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Veröffentlicht am 18.04.2018

Ruhiger Western

Kanada
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Eine Art Western der Neuzeit - so präsentiert sich das schwermütige Epos des Autors Richard Ford, in dem Dell Parson auf eine Episode in seiner Jugendzeit zurückblickt, die sein gesamtes Leben verändert ...

Eine Art Western der Neuzeit - so präsentiert sich das schwermütige Epos des Autors Richard Ford, in dem Dell Parson auf eine Episode in seiner Jugendzeit zurückblickt, die sein gesamtes Leben verändert hat.
In einer für die ganze Familie schwierigen Situation werden Dells Eltern zu Bankräubern, das Leben der bis dahin "anständigen" Familie verändert sich von einem auf den anderen Tag und Dell und seine Zwillingsschwester Berner müssen mitansehen, wie ihre Eltern verhaftet und als Verbrecher abgeführt werden. Es folgt ein Leben außerhalb der Gesellschaft - so erscheint es zumindest unmittelbar danach.

Doch es gibt auch ein Davor: detailliert wird der Leser eingeführt in die Verhältnisse und Hintergründe der Familie Parson - für meinen Geschmack teilweise zu detaillert, verliert sich der Autor doch seitenweise in Einzelheiten.

Als Folge der Tat seiner Eltern wird Dell durch Zufall von seiner Schwester getrennt und kommt nach Kanada, wo er eine neue, noch größere Dimension von Einsamkeit erfährt und Zeuge einer Gewalttat, eines noch schlimmeren Verbrechens wird.

Auf mich wirkt diese Schilderung wie eine Art moderner Western - vergleichbar mit dem Film "12 Uhr mittags", in dem alles auf diesen Zeitpunkt hinausläuft, an dem die Handlung kulminiert und die entscheidende Wendung erfolgt. In diesem Buch ist es nicht ein, sondern mehrere Momente, die jedoch alle in eine bestimmt Phase von Dells Leben fallen - es ist also eine entscheidende Episode, die hier als westernartige Abrechnung geschildert wird - wenn man die Geduld hat, sich auf die bereits erwähnten Details einzulassen, kommt man hier in den Genuss einer großen literarischen Leistung, denn der Pulitzer-Preisträger Ford kann schreiben, und wie!

Nichts für Freunde actionreicher Erzählkunst, wohl aber für diejenigen, die die neue amerikanische Literatur, aber auch deren Tradition schätzen, denn in diese fügt sich Fords neuester Roman "Kanada" nahtlos ein.

Veröffentlicht am 18.04.2018

Hefeträume

Lust auf Hefe
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Ich sage es gleich zu Beginn: ich backe gern. Richtig gern. Salziges und Süßes. Ich komme nicht sehr oft dazu, aber ab und zu nehme ich mir die Zeit. Doch auch dann gilt: es muss schnell gehen und unkompliziert ...

Ich sage es gleich zu Beginn: ich backe gern. Richtig gern. Salziges und Süßes. Ich komme nicht sehr oft dazu, aber ab und zu nehme ich mir die Zeit. Doch auch dann gilt: es muss schnell gehen und unkompliziert sein. Deswegen (und natürlich auch des leckeren Geschmacks wegen) schwöre ich auf Hefe. Stimmt nicht? Hefe geht (im wahrsten Sinne des Wortes) nicht schnell? Doch, was die reine Zubereitungszeit betrifft, schon. Und auf jeden Fall ist es unkompliziert. Denn wenn man bestimmt Faktoren (ein bisschen Wärme zum Beispiel, gut vermischen bzw. verkneten) berücksichtigt, ist das wirklich kein Zauberwerk.

So habe ich mich sehr gefreut über dieses Buch mit Heferezepten. Es ist voll mit interessanten Vorschlägen und diversen Variationen - hier wird gezeigt, was man mit Hefe alles machen kann. Natürlich auch Aufwändiges und (ein bisschen) Kompliziertes. Aber das dürfen dann die machen, die die Zeit und vor allem die Geduld dazu haben. Es gibt Rezepte für große Hefestücke wie bspw. Zöpfe, für Plundergebäck, Fettgebackenes, Regionales und mehr. Also jede Menge Abwechslung. Aber: keine Brote. Mich stört das jetzt nicht so, aber insgesamt - so finde ich - sollte dieser Prototyp des Hefegebäcks in einem so umfassenden Buch dann doch zumindest auftauchen.

