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Meinungen aus der Lesejury

Veröffentlicht am 29.06.2023

Ein Wohlfühl-Thriller

Neun Fremde
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Erst der Hinweis, das Nicole Kidman, die ich besonders als Darstellerin in "Dogville" sehr schätze, in der Netflix-Verfilmung des Romans der Australierin Liane Moriarty die Hauptrolle spielt, weckte mein ...

Erst der Hinweis, das Nicole Kidman, die ich besonders als Darstellerin in "Dogville" sehr schätze, in der Netflix-Verfilmung des Romans der Australierin Liane Moriarty die Hauptrolle spielt, weckte mein Interesse an dem Buch.

Entgegen vieler Rezensenten, denen die Erzählung zu langatmig daherkommt, empfand ich beim Lesen genau jene entspannende Wellness-Atmosphäre, in der die Handlung angelegt ist. Die Figuren werden mit ihren biografischen Hintergründen ausführlichst geschildert, sodass man voll mit ihnen mitgehen kann - kein Standard in dem heutzutage voll auf Action ausgelegten Thriller-Genre.

Doch es ist ja überhaupt kein klassischer Thriller. Die sanfte, blutige Kettensägenmassaker vermeidende Erzählweise der Autorin ist ein Genre-Mix. Romantik spielt hier ein große Rolle. Die mag ich aus zwei Gründen: Erstens lehne ich den m.E. frauenverachtenden Sadismus eines deutschen Thriller-Bestsellerautors names F... ab. Das ist mir zu primitiv. Und zweitens kann man als Leser mit den überraschenden Wendungen, die Liane Moriartys Roman gegen Ende hin voll mitgehen, weil eines dir Figuren jeder auf seine Weise ins Herz gewachsen sind.

Ein romantischen Buch mit Thriller-Elementen, ein packender Thriller mit romantischem Ausgang, brutales Blutvergießen vermeidend.



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Veröffentlicht am 29.06.2023

Eine wunderschöne Erzählung über die Geliebte des Philosophen Sokrates

Xanthippe
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Man darf sich nicht vom Äußeren abschrecken lassen:
Diesem schlecht abgescannten, falsch skalierten und mit einem ausdruckslosen Cover versehen Reprint liegt ein mehrere Jahrzehnte altes Original zugrunde, ...

Man darf sich nicht vom Äußeren abschrecken lassen:
Diesem schlecht abgescannten, falsch skalierten und mit einem ausdruckslosen Cover versehen Reprint liegt ein mehrere Jahrzehnte altes Original zugrunde, was einst liebevoll farbig gestaltet war.
Geblieben ist der Inhalt, eine leichte, liebevolle und ganz ohne Männerhass geschriebenen fiktive Biografie der Geliebten und Partnerin von Sokrates, jenes großen griechischen Philosophen, dessen Werk nur über die Aufzeichnungen seines Schülers Platon bekannt wurde.
Maria Regina Kaiser flechtet in die Erzählung historische Hintergründe des alten Griechenlands ein, uneitel und leichtfüßig. Ein großartiges Werk!

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Veröffentlicht am 29.06.2023

Schwankend auf dem Meer ...

Kap der guten Hoffnung
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Ein Buch, wie Schwanken auf dem Meer. Oder noch besser: wie Beine aus Gummi, wenn man nach einem Tag auf dem Ruderboot oder einer Segeljolle, nachdem man sich an das Auf und Ab des Wellengangs gewöhnt ...

