Leserunde zu "Vergesst unsere Namen nicht" von Simon Stranger

Der Bestseller und Buchhändlerliebling aus Norwegen
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Simon Stranger (Autor)

Vergesst unsere Namen nicht

Roman

Thorsten Alms (Übersetzer)

Eine wahre Familiengeschichte, die zeigt, wie nah Dunkelheit und Hoffnung beieinanderliegen können

In der jüdischen Tradition heißt es, dass ein Mensch zwei Mal stirbt. Das erste Mal, wenn das Herz aufhört zu schlagen und die Synapsen im Gehirn erlöschen wie das Licht in einer Stadt, in der der Strom ausfällt. Das zweite Mal, wenn der Name des Toten zum letzten Mal gesagt, gelesen oder gedacht wird, fünfzig oder hundert oder vierhundert Jahre später. Erst dann ist der Betroffene wirklich verschwunden, aus dem irdischen Leben gestrichen.

Ein auf wahren Begebenheiten basierender Roman, der achtzig Jahre Geschichte und vier Generationen umfasst. Eine Erzählung über den Holocaust, über Familiengeheimnisse und über die Geschichten, die wir an unsere Kinder weitergeben.

Timing der Leserunde

  1. Bewerben 15.07.2019 - 04.08.2019
  2. Lesen 19.08.2019 - 08.09.2019
  3. Rezensieren 09.09.2019 - 22.09.2019

Bereits beendet

Teilnehmer

Diskussion und Eindrücke zur Leserunde

Veröffentlicht am 14.09.2019

Ich bin kein Jude, ich bin ein Mensch

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Als Simon Strangers kleiner Sohn buchstäblich über den Stolperstein für Hirsch Komissar stolpert, und nachfrägt, was diese in den Straßen eingelassenen Messingplatten bedeuten, beginnt Stranger sich mit ...

Als Simon Strangers kleiner Sohn buchstäblich über den Stolperstein für Hirsch Komissar stolpert, und nachfrägt, was diese in den Straßen eingelassenen Messingplatten bedeuten, beginnt Stranger sich mit der jüdischen Geschichte seiner Frau Rikke zu beschäftigen.

"Warum wurde er ermordet, Papa?
"Weil er Jude war. "
"Ja, aber warum?"

Rikke, ist eine Nachfahrin von Hirsch Komissar, der von den Nazis ermordet worden ist. Über 80 Jahre und vier Generationen erstreckt sich der Roman, der ein beredtes Zeugnis einer dunklen Zeit beleuchtet.

Die Geschichte der Familie Komissar ist eng mit der Vita von Henry Oliver Rinnan verknüpft. Rinnan, aus einfachen Verhältnissen, kleinwüchsig, unscheinbar und fies, ist Spitzel der Nazis, schleimt sich bei seinen norwegischen Landsleuten ein und liefert
Widerständler und Juden den Deutschen aus.


Meine Meinung:


„Ich bin kein Jude, ich bin ein Mensch“ - das Menschsein haben die Nazis den Juden mehrfach abgesprochen.

Über die Nazis und ihre Gräueltaten sind schon viele Bücher geschrieben worden. Die meisten beschäftigen sich mit den Schicksalen deutscher Juden. Diesmal liegt der Fokus auf Norwegen, das von 1940 bis 1945 von der deutschen Wehrmacht besetzt war. Um an Mitglieder des norwegischen Widerstands zu kommen, bedient sich die Wehrmacht, wie in allen besetzten Gebieten, einiger Einheimischer wie Rinnan. Ob aus Überzeugung oder „nur“ wegen einer kriminellen Ader, lässt sich nicht ganz herausfinden. Rinnan fühlt sich das erste Mal in seinem Leben bedeutend. Er wird Kopf einer Verbrecherbande, die vor Folter und Mord auch in den eigenen Reihen nicht zurückschreckt.

Autor Simon Stranger verknüpft geschickt Fakten mit Fiktion. Ein interessantes Detail sind die Kapitelüberschriften, die lediglich aus einem Buchstaben des Alphabets bestehen. So steht das A für Antisemitismus, das H für Hirsch oder Hoffnung.

