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Veröffentlicht am 28.08.2019

Immobilienhaie am Elbufer

Der Tote vom Elbhang
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Svea Kopetzki leitet die Mordbereitschaft beim Hamburger KDD. Während einer nächtlichen Joggingrunde – sie muss sich den Beziehungsfrust von der Seele laufen – wird sie zu einem Tatort beordert. Auf einem ...

Svea Kopetzki leitet die Mordbereitschaft beim Hamburger KDD. Während einer nächtlichen Joggingrunde – sie muss sich den Beziehungsfrust von der Seele laufen – wird sie zu einem Tatort beordert. Auf einem grade zur Versteigerung stehenden Grundstück am begehrten Falkensteiner Ufer wurden menschliche Knochen gefunden. Sorgfältig in Kaninchenfelle und Pappschachteln verpackt, weisen sie auf ein Verbrechen hin. Sollte der Fundort ein Zufall sein oder hat es was mit der Zwangsversteigerung des Grundstücks zu tun? Denn es ist schon erstaunlich was der Immobilienhai Kampmann für das Gelände und das verwahrloste Häuschen zu zahlen bereit ist.

Ein gelungenes Krimidebüt habe ich hier gelesen. Es gibt eine kompakte, aber vielschichtig angelegte Handlung mit genügend Wendungen, die für Spannung sorgen und kenntnisreich beschriebene Schauplätze. Das geht von den begehrten Wohnlagen am Elbeufer bis zu den Sozialtürmen in Born.

Wenn es um Zwangsversteigerungen geht ist der Immobilienspekulant meist nicht sehr fern und da unsere Kommissarin nach der Trennung dringend eine neue Wohnung braucht, ist es eine nette Idee Motiv und privaten Frust zu thematisieren.

Aber auch anderen Spuren muss Svea und ihr Team nachgehen. Dabei ist Kollege Tamme im Augenblick ein wenig durch den Wind, der zuverlässige Beamte und liebevolle Familienvater hat Probleme, Kollegin Franzi nervt ein wenig mit ihrem Gesunde – Ernährung Gerede und verteilt großzügig und ungefragt, Kräutertee und Ratschläge, aber trotzdem hält das Team zusammen und die kleinen privaten Kabbeleien und Einschübe machen richtig Spaß zu lesen. Die Figuren, allen voran Svea Kopetzki, sind gut charakterisiert, sehr realistisch in ihrem Auftreten und mich haben sie neugierig gemacht auf die ihre weitere Entwicklung .Ich hoffe, dass es wirklich nicht bei diesem Debüt bleibt, denn Schauplatz und Personen bieten sich für eine Fortsetzung wirklich an.
Darauf bin ich schon neugierig.

Veröffentlicht am 27.08.2019

Im Paradies der Bibliomanen

Das Haus der vergessenen Bücher
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Wieder eine Entdeckung des Atlantik Verlags.

Erstmalig erschienen 1919, umweht diesen Roman die Stimmung der Zeit. Sinistre ungeschlachte Deutsche, die Metzger oder Weintraub heißen, übernehmen den Part ...

Wieder eine Entdeckung des Atlantik Verlags.

Erstmalig erschienen 1919, umweht diesen Roman die Stimmung der Zeit. Sinistre ungeschlachte Deutsche, die Metzger oder Weintraub heißen, übernehmen den Part der Schurken. Der aufrechte, junge Aubrey Gilbert, der als Mitarbeiter einer Werbeagentur die Läden in Brooklyn abklappert um an Anzeigenaufträge zu kommen, stolpert so in das wirklich außergewöhnliche Buchgeschäft des Mr. Mifflin. Ein Antiquariat wie aus dem Märchen, deckenhohe Regale voll von geheimnisvollen Schätzen, versteckt hinter den dicken Tabakswolken der Besucher und Leser. Kunden gibt es nicht so viel, aber Mr. Mifflin trennt sich auch ungern von seinen Schätzen. Das ein Schild die Besucher aufklärt, das es in diesem Geschäft spukt, passt bestens zur Atmosphäre.

Aber Mifflin ist kein brummiger, verstaubter Antiquar, er liebt es zu kochen und zu genießen, sein Maikolbenpfeifenclub trifft sich regelmäßig zum Rauchen und Diskutieren und Mrs Mifflin verwöhnt sie dabei mit Schokoladenkuchen. Auch der Hund Bock, eigentlich Boccacio, gehört zur Familie, sogar mit eigener Bibliothek. Mr. Mifflin ist ein geselliger und freundlicher Zeitgenosse, nimmt deshalb auch gern die Tochter eines Clubmitglieds, Titania Chapman, als Lehrling auf, ein Umstand der Aubrey Gilbert zu einem regelmäßigen Besucher des Ladens macht und von Roger Mifflin und seiner Frau herzlich als Freund aufgenommen wird.

