“ von Sineb El Masrar
Worum geht´s?
Das Buch soll die „vernünftigen Stillen“ dazu anregen, ihre Stimme einzusetzen, damit nicht immer nur die Lauten zu hören sind, die oftmals polarisieren und die Gesellschaft spalten.
Das Buch ist in drei Abschnitte geteilt, im ersten versucht die Autorin beide Seiten, extrovertierte Laute und introvertierte Leise zu analysieren, warum sie sich so verhalten, wie sie sich verhalten.
Sie richtet das Buch an „ignorante Dauerempörte“ (schön formuliert) und versucht ihr Tun mit verschiedenen psychologischen Erklärungsansätzen zu entschlüsseln.
Im ersten Teil des Buches beschreibt sie zudem die Medienlandschaft und verschiedene Effekte, die die Leute, die Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit auf sich ziehen wollen, benutzen. Interessant hierbei waren besonders der „Lady Di“ Effekt und das „Fremdweinen“.
Teil 2 soll dann einige Lösungsansätze aufgreifen, wie z.B. eine gesunde Identitätsbildung, geht dann aber auch wieder auf vermeintliche Ursachen wie Vaterlosigkeit ein.
Im dritten Teil führt sie an Beispielen wie z.B. Bin Laden und Hitler vor, wie diese das Volk verhetzten und eine Vielzahl darauf hereinfiel bzw. fällt und aus welchen Gründen. Und dass dagegen die „vernünftigen Stillen“ ihr Wort in die Waagschale legen sollen.
Vieles bringt die Autorin in den Kontext des dritten Reichen oder des Israel-Palästina Konfliktes, der ehemaligen DDR oder Islamisten, auch zu Hetzkampagnen auf Social Media.
Sinen El Masrar ist 1981 in Hannover geboren, ihre Eltern stammten aus Marokko. Sie ist als Autorin, Moderatorin und Journalistin sowohl in Print als auch in Online-Medien tätig. Zum Beispiel auf „Twitter-X“ ist sie auf social media aktiv.

Meine Meinung:
Der erste Buchabschnitt hat mich zum großen Teil noch überzeugt, ich fand die Gedankengänge ganz interessant, wenn auch nicht immer stimmig.
Besonders dass sie das Buch an „ignorante Dauerempörte“ richtet, die es lesen sollen. Erstens: wer würde sich von sich aus zu dieser Gruppe zuordnen und zweitens das Buch, in dem diese Gruppe von vorne bis hinten kritisiert wird, lesen?
Gut, sie will auch „vernünftige Stille“ motivieren, ihr Wort zu erheben. Aber gerade, dieses Polarisieren und schwarz-weiß Denken, prangert sie an und benutzt es dann selbst. Stille – sind nicht immer vernünftig, intelligent und auf der „richtigen“ Seite. „Laute“ richten nicht immer Schlechtes an, sind nicht immer auf der „falschen“ Seite. Social Media Leute liefern nicht nur Fake News und bekommen erotische Gefühle, wenn sie viele Likes und Aufmerksamkeit auf ihre polarisierten News bekommen. Und: es gibt nicht nur „Stille“ und nicht nur „Laute“, sondern dazwischen jede Menge Nuancen.
Kinder, die ohne Vater aufwachsen, bekommen nicht automatisch Störungen sexueller oder beruflicher Art . Dies nur ein Beispiel von vielen, das mich im zweiten Teil enorm störte und ich froh war, als ich das Buch ausgelesen hatte. Als sie dann noch Klischees über die ehemalige DDR brachte, Alleinerziehende und Ödipuskomplex fast gleich setzte, war für mich das Maß voll.
Der zweite Abschnitt fing sinngemäß an, als sich 2 Wessis und ein Ossi tief im Osten trafen und das Gespräch so lief: von DDR und dass sich Demokratien nicht nur durch Wahlen legitimieren auf Wahlen in der Türkei, Erdogans Drohung mit „Halbmond gegen Kreuz“, Judenhass, Palästina-Israel-Konflikt, antidemokratische Machtübernahme nicht nur durch Putsch – das alles auf sechs Seiten, das war mir alles sehr verkürzt, sehr oberflächlich aneinander gereiht.
Das Cover mit dem Auge und des etwas provokanten Titels finde ich gelungen, allerdings ist der Schutzumschlag von schlechter Qualität, knittert sehr leicht und hat eine grauenvolle Haptik. Der Schreibstil ist in Ordnung, psychologische Hintergründe sind so erklärt, dass sie leicht zu verstehen sind.
Fazit:
Mäßige Leseempfehlung.
Die, an die es zum einen gerichtet ist, werden es kaum lesen und sich um 180 Grad (oder waren das 360 Grad? ändern. Die, die lauter werden sollen, werden dadurch wahrscheinlich ihr Verhalten auch nicht ändern. Sie werden auch kaum in der Politik oder Gesellschaft was ändern können, denn wie in Talkrunden, werden Gespräche nicht moderiert und Introvertierte so wohl nicht zu Wortführern.
Einige der Erklärungen und Ansichten der Autorin haben mich richtiggehend abgestoßen, diese Beispiele fand ich sehr einseitig, überholt bzw. nicht richtig.
Auch hätten meiner Meinung nach z.B. politische Instrumentarien, wie das Schweizer System der Volksabstimmung oder andere Entscheidungsgremien zu den Lösungsansätzen gehört.
2 von 5 Sternen.

