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Veröffentlicht am 18.07.2021

Fesselnder Histo-Krimi zur Zeit des Dritten Reichs

Die Toten vom Gare d’Austerlitz
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MEINE MEINUNG

Mit dem historischen Kriminalroman " Die Toten vom Gare d’Austerlitz " ist dem britischen Autoren Chris Lloyd ein sehr spannender Auftakt einer neuen Krimi-Reihe gelungen, der vor dem Hintergrund ...

MEINE MEINUNG

Mit dem historischen Kriminalroman " Die Toten vom Gare d’Austerlitz " ist dem britischen Autoren Chris Lloyd ein sehr spannender Auftakt einer neuen Krimi-Reihe gelungen, der vor dem Hintergrund des 2. Weltkriegs während des Einmarschs der Nazis in Paris im Juni 1940 angesiedelt ist. Mit vielen eingeflochtenen zeitgeschichtlichen Details, die von guter Recherchearbeit zeugen, lässt uns Lloyd in eine unübersichtliche und hochkomplexe Gemengelage in der französischen Hauptstadt zu Beginn der deutschen Besatzung eintauchen, in der seine Hauptfigur Inspecteur Éduard Giral in einem brisanten Mordfall an vier Polen und einem tragischen erweiterten Suizid zu ermitteln hat, Fälle zwischen denen ein Zusammenhang zu bestehen scheint. Doch schon bald muss sich Giral gegen die zunehmende Einmischung von Wehrmacht, Gestapo und Geheimer Feldpolizei behaupten.

Mit seinen lebendigen, detailreichen Schilderungen versteht es der Autor hervorragend, uns die komplizierte politische Lage, die alltäglichen Auswirkungen der Besatzung für die Pariser Bevölkerung, bei denen von geheimen Widerstand bis hin zu opportunistischer Kollaboration mit den Nazis alles vertreten war, vor Augen zu führen. Sehr fesselnd ist aber vor allem auch die schwierige Situation für den unerschrockenen französischen Polizisten Eddie mitzuverfolgen, der bei seinen Ermittlungen nach einer Quasientmachtung der französischen Polizei durch die deutschen Besatzer ständiger Beobachtung, Willkür, Bedrohung und Manipulation ausgesetzt ist. Aber auch in den eigenen Reihen hat er gegen so manche Widersacher zu kämpfen und hat zudem privat etliche Probleme zu bewältigen, die ihm das Leben schwer machen.

Der Autor hat einen fesselnden, rasanten und sehr vielschichtigen Plot entworfen. Wegen des verwirrenden Geflechts von verschiedensten Handlungssträngen und den nicht leicht zu durchschauenden Zusammenhängen hatte ich manchmal allerdings Schwierigkeiten die ganzen Hintergründe zu durchblicken. Er versteht es jedoch hervorragend, Spannung aufzubauen, so dass man völlig von dem sich entspinnenden perfiden Katz-und-Maus-Spiel gebannt ist und mit dem cleveren und unerschrockenen Giral bei seinen komplizierten Ermittlungen immer mehr mitfiebern muss. Dieser hat der nicht nur gegen intrigante Machenschaften in eigenen Reihen und den üblen Spielchen von SS und Deutscher Abwehr anzukämpfen, sondern muss auch im privaten Bereich mit dem Auftauchen seines Sohns Jean Luc auftaucht so einiges Probleme zu bewältigen.

Die verschiedenen Charaktere bis hin zu den Nebenfiguren sind sehr lebendig dargestellt und umfassen eine große Anzahl an undurchsichtigen Figuren und boshaften Widersachern. Herausragend ist vor allem der facettenreiche Protagonist Giral angelegt, den wir mit seiner komplexen Persönlichkeit allmählich immer besser kennenlernen. In eingeschobenen Rückblicken erfahren wir viele Details aus seinem Vorleben und können so seine durch die im 1. Weltkrieg traumatisierte, zerrissene Psyche besser nachvollziehen – auch wenn mir bisweilen sein Verhalten doch etwas fremd geblieben ist. Man darf gespannt sein, wie er sich im Laufe der Krimireihe weiterentwickeln wird.
Auch die zahlreichen Nebenfiguren sind sehr vielschichtig und interessant gestaltet, und geschickt in den faszinierenden zeitgeschichtlichen Zusammenhang eingebettet.