Und: fast alles wird mit Weizenmehl gebacken (als einzige andere Möglichkeit gibt es ein paar Rezepte mit Dinkelmehl), es gibt dazu und auch zu anderen Abwandlungsmöglichkeiten wenig Variationsvorschläge. Was ich gut finde, sind die Tipps, die gelegentlich auftauchen, wenn sie auch recht spärlich gesät sind. Weitere Infos gibt es wenig, was ich schade finde bei solch unikalen Vorschlägen wie dem Siegerländer Reibekuchen (das ist ein Brot in Kastenform). Ein paar Worte zu der Tradition und dazu, wie man es ißt (mit Butter? Warm? Abgekühlt? Mit süßem Belag? Oder ganz ohne?) wären hilfreich gewesen.

Aber insgesamt sind es gut erläuterte, lecker fotografierte Rezepte, die sich in diesem Buch finden. Ich denke, ich werde oft darauf zurückgreifen!

Veröffentlicht am 11.04.2018

Die Mörderjägerin von Sligo

Schweigegelübde (Ein Emma-Vaughan-Krimi 2)
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Das ist Ermittlerin Emma Vaughan, auch wenn sie im Moment ein bisschen schwächelt, nicht ohne eigene Schuld: ihren letzten Fall hat sie in den Sand gesetzt und ihr Chef meint zu wissen, dass ...

Das ist Ermittlerin Emma Vaughan, auch wenn sie im Moment ein bisschen schwächelt, nicht ohne eigene Schuld: ihren letzten Fall hat sie in den Sand gesetzt und ihr Chef meint zu wissen, dass das Drogenscreening, zu dem sie sich auf sein Geheiß ins örtliche Krankenhaus begeben muss, die Auflösung bringen wird. Und leider weiß Emma, dass dies der Wahrheit entspricht. Im Krankenhaus allerdings stößt sie auf eine wahre Mordserie, die zudem Zusammenhänge zu einem früheren Fall aufweist.

Wie der erste Fall, Lügenmauer ist dies eindeutig eine Lektüre für Krimifreunde, die das Besondere, Atmosphärische lieben, vielleicht auch einen etwas fremd anmutenden Touch. All das wird hier geboten, denn die Reihe der deutschen Autorin Barbara Bierach spielt im irischen Sligo, wo sie sich bestens auskennt - die irische Kleinstadt ist nämlich seit einigen Jahren ihr Wohnort. Den sie aufs Eindringlichste zu beschreiben vermag, ebenso wie ihre Figuren ganz besonders authentisch rüberkommen. Beschreibungen sind also eine ganz klare Stärke der Autorin und machen diesen Band zu einer empfehlenswerten Lektüre für Leser, die Krimis der besonderen Art mögen und sich gerne nebenher ein paar historische bzw. gesellschaftspolitische Infos "draufschaufeln". Auch wenn das Ende ebenso wie bei "Lügenmauer", dem ersten Band, aus meiner Sicht ausgesprochen überraschend und für einen Krimi durchaus unkonventionell war, geht das zeitweise auf Kosten der Spannung. Denn die eigentlichen Todesfälle in "Schweigegelübde" sind nicht allzu spektakulär.

Die charismatische Polizistin Emma Vaughan, die zwar irische Wurzeln hat, aber in New York aufwuchs, ist auf jeden Fall ein großer Gewinn für die internationale Krimi- und Ermittlerlandschaft. Eine ungewöhnliche Frau, die in Irland oft aneckt, sich überall durchkämpfen muss, an den richtigen Stellen aber durchaus Diplomatie walten lässt und vieles aus einer Perspektive sieht, aus der auch die meisten Leserinnen es wahrnehmen werden - also eine Identifikationsfigur, die mich auf eine baldige Fortsetzung einer möglichen neuen Krimireihe hoffen lässt. Eine Reihe, der auch die ein oder andere humorvolle Sequenz nicht fehlt!

Veröffentlicht am 11.04.2018

Karl - ein Mann mit Stil

Der Lügenpresser
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Nämlich mit seinem ureigenen und den kann man finden, wie man will, man wird ihn nicht mehr ändern. Der 62jährige Wiener Journalist hat sich eingerichtet in seinem Leben und in seiner Denkweise und wir ...

Nämlich mit seinem ureigenen und den kann man finden, wie man will, man wird ihn nicht mehr ändern. Der 62jährige Wiener Journalist hat sich eingerichtet in seinem Leben und in seiner Denkweise und wir als Leser dürfen ihn fünf Tage lang begleiten. Es sind fünf besondere Tage im Leben des Karl Schmied, eines Boulevardjournalisten vom alten Schlag, dessen Sermon manchmal der eines frustrierten und aufgeblasenen Hampels zu sein scheint, der meint, alles schon gesehen und erlebt zu haben, an anderer Stelle wirkt er erstaunlich klar und hellsichtig.