Ein Buch, wie Schwanken auf dem Meer. Oder noch besser: wie Beine aus Gummi, wenn man nach einem Tag auf dem Ruderboot oder einer Segeljolle, nachdem man sich an das Auf und Ab des Wellengangs gewöhnt hat, wieder festen Boden betritt und glaubt, den Halt zu verlieren.
Der Autor war Großteil seines Lebens Theatermann und Pfarrer in Personalunion, wobei eines das andere bedingt, durchdringt und beeinflusst. Gleich eingangs auf den ersten Seiten irritiert eine mittelalterlich anmutende Sprache, die einem so merkwürdig vertraut vorkommt. Richtig: die Lutherbibel, für viele Leser längst vergessen, und doch seit Kindesbeinen ins Blut übergegangen, diese Mischung aus sächsischer Kanzleisprache, aus der unser Hochdeutsch entstand, und Deftigem, dem Volke aufs Maul geschaut. "Er zwang die Wellen, dass sie brüllten" (Seite 30) nur ein Beispiel für die Sprachgewalt Dieter Liebigs. 
 Während es am Anfang ganz einfach losgeht und junge Blogger wohl schon mit "das fixt mich nicht an" auf Seite 1 qua Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom nach der Wegklick- bzw. Wegwischtaste greifen, fühlt man sich als Leser plötzlich beobachtet, ermahnt von Erzähler hinter der Erzählerfigur, ob man denn auch aufmerksam dem Vorgetragenen lausche: ein Trick, den sowohl Pfaffen als auch versierte Universitätsprofessoren an der Kanzel beherrschen, um das Auditorium in Schach zu halten. Auch hier zeigt sich die große Erfahrung des Autors.
Aber worum geht es überhaupt? Gut, das geht ein einfacher Mann zum Begräbnis einer entfernten Verwandten, bezahlt den Leichenschmaus und schaut des Abends noch einmal rein ins Haus der ärmlichen Verblichenen. Eigentlich nichts von Wert dort in dem einsamen Krempel. Höchstens ein Brieföffner, geschärft zum Öffnen eingehender Post, die sich nach etwas Kramen dann auch findet. Mit Schleifchen verschnürte Papierbündel, belangloser Text auf den ersten Blick. Und eine ungeöffnete Flaschenpost, dort auf der Anrichte.
Die Buddel, denn sie nicht willig, wird aus Übermut zerschlagen, und schon befindet sich der Erbe auf einem Sklavenschiff, vom grausamen Holländermichel mit dem Ochsenziemer ausgepeitscht, im ewigen Ritt über die Weltmeere. Briefe dürfen sie schreiben, die Galeerenhäftlinge. Und am Ruder sitzt ein Kunstmaler: "Als ob er dahin verbannt worden wäre, um niemals Licht in seine Bilder bringen zu können. Wenn uns Muße an Deck verordnet worden war, ließ er die Bilder in die See gleiten." (Seite 33)
Ins Meer hinaus als Flaschenpost müssen auch all jene Briefe, die von den  Verdammten verfasst müssen, seien es nun Liebesbriefe oder Gedichte oder Traktate. Die Adressen sind wohl notiert. Doch ob sie jemals die Empfänger erreichen? Die entfernte Verwandte jenes Erbens, den nun zum Kap der Guten Hoffnung fährt, scheint die ihr gedachten Briefe zumindest erhalten zu haben.
Die Schwarze Galeere, ein Totenschiff wie bei Wilhelm Hauff oder Heinrich Heine oder Richard Wagners romantische Oper in drei Aufzügen? Es ist ein Parforceritt durch die der Eroberung der Meere, durch die Literatur- und Geistesgeschichte der Menschheit, den Grausamkeiten der Kolonisation und der Kriege, auf die uns Dieter Liebig hier mitnimmt. Und wenn wir nicht wissen, warum er uns Leser hier als Ruderknechte einspannt, dann werden uns mal eben ein paar deftige Bibelzitate um die Ohren gehauen. Wir sind nun mal alle arge Sünder. 
Doch wer glaubt, dies sei brav-christliche Bekehrungsliteratur nach dem Motto "Wenn man die auf die eine Wange schlägt, dann halte auch die andere hin", der wird durch folgende Textpassagen eines anderen belehrt, rutscht auf den Planken aus und verliert wieder einmal festen Boden unter den Füßen: "Als es auf die Geisterstunde zuging, war ich mit meinen Gedanken über den Menschen zu Ende gekommen. Der arme Mensch würde sich auch in Zukunft glücklich preisen, wenn er einige Patronen besitzen würde, mit denen er sich gegen seinen Nächsten zur Wehr setzen könnte." (Seite 197) 
Mit den Weibern hat es unser Held auf seinem Wogenritt natürlich auch zu tun, in Hafenschänken und Bordellen und auf hoher See: "Gegen die Hexen half nur einer, der gute Geist des Schiffes, der Klabautermann, der die ganze Zeit ungesehen, aber hörbar auf dem Schiff unterwegs war, um verschobene Ladung zu richten oder durch Kratzen und Schaben an der Bordwand ..." (Seite 218) 
Und dann gibt es noch Damen, wie jene Holländerin, die bei der letzten Reise am Ende des Buches nicht freiwillig zugegen ist. Bevor auch sie das Schicksal trifft, wird auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs offenbart, worauf der Buchtitel wirklich anspielt: "Wenn man von hier aufbricht, nimmt man die gute Hoffnung mit, wieder lebend anzulangen. Das Kap der Guten Hoffnung ist der Angelpunkt von Verdun." (Seite 247) 
Wobei der Autor nicht in Zynismus oder Misanthropie abgleitet, sondern – und dies macht auch seinen Stil aus – die Menschen so nimmt, wie sie nur einmal sind mit all ihre Licht- und Schattenseiten, wenn er als Kriegserlaubnis auch dies schreibt: "Wie viele Menschen mag diese Hölle verschlungen haben. Wir fuhren stundenlang unter blühenden Bäumen dahin, bis es dem Vizewachtmeister zu bunt wurde Er ließ Wagen und Geschütze mit Blütenzweigen schmücken und sagte dann: ‘Jetzt sehen wir tatsächlich aus wie ein Zug aus Dantes Inferno.’" (Seite 251)     
Doch das wirkliche Inferno, das ereignet sich erst im weiten Weltkrieg. Ein schlesisches Kaff namens Kohlfurt, auf dem Eisenbahnzüge ankommen und abfahren. Der Fliegende Holländer, das Galeerenschiff, scheint Räder bekommen zu haben, unser Held wird Rangierer. "Wie das Wasser so in die Lok lief, brüllte es aus den Waggons des Sonderzuges: ‘Wasser.’ Erst da bemerkte ich, dass sich in den Waggons bis aufs Äußerste gepeinigte Menschen befinden mussten." (Seite 298) Unter denen befindest sich auch die erwähnte Holländerin, vom Lager Westerbork nach Auschwitz auf ihrer allerletzten Reise.
Und doch, Dieter Liebigs Roman hat einen Grundton, der nicht anklagend ist und nicht wehleidig. Auf der Seereise, zu der er uns mitnimmt, zeigt er die Höhen und Tiefen der menschlichen Natur, der Kultur- und Philosophiegeschichte, der Eroberung der Welt und ihre Beinahe-Zerstörung in einem fast heiteren Ton. Hat der Leser die letzte Seite zugeschlagen und geht er von Bord, so schwingen die Weller der Ozeane in ihm nach, geht er mit leichter Schlagseite wie ein Seemann nach feuchtfröhlichem Verlassen einer Hafenbar. 

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