Zum Ende hin überschlagen sich die Ereignisse regelrecht und nach einer Vielzahl von Wendungen gipfelt die komplexe Handlung schließlich mit einer sehr überraschenden Auflösung des Falls.

FAZIT
Ein sehr fesselnder Auftakt einer neuen historischen Krimi-Reihe auf hohem Niveau - mit einer hochkomplexen Handlung, interessanten Charakteren und tollem Zeitkolorit. Auf die Fortsetzung bin ich schon sehr gespannt.

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Veröffentlicht am 24.04.2021

Unterhaltsamer und nachdenklich stimmender Roman

Sprich mit mir
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MEINE MEINUNG

„Sprich mit mir“ ist das neueste Werk des US-amerikanischen Schriftstellers T. C. Boyle, der sich im deutschsprachigen Raum einer großen Fan-Gemeinde erfreut und von vielen als „Rockstar ...

MEINE MEINUNG

„Sprich mit mir“ ist das neueste Werk des US-amerikanischen Schriftstellers T. C. Boyle, der sich im deutschsprachigen Raum einer großen Fan-Gemeinde erfreut und von vielen als „Rockstar amerikanischer Literatur“ gefeiert wird.
Es ist ein vielschichtiger und sehr nachdenklich stimmender Roman mit einer komplexen Handlung, die vor dem Hintergrund der aus heutiger Sicht recht fragwürdigen Primatenforschung Ende der 1970ger bis Anfang der 1980ger Jahre angesiedelt ist – jenen Zeiten also, in denen es sehr populär war, als Mensch verkleidete Schimpansen in Fernsehshows zu präsentieren, um damit Quote zu machen. Zweifellos ist Boyle erneut ein unterhaltsamer und spannender Page Turner gelungen, den man bald nicht mehr aus der Hand legen kann.
Im Mittelpunkt der sehr fesselnden Geschichte steht ein interessantes Forschungsprojekt, bei dem die sprachliche Kommunikationsfähigkeit von Schimpansen untersucht werden soll. So tauchen wir allmählich in das ehrgeizige Fremdpflegeexperiment des Verhaltensforschers Professor Schemerhorn ein, das auf einer entlegenen Farm mit abwechselnden wissenschaftlichen Assistenten durchgeführt wird. Dort dreht sich alles um den 2jährigen Schimpansen Sam, der in seiner „Pflegefamilie“ lernen soll, sich mittels Gebärdensprache zu verständigen. Vor allem der schüchternen Studentin Aimee gelingt es bald, eine ganz besonders innige, mütterlich liebevolle Beziehung zu Sam aufzubauen und sich mit ihm zu verständigen.

Geschickt hat Boyle seine Geschichte in drei verschiedenen Erzählperspektiven, nämlich die von Guy, Aimee und schließlich auch von Sam, angelegt, so dass wir unterschiedliche, hochinteressante Sichtweisen von den Geschehnissen er- und durchleben können. Mit einem raffinierten erzählerischen Trick lässt Boyle uns schrittweise auch in die überraschende Erlebnis- und Gedankenwelt von Sam eintauchen. In Versalien hervorgehobene Schlüsselworte wie ESSEN, RAUS, BETT oder ANGST kennzeichnen Sams recht beschränkten Wortschatz aus der Gebärdensprache. Auch wenn diese Perspektive wenig authentisch und wissenschaftlich nicht belegbar ist, ist es doch äußerst faszinierend mehr über Sams Wahrnehmungen, sein außerordentliches Abstraktionsvermögen und seine Emotionen mit einer großen Bandbreite von Angst, Eifersucht, Liebe, Hass und Zuneigung zu erfahren. Äußerst bestürzend ist es mitzuerleben, unter welchen grausamen Bedingungen diese hochintelligenten Tiere ihr Leben als Versuchstiere hinter Gittern fristen müssen.

Insbesondere die mitreißende Handlung um den jungen, cleveren Schimpansen Sam, der nie Kontakt zu seinen Artgenossen hatte, wie ein menschliches Kleinkind aufgezogen wird und sich entsprechend verzogen auch gebärden kann, ist äußerst lebendig geschildert und amüsant zu lesen. Rasch schließt man Sam in sein Herz und folgt voller Mitgefühl sowie mit unguten Vorahnungen in Bezug auf sein Schicksal der aufwühlenden und immer tragischer werdenden Geschichte. Trotz vieler humorvoller Passagen, die immer wieder zwischendurch aufblitzen und mich schmunzeln ließen, hat mich der Roman sehr betroffen und nachdenklich zurückgelassen.