Zuerst wollte der Simon Stranger nur den Namen Hirsch Komissar vor dem Vergessen bewahren, denn die jüdische Tradition glaubt, dass ein Mensch erst dann richtig tot ist, wenn sich keiner mehr an ihn erinnert. Doch dann entdeckt er, dass seine Schwiegermutter Grete Komissar, im „Bandenkloster“ genannten aufgewachsen ist. Es ist das Haus von Henry Oliver Rinnan, der Hirsch und zahlreiche andere Juden denunziert hat. Die Geschichte des Hauses liest sich ebenso spannend wie die Geschichte der Personen.

Während Hirsch 1942 ermordet wird, gelingt seinen Söhnen Gerson und Jacob die Flucht nach Schweden. Gerson wird später Ellen heiraten und in das „Bandenkloster“ einziehen. Während Gerson den Einzug in das Haus eher pragmatisch sieht, da es billig zu haben ist, leidet Ellen unter der gewalttätigen Aura des Gebäudes.

Obwohl es interessant ist, wie aus einem unscheinbaren, nicht beachteten Jungen ein brutaler Verbrecher wird, nimmt die Lebensgeschichte von Rinnan weit mehr Raum in diesem Roman ein, als ihm meiner Ansicht nach zusteht. An manchen Stellen tritt die Familiengeschichte Komissar in den Hintergrund und jene von Rinnan plustert sich ungebührlich auf. Das eine oder andere Mal hat sich bei der Gedanke aufgedrängt, dass aus dem gehänselten, missachteteten Rinnan, also einem Opfer, nichts anderes werden konnte als ein Täter. Denn mit der Unterstützung der Nazis ist sein Name endlich in aller Munde, wenn schon nicht geachtet, so denn gefürchtet.

Der Schreibstil ist dem Thema angemessen: Sachlich, bisweilen, ob der Monströsität der Verbrechen, distanziert wirkend, begeben wir uns mit dem Autor in die wohl dunkelste Zeit der Historie.

Mehrfache Perspektivenwechsel lassen die Erzählstränge deutlich erkennen.

Fazit:

Eine interessante Familiengeschichte, der ich gerne 4 Sterne gebe.

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Veröffentlicht am 11.09.2019

Vergangene Gräueltaten, die sich nie wiederholen dürfen …

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In der jüdischen Tradition heißt es, dass ein Mensch zweimal stirbt: Das erste Mal, wenn das Herz aufhört zu schlagen und das zweite Mal, wenn sein Name zum letzten Mal gesagt, gelesen oder gedacht wird. ...

In der jüdischen Tradition heißt es, dass ein Mensch zweimal stirbt: Das erste Mal, wenn das Herz aufhört zu schlagen und das zweite Mal, wenn sein Name zum letzten Mal gesagt, gelesen oder gedacht wird. Dies war der Anlass für die Idee, Pflastersteine aus Messing herzustellen und darauf die Namen der jüdischen Bürger einzugravieren, die während des Zweiten Weltkriegs ermordet wurden. Diese „Stolpersteine“ wurden vor ihren damaligen Wohnhäusern zur Erinnerung und Mahnung in den Bürgersteig eingelassen. In der norwegischen Stadt Trondheim stand vor einigen Jahren der Autor Simon Stranger mit seiner Familie vor einem solchen „Stolperstein“. Es war der Stein für Hirsch Komissar, dem Urgroßvater seiner Ehefrau, der ihn veranlasste, dessen Leben nachzuspüren, über seine Gefangennahme und seinen Tod zu recherchieren und daraus diesen Roman zu schreiben.

Dass die norwegische Bevölkerung unter der deutschen Besatzung sehr zu leiden hatte weiß man, dass aber auch Norweger als Agenten und Spitzel für die Deutschen tätig waren ist weniger bekannt. Wohl der heimtückischste und brutalste unter ihnen war Henry Oliver Rinnan. Über ihn und seine Gräueltaten, die er mit seiner Bande verübte, berichtet dieses Buch im Wechsel mit besonders tragischen Einzelschicksalen aus der norwegischen Bevölkerung und Episoden aus dem Leben der Familie Komissar. Leider wird dabei, entgegen dem Titel „Vergesst unsere Namen nicht“ den Tätern, besonders Henry Rinnan, einen breiteren Raum eingeräumt als den Opfern. So hat Rinnan posthum immer noch die Aufmerksamkeit, die er zeitlebens angestrebt hatte.