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Veröffentlicht am 29.04.2024

Es gibt nichts Schlimmeres als Krieg

Wären wir Vögel am Himmel
4


„Wären wir Vögel am Himmel“ von Erin Litteken
Worum geht´s?
Das Buch beschreibt das Schicksal zweier ukrainischer Familien während des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit im Zeitraum von 1941 bis ...


„Wären wir Vögel am Himmel“ von Erin Litteken
Worum geht´s?
Das Buch beschreibt das Schicksal zweier ukrainischer Familien während des Zweiten Weltkriegs und der Nachkriegszeit im Zeitraum von 1941 bis 1949. Es beginnt in der Oblast (Bundesland, Verwaltungseinheit) Wollhynien in der sowjetischen Ukraine mit den Verlusten, die die 15 jährige Lilija im Krieg erlebt, ein Familienmitglied nach dem anderen wird getötet, immer mehr Wunden in ihre junge Seele gerissen. Die Handlung wechselt in die Oblast Kiew zur Familie der 10 jährigen Halija, die auch schon einen Verlust erlitten hat, nämlich ihre leibliche Mutter. Lilijas Tante Vika zeigt uns die Sorgen einer Mutter um ihre Familie, v.a. um ihre Kinder und was diese dauernde Angst mit ihr selbst macht. Nachdem Lilijas Vater von Polen umgebracht wurde, flüchtet sie zu ihrer Tante, dort trifft sie auf den jungen Polen Filip, dessen Mutter von ukrainischen Nationalisten getötet wurde. Ihre Bekanntschaft durchläuft einige sehr emotionale Stationen. Die Wege von Lilija, ihrem Cousin Slavko und Haliya treffen auf dem Weg zur Zwangsarbeit in Deutschland aufeinander. Sie erleben schreckliche Dinge und bemühen sich ums Überleben. Vika flüchtet mit ihrer Familie Richtung Deutschland, um ihren Sohn und ihre Nichte zu finden und um zu überleben. Die Wege aller führen durch das so schrecklich bombadierte Dresden und durch einige Flüchtlingslager. Werden alle überleben? Werden sie sich wiederfinden?
Erin Litteken greift in diesem Buch ihre eigene Familiengeschichte und die Berichte vieler Zeitzeugen auf. Dass sich die Fertigstellung ihres Debütromans „Denk ich an Kiew“ mit den aktuellen Geschehnissen in der Ukraine überschnitt, erschütterte sie. Frau Litteken lebt mit ihrer Familie in Illinois, USA.
Meine Meinung:
Dieses Buch ist mir sehr nahe gegangen. Es hat mich sehr lange nachdenken lassen, besonders über meine eigene Familiengeschichte, in der in der Vergangenheit auch Zwangsarbeit, Gefangenschaft, Vertreibung und Flucht vorkam. Und dazu kam das große Bedauern, dass man jetzt keine Fragen mehr stellen kann, da die Großeltern und andere Verwandte, die diese schrecklichen Zeiten erlebt hatten, nicht mehr leben. Als ich die Gelegenheit hatte, diese Fragen zu stellen, habe ich sie aus vielen Gründen nicht gestellt.
Die Autorin lässt uns diese Zeit durch die Augen einer 10 jährigen, einer 15 jährigen und einer Mutter sehen in einem Zeitraum von 8 Jahren, jede hat andere Sorgen und Verarbeitungsstrategien.
Im Vorwort ist ein kurzer geschichtlicher Exkurs über die Geschichte der Ukraine, die scheinbar noch nie Ruhe und Frieden hatte. Im Nachwort geht Frau Litteken darauf ein, dass das Buch von der Geschichte des ukrainischen Teils ihrer Familie inspiriert und die Grenze zwischen Fiktion und Realität oft verwischt ist.
Das Cover greift das Motiv der Vögel auf, des freien, davon fliegenden Vogels und des gefangenen Vogels im Käfig. Dieses Motiv kommt bis zur Mitte des Buches auch häufig vor und hat mir sehr gut gefallen. Der Schreibstil ist sehr eindrücklich, beinhaltet viele Bilder. Man möchte gar nicht mehr aufhören zu lesen, weil man wissen will, wie es mit der Geschichte der beiden Familien weitergeht. An einigen Stellen hatte ich auch Tränen in den Augen.