Boyle ist es sehr anschaulich und eindrücklich gelungen, seinen Protagonisten Sam sehr vielschichtig und empathisch, wenn auch aus einer menschlichen Betrachtungsebene darzustellen. Als etwas enttäuschend empfand ich es allerdings, wie eindimensional und vorhersehbar die übrigen Charaktere angelegt wurden. Bei einigen von ihnen hätte ich mir doch etwas mehr Nuancen und Tiefe sowie vielleicht eine überraschende, charakterliche Weiterentwicklung gewünscht.

FAZIT
Ein mitreißend und humorvoll erzählter Roman mit einer unterhaltsamen und zu zugleich bedrückenden Geschichte, die von der Verhaltensforschung mit Primaten in der 1980ger Jahren inspiriert ist. Eine bemerkenswerte Lektüre trotz kleinerer Schwachstellen, mit seinen ethischen Fragestellungen noch lange nachhallt und nachdenklich stimmt!

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Veröffentlicht am 24.04.2021

Außergewöhnliche Lektüre

Krass
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INHALT
Ralph Krass – so heißt ein verschwenderisch großzügiger Geschäftsmann, der Menschen mit kannibalischem Appetit verbraucht. Ist er unendlich reich oder nur ein Hochstapler, kalt berechnend, oder ...

INHALT
Ralph Krass – so heißt ein verschwenderisch großzügiger Geschäftsmann, der Menschen mit kannibalischem Appetit verbraucht. Ist er unendlich reich oder nur ein Hochstapler, kalt berechnend, oder träumt er hemmungslos? Er will sich seine Gesellschaft kaufen, immer nur selbst der Schenkende sein. Als in Neapel Lidewine in seinen Kreis tritt – eben noch die Assistentin eines Zauberers, eine junge Abenteurerin –, bietet er ihr einen ungewöhnlichen Pakt an. Beobachtet wird das Ganze von seinem Sekretär, dem Pechvogel Dr. Jüngel, mit einem Blick voll Neid und Eifersucht. Aber erst nachdem die Gesellschaft von Herrn Krass durch einen Eklat auseinandergeflogen ist, gelingt es ihm, an seinem Zufluchtsort in der französischen Provinz, die Mosaiksteine des Geschehenen zu einem Bild zu ordnen – während Menschen wie der stumme Kuhhirte Toussaint, der Schuster Desfosses und Madame Lemoine mit ihren Wellensittichen ihm eine Ahnung davon vermitteln, wie alles mit allem rätselhaft zusammenhängt

(Quelle: Rowohlt Verlag – Erscheinungstermin: 26.01.2021 - ISBN: 9783498045418)