Der Schreibstil ist sehr gut der Thematik angepasst, sachlich, klar und nüchtern. Es wird aus mehreren Perspektiven berichtet, so dass man sich in die einzelnen Protagonisten bestens einfühlen kann. Auch befasst sich der Roman mit verschiedenen Zeitebenen, die oft wechseln, und man sich rasch auf ein anderes Szenario umstellen muss. Geschichtlich ist der Roman sehr interessant, man sollte aber in der Lage sein, die oftmals brutal geschilderten Folterungen und Gräueltaten auszublenden, was jedoch nur bedingt gelingen kann. Dennoch klagt der Autor nicht an und verurteilt nicht, sondern er lässt dem Leser die Möglichkeit, seine eigene Meinung, sein eigenes Urteil zu bilden. Dabei geht er auch auf die Nachfahren von Hirsch Komissar ein, die teils noch heute unter den Ereignissen zu leiden scheinen. Trotz allem meint Rikke, die Frau des Autors und Ururenkelin von Hirsch Komissar, gegen Ende des Buches: „Lass diesen Roman eine Aufforderung sein, nach vorn zu sehen. Lass ihn eine Möglichkeit zur Versöhnung und für Vergebung sein.“

Fazit: Ein interessantes Werk über eine schreckliche Vergangenheit, die man nicht ändern, aus der man aber für die Zukunft lernen sollte.

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Veröffentlicht am 09.09.2019

Angst und Schrecken während der Besatzungszeit in Norwegen - aufwühlender Roman über die Taten der Rinnan-Bande

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Simon Stranger hat mit "Vergesst unsere Namen nicht" einen Teil der Familiengeschichte seiner Frau aufgeschrieben. Ihre Familie lebte in dem Haus der berüchtigten Rinnan-Bande, einer Gruppe von Norwegern ...

Simon Stranger hat mit "Vergesst unsere Namen nicht" einen Teil der Familiengeschichte seiner Frau aufgeschrieben. Ihre Familie lebte in dem Haus der berüchtigten Rinnan-Bande, einer Gruppe von Norwegern die zur Zeit des Zweiten Weltkrieges mit den deutschen Nationalsozialisten kollaborierten und in dem Haus vermeintliche Widerstandskämpfer gefangen hielten, folterten und töteten.

Der Roman beginnt mit der Kindheit und Jugend Henry Rinnans und wie es 1940 zur Zusammenarbeit mit den deutschen Besatzern gekommen ist. Als Kind war Henry dem Mobbing seiner Klassenkameraden ausgesetzt und auch als Jugendlicher fand er keinen Anschluss und wurde auch aufgrund seiner geringen Körpergröße nicht ernst genommen. Von Minderwertigkeitskomplexen geplagt und die Schuld an seinen ärmlichen Lebensverhältnissen allen anderen gebend, entwickelte er einen unkontrollierbaren Hass auf Menschen. Rinnan hatte deshalb auch kein schlechtes Gewissen, Juden, Kommunisten und Gegner der Deutschen zu verraten. Als Agent Lola fand er endlich die jäh vermissten Anerkennung und baute er eine Sonderabteilung der Gestapo auf.

Wie unmenschlich grausam die Bande vorging und wie menschenverachtend brutal und erschreckend skrupellos Henry Rinnan agierte, schildert der Autor schonungslos.
In einem zweiten Erzählstrang, der ungefähr zehn Jahre später handelt, beschreibt Simon Stranger, wie Gerson und Ellen Komissar in das Haus der Rinnan-Bande in Trondheim zogen und wie massiv die Jüdin Ellen, die an der Entscheidung für den Umzug nicht beteiligt war, unter der Geschichte des Hauses leidet.

Der Autor stellt mit der Geschichte beide Seiten dar: Opfer und Täter des Zweiten Weltkriegs. Der Aufbau des Romans ist dabei ungewöhnlich. Jedes Kapitel beginnt mit einem Buchstaben des Alphabets und einzelnen Worten, die den jeweiligen Anfangsbuchstaben haben.

"A wie Anklage. A wie Aussage. A wie Arrest. A wie alles, was verschwinden und in Vergessenheit fallen wird. Alle Erinnerungen und Gefühle."