Mit anderen Worten - Karl, nicht gerade der sympathischste Zeitgenosse, schafft es, uns - wenn wir ehrlich sind - einen Spiegel vorzuhalten, denn, geben wir es zu: auch wir selbst wählen oft genug den bequemsten aller Wege, die meisten von uns jedenfalls und nicht jeder von uns gibt es offen zu. Und ganz im Vertrauen kommt uns auch der ein oder andere kompromittierende Satz über die Lippen, wie es auch bei Karl der Fall ist.

Auch, wenn er definitiv nicht der Typ ist, der sein Fähnlein nach jedem Wind hängt. Aber manchmal eben schon. Ich muss sagen, manchmal habe ich mich so fremdgeschämt, dass ich gar nicht weiterlesen wollte, bis ich dann herausfand: es war gar kein Fremdschämen, ich fühlte mich eigentlich an die eigene Nase gepackt, ohne es zugeben zu wollen.

Kurz und heftig - so liest sich der Roman von Livia Klingl und heftig wirkt er auch. Aber nicht unbedingt kurz, denn ich kann mir eigentlich nicht vorstellen, dass ich das alles schnell wieder vergesse. Auch wenn ich es manchmal, wenn ich mich so ganz besonders unbehaglich fühle in der eigenen Haut, gerne würde!

Veröffentlicht am 10.04.2018

Eine Randgruppe in zweierlei Hinsicht

Roter Herbst in Chortitza
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Eine von vielen, von sehr vielen. Hat doch die Sowjetunion vor Randgruppen nur so gestrotzt. Bzw. war sie bunt zusammengewürfelt aus verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen, wobei die letzteren ...

Eine von vielen, von sehr vielen. Hat doch die Sowjetunion vor Randgruppen nur so gestrotzt. Bzw. war sie bunt zusammengewürfelt aus verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen, wobei die letzteren aufgrund der politischen Einstellung der Regierung einen besonders schweren Stand hatten. So auch die aus Deutschland stammenden Mennoniten, angesiedelt in der Ukraine, um die es in diesem Buch geht und zwar eine Gruppe von vor Jahrhunderten eingewanderten Mennoniten. Folglich gehörten sie gleich zu zwei Minderheiten - zu einer nationalen und einer religiösen, was sie über die Jahrzehnte hinweg wieder und wieder zu spüren bekamen.

Ihr Schicksal wird in diesem Roman durch Autor Tim Tichatzki quasi über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg - und ein wenig darüber hinaus - verfolgt und es als ein schweres Los zu umschreiben, wäre eine riesige Untertreibung. Nein, in diesem vergangenen Jahrhundert wurden diese armen Menschen quasi zum Spielball aller Mächte, die durch diesen Landstrich hindurchfegten - und zwar jedes Mal ohne Rücksicht auf Einzelschicksale.

Eindringlich beschreibt Tom Tichatzky das Schicksal des zunächst jungen Willy, dessen Figur und Leben er an das eines Verwandten gekoppelt sind, aber auch dasjenige von Maxim, einem Gefährten Willys aus Jugendtagen, der eine ganz andere Richtung einschlägt und damit quasi zum Inbegriff des Sowjetmenschen wird.

Über Jahrzehnte hinweg wird das überaus leidvolle Leben von Willys Familie als Spielball der Mächte im Europa des 20. Jahrhunderts geschildert. Parallel dazu folgen wir Maxim, der zum Werkzeug und später zum Opfer des Stalinismus wird.

Angesichts meiner Nähe zum Sujet - meine Eltern stammen aus dem Baltikum - habe ich die Lektüre nicht "einfach so", das heißt unbefangen, angehen können. Nein, es schwangen eine ganze Menge von Erwartungen und auch Befürchtungen mit, von denen - sagen wir es offen - die meisten erfüllt wurden. Ein düsteres Buch ist dies, das die Gräuel der Sowjetunion und in Teilen auch des Nationalsozialismus eindringlich schildert. Und das ist auch mein einziger kleiner Kritikpunkt an diesem überaus wichtigen Buch, dem ich viele Auflagen, zahlreiche Leser und hoffentlich auch Übersetzungen in vor allem osteuropäische Sprachen wünsche. Bei einem in einem christlichen Verlag erschienenen Buch hätte ich mir bisschen mehr Hoffnung hätte gewünscht, diese blitzte wirklich nur in Ansätzen auf, ich konnte teilweise gar nicht weiterlesen, da ich immer wieder das Schlimmste erwartete. Und zuverlässig traf es Mal für Mal auch wieder ein. Immer wieder hatte ich beim Lesen geradezu körperliche Schmerzen.

Also nichts für Zartbesaitete. Ansonsten lege ich das Buch aber jedem Leser, der ein nicht alltägliches Buch über die Gräuel des Zwanzigsten Jahrhunderts lesen will, ausdrücklich ans Herz.