MEINE MEINUNG
Mit „Krass“ hat der deutsche Autor und Georg-Büchner-Preisträger Martin Mosebach einen äußerst opulenten und sprachgewaltigen Roman vorgelegt, in dessen Mittelpunkt der titelgebende, sehr ambivalente Protagonist „Ralph Krass“ steht. Sehr versiert und mit erstaunlich aktuellen Bezügen entwirft Mosebach in seinem dreiteilig angelegten Roman ein faszinierendes Portrait eines für seine Zeit typischen machtgierigen Patriarchen und Vertreter des Stereotyps „Alter Weißer Mann“ und lässt uns schließlich an seinem Niedergang teilhaben.
Die drei unterschiedlichen Teile spielen auf drei Zeitebenen in den Jahren 1988, 1989 und 2008 und sind angesiedelt in drei Ländern, so dass wir den Figuren von Neapel über ein Provinzkaff in Frankreich bis nach Kairo folgen, wo schließlich das etwas surreal anmutende Finale mit Krass sowie Lidewine und Jüngel stattfindet. Dem Aufbau einer klassischen Sonate folgend sind die drei stimmungsmäßig sehr verschieden gelagerte Teile entsprechend mit Allegro imbarazzante, Andante pensieroso und Marcia funebre betitelt.
Anfangs musste ich mich erst in Mosebachs eleganten, etwas altmodisch wirkenden Erzählstil und seine sehr differenzierte, anschauliche Sprache hineinfinden, doch schon bald war ich von der Lebendigkeit und Vielfältigkeit seiner Bilder und Beschreibungen sowie der sehr prägnanten Schilderung seiner Charaktere fasziniert. Es ist eine vielschichtige, recht undurchsichtige Geschichte mit vielen Nebenfiguren, Verweisen und Verflechtungen, die mich zunehmend in ihren Bann gezogen hat. Zuweilen aus Sicht eines allwissenden Erzählers, meist aber auch der Perspektive von Krass` devoten Adlatus und rechter Hand Dr. Jüngel lernen wir den verschwenderischen, skrupellosen Machtmenschen und dubiosen Geschäftemacher Ralph Krass mit seinem großkotzigen Hang zur Dekadenz zu seiner „Blütezeit“ inmitten seiner illustren Entourage kennen, deren Gesellschaft er sich gönnerhaft erkauft hat.
Facettenreich und mit vielen spannenden Leerstellen skizziert Mosebach seine sehr unsympathische, aber hochinteressante Hauptfigur, von der man recht schnell ein lebendiges Bild vor Augen hat und unwillkürlich auch Parallelen in lebenden Vertretern seiner Spezies findet. Sehr gelungen sind auch die Einsichten in die Gefühls- und Gedankenwelt der verschiedenen Figuren, die Krass umkreisen, ihre ambivalenten Beziehungen zueinander und die aufschlussreichen Schilderungen der sich allmählich einstellenden Machtverhältnisse – ein äußerst faszinierendes und sehr entlarvendes Panoptikum hat Mosebach hier sehr prägnant eingefangen. Gefesselt verfolgt man im ersten Teil die sich zunehmend verselbstständigende Dynamik und amüsiert sich über die junge selbstbewusste und unerschrockene Lidewine, die sich ihre ganz eigenen Spielregeln im Umgang mit Krass herausnimmt. Im zweiten Teil lernen wir nun den mittlerweile abgestürzten Unglücksvogel Dr. Jüngel in einer tiefen Sinnkrise und mit all seinem Selbstmitleid über seine ausführlichen Tagebuchaufzeichnungen kennen, doch zugleich bekommt die Geschichte durch sehr überraschende wie rätselhafte Enthüllungen über Krass auch einen ganz neuen Dreh und liefert sehr aufschlussreiche neue Zusammenhänge.
Im letzten Teil, dem Trauermarsch, spitzt sich die Handlung im morbid-apokalyptischen Setting des flirrenden Kairo, wo sich die drei Schlüsselfiguren -Lidewine als Galeristin, Dr. Jüngel als Professor für Urbanistik und Krass - in veränderter Rollenkonstellation zufällig wieder begegnen, immer mehr zu und lässt uns schließlich den kläglichen Untergang des einst so mächtigen Titelhelden miterleben.

FAZIT
Ein opulenter, tiefgründiger und beeindruckender Roman über einen überaus unsympathischen Machtmenschen und seinen unabwendbaren Untergang.
Raffiniert und sehr atmosphärisch erzählt, mit faszinierenden Charakteren und bildgewaltigen Beschreibungen – allerdings recht anspruchsvoll und etwas überladen geschrieben!

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Veröffentlicht am 19.03.2021

Bewegende, etwas skurrile Familiengeschichte

Die Erfindung der Sprache
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MEINE MEINUNG
Nach ihren beiden gelungenen Romanen 'Kranichland' und 'Kastanienjahre' erzählt die deutsche Autorin Anja Baumheier in ihrem neuen Buch „Die Erfindung der Sprache“ erneut eine bewegende und ...