Dieser nüchterne Erzählstil zu Beginn der Kapitel wirkt bedrohlich und beklemmend und unterstützt die folgende Beschreibung der Gräueltaten eindringlich.
Es ist ein Roman über die Schrecken der Nationalsozialisten, beispielhaft dargestellt anhand der Biografie einer der verhasstesten Figuren der norwegischen Geschichte. Dabei wird deutliche, welche Folgen Demütigungen, fehlende Selbstreflexion und eine unbändige Wut haben können. Gleichzeitig ist der Roman ein Appell, zu vergeben und das Vergangene zu akzeptieren, hinter sich zu lassen und hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken und das Leben zu feiern.

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Veröffentlicht am 09.09.2019

A wie atemberaubend

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Vergangenheit ist wahre Realität, Geschichte hingegen ist die narrative Re-Konstruktion dieser.

In Strangers Roman geht es um das Thema Erinnerung, genauer gesagt um das Erinnern an den Holocaust in Norwegen ...

Vergangenheit ist wahre Realität, Geschichte hingegen ist die narrative Re-Konstruktion dieser.

In Strangers Roman geht es um das Thema Erinnerung, genauer gesagt um das Erinnern an den Holocaust in Norwegen in drei miteinander verwobenen Erzählungen: die Erzählung seiner Täter, am Beispiel des Verfalls von Henry Oliver Rinnan zum Gestapo Informanten, die seiner Opfer, am Beispiel vom Juden Hirsch Kommissar und die seiner Nachkommen, welche die einstigen Schrecken durch Zeitzeugnisse teils noch zu spüren glauben.

Der Erzähler im Roman ist ein indirekter Verwandter Hirsch Kommissars, welcher uns in umso direkterer Anrede die Ereignisse des Romans näher bringt. Nebst dem Erzählstil sind auch die Anfänge der Kapitel sonderbar: so erhält jedes Kapitel statt einer Nummer einen Buschstaben, welcher zugleich als thematisches Oberthema des jeweiligen Abschnitts fungiert.

Im Zuge der detaillierten Beschreibung Rinnans und seiner Taten, welche wohl angemerkt historisch authentisch dargestellt sind, fragt man sich, wieso die Familie Kommissar die offizielle Hauptrolle im Roman spielen spielt und nicht er. Wie oben bereits erwähnt, versucht der Roman durch teils verwobene, sich an anderer Stelle wieder distanzierende Narrative an Täter, Opfer und Nachkommen gleichermaßen heranzutasten. Um Distanz zwischen Lesern und Vergangenheit zu verkürzen und die herausfordernde Rolle der Erinnerungskultur zu betonen ist dies sicher auch der beste Weg, jedoch habe ich mich persönlich mehr an den Abschnitten erfreut, welche fast tiefenpsychologisch das Leben Rinnans auseinandernehmen.
Aus diesem Grund gebe ich dem Roman, die verdienten, vier Sterne, denn durch Rinnans Aufriss, beginnt man mehr über den Wechsel von Opfer zu Täter im grundlegenden Gewalt-Diskurs nachzudenken. Für die teils verwirrenden Geschichten im fiktionalen Präsens behalte ich mir vor einen Stern abzuziehen. Seinem Genre macht dieser Roman trotzdem alle Ehre.

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Veröffentlicht am 23.09.2019

Ein Stolperstein in Norwegen erzählt uns eine Geschichte

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Simon Stranger erzählt uns eine wahre Familiengeschichte: Die Geschichte der Familie seiner Frau Rikke, ihrer Eltern Grete und Steinar und den Großeltern Hirsch und Marie Komissar. Die Großeltern, Juden ...

Simon Stranger erzählt uns eine wahre Familiengeschichte: Die Geschichte der Familie seiner Frau Rikke, ihrer Eltern Grete und Steinar und den Großeltern Hirsch und Marie Komissar. Die Großeltern, Juden aus Russland, haben sich in Norwegen angesiedelt und bis zum Einmarsch der Deutschen in Norwegen ein bürgerliches Leben geführt.