Dann verschwindet ein Buch , es taucht unter seltsamen Umständen wieder auf, wird wieder gestohlen und wieder gefunden. Gilbert wähnt die schöne Titania in Gefahr und beschließt den Laden, seinen Besitzer und die Kundschaft zu beobachten. Es folgen abenteuerliche Verfolgungsjagden, geheimnisvolle Botschaften und Anschläge und Aubrey Gilbert, erweist sich als tüchtiger Held.

Trotz der fast 100 Jahre ist der Roman frisch, auch wenn manches aus der Zeit gefallen scheint. Wo gibt es noch Geschäfte, Büros oder gar Apotheken, die grau vom Rauch der Zigarren und Zigaretten sind. Trotzdem habe ich es ganz gern gelesen, es hat mich öfters an das „Rätsel der Sandbank“ von Erskine Childers, erinnert. Alle Leser, die Bücher lieben und noch von Buchhandlungen ohne Bestsellertischen und Nonbooks träumen, finden in Mr. Mifflins Antiquariat ein Stück vom Paradies.

Veröffentlicht am 21.08.2019

Hausbesetzer wider Willen

Allein kann ja jeder
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Ellen hat es wirklich nicht leicht, ihre Tochter Kim, 13, pubertiert ausgesprochen anstrengend, ihre Mutter Rosa, 71, trägt ihre Hippievergangenheit und ihren Joint wie eine Fahne vor sich her und überlässt ...

Ellen hat es wirklich nicht leicht, ihre Tochter Kim, 13, pubertiert ausgesprochen anstrengend, ihre Mutter Rosa, 71, trägt ihre Hippievergangenheit und ihren Joint wie eine Fahne vor sich her und überlässt lässig alle Sorgen und Pflichten der in ihren Augen spießigen Tochter. Ellens Ex wird wieder Vater und braucht für seine neue Familie Geld, deshalb muss das Haus verkauft werden, schließlich hat Ellen nicht genügend Geld um ihren Ex auszuzahlen und die Wohnungslosigkeit droht. Ohne Haus steht auch die Mutter Rosa in Kürze da, denn zusammen mit ihrem Nachbarn und Gefährten Robert, einem pensionierten Polizeibeamten hat sie ihre Wohnung verkauft und beide wollen zusammen in eine Seniorenresidenz ziehen. Doch Robert liegt tot am Fuß seiner Treppe, der Safe ist offen und das Testament und Wertsachen verschwunden. Die Polizei ermittelt anfangs ziemlich erfolglos, obwohl Ellen dem Kommissar Mittmann durchaus ihre Sympathie und mehr entgegenbringt. Aber damit ist der Kummer noch nicht groß genug. Das Bauverhaben mit den edlen Seniorenresidenzen ist ein gut gemachter Immobilienschwindel, ein inzwischen verschwundener Geschäftsführer hat sich das Geld der Leute unter den Nagel gerissen. Auf dem geplanten Grundstück steht noch eine alte Villa und aus drohender Obdachlosigkeit heraus, besetzen Rosa, ihre Tochter und Enkelin und zwei weitere Geschädigte die Bruchbude. Aber wie passt der gewaltsame Tod von Robert zu diesen Vorkommnissen oder ist er mit seinen Recherchen zur Polizeiarbeit der letzten zwei Jahrzehnte jemandem auf die Füsse getreten? Ellen versucht mühsam in diesem Chaos noch den Überblick zu bewahren, muss sie doch sowohl ihrer Tochter, wie auch ihrer ziemlich durchgeknallten Mutter zur Seite stehen, auch ihre Freundin Andrea – Roberts Tochter – braucht Rat, Trost und Zuspruch. Gut dass sich Kommissar Mittmann wenigstens um Ellen kümmert.
Die Gagdichte im neuen Buch von Julia Profijt ist hoch, das ist schließlich ihr Erfolgsrezept. Die Figuren sind so klischeehaft überzeichnet, dass es schon fast wieder komisch ist. Die Handlung ist überdreht und absurd und löst immer wieder laute Lacher aus. Das Titelbild weist schon auf das Genre hin, das Julia Profijt, Dora Heldt und Kolleginnen geschickt und erfolgreich variieren. Das ist leichte, amüsante Sommerlektüre.

Veröffentlicht am 21.08.2019

Schuld und Sühne

Das große Schweigen
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Ein dunkles Kapitel in der Schweizer Gesellschaft: der Umgang mit schwierigen, auffälligen Kindern. Statt Erziehung oder Pflege werden sie weggesperrt in Jugendstrafanstalten und gebrochen entlassen.

Eines ...

Ein dunkles Kapitel in der Schweizer Gesellschaft: der Umgang mit schwierigen, auffälligen Kindern. Statt Erziehung oder Pflege werden sie weggesperrt in Jugendstrafanstalten und gebrochen entlassen.