Fazit:
Ganz klare Leseempfehlung!!!
Wer an diese Geschehnisse denkt, kann wirklich keinen Krieg verstehen. Es ist ein Buch, das ans Herz geht, man merkt der Autorin an, dass es von Herzen kommt durch die Familiengeschichte.
5 von 5 Sternen!!!

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  • Thema
Veröffentlicht am 08.04.2024

Macht Lust auf mehr Meer!

Für immer Inselwind
1

„Für immer Inselwind“ von Antonia Sommer
Worum geht´s?
Norderney – eine Insel, wo viele Urlaub machen. Da wohnen die 5 Geschwister der Familie Ratdke. Allerdings seit ein paar Jahren als Vollwaisen, denn ...

„Für immer Inselwind“ von Antonia Sommer
Worum geht´s?
Norderney – eine Insel, wo viele Urlaub machen. Da wohnen die 5 Geschwister der Familie Ratdke. Allerdings seit ein paar Jahren als Vollwaisen, denn die Eltern kamen bei einem Verkehrsunfall ums Leben. Der älteste Sohn Raik und seine Zwillingsschwester versuchen die Eltern zu ersetzen. Raik hat die Vormundschaft für die jüngste Schwester übernommen, die der Tod der Eltern stark mitgenommen hat und die dadurch viel Aufmerksamkeit benötigt. Seine kleine Tochter lebt bei seiner Exfreundin in Köln und er sieht sie nur alle paar Wochen. Außerdem hat er den Fahrradladen seines Vaters übernommen. Mit seinem Bruder, der mit seinem Mann auf dem Festland lebt, hat er seine Probleme, zu seinem einst besten Freund hat er gar keinen Kontakt mehr. Das alles ergibt recht viel Stress und Frust. Gerade in so einem Moment trifft er zufällig Svea, die viele Jahre nicht mehr auf Norderney war. Früher war sie die Freundin seines Bruders, bevor dieser merkte, dass er auf Männer steht. Auch Svea hat diverse Probleme mit ihrem Noch-Ehemann und ihrer Familie. Darüber hinaus weiß sie nicht, wie und wo ihr Leben weitergehen soll.
Sveas Oma ist ein absolutes Highlight dieser Geschichte. Ich habe oft sehr herzhaft lachen müssen.
Finden Raik und Svea zueinander? Wie entwickeln sich die familiären und freundschaftlichen Beziehungen?
Meine Meinung:
Ich liebe dieses Buch! Es ist tatsächlich ein Wohlfühlroman für Kopf, Bauch und Herz Man merkt an der Beschreibung der Insel, der Leute, der Restaurants etc an, dass Frau Sommer diese Insel liebt! Die Kapitel sind abwechselnd aus der Sicht von Svea und Raik geschrieben. Das hilft, die Gefühlswelt der beiden und ihre Interaktionen zu verstehen. In einer problemgeschwängerten Umwelt in bezug auf Politik, Klima usw ist es schön auch mal einen Roman zu lesen, in dem Zusammenhalt von Familie und Freunden vieles vermag und vieles zum Guten wenden kann. Nicht nur das Cover vermittelt ein Urlaubsfeeling, sondern das ganze Buch. Der Schreibstil ist sehr flüssig, beschreibt detailliert ohne langatmig zu werden und gibt die Gedanken der Personen wider. Die Personen werden nach und nach eingeführt und peau a peau kommen mehr Informationen dazu oder einschneidende Ereignisse der Vergangenheit. Richtig schön ist das Personenverzeichnis am Anfang des Buches.
Fazit:
Ganz klare Leseempfehlung!!! Ich freue mich schon auf die beiden nächsten Bände, die noch dieses Jahr herauskommen! Zudem hat mich das Buch angeregt, mehr Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen und Norderney für einen Kurzbesuch im Kopf zu behalten.
5 von 5 Sternen!