Der Autor führt uns mit diesem Buch in Kapitel finsterster Zeitgeschichte der Nationalsozialisten in Norwegen und zeigt auch die Verquickung der einheimischen Bevölkerung mit dem National­sozia­lis­mus. Hierfür steht die Figur des Henry Oliver Rinnan, der mit seinen „Bandenmitgliedern“ die hässliche Fratze des Kollaborateurs widerspiegelt.

Simon Stranger nimmt einen Spaziergang in der Stadt Trondheim zum Anlass über die Geschichte hinter dem Stolperstein, den sein 10jähriger Sohn putzt und liest, zu recherchieren und erzählen. Und so wird er zum Zeugen einer Zeit, die auch in Norwegen unmenschliche Züge angenommen hat.

Hier wohnte Hirsch Komissar Jg. 1887. Verhaftet 12.1.1942 Falstad. Ermordet 7.10.1042

Strangers Schwiegermutter Grete mit ihrem Mann Steinar steht mit vor dem Haus mit dem Stolperstein. Hirsch Komissar war ihr Großvater und wohnte im zweiten Stock und ist ein Opfer dieser Zeit, „weil er Jude war“.

„In der jüdischen Tradition heißt es, dass ein Mensch zwei Mal stirbt. Das erste Mal, wenn das Herz aufhört zu schlagen und das zweite Mal, wenn der Name des Toten zum letzten Mal gesagt, gelesen oder gedacht wird, ...“ 1) „Vergesst unsere Namen nicht“ ist daher ein Aufruf, immer der Toten zu gedenken. Dies ist das Anliegen der Stolpersteine, dem Projekt des Künstlers Gunter Demnig, der in Deutschland seit 1992 über 70.000 Stolpersteine 2) verlegt hat. Die im Boden verlegten kleinen Ge­denk­tafeln sollen an das Schicksal der Menschen erinnern, die in der Zeit des National­sozia­lis­mus (NS-Zeit) verfolgt, ermordet, deportiert, vertrieben oder in den Suizid getrieben wurden 3).

„Vergesst unsere Namen nicht“, das Buch von Simon Stranger, übernimmt das Thema Holocaust in Norwegen und ergänzt die Geschichts­schreibung aus einer anderen Perspektive. Und damit kommen wir zu dieser Besonderheit dieses Buches: Es erzählt die Geschichte eines Holocaust-Opfers aus der Perspektive des "Stolpersteins": Der Vater des Ururenkels dieses Hirsch Komissar, dem ein Stolperstein in Trondheim gewidmet ist, versucht sich an die Biographie heran zu tasten. Wie er das macht ist auch bemerkenswert: Er geht durchs Alphabet und nimmt seine Assoziationen, um sich der Geschichte zu nähern. Und vieles verknüpft er mit seiner Phantasie, da er offensichtlich nicht sehr viele Quellen für Hirsch Komissar hat, wie er in der Schlussbemerkung schreibt: „Viele Ereignisse aus der Familiengeschichte der Komissars sind fiktionalisiert.“ 4)

Was allerdings gut belegt ist, ist das Leben des Kollaborateurs Rinnan, um den sich auch viele Mythen ranken, der aber in Deutschland bisher ziemlich unbekannt ist. Wir lernen diesen Rinnan als 10jährigen kennen und erleben seine Entwicklung bis zum Hauptakteur der Folter und Ermordung im „Bandenkloster“, dem Hauptquartier dieser Gruppe um Rinnan mit allerbesten Verbindungen zu den Nationalsozialisten in Norwegen und Deutschland. „Die deutsche Sicherheitspolizei will ihn anstellen.“ - „wie ein Agent.“ 5)

Ein Höhepunkt dieser Familiengeschichte ist die Verquickung des Ortes der Folter mit der Kindheit der Großmutter genau in diesem Haus: B wie Bandenkloster, das berüchtigte Haus, das auf einer Hügelkuppe direkt außerhalb der Innenstadt von Trondheim liegt. 6)

Die Historie des Hauses eröffnet eine weitere jüdische Biografie, die des Professor Ralph Tambs, dem wir mehrfach auf seiner qualvollen Reise begegnen: H wie Herbarium: 7) Es ist der 10. März 1942 und Hirsch Komissar begegnet dem Professor, den er schon zu Studentenzeiten kannte. Ihm gehörte das Haus, das zum Bandenkloster wurde. Und die Familiengeschichte nimmt eine weitere tragische Wendung, die mit den Zweig der Söhne Hirsch Komissars, Gerson und Jakob, verknüpft ist. Gerson, verheiratet mit Ellen, wird nach dem Krieg in diesem Haus leben und ihre Tochter Jannike bekommen.