MEINE MEINUNG
Nach ihren beiden gelungenen Romanen 'Kranichland' und 'Kastanienjahre' erzählt die deutsche Autorin Anja Baumheier in ihrem neuen Buch „Die Erfindung der Sprache“ erneut eine bewegende und recht tragische Familiengeschichte. Mit seiner märchenhaft-skurrilen Handlung und seinem etwas gewöhnungsbedürftigen Schreibstil nimmt uns die Autorin diesmal mit auf eine abenteuerliche und sehr ungewöhnliche Lesereise, die thematisch reizvoll, äußerst unterhaltsam aber phasenweise auch recht anstrengend zu lesen ist.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht der sehr eigenwillige und schrullige Protagonist Adam Riese, der wohlbehütet auf der fiktiven, sehr beschaulichen ostfriesischen Insel Platteoog aufgewachsen ist und als promovierter Sprachwissenschaftler an der Berliner Universität lehrt. Der hochbegabte Adam ist mit seinen deutlich autistischen Zügen ein liebenswerter Sonderling, der sich im Leben durch seine fehlende Sozialkompetenz schwer tut und recht zurückgezogen lebt. Mit all seinen Marotten und Phobien insbesondere auch seine Vorliebe für Listen und die Zahl 7 oder seinem inneren Ratgeber in Form einer neongelben Leuchtreklametafel, die ihm ständig mit Botschaften dazwischen funkt, ist Adam eine herrlich skurrile Figur, die man rasch in sein Herz schließt.
Der bisweilen etwas bizarren Handlung folgen wir auf zwei Erzählsträngen, die auf verschiedenen Zeitebenen angesiedelt sind und einander abwechseln. In Rückblicken tauchen wir ab in die Vergangenheit und erfahren schrittweise mehr über Adams komplexe Familiengeschichte. So erleben wir Details aus dem Leben von Adams ostfriesischen Großvater Ubbo und seiner großherzigen, aus Tschechien stammenden Oma Leska auf der kleinen idyllischen Nordseeinsel Platteoog, ihrer Tochter Oda und Adams geheimnisvoller Vater Hubert Riese, der als Leuchtturmrestaurator auf die Insel kam und Odas große Liebe war. Zudem erhalten wir aufschlussreiche Einblicke in den Mikrokosmos der netten Platteooger Dorfgemeinschaft, in Adams Kindheit und Jugend und erfahren schließlich mehr über das große Drama, das vor 18 Jahren durch das rätselhafte, spurlose Verschwinden von Adams Vater während einer Pilgerreise seinen Lauf nahm. In der in der Gegenwart spielenden Handlung verfolgen wir die sich zunehmend überschlagenden Ereignisse um Adam. Nach einem zufälligen Hinweis darauf, dass Hubert Riese noch leben könnte, begibt Adam sich eher unfreiwillig auf die Suche nach dem verschollenen Vater. Eine Suche, die sich schon bald zu einem abenteurlichen und sehr aberwitzigen Roadtrip durch halb Europa entwickelt und so manche Überraschung und abstruse Wendung bereithält.
Die Autorin versteht es von Beginn an mit Adams turbulenter und ereignisreicher Schnitzeljagd Spannung aufzubauen. Auch wenn die skurrilen und sehr unterhaltsamen Ereignisse in den Rückblenden sowie die angedeuteten, verhängnisvollen Geheimnisse rund um Hubert Riese zwar ebenfalls sehr fesselnd sind, so nimmt der Wechsel zum Erzählstrang der Vergangenheit immer wieder deutlich Fahrt aus der zuvor aufgebauten Dynamik und bis zur überraschenden Auflösung am Ende immer mehr zu steigern.
Sehr spannend hat die Autorin in ihrem Roman die Thematik Sprache und Literatur in verschiedensten Variationen aufgegriffen und faszinierend umgesetzt –so sind beispielsweise immer wieder Zitate von Rilke eingestreut, der Huberts Lieblingsdichte war, der sprachbegabte Protagonist Adam ist Linguist, eine auf Tierkommunikation spezialisierte Figur begleitet Adam auf seiner Spurensuche, während seine Mutter aufgrund eines Traumas ihre Sprache gänzlich verloren hat.
Trotz des opulenten, sehr lebendigen und bildhaften Schreibstils der Autorin und der sehr humorvollen Erzählweise ist das Lesen der Geschichte bisweilen gar nicht so einfach. Auf die außergewöhnliche Sprache und etliche Satzungetüme, die zu Adams sehr spezieller Wahrnehmung seiner Umwelt hervorragend passen, muss man sich erst einlassen, aber dann wird man von der anekdotenreichen, sehr humorvollen und zugleich nachdenklich stimmenden Geschichte gut unterhalten, hofft mit dem überaus liebenswerten Helden auf einen versöhnlichen Ausgang seiner Odyssee und freut sich über seine innere Reifung.

FAZIT
Eine skurrile, ungewöhnliche und sehr humorvoll erzählte Familiengeschichte mit einem schrulligen, sehr liebenswerten Helden, einem abenteuerlichen Roadtrip und einem etwas gewöhnungsbedürftigen Schreibstil!