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Veröffentlicht am 08.04.2024

Eine Ansammlung betrüblicher Unlogik

Das Resort
6

„Das Resort – Du kannst nicht entkommen“ von Sarah Goodwin
Worum geht´s?
Mila ist mit ihrem Ehemann Ethan auf dem Weg zu der Hochzeit ihrer Schwester, die in einem Resorthotel in den bayerischen Alpen ...

„Das Resort – Du kannst nicht entkommen“ von Sarah Goodwin
Worum geht´s?
Mila ist mit ihrem Ehemann Ethan auf dem Weg zu der Hochzeit ihrer Schwester, die in einem Resorthotel in den bayerischen Alpen stattfinden soll. Alles geht schief, das Navi fällt aus, Ethan kommt vom Weg ab und der Mietwagen gibt auf einem verschneiten Weg den Geist auf. Ein Wegweiser führt sie – ohne hinreichende Winterkleidung - zu einer Ansammlung von verlassenen, heruntergekommenen Hütten, einsam im Nirgendwo gelegen. Sie verbringen die Nacht auf dem Fußboden einer der Hütten und als Mila am nächsten Morgen aufwacht, ist Ethan nicht mehr da. Keine Notiz, keine Spuren geben einen Hinweis auf seinen Verbleib. Mila macht entsetzliche Entdeckungen und fühlt sich beobachtet.
Was ist mit Ethan passiert? Ist ihm was passiert oder holt er nur Hilfe? Kommt Mila rechtzeitig zu der Hochzeit ihrer Schwester? Oder ist sie in Gefahr?
Meine Meinung:
Empfehlen kann ich das Buch „Das Resort“ nicht. Warum?
An dem Schreibstil der Autorin liegt es nicht. Sie kann wunderbar Spannung aufbauen. Nach dem ersten Drittel wollte ich das Buch loben und hatte mir schon folgende Überschrift ausgedacht: „Gruseliges Kammerspiel im Schnee“. Dann aber reihte sich ein Logikfehler an den anderen, einer haarsträubender als der andere. Ein Fehler war so extrem, dass ich mich verärgert gefragt habe, warum niemand die Autorin darauf aufmerksam gemacht hatte. Ich habe mir dann den Spaß gemacht, eine ellenlange Liste der unlogischen Dinge zu erstellen. Es kam mir auch so vor, als ob Mrs Goodwin Bayern mit Kanada verwechselt in bezug auf Distanzen. Ebenso hat sie scheinbar vergessen, dass es durchaus Rettungsdienste von Polizei, Feuerwehr, Bergrettung, Notärzten etc gibt.
Darüber hinaus packte die Autorin alle möglichen kriminelle Aspekte in das Buch, die zusammen alles überfrachteten. Der Schluss des Buches war dann auch „too much“.
Dieses Buch mit dieser Aneinanderreihung betrüblicher Logikfehler hätte Spock um den Verstand gebracht und mich auch.
Die britische Autorin Sarah Goodwin erwähnt in der Danksagung, dass sie ein schwieriges Jahr hatte und ihre Eltern enorme gesundheitliche Probleme. Vielleicht waren das die Gründe für dieses Chaos.
Noch ein kleiner Widerspruch: das Cover wirkt sehr interessant mit einer dunklen Gestalt und einer Hütte vor hohen, schneebedeckten Bergen. Allerdings irritiert der Titel, da das Resort eine sehr untergeordnete Rolle in der Handlung spielte und aus dem Resort auch niemand entkommen wollte, höchstens beim Bezahlen
Fazit:
Es gab in der Leserunde einige Leser, denen das Buch gefallen hat. Hier muss man für sich abwägen, was mehr wiegt: ein spannungserzeugender Schreibstil versus Unlogik. Mir vermiesten diese vielen unsinnigen Passagen das Buch.
Von mir keine Leseempfehlung. 1 Stern für den Schreibstil und den Anfang, insgesamt zusammen eine unterirdische Bewertung, nicht mein Buch.

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Veröffentlicht am 19.03.2024

Die Narben der Vergangenheit

Wir sitzen im Dickicht und weinen
2

„Wir sitzen im Dickicht und weinen “ von Felicitas Prokopetz

„Wir sitzen im Dickicht und weinen“ ist das erste Buch der Wienerin Felicitas Prokopetz, der Tochter des Musikers und Kabarettisten Joesi Prokopetz. ...