Ein wichtiges Buch in dieser heutigen Zeit!

Der Autor beschreibt seine Intension, die auch dem Buch den Titel gegeben hat: Er will der Biographie "Leben einhauchen"damit der Name nicht vergessen wird. Der Stolperstein hat diese Funktion bereits übernommen, doch für seine Kinder möchte er mehr: Hirsch Komissar soll als Ururgroßvater in seiner Geschichte lebendig werden.

„Die Welt dreht sich weiter, und ich schließe die Augen, denke daran, was aus jenem Vormittag an deinem Stolperstein alles geworden ist, und dann an all die Geschichten, die sich unter den Steinen aller anderen noch verbergen. Wir werden weiter ihre Namen sagen. Lieber Hirsch, wir werden weiter deinen Namen sagen.“ 8)

Mit diesem Zitat schließt der Autor sein Buch und wir haben eine neue Seite des Holocaust erlebt.

Mein Kommentar

Ich habe mich für dieses Buch beworben, weil ich viele Geschichten dieser Art kenne, mir der Blick aus Norwegen fehlte. Die Idee, mit dem Alphabet durch die Geschichte zu gehen, fand ich äußerst spannend, hat mich dann aber auch irritiert, weil Hirsch, dem ja dieses Buch gewidmet ist, viel zu kurz kommt.

Ob es an der Übersetzung liegt, kann ich nicht beantworten: Der rote Faden konnte auch mit dem Alphabet nicht durchgezogen werden. Viel zu wirr kommen die Assoziationen zu den einzelnen Punkten und nicht immer wird klar, in welchem Zusammenhang sie stehen. Außerdem sind die 70.000 Stolpersteine seit 1992 in Deutschland verlegt. Wollte der Autor seine norwegische Geschichte korrekt wiedergeben, müsste er sich auf auf knapp 600 Stolpersteine seit 2011 beziehen, wobei 66 in Trondheim verlegt sind. (Stand 20.09.2019 laut Wikipedia) Die „Namen der Opfer werden“ nicht „in den Weg geritzt“ 9), sondern in die Stolpersteine, die dann im Gehweg im Pflaster verlegt werden.

Diese Einwände sollen keinesfalls die Wichtigkeit des Buches schmälern. Gerade in heutiger Zeit ist es wichtiger denn je, zu zeigen, was der Hass aus den Menschen machen kann. Und es ist wichtig daran zu erinnern, dass wir aus der Geschichte lernen sollten.

Da ich das Buch als Lesemanuskript erhalten habe, kann ich über das haptische Gefühl, ein gut gestaltetes Buch in Händen zu halten, nichts aussagen. Was mir aber sehr zusagt, ist das Cover mit seinem Bild, das an Vergangenes erinnert: Die Trümmerfrauen, die nach dem Krieg die Steine klopften, um neue Ziegel zum Bauen zu haben. Die zwei Mädchen symbolisieren in diesem Umfeld die Zukunft. Und in dieser Hoffnung wünsche ich dem Buch viele Leser:innen und ein weit verbreitetes Gedächtnis!

Ich würde gerne in einer neuen Auflage einen Stammbaum der Komissars lesen.

Fußnoten müssen hier händisch eingefügt werden:

1) Aus dem Klappentext des Buches.
2) Quelle: Erinnerung an NS-Opfer: Künstler Gunter Demnig verlegt 70.000. „Stolperstein“. FAZ online aktualisiert am 22.10.2018 . faz.net/aktuell/rhein-main/frankfurt/kuenstler-gunter-demnig-verlegt-70-000-stolperstein-15851064.html - Abruf: 20.09.2019
3) Wikipedia: de.wikipedia.org/wiki/Stolpersteine - Abruf: 22.09.2019
4) Zitat aus Buch Seite 349.
5) Zitat aus Buch Seite 165.
6) Buch Seite 20.
7) Buch Seite 116.
8) Zitat aus Buch Seite 348.
9) Buch Seite 7.

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