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Veröffentlicht am 15.03.2021

Vielversprechender Auftakt einer neuen schwedischen Krimi-Reihe

Der andere Sohn
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Mit dem Krimi „Der andere Sohn“ betritt ein neues schwedisches Autorenduo, bestehend aus dem Journalisten Peter Mohlin sowie Regisseur und Drehbuchautor Peter Nyström, die ohnehin schon dicht gesäte skandinavische ...

Mit dem Krimi „Der andere Sohn“ betritt ein neues schwedisches Autorenduo, bestehend aus dem Journalisten Peter Mohlin sowie Regisseur und Drehbuchautor Peter Nyström, die ohnehin schon dicht gesäte skandinavische Krimilandschaft.
Ihr erstes gemeinsames Werk „Der andere Sohn“ ist der vielversprechende Auftakt einer neuen, im schwedischen Karlstad angesiedelten Krimi-Reihe rund um den hochinteressanten und sehr eigenwilligen Ermittler John Adderly, der als ehemaliger amerikanischer FBI-Undercover Agent mit schwedischen Wurzeln im Rahmen eines Zeugenschutzprogramms zurück in seine alte Heimat kommt, um in einer neugebildeten Cold Case Einheit mitzuermitteln.
Im Mittelpunkt der vielschichtigen, hochspannenden und sehr mitreißend erzählten Handlung steht ein mysteriöser Fall in der schwedischen Kleinstadt Karlstad, bei dem Emelie, die zukünftige Erbin eines millionenschweren Textilunternehmens, vor 10 Jahren spurlos verschwand. Die Autoren verstehen es hervorragend, ihre Geschichte sehr packend, atmosphärisch und wendungsreich in Szene zu setzen. Insbesondere die raschen Wechsel zwischen den unterschiedlichen Perspektiven, Zeitebenen und Schauplätzen sorgen für viel Abwechslung und Tempo.
Die spannende, in mehrere Teile untergliederte Handlung erleben wir zunächst abwechselnd aus Johns Perspektive im Jahr 2019 sowie in Rückblenden ins Jahr 2009 aus der Sicht von Heimer, dem Vater der verschwundenen Emelie, bis wir schließlich den Ermittlungen des Cold Case Teams in der Gegenwart von 2019 folgen, bei denen John unter seiner neuen Identität mitarbeitet.
Das Autorenduo hat mit ihrer Hauptfigur John einen sehr vielschichtigen und ambivalenten Charakter mit interessanter Hintergrundgeschichte angelegt, der ausgesprochen viel Potential besitzt. Äußerst faszinierend ist, diesen sehr eigenwilligen Ermittler mit vielen Ecken und Kanten mitzuerleben, der in den Augen seiner provinziellen Kollegen ungewohnte Wege geht und mit seinen unkonventionellen Methoden auch rasche Ermittlungserfolge aufweist. Johns Ermittlungen sind von höchster Brisanz und bergen viel Konfliktpotential, denn bei dem Hauptverdächtigen handelt es sich um seinen Halbbruder Billy, dessen Schuld oder Unschuld er endlich beweisen will. Objektivität und die Wahrheitsfindung stehen bei ihm an oberster Stelle. Bei Bekanntwerden seiner verwandtschaftlichen Beziehung würde John jedoch zum einen von der Cold-Case-Einheit ausgeschlossen werden und zum anderen würde er die Enttarnung seiner neuen Identität riskieren sowie möglicherweise ins Visir seiner Häscher vom Drogenkartell aus Amerika geraten. Auch wenn Johns Motive und Handlungsweisen insgesamt gut nachvollziehbar sind, wirkte sein unbedachtes Verhalten in einigen Situationen absolut unglaubwürdig und unprofessionell. Gewissenhaft und teilweise ohne große Unterstützung aus eigenen Reihen treibt John die Ermittlungen in verschiedenste Richtungen voran, deckt neue Spuren auf und lässt schließlich auch Zweifel an der Professionalität der Polizei sowie den Verdacht auf Korruption aufkommen. Nach einigen überraschenden Wendungen und nicht ganz logischer Verwicklungen wird schließlich der Cold Case zufriedenstellend aufgeklärt.
Ein fieser Cliffhanger am Ende bildet den Abschluss dieses Krimi-Auftakts und macht neugierig auf eine Fortsetzung der Reihe und einen neuen Fall für den interessanten, aber sehr eigenwilligen Ermittler John.
FAZIT
Ein fesselnder Auftakt einer neuen Krimireihe mit interessanten Figuren und einem vielschichtigen, hochspannenden Fall!

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