„Wir sitzen im Dickicht und weinen “ von Felicitas Prokopetz

„Wir sitzen im Dickicht und weinen“ ist das erste Buch der Wienerin Felicitas Prokopetz, der Tochter des Musikers und Kabarettisten Joesi Prokopetz. Sie studierte in Wien Philosophie und in Leipzig Angewandte Sprachkunst.

Worum geht´s?
Der Roman spielt in mehreren Zeitlinien von 1919 bis in die Gegenwart. Hauptprotagonistin ist die alleinerziehende Valerie, Mutter eines 16jährigen Sohnes. Das Verhältnis von Valerie zu ihrer Mutter ist äußerst schwierig und als ihre Mutter an Krebs erkrankt, fehlen Valerie die Erholungspausen zwischen den Kontakten mit ihrer Mutter. Die Vergangenheit hat einen enormen Einfluss auf die Gegenwart. Das Schicksal ihrer Urgroßeltern, ihrer Großeltern und ihrer Eltern wird beleuchtet. Ebenso das ihres Vaters und dessen Vorfahren. Die psychologischen Folgen des Weltkrieges, die Folgen einer postpartalen Depression, fehlende emotionale Nähe, fehlende Anerkennung und Respekt führten zu psychischen Narben, die immer wieder aufbrechen, die Handlungen und Reaktionen bestimmen, ohne dass man das mitbekommt. Valerie versucht bei ihrem Sohn alles anders zu machen, aber scheitert auch. Wird sie es schaffen, ihre Mutter durch diese schwere Krankheit zu begleiten? Wird sie ihren Sohn die wichtige Freiheit geben? Werden familiäre Verhaltensmuster durchbrochen?

Meine Meinung:
Dieses Erstlingswerk der Autorin ist ein Meisterwerk. Es zeigt den Einfluss der Vergangenheit auf die Gegenwart. Wie Krieg die Menschen traumatisiert hat und dieses unaufgearbeitete Trauma an die Kinder weitergegeben wurde, ebenso wie eine postnatale Depression eine Familie schrecklich beeinflusst hat.
Das Buch lebt von vielen Dialogen, immer wieder kommen auch fiktive Trauerreden, von Valerie über ihren Vater geschrieben, vor.
Es hat mich an die emotionale Belastbarkeitsgrenze gebracht, da ich gerade in einer ähnlichen Situation in meiner Familie bin. Oder auch schon vor der Krebserkrankung meines Vaters. Wie die Verhaltensmuster von meinen Großeltern auf meine Eltern und deren Geschwister auf mich und von mir auf meine Kinder weitergegeben werden. Ebenso wie bei meinem Mann.
Das Ende der Geschichte von Valerie und ihrer Mutter gibt mir Kraft, meinen Vater weiter zu begleiten, auch wenn ich mit null Respekt behandelt werde. Und mit den Kindern hat man wohl auch nicht alles falsch gemacht. Immer wieder die Handlungen zu reflektieren, zu überlegen, warum habe ich jetzt so reagiert und nicht anders, ist so wichtig.
Frau Prokopetz hat dieses Buch so eindrücklich geschrieben, dass man überlegt, was sie erlebt hat.

Man möchte die 205 Seiten am Stück lesen, man möchte auch gar nicht mehr weiterlesen und tatsächlich weinen. Im Dickicht der Gefühle. Doch ich war magnetisch in den Bann der Geschichte gezogen und habe weitergelesen und auch geweint.
Das Cover hat mich sofort angesprochen, es ist sehr schön in dezenten Pastelltönen und abstrakten Lebenslinien, die entfernt an Blumen bzw Schmetterlinge erinnern.
Die kurzen Kapitel sind sehr gut zu lesen, genügend Informationen über die jeweiligen Verwandten, doch nicht zu viele auf einmal.

Fazit:
Der Autorin ist mit ihrem Erstlingswerk ein Meisterwerk gelungen. Ich denke, es werden sich viele Leser in ähnlichen Situationen wiederfinden. Die Narben der Vergangenheit bestimmen mal mehr mal weniger unser Leben. In Krisensituationen wohl mehr.
Was zum Verständnis ungemein geholfen hätte, wäre ein Stammbaum am Anfang des Buches gewesen. Ich habe ihn mir selbst erstellt, danach war es einfacher zuzuordnen.
Ich bin auf die nächsten Bücher der Autorin gespannt.
Ganz klare Leseempfehlung!!!!!!!!

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