Eines Tages steht eine alte Frau im Büro des erfolgreichen Rechtsanwalts Ferdinand Bouillé, sie will die Anschrift des Seniorpartners, gibt sich als alte Angestellte zu erkennen. Die Situation eskaliert, wie von Sinnen sticht sie auf den Anwalt ein und stürzt sich aus dem Fenster. Ein sinnloses Attentat, verübt von einer geistig kranken Frau, das eigentlich dem Vater des Anwalts gelten sollte, so scheint es auf den ersten Blick. Doch dann erhält auch Ferdinands Tochter Drohanrufe, im Umfeld des Anwalts und seiner Familie geschehen grauenhafte Morde. Die Polizei ist immer den entscheidenden Schritt zu spät, so dass auch Bouillés Tochter auf eigene Faust ermittelt und einer aberwitzigen Verschwörung auf die Spur kommt. Wie so oft liegt die Schuld in der Vergangenheit.

Ich möchte nicht zu viel vom Inhalt verraten, damit den Lesern die Spannung erhalten bleibt. Das ist ein richtig harter Thriller, mit vielen Szenen, die nichts für zartbesaitete Leser sind. Immer spannend und mit viel psychologischem Geschick in Szene gesetzt, erweist sich das Anfangskapitel als Schlüssel zur Auflösung des Falls.

Ein bisschen viel war mir die Beschreibung der verkorksten Familien- beziehungen der ermittelnden Polizisten, deshalb die 4 Sterne.

Veröffentlicht am 20.08.2019

Aus der Dunkelheit

Die Welt in allen Farben
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Man stelle sich vor, ein Mann wird blind geboren und man lehrt ihn, durch Betasten zwischen einem Würfel und einer Kugel zu unterscheiden. Wenn man ihm nun als Erwachsenem das Augenlicht geben könnte, ...

Man stelle sich vor, ein Mann wird blind geboren und man lehrt ihn, durch Betasten zwischen einem Würfel und einer Kugel zu unterscheiden. Wenn man ihm nun als Erwachsenem das Augenlicht geben könnte, wäre er dann durch bloße Anschauung, noch vor dem Betasten, in der Lage, die Kugel vom Würfel zu unterscheiden? (W. Molyneux)


Nova ist seit ihrer Geburt blind. Dann gibt es da plötzlich eine Operationsmethode, die ihr das Sehen ermöglicht. Lange zögert Nova, sie fühlt sich sicher in ihrer dunklen Welt und weiß nicht, was danach kommen wird.


Kate ist eine recht erfolgreiche Architektin, aber es gibt einen dunklen Punkt in ihrem Leben. Nach zwei Jahren ehe ahnt sie, dass Tony sie nicht liebt, sondern beherrscht. Sie wird immer kleiner bis zu dem Tag, als Tony sie stößt und sie schwer stürzt. Ein Hämatom breitet sich unbemerkt immer weiter in ihrem Kopf aus, bis sie ins Koma fällt.


In der Klinik treffen sich Kate und Nova und für beide Frauen beginnt Schritt für Schritt und langsam tastend ein Weg in ein farbiges Leben.
Dieser Roman verursachte mir Gänsehaut . Ich versuchte mir vorstellen, wie es ist zu sehen, wenn man vorher nicht wusste, was „sehen“ ist. Wenn Farben und Formen fremd und unverständlich sind, wenn man Gesichter sieht und sie nicht deuten kann. Das alles ist für Sehende völlig unverständlich und trotzdem hat es der Autor geschafft, mir eine Ahnung davon zu geben. Er erzählt Novas erste Monate als Sehende unglaublich einfühlsam und sensibel.
Auch die Geschichte von Kate hat mich berührt. Wie sich allmählich in ihr Auflehnung gegen ihr kontrollsüchtigen und gewalttätigen Mann regt, wie sie mit Hilfe von Novas Freundschaft sich auf ihre Stärke besinnt, war großartig.


Der Autor hat die Geschichte seiner beiden Protagonisten beeindruckend erzählt dass sich Kate und Nova dann ineinander verlieben, war für mich eine logische Fortführung. Allerdings fand ich die Liebesgeschichte mit ihren Dialogen und Szenen bei weitem nicht so stark, wie die Entwicklung der beiden Frauen.


Ich finde das Schriftbild des Buches ebenfalls der Erwähnung wert. Es wird mit Schriftgrößen und Formen gespielt. So gibt sich Nova in den ersten Wochen „Sehregeln“, die abgesetzt vom Text sind. Jede dieser Regel fällt sofort ins Auge und regen zum Nachdenken an. Dann gefiel mir ganz besonders ein Stern aus Text, der symbolisiert, wie Nova zum ersten Mal nach einem Stern im Nachthimmel sucht.


Ein beeindruckender und berührender Roman, dem ich viele Leserinnen